Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg:
Beschluss vom 31. August 2010
Aktenzeichen: 6 Ta 1011/10
(LAG Berlin-Brandenburg: Beschluss v. 31.08.2010, Az.: 6 Ta 1011/10)
Ein Auftragnehmer kann sich zu zwei konzernmäßig verbundenen Auftraggebern zugleich in der Stellung einer arbeitnehmerähnlichen Person i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG befinden.
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 24. März 2010 - 48 Ca 20419/09 - aufgehoben.
2. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist zulässig.
3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
1. Die Klägerin, die seit 2009 von beiden Beklagten zur Beratung in Vermarktungsfragen beschäftigt wurde, wendet sich gegen deren außerordentliche Kündigungen vom 26. Oktober 2009 und nimmt diese als Gesamtschuldner auf Zahlung von Vergütung für die Monate Februar bis April sowie September und Oktober 2009 in Anspruch.
Das Arbeitsgericht Berlin hat den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für nicht gegeben erklärt und den Rechtsstreit ans Landgericht Berlin verwiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klagebegehren könnten nicht im Sinne der sog. sic-non-Rechtsprechung lediglich auf eine arbeitsrechtliche Grundlage gestützt werden. Auch ergebe sich weder aus der Anbahnung noch der Zusammenarbeit der Parteien, dass zwischen diesen Arbeitsverhältnisse begründet worden seien. So habe die Klägerin in einer E-Mail vom 12. Februar 2009 ( Abl. Bl. 277 bis 279 d. A. ) deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie aus steuerrechtlichen Gründen ihren freiberuflichen Status für ein Jahr der Zusammenarbeit nicht habe aufgeben wollen. Eine örtliche Weisungsgebundenheit habe nicht bestanden, da die Klägerin von ihrem häuslichen Arbeitsplatz aus tätig geworden sei; Weisungsgebundenheit in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht habe die Klägerin nicht schlüssig dargelegt.
Eine Einordnung der Klägerin als arbeitnehmerähnliche Person scheitere daran, dass sie während ihrer Tätigkeit für die Beklagten in ihrer sozialen Stellung nicht einem Arbeitnehmer vergleichbar schutzwürdig gewesen sei. Es habe ihr offen gestanden, auch für andere Auftraggeber tätig zu sein, und Tätigkeiten im Bereich der Vermarktung und des Anzeigenmarketings würden typischerweise nicht im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses ausgeübt.
Gegen diesen ihr am 20. April 2010 zugestellten Beschluss richtet sich die am 04. Mai 2010 beim Landesarbeitsgericht eingelegte sofortige Beschwerde der Klägerin, der das Arbeitsgericht durch Beschluss vom 14. Juli 2010 nicht abgeholfen hat.
2. Die fristgemäß und formgerecht eingelegte Beschwerde der Klägerin ist begründet.
Die Gerichte für Arbeitssachen sind für den Rechtsstreit zuständig. Es handelt sich um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit zwischen einem Arbeitnehmer und seinen Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis und über dessen Bestehen ( § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. a und b ArbGG ).
2.1 Allerdings hat das Arbeitsgericht mit zutreffender Begründung eine schlüssige Darlegung von Arbeitsverhältnissen zu den beiden Beklagten und auch das Vorliegen eines sog. sic-non-Falls verneint ( § 69 Abs. 2 ArbGG analog ), ohne dass die Klägerin hiergegen mit ihrer Stellungnahme zum Nichtabhilfebeschluss Rechtsanwendungsfehler aufgezeigt oder neue Tatsachen vorgebracht hat.
2.2 Die Klägerin galt jedoch für die streitige Zeit gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG als Arbeitnehmer, weil sie wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnliche Person anzusehen war.
2.2.1 Arbeitnehmerähnliche Personen sind Selbständige. Sie unterscheiden sich von Arbeitnehmern durch einen geringeren Grad oder ein vollständiges Fehlen persönlicher Abhängigkeit, an deren Stelle ihre wirtschaftliche Abhängigkeit tritt. Dabei kann eine arbeitnehmerähnliche Person auch für mehrere Auftraggeber tätig sein; kennzeichnend ist jedoch, dass die Tätigkeit für einen Auftraggeber wesentlich ist und die hieraus fließende Vergütung die entscheidende Existenzgrundlage darstellt ( BAG, Urt. vom 17.10.1990 € 5 AZR 639/89 € BAGE 66, 113 = AP ArbGG 1979 § 5 Nr. 9 zu II 3 a der Gründe ). Schließlich muss der wirtschaftlich Abhängige vergleichbar einem Arbeitnehmer sozial schutzbedürftig sein (vgl. § 12a Abs. 1 Nr. 1 TVG ), was unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung den gesamten Umständen des Einzelfalls zu entnehmen ist ( BAG, Beschluss vom 15.04.1993 € 2 AZB 32/92 € AP ArbGG 1979 § 5 Nr. 12 zu III 2 b aa der Gründe ). Dabei ist der Begriff arbeitnehmerähnliche Person weit auszulegen, um der sozialen Schutzbedürftigkeit dieses Personenkreises gerecht zu werden ( Kliemt in: Schwab/Weth, ArbGG, 2 Aufl. 2008, § 5 R 210 ).
