Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 26. November 1993
Aktenzeichen: 6 U 78/93
(OLG Köln: Urteil v. 26.11.1993, Az.: 6 U 78/93)
1. Der Verkehr ist daran gewöhnt, bestimmte Ausführungen von Gewerken oder Sanierungsarbeiten bestimmten Handwerksgruppen zuzuordnen. Dachreparaturen oder Dachsanierungen weist er üblicherweise Dachdeckern oder Dachdeckerhandwerksbetrieben zu. 2. Wirbt ein Unternehmen für "Flachdachsanierung mit Spezialpolyester", ruft es bei einem nicht unerheblichen Teil der angesprochenen Verkehrskreise den Eindruck hervor, es handele sich bei ihm um einen Dachdeckerbetrieb, der den Anforderungen der Handwerksordnung genügt. Derartige Werbung kann als irreführend wettbewerbswidrig sein. 3. Dem Unternehmen kann indessen die Ausführung solcher Arbeiten nicht auf der Grundlage von § 1 UWG untersagt werden, wenn nicht ein ungerechtfertigter Vorsprung vor den gesetzestreuen Wettbewerbern erzielt wird. Die Vorschriften der Handwerksordnung über die Eintragung in die Handwerksrolle und die Ablegung der Meisterprüfung sind nur gewerbepolizeilichen und ordnenden Charakters, also wertneutral. Allein das Ersparen von Aufwendungen für Innung oder andere Verbände kann nicht zu dem für die Anwendung von § 1 UWG erforderlichen Wettbewerbsvorsprung führen. Gleiches gilt hinsichtlich der bloßen Ausführung von Dachdeckerarbeiten trotz Nichteintragung in die Handwerksrolle und Nichtablegung der Meisterprüfung, da dies nur die typische Folge des Verstoßes gegen wertneutrale Vorschriften ist.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 21. Januar 1993 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln - 81 O 42/92 - teilweise abgeändert: Unter Abweisung der Klage im übrigen wird die Beklagte verurteilt, es bei Meidung ei-nes für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 500.000,- DM zu unterlassen, im geschäft-lichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken - wie nachfolgend wiedergegeben - für Flachdachsa-nierungen zu werben und/oder sie anzubieten: pp. pp. pp. pp. pp. pp. pp. pp. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen werden der Klägerin zu 1/3 und der Beklagten zu 2/3 auferlegt. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beschwer der Klägerin: 10.000,- DM. Beschwer der Beklagten: 20.000,- DM.
Gründe
Die Berufung der Beklagten ist zulässig; sie hat jedoch in der
Sache nur teilweise Erfolg.
Die Klägerin, zu deren Aufgaben als Dachdecker-Innung es nach §
54 Abs. 1 S. 1 HandWO gehört, die gemeinsamen gewerblichen
Interessen ihrer Mitglieder zu fördern, ist gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 2
UWG klagebefugt.
1.
Soweit die Klägerin von der Beklagten begehrt, es zu
unterlassen, in der konkreten, im Urteilstenor wiedergegebenen
Form für Flachdachsanierungsarbeiten zu werben oder diese
anzubieten, ist dieser Anspruch aus § 3 UWG gerechtfertigt.
Das Angebot mit Referenzliste und "technischen Informationen"
ist in der angegriffenen Form irreführend und damit gemäß § 3 UWG
wettbewerbswidrig, denn es ist geeignet, bei einem nicht
unbeachtlichen Teil der angesprochenen Verbraucher unrichtige
Vorstellungen über den Betrieb und die Qualifikation der Beklagten
hervorzurufen und damit die Entscheidung dieser Verbraucher zu
beeinflussen, sich der Beklagten und deren Leistungen
zuzuwenden.
Der Verkehr ist daran gewöhnt, bestimmte Ausführungen von
Gewerken oder Sanierungsarbeiten bestimmten Berufsgruppen von
Handwerkern zuzuordnen. So geht er davon aus, daß Dachreparaturen
oder Dachsanierungen - unabhängig davon, ob es sich um die
Sanierung eines Flachdaches oder eines anders aufgebauten Daches
handelt - von Dachdeckern oder Dachdecker-Handwerksbetrieben
ausgeführt werden.
