Oberlandesgericht Hamm:
Urteil vom 19. Mai 2009
Aktenzeichen: 4 U 23/09
(OLG Hamm: Urteil v. 19.05.2009, Az.: 4 U 23/09)
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 23.12.2008 verkündete Urteil der 12. Zivilkammer - Kammer für Handelssachen - des Landgerichts Bochum abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
A.
Die Klägerin begehrt von der Beklagten nach der Durchführung eines Verfügungsverfahrens und dem Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 13.08.2008 in dem Verfahren 12 O 198/08 beim Landgericht Bochum Erstattung von Kosten für das Verfügungsverfahren und für das alsdann folgende Abschlussschreiben vom 16.09.2008 gemäß Kostenrechnung Anlage 6 zur Klageschrift in Höhe von 1.845,20 €. Mit Schreiben vom 07.10.2008 erkannte die Beklagte die ergangene einstweilige Verfügung in der Sache als verbindliche und endgültige Regelung unter Verzicht auf die Rechte aus §§ 926, 927 ZPO ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und unter Verwahrung gegen die Übernahme und Erstattung weiterer Kosten an, und zwar auch unter Hinweis auf den "Verdacht der rechtsmissbräuchlichen (Vielfach€-) Abmahnung".
Hinsichtlich der näheren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes in erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung der geltend gemachten 1.845,20 € verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin könne von ihr die beanspruchten Kosten gemäß § 12 I 2 UWG in direkter und bezogen auf das Abschlussschreiben in entsprechender Anwendung verlangen. Dem könne die Beklagte nunmehr nicht mehr entgegenhalten, das Verhalten der Klägerin sei rechtsmissbräuchlich oder es lägen überhaupt keine Wettbewerbsverstöße vor. Mit derartigem Vorbringen sei sie ausgeschlossen, nachdem sie die einstweilige Verfügung einschließlich der dortigen Kostenentscheidung als endgültige und abschließende Regelung anerkannt habe. Unabhängig davon gehe das Gericht weiterhin davon aus, dass alle gerügten Verhaltensweisen einen Unterlassungsanspruch gemäß §§ 3, 4 Nr. 11, 8 UWG begründeten. Auch die Höhe der geltend gemachten Kosten sei nicht zu beanstanden.
Die Beklagte greift das Urteil mit ihrer Berufung an, mit der sie abändernd die Abweisung der Klage begehrt. Sie meint, sie sei mit ihrem Vorbringen zur Rechtsmissbräuchlichkeit gemäß § 8 IV UWG keinesfalls aufgrund der abgegebenen Abschlusserklärung vom 07.10.2008 ausgeschlossen. Das Anerkenntnis sei ausdrücklich auf die Sache beschränkt gewesen. Insofern könne sie sich zwar nicht mehr mit Erfolg gegen die im einstweiligen Verfügungsverfahren festgestellten Wettbewerbsverstöße wehren. Einwendungen hinsichtlich der Rechtsmissbräuchlichkeit in Bezug auf die Kostenerstattungspflicht seien im Schreiben vom 07.10.2008 allerdings gerade offen gehalten worden, so dass das Landgericht zu Unrecht über ihren hierzu erfolgten Vortrag in der Klageerwiderung hinweggegangen sei. Die Klägerin könne selbst bei neutralster und zurückhaltendster Betrachtung nur als Massenabmahnerin bezeichnet werden. Aus der vorgelegten Geschädigtenliste vom Bundesverband P-Handel e.V. zum Stand 28.01.2009 ergebe sich, dass neben ihr 83 andere Anbieter durch die Klägerin und ihren Bevollmächtigten abgemahnt worden seien. Hinzu träten weitere Umstände, die ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen nahe legten: die rüde Zurückweisung ihres Fristverlängerungsgesuchs, die Abmahnung nur von Bagatellverstößen bei F, die Abmahnung einzelner Anbieter selbst für Fehler von eBay, nämlich wegen der fehlerhaften Anzeige "Der Verkäufer nimmt diesen Artikel nicht zurück", die mangelnde Vorlage einer Vollmacht, die Geltendmachung einer Schadensersatzpauschale von 100,- € zusätzlich zu den geltend gemachten Anwaltskosten und das eingegangene Kostenrisiko bei der Vielzahl von Abmahnungen, das in keinem Verhältnis zur Wirtschaftskraft der Klägerin mehr stehe. In der Gesamtschau könne ihr wettbewerbliches Begehren nur als rechtsmissbräuchlich bezeichnet werden. Bei der Vielzahl der Fälle und der weiteren aufgezeigten Umstände könnten die Klägerin und ihr Bevollmächtigter nur ein Gebühreninteresse, nicht ein Wettbewerbsinteresse verfolgt haben.