2.2.2 Diese Voraussetzungen waren bei der Klägerin erfüllt.
2.2.2.1 Ausweislich eines €Workflow der zukünftigen Zusammenarbeit€ vom 16. Juni 2009 ( Abl. Bl. 45 und 46 d. A. ) auf der Grundlage eines Meetings vom 29. April 2009 wurde die Klägerin seit diesem Monat von den dort kurz €R.€ bezeichneten Beklagten zur Beratung und Vermarktungsfragen mit der Zielsetzung einer Intensivierung und gezielten Zusammenarbeit mit dem exklusiven Vermarkter des Empfehlungsanzeigengeschäfts sowie einer stärkeren Vernetzung von Chefredaktion und Verlagsleitung mit Marktpartnern beschäftigt. Dazu sollte sie neben dem Geschäftsführer der beiden Beklagten deren offizieller Vertreter und Ansprechpartner sein und den Geschäftsführer maßgeblich in der Tagesarbeit unterstützen, was eine entsprechend intensive, laufende Einbindung erforderte. Daran änderte nichts, dass die Klägerin ihrer Tätigkeit von ihrem eigenen Büro in Düsseldorf aus nachgehen konnte, wie dies selbst in einem Arbeitsverhältnis bei Einrichtung eines sog. Home-Office möglich ist.
Ob es der Klägerin offen stand, auch für andere Auftraggeber tätig zu sein, war entgegen dem angefochtenen Beschluss für eine tatsächlich bestehende wirtschaftliche Abhängigkeit von den Beklagten unerheblich ( vgl. BAG, Beschluss vom 30.08.2000 € 5 AZB 12/00 € AP ArbGG 1979 § 2 Nr. 75 zu II 2 der Gründe ). Bedeutsam war dagegen, dass die Klägerin nicht nur für relativ kurze Zeit, sondern für mindestens ein Jahr für die Beklagten hatte tätig werden sollen ( zu diesem Aspekt LAG Köln, Beschluss vom 03.07.1998 € 11 Ta 94/98 € ZTR 1998, 563 zu II der Gründe ) und dass ihr die Gestaltung ihres Arbeitseinsatzes nicht in dem Sinne freigestellt war, dass sie damit auch die Höhe ihrer Vergütung beeinflussen konnte ( dazu BAG, Urt. vom 02.10.1990 € 4 AZR 106/90 € AP TVG § 12a Nr. 1 a. E. der Gründe ). Vielmehr hat die Klägerin beiden Beklagten monatlich jeweils 3.750,00 € nebst Umsatzsteuer als Fix-Pauschale in Rechnung gestellt. Dabei sprachen die in den Rechnungen für September 2009 ( Abl. Bl. 172 und 173 d. A. ) genannten Rechnungsnummern 13 und 14 für die Richtigkeit ihrer Angabe, in der streitigen Zeit nur für die beiden Beklagten tätig gewesen zu sein. Auch erreichten die Honorare keine solche Höhe, dass die Klägerin deshalb als nicht einem Arbeitnehmer vergleichbar sozial schutzbedürftig anzusehen gewesen wäre ( dazu BAG, Urt. vom 02.10.1990 € 4 AZR 106/90 € BAGE 66, 39 = AP TVG § 12a Nr. 1 ). Schließlich war die Stellung der Klägerin trotz deren Bezeichnung als faktische €Ringier-Anzeigenleiterin€ nicht mit solchen Befugnissen versehen, dass sie damit in hohem Maße Arbeitgeberfunktionen wahrgenommen hätte ( dazu BAG, Urt. vom 17.12.1968 € 5 AZR 86/68 € AP ArbGG 1953 § 5 Nr. 17 zu 1 der Gründe ).