Da die Beklagte unter der Bezeichnung "Dr. L. & Co. oHG -
Flachdachsanierung mit Spezialpolyester" ihr Angebot abgegeben hat
und sich dieses Angebot über eine "Flachdachsanierung" verhält,
wird bei einem nicht unbeachtlichen Teil der Empfänger derartiger
Angebote der Eindruck erweckt, es handele sich um das Angebot eines
Dachdeckerbetriebes. Dieser Eindruck des unbefangenen Lesers wird
noch dadurch verstärkt, daß im
Angebotsanschreiben hervorgehoben wird, daß das Angebot alle
Leistungen enthält, die zu einer vollständigen Sanierung
erforderlich sind, Nebenarbeiten nicht in Rechnung gestellt werden
und Ecken und Stöße routinemäßig in der Armierung verdoppelt bzw.
verstärkt werden. Selbst diejenigen der angesprochenen Verbraucher,
die nicht allein aufgrund der Bezeichnung "Flachdachsanierung" auf
den Handwerksbetrieb eines Dachdeckers schließen, werden aufgrund
des Angebots einer vollständigen Dachsanierung einschließlich der
Armierung von Ecken und Stößen davon ausgehen, daß es sich bei dem
Anbietenden um einen Dachdeckerbetrieb handelt, da zu einer
"vollständigen Dachsanierung" auch Arbeiten an der Unter-
konstruktion und am Dachaufbau gehören, die typischerweise zum
Berufsbild des Dachdeckerhandwerks (vgl. hierzu DachdAussV vom
13.03.1981) zählen. Schließlich weist das Angebot selbst eine
Vielzahl von Arbeiten auf, die auch nach der Verkehrsanschauung das
Bild des Dachdeckerhandwerks prägen.
Dies ergibt sich insbesondere aus den in den vorgelegten
Angeboten vom 14.10.1991 und 12.10.1992 beschriebenen Tätigkeiten,
wie "Randprofil richten und nachbefestigen", "Dachpaket mit
------Nägeln nachbefestigen", "Herstellen aller Anschlüsse an
Randprofil und Lichtkuppe", "Blasen abstoßen bzw. aufschneiden,
abflämmen, abkleben" und "Anpreßschiene aus Alu zur Sicherung der
Wandanschlüsse
montieren". Diese für das Dachdeckerhandwerk typischen
Tätigkeiten werden auch vom Verkehr nur einem Dachdeckerbetrieb
zugeordnet, so daß zumindest ein nicht unbeachtlicher Teil der
angesprochenen Verkehrskreise aufgrund derartiger Angebote davon
ausgeht, es handele sich bei dem Anbietenden um einen Handwerker,
der für die erforderlichen Arbeiten die Kenntnisse eines
Dachdeckers besitzt, die von den zuständigen staatlichen Stellen
geprüft worden sind, so daß der Anbieter auch in die Handwerksrolle
eingetragen ist.
An dieser Auffassung des Verkehrs ändert auch der Hinweis auf
das "Spezialpolyester" nichts, da die handwerkliche Einordnung
durch das Angebot der benannten Dachdeckertätigkeiten bereits
erfolgt ist. Der unbefangene Leser versteht das Angebot viel- mehr
nur so, als werde die Dachreparatur nur mit einem besonderen
Material durchgeführt, ohne daß er zu dem Schluß gelangt, es
handele sich bei den angebotenen Arbeiten nicht um solche eines
Handwerkers, sondern um diejenigen - wie die Beklagte meint - eines
Chemieunternehmens.
Die durch das angegriffene Angebot hervorgerufene Irreführung
wird auch nicht durch die "technischen Informationen" der Beklagten
ausgeschlossen, sondern eher verstärkt, da diese Hinweise sich
ausführlich mit verschiedenen Arbeiten auseinandersetzen, die auch
nach der Verkehrsansschauung dem Dachdeckerhandwerk zuzuordnen
sind, um dann zum Schluß der
Hinweise das selbst entwickelte Polyester als beste Isolierung
eines Flachdaches anzupreisen. Durch die fachspezifischen
Ausführungen dieser Hinweise wird ein nicht unbeachtlicher Teil der
Leser gerade zu dem Schluß gelangen, es handele sich um die
Ausführungen eines besonders fachkundigen Dachdeckers, der mit
Spezialisolierungen arbeitet.