Die Klägerin wehrt sich demgegenüber gegen die Annahme eines Rechtsmissbrauchs. Sie verweist insoweit zunächst auf ihre Berufungsbegründung gegen das Urteil des Landgerichts Bochum in dem Verfahren 2 O 762/08 = OLG Hamm 3 U 189/08 hin, in dem es u.a. um ihre Bezeichnung als "Massenabmahnerin" ging. Alsdann behauptet die Klägerin unter Hinweis auf eine Auskunft der Creditreform vom 30.04.2009, dass sie im Jahr 2006 einen Jahresumsatz von 2.000.000,- € erwirtschaftet habe, im Jahre 2007 von 1.800.000,- € und im Jahre 2008 von 800.000,- €. Die von der Gegenseite vorgelegte Liste sei zum Nachweis einer Missbräuchlichkeit völlig ungeeignet. Sie umfasse 86 Positionen. Bei 6 Positionen handele es sich gar nicht um Mitbewerber, mit denen sie jemals zu tun gehabt habe. 14 Positionen hieraus seien nicht überprüfbar. Des Weiteren enthalte die Liste 30 Mehrfachabmahnungen, weil Mitbewerber in der Liste mit gleichen Angaben öfter genannt würden. Es bliebe eine Anzahl von 36 Abmahnungen in einem Zeitraum von 3 Jahren, mithin eine Abmahnung im Monat. Die Klägerin stellt die einzelnen Positionen im Einzelnen näher dar. Auf ihren Schriftsatz vom 11.05.2009 S. 2 bis 8 wird insoweit Bezug genommen. Dabei seien die von ihr geführten Verfahren, so die Klägerin weiter, ordnungsgemäß beendet worden. Die Ansprüche seien konsequent verfolgt worden. Die Anzahl der Abmahnungen stehe auch zum Jahresumsatz von 2.000.000,- € in einem absolut angemessenen Verhältnis. Die Abmahnung bei F aufgrund des F-Fehlers sei dabei zu einem Zeitpunkt ausgesprochen worden sei, als sie noch nicht davon gewusst habe, dass es sich um eine Panne gehandelt habe. Zur Darlegung ihres Handelns legt die Klägerin weiterhin eine "Jahresbilanz" aus dem Jahre 2008 sowie die bisherige "Bilanz" aus dem Jahre 2009 vor, die sich auf ihre veräußerten Stückzahlen beziehen. Hieraus sei, so die Klägerin, deutlich zu erkennen, dass sich die Stückzahlen deutlich erhöht hätten. Auch die Geltendmachung der Unkostenpauschale sei nicht rechtsmissbräuchlich. Gemäß § 9 UWG könne gegenüber dem Verletzer z.B. entgangener Gewinn als Schaden geltend gemacht werden. Es sei grundsätzlich möglich, den entstandenen Schaden durch einen Vergleich der Verkäufe konkreter Artikel vorzunehmen. Es gehe ihr ausschließlich um einen fairen Wettbewerb und um nichts anderes. Da sie sich an die gesetzlichen Bestimmungen halte, erwarte sie dies auch von ihren Mitbewerbern.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der beiderseitigen Vorträge wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
B.