Soweit das Arbeitsgericht in seinem Nichtabhilfebeschluss angeführt hat, dass Tätigkeiten im Bereich Vermarktung und Anzeigenmarketing bzw. der Beratung in diesen Bereichen nicht typischerweise im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses ausgeübt, sondern häufig externen Auftragnehmern übertragen würden und dass die Klägerin in ihrem Lebenslauf selbst darauf hingewiesen habe, seit 2003 in diesem Bereich als selbständige Beraterin und Projektmanagerin tätig gewesen zu sein, stand dies angesichts der umfassenden Aufgabenstellung und persönlichen Einbindung der Klägerin bei der gebotenen Gesamtschau der Annahme einer vergleichbaren sozialen Schutzbedürftigkeit wie bei einem Arbeitnehmer nicht entgegen.
142.2.2.2 Der Umstand, dass die Klägerin von beiden Beklagten gleichermaßen wirtschaftlich abhängig war, schließt es nicht aus, ihr gleichwohl den Status einer arbeitnehmerähnlichen Person zuzuerkennen. Zwar setzt wirtschaftliche Abhängigkeit grundsätzlich voraus, dass die von einem Auftraggeber gezahlte Vergütung die entscheidende Existenzgrundlage für den Auftragnehmer darstellt, und ist dies normalerweise bereits dann nicht der Fall, wenn der Auftragnehmer von mehreren Auftraggebern dergestalt abhängig ist, dass der Wegfall jedes einzelnen zugleich den Wegfall der Existenzgrundlage bedeutete ( Kliemt in: Schwab/Weth, ArbGG, 2. Aufl. 2008, § 5 R 203 ). Ausnahmsweise anders verhält es sich jedoch, wenn wie im vorliegenden Fall, wo die Beklagte zu 1 die Anteile an der Beklagten zu 2 zu 100 % hält, zwei Auftraggeber konzernrechtlich verbunden sind und dem Auftragnehmer gemeinsam gegenüberstehen. Dementsprechend gelten als Vorgabe für die Tarifvertragsparteien nach § 12a Abs. 2 TVG mehrere Personen, für die arbeitnehmerähnliche Personen tätig sind, als eine Person, wenn sie nach Art eines Konzerns ( § 18 AktG ) zusammengefasst sind. Vorliegend kommt noch hinzu, dass ein völliger Gleichlauf der beiden Auftragsverhältnisse bestand und die Klägerin ihre Aktivitäten gemäß dem €Workflow der zukünftigen Zusammenarbeit€ für beide Beklagten gleichzeitig entfaltete.
3. Für eine Kostenentscheidung war kein Raum, weil das Beschwerdeverfahren einen Bestandteil des Hauptverfahrens darstellt ( vgl. BGH, Beschluss vom 12.12.2005 € II ZB 30/04 € NJW-RR 2006, 1289 zu 4 der Gründe ).
Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 17a Abs. 4 Satz 5 GVG, § 48 Abs. 1 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage zuzulassen, ob sich ein Auftragnehmer zu zwei konzernmäßig verbundenen Auftraggebern zugleich in der Stellung einer arbeitnehmerähnlichen Person befinden kann.
4. Gegen diesen Beschluss kann von den Beklagten beim Bundesarbeitsgericht, Hugo-Preuß-Platz 1, 99084 Erfurt, (Postadresse: 99113 Erfurt), Rechtsbeschwerde eingelegt werden. Dies muss schriftlich innerhalb einer Notfrist von einem Monat geschehen. Die Rechtsbeschwerde ist gleichzeitig oder innerhalb einer Frist von einem Monat schriftlich zu begründen. Beide Fristen beginnen mit Zustellung des Beschlusses.
Die Rechtsbeschwerdeschrift muss den Beschluss bezeichnen, gegen den die Rechtsbeschwerde gerichtet wird, und die Erklärung enthalten, dass gegen diesen Beschluss Rechtsbeschwerde eingelegt werde.
Rechtsbeschwerde und Beschwerdebegründung müssen von einem Prozessbevollmächtigten unterzeichnet sein. Als solche sind außer Rechtsanwälten nur folgende Stellen zugelassen, die zudem durch Personen mit Befähigung zum Richteramt handeln müssen:
- Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
- juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der vorgenannten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
Der Schriftform wird auch durch Einreichung eines elektronischen Dokuments i.S.d. § 46b ArbGG genügt. Nähere Informationen dazu finden sich auf der Internetseite des Bundesarbeitsgerichts unter www.bundesarbeitsgericht.de.
LAG Berlin-Brandenburg:
Beschluss v. 31.08.2010
Az: 6 Ta 1011/10
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