Diese zumindest bei einem nicht unbeachtlichen Teil der
Verbraucher bei Betrachten des gesamten Angebots - einschließlich
der "technischen Informationen" - hervorgerufene Vorstellung, es
handele sich bei dem Anbietenden um einen fachlich kompetenten
Dachdeckerbetrieb, ist auch geeignet, die angesprochenen
Verbraucher in ihrer wirtschaftlichen Entscheidung positiv zu
beeinflussen, da der Verkehr einem Fachbetrieb, der zudem ein
Spezialverfahren zur Dachsanierung anbietet, den Vorzug vor anderen
Dachdeckern geben wird.
Der Senat hat keine Bedenken, diese Verbraucher- vorstellungen
und deren wettbewerbsrechtliche Relevanz aus eigener Sachkunde und
Erfahrung festzustellen. Seine Mitglieder gehören zu den
angesprochenen Verkehrskreisen, da auch sie zu potentiellen Kunden
von Dachdeckerleistungen zählen. Nach der ständigen Rechtsprechung
des Bun- desgerichtshofs ist es nicht ausgeschlossen, daß der
Tatrichter die Anschauungen der beteiligten Verkehrskreise aufgrund
seiner eigenen Sachkunde und Lebenserfahrung
hinreichend beurteilen kann, sofern - namentlich bei Leistungen
des allgemeinen Bedarfs - die Anschauungen des unbefangenen
Durchschnittskunden zu ermitteln sind und die Richter des zur
Entscheidung berufenen Kollegiums selbst diesem Personenkreis
angehören. Dieser Grundsatz gilt uneingeschränkt vor allem in den
Fällen, in denen das Gericht eine Irreführung bejahen zu können
glaubt, da es insoweit entscheidend nur auf die Anschauungen eines
nicht ganz unerheblichen Teils des Verkehrs ankommt (BGH GRUR 1987,
45, 47 - "Sommerpreiswerbung" m.w.N.). Diese Voraus- setzungen sind
hier erfüllt, da - wie ausgeführt - die Mitglieder des Senats dem
angesprochenen Verbraucherkreis zuzuordnen sind und weil der Senat
die Irreführung bejaht.
Diesem Anspruch aus § 3 UWG steht auch nicht entgegen, daß die
Angebote nicht öffentlich, sondern nur gegenüber einzelnene
Personen abgegeben werden, da von § 3 UWG auch die Angaben erfaßt
werden, die sich an einen geschlossenen Personenkreis oder an
Einzelpersonen richten (Baumbauch/Hefermehl UWG, 17. Aufl. § 3 UWG
Rdnr. 9).
2.
Soweit die Klägerin von der Beklagten auch das Unterlassen
begehrt, die im Urteilstenor näher beschriebenen Arbeiten
auszuführen, hat die Berufung Erfolg.
Die Voraussetzungen des allein aus § 1 UWG in Betracht kommenden
Unterlassungsanspruchs hat die Klägerin im vorliegenden Verfahren
nicht darzulegen vermocht.
Zwar geht der Senat aufgrund der Ausführungen des persönlich
haftenden Gesellschafters der Beklagten in der mündlichen
Verhandlung vom 5. November 1993 davon aus, daß die Beklagte mit
der Durchführung der von ihr angebotenen Flachdachsanierung
handwerkliche Tätigkeit ausübt, die dem Dachdeckergewerbe
zuzuordnen (vgl. DachdAussVO vom 13.03.1981 - BGB I, 314 ff.) ist
und damit - da die Beklagte nicht in die Handwerksrolle eingetragen
ist - gegen § 1 HandWO verstößt.
Der Senat braucht jedoch nicht abschließend dazu Stellung zu
nehmen, ob die Tätigkeit der Beklagten tatsächlich als handwerklich
einzuordnen ist, da die Klägerin jedenfalls nicht darlegen konnte,
daß das Verhalten der Beklagten - einen Verstoß gegen § 1
WOunterstellt - zugleich sittenwidrig im Sinne des § 1 UWG ist.
Es ist allgemein anerkannt, daß nicht jeder Gesetzesverstoß
zugleich mit dem Makel der Unlauterkeit behaftet ist; zudem muß die
Anstößigkeit wettbewerbsbezogen sein (Baumbach/Hefermehl, UWG, 17.