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet und führt abändernd zur Abweisung der Klage. Die Klägerin kann von ihr nicht aus § 12 I 2 UWG für die Abmahnung und (in analoger Anwendung der genannten Vorschrift) für das Abschlussschreiben die Zahlung der geltend gemachten Anwalts- und Verfahrenskosten von 1.845,20 € verlangen. Die mit der Abmahnung geltend gemachten Unterlassungsansprüche waren wegen rechtsmissbräuchlicher Geltendmachung im Sinne von § 8 IV UWG nicht berechtigt.
I.
Zunächst ist die Beklagte, anders als das Landgericht es gemeint hat, nicht mit ihrem Einwand eines ihrer Ansicht nach vorliegenden Rechtsmissbrauchs ausgeschlossen, da sie die zugrunde liegenden Unterlassungsansprüche nur der Sache nach anerkannt hatte. Die Nichtberechtigung der Kosten war mit Schreiben vom 07.10.2008 ausdrücklich geltend gemacht, auch unter dem Gesichtspunkt eines Rechtsmissbrauchs. Die Beurteilung verhält sich vergleichbar wie bei einem Kostenwiderspruch, bei dem die Kosten ebenfalls noch überprüft werden können. Außerdem kann der Abgemahnte, selbst wenn er in Unkenntnis des Missbrauchs Aufwendungsersatz geleistet hat, den Betrag gegebenenfalls nach § 812 I BGB zurückfordern (vgl. Köhler, in Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 8 Rn. 4.6; Bornkamm, § 12 Rn. 1.83). Dann kann der Abmahner - unter dem Gesichtspunkt der Pflicht zur eigenen Rückgewähr ("dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est") - erst recht nicht erst noch die Kosten für eine rechtsmissbräuchliche Abmahntätigkeit einfordern.
II.
Nach den Gesamtumständen ist davon auszugehen, dass die Klägerin im Streitfall ihre Abmahntätigkeit überwiegend dazu benutzt hat, um gegen die Wettbewerber Ansprüche auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung zu generieren. Die Verfolgung eines lauteren Wettbewerbs ist dahinter zurückgetreten.
1.
Von einem Missbrauch im Sinne von § 8 IV UWG ist auszugehen, wenn das beherrschende Motiv des Gläubigers bei der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs sachfremde Ziele sind. Diese müssen allerdings nicht das alleinige Motiv des Gläubigers sein. Ausreichend ist, dass die sachfremden Ziele des Handelns eindeutig überwiegen. Als typischen Beispielsfall eines solchen sachfremden Motivs nennt das Gesetz das Gebührenerzielungsinteresse. Nach dem letzten Halbsatz des § 8 IV UWG, der mit "insbesondere" beginnt, ist die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs unzulässig, die vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen. Davon ist auszugehen, wenn die äußeren Umstände in ihrer Gesamtheit aus Sicht eines wirtschaftlich denkenden Unternehmers deutlich machen, dass der Anspruchsberechtigte kein nennenswertes wirtschaftliches oder wettbewerbspolitisches Interesse an der Rechtsverfolgung haben kann und deshalb allein oder ganz überwiegend nur ein Gebühreninteresse verfolgt (BGH GRUR 2001, 260, 261 - Vielfachabmahner; Köhler, a.a.O., § 8 UWG, Rn. 4.12). Geht es andererseits dem Gläubiger hauptsächlich um die Unterbindung unlauteren Wettbewerbs, genügt es für die Begründung des Missbrauchstatbestands nicht, wenn auch sachfremde Motivationen, ohne vorherrschend zu sein, bei der Anspruchsverfolgung eine Rolle spielen (BGH GRUR 2001, 82 - Neu in Bielefeld I). Ob die Anspruchsverfolgung vorwiegend von sachfremden Erwägungen bestimmt ist, muss im Einzelfall im Rahmen einer Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller wesentlichen Umstände bestimmt werden. Anhaltspunkte insoweit bilden Art und Schwere der Zuwiderhandlung, das Verhalten des Anspruchstellers bei der Rechtsverfolgung auch in anderen und früheren Fällen, das Verletzerverhalten nach der Zuwiderhandlung und auch das Vorgehen sonstiger Anspruchsberechtigter (BGH GRUR 2000, 1089, 1091 - Missbräuchliche Mehrfachverfolgung). Grundsätzlich ist dabei zu berücksichtigen, dass die Abmahnpraxis von Mitbewerbern und Verbänden und die klageweise Anspruchsverfolgung dem Interesse (auch) der Allgemeinheit an der Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs dienen und deshalb, auch bei umfangreichen Tätigkeiten, insoweit für sich allein einen Missbrauch noch nicht hinreichend belegen (BGH GRUR 2005, 433, 434 - Telekanzlei; OLG Frankfurt GRUR-RR 2007, 56; Ohly-Piper, a.a.O., § 8 Rn. 184). Es müssen weitere Umstände hinzutreten, die die Missbräuchlichkeit der Geltendmachung des Anspruchs begründen (BGH GRUR 2001, 354, 355 - Verbandsklage gegen Vielfachabmahner; Senat, Urt. v. 01.04.2008, 4 U 10/08, S. 4 f.), so insbesondere eine Rechtsverfolgung primär im Gebühreninteresse, eine Behinderungs- oder Schädigungsabsicht gegenüber dem Verletzer, ungerechtfertigte Mehrfachabmahnungen (dazu BGH GRUR 2002, 367, 368 - Missbräuchliche Mehrfachabmahnung), eine selektive Schuldnerauswahl oder auch eine fremdbestimmte Rechtsverfolgung lediglich im Interesse eines Dritten.
2.
Die konkreten Umstände des Streitfalls rechtfertigen in diesem Sinne die Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Anspruchsverfolgung, wobei nicht schon maßgeblich ist, dass die Klägerin eine Vielzahl von Abmahnungen ausgebracht hat. Die Anzahl der Abmahnungen kann für sich gesehen, wenn spiegelbildlich eine entsprechende Vielzahl von Verstößen vorliegt, noch nicht durchschlagend sein. Allein die Vielzahl der Abmahnungen besagt ohne weitere Umstände wenig. Solche Umstände könnten etwa in einem Missverhältnis zwischen der Zahl der Abmahnungen und dem Umfang des Geschäftsbetriebes liegen oder in der Art und Weise der Verfolgung (vgl. Senat Urt. v. 01.04.2008, Az. 4 U 10/08), wie dies hier der Fall ist.
Die Klägerin hat im maßgeblichen Zeitraum - wie sich auch schon in den Verfahren 4 U 216/08 und 4 U 9/09 (Urteile jew. v. 28.04.2009) ergeben hat - in einem Umfang abgemahnt, der nicht mehr im Verhältnis zu ihrer eigenen Geschäftstätigkeit steht. Der Umfang ihrer Abmahntätigkeit ergibt sich einerseits aus der von der Gegenseite vorgelegten Abmahnliste, die mit Stand vom 28.01.2009 rein zahlenmäßig 84 Abmahnvorgänge auflistet, die insoweit zur Überprüfung anstehen, wie andererseits aus den gerichtsbekannten Verfahren. Soweit die Klägerin demgegenüber vorträgt, sie habe pro Monat nur eine Abmahnung ausgesprochen, so dass von einer Vielzahl von Abmahnungen nicht die Rede sei, so ist diese Berechnung nicht haltbar. Denn die genannten Abmahnungen bewegen sich - ab Position 8 der Liste - zum weitaus überwiegenden Teil in der Zeit von Juli bis November 2008, aus der auch die streitgegenständliche Abmahnung vom 29.07.2008 stammt. Dabei stellt sich die Anzahl der Abmahnungen auch keineswegs als unwesentlich dar, selbst wenn es sich in 6 Fällen nicht um Abmahntätigkeiten der Klägerin handelte. Von der Klägerin selbst werden mit Schriftsatz vom 11.05.2009 auf Seiten 2 bis 8 die fraglichen Fälle dargestellt. Es handelt sich schon danach um jedenfalls über 40 Abmahnungen, die sich auf einen verhältnismäßig kurzen Zeitraum beziehen. Des Weiteren stellen sich einige weitere Positionen, die die Klägerin als nicht überprüfbar darstellt, sehr wohl als überprüfbar dar. Etwa bei den Ziffern 31, 39, 52, 53 werden die Namen der Abgemahnten und das Abmahndatum aufgelistet, mitunter sogar das eigene Aktenzeichen. Die rd. 30 Abmahnungen, die auf den Fehler bei F zurückgehen, können auch keineswegs, wie die Klägerin meint, unberücksichtigt bleiben. Diese Abmahnungen sind mit einem erheblichen Risikopotential sogar gleichzeitig ausgebracht worden. Dieses Geschehen gerade zeigt, worauf unten noch einzugehen sein wird, dass es der Klägerin vornehmlich auf die Auslösung von Gebührenansprüchen ankam. Auch bei den Mehrfachnennungen eines Schuldners (z.B. Gongoll, Ziff. 5, 15, 33, und 35) sind teilweise Abmahnungen mit unterschiedlichen Vorgängen und/oder unterschiedlichen Aktenzeichen aufgelistet, so dass schon insoweit eine sehr umfängliche Abmahntätigkeit nachgewiesen ist.