Aufl., § 1 UWG Rdnr. 632). Eine solche Unlauterkeit ist nur zu
bejahen, wenn die verletzte Norm zugleich auf einer entsprechenden
sittlichen
Grundvorstellung beruht. Die Vorschriften der Handwerksordnung
über die Eintragung in die Handwerksrolle und die Ablegung der
Meisterprüfung beeinhalten aber keine solche Regeln. Sie sind
grundsätzlich nur gewerbepolizeilichen und ordnenden Charakters und
daher wertneutral (OLG Köln GRUR 1991, 151, 153; OLG Köln WRP 1971,
432, 433).
Bei wertneutralen Vorschriften kann ein Sittenverstoß im Sinne
des § 1 UWG nur unter besonderen Umständen vorliegen.
Dies ist dann der Fall, wenn der Wettbewerber sich bewußt und
planmäßig über ein Gesetz hinwegsetzt, um sich einen Vorsprung im
Wettbewerb gegenüber den gesetzestreuen Mitbewerbern zu sichern
(BGH GRUR 1957, 558, 559 - "Bayern-Express"). Die Klägerin hat
keine Umstände dafür vorgetragen, daß und inwieweit die Beklagte
infolge der Nichteintragung in die Handwerksrolle wirtschaftlich
gün- stiger steht. Allein das Ersparen von Aufwendungen für Innung
oder andere Verbände kann nicht zu einem Wettbewerbsvorsprung
führen, da der Mitbewerber grundsätzlich vor Konkurrenz weder durch
die Handwerksordnung noch durch das UWG geschützt ist und diese
Aufwendungen nicht so einschneidend sind, daß dadurch die Beklagte
in der Lage wäre, ihr Angebot grundlegend anders zu kalkulieren als
andere Mitbewerber (OLG Köln GRUR 1991, 151, 153; OLG Köln WRP
1971,
432, 433). Die Beklagte kann deswegen weder bessere noch bil-
ligere Arbeiten anbieten.
Die Mißachtung von Vorschriften, die den Zugang zu einem Beruf
von einer Erlaubnis abhängig machen, führt zwar zum unberechtigten
Eintritt in den Wettbewerb, verschafft aber keinen ungehörigen
Vorsprung in diesem Wettbewerb. Die Mißachtung des Erlaubniszwangs
ist daher grundsätzlich nur unter gewerbepolizeilichen
Gesichtspunkten relevant (Baumbach/Hefermehl UWG, 17. Aufl., § 1
UWG Rdnr. 649).
Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht daraus, daß die
Zugangsvorschriften der Handwerksordnung dem Schutz wichtiger
Gemeinschaftsgüter dienen. Das hierdurch geschützte Gut, nämlich
die Erhaltung des Leistungsstandes und der Leistungsfähigkeit des
Handwerks und die Sicherung des Nachwuchses für die gesamte
Wirtschaft (vgl. BVerfGE 13, 97) hat keinen in
wettbewerbsrechtlicher Hinsicht relevanten Inhalt, wie dies z.B.
bei der Volksgesundheit der Fall ist; sie dient nur
allgemeinstaatlichen Interessen.
Auch die Tatsache, daß die Inhaber der Beklagten nicht eine
Meisterprüfung im Dachdeckergewerbe abgelegt haben, führt nicht zu
einem ungerechtfertigten Vorsprung im Wettbewerb. Die bloße
Ausübung der Tätigkeit als Dachdecker trotz Nichteintragung in die
Handwerksrolle und Nichtablegung der Meisterprüfung kann nicht als
ein ungerechtfertigter
Wettbewerbsvorteil angesehen werden, da dies nur die typische
Folge des Verstoßes gegen die wertneutrale Gesetzesvorschrift ist,
der als solcher nicht ausreicht, zu dem vielmehr ein weiteres
Unlauterkeitsmerkmal hinzukommen müßte, das hier aber nicht
festzustellen ist.
Mit seiner Entscheidung setzt sich der Senat auch nicht in
Widerspruch zu der zitierten Senatsentscheidung (GRUR 1991, 151
ff.). Dort bestand der "Vorsprung" gerade darin, daß der dortige
Beklagte zwei Gewerke, nämlich Zimmerer- und Dachdeckerhandwerk in
einer Hand betrieb und so wegen der damit verbundenen Vorteile
günstiger kalkulieren und dadurch die Leistungen preisgünstiger
anbieten konnte.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 92 Abs. 1 ZPO.
Die übrigen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 713,
546 Abs. 2 ZPO.
Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Klägerin vom 22.
November 1993 hat vorgelegen.
OLG Köln:
Urteil v. 26.11.1993
Az: 6 U 78/93
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