Aus den gerichtsbekannten Umständen ergibt sich zudem, dass die Klägerin die von der Beklagten angeführten Indiztatsachen keineswegs zum Anlass genommen hat, zu ihrer Abmahntätigkeit ihrerseits umfassend vorzutragen. Damit kommt die Klägerin ihrer sekundären Darlegungslast nicht nach. Aus 21 Verfahren allein vor dem Senat ist gerichtsbekannt, dass in dem maßgeblichen Zeitraum in noch weiterem Umfang abgemahnt worden ist, wobei es sich dabei deutlich überwiegend wiederum um andere Gegner handelte. Es handelt sich hier - wie im Termin im Einzelnen erörtert worden ist - um die Verfahren:
4 U 74/08 ./. 1AD, Inh. X
4 U 187/08 ./. C Großhandel e.K.
4 U 215/08 ./. T & F GmbH
4 U 216/08 ./. T1, Fa. T2-Preis
4 U 2/09 ./. P GmbH
4 U 9/09 ./. T3 Pharm . Präparate
4 U 10/09 ./. C GmbH, AntragsRücknahme
4 U 23/09 ./. Camping Freizeit S (streitgegenständlich)
4 U 27/09 ./. Zweirad I e.K.
4 U 29/09 ./. L
4 U 60/09 ./. B & S GbR
4 W 31/08 ./. Internethandel Q
4 W 164/07 ./. C1 24
4 W 74/08 ./. E GmbH
4 W 85/08 ./. T GmbH & Co. KG
4 W 143/08 ./. C Großhandel e.K
4 W 3/09 ./. Fa. Camping Freizeit S
4 W 11/09 ./. Fa. L
4 W 13/09 ./. Sport Tec, Inh. L1
4 W 14/09 ./. P
4 W 15/09 ./. U
Soweit die Klägerin insofern die Behauptung aufstellt, dass in den vergangenen drei Jahren gegenüber 30 Mitbewerbern Abmahnungen ausgesprochen worden seien, so ist dies danach schlicht unzutreffend. Aufgrund dieser Daten ist belegt, dass durchaus mehr Abmahnungen als zugestanden ausgebracht worden sind, was lebensnah umso mehr der Fall ist, als regelmäßig eher ein geringerer Teil der Sachen überhaupt nur in der zweiten Instanz, also beim Berufungs- bzw. Beschwerdegericht, "ankommt".
Für die Beurteilung des Rechtsmissbrauchs spielt das Verhältnis zwischen der wirtschaftlichen Betätigung und dem durch die Abmahntätigkeit entstandenen Kostenrisiko eine besondere Rolle. In den bisherigen Fällen des Rechtsmissbrauchs ist die Klägerin nicht substantiiert dem Vortrag der Abgemahnten entgegengetreten, der Jahresumsatz liege bei 100.000,- €. Nunmehr bezieht sie sich auf eine Auskunft der Creditreform. Hier fällt schon auf, dass die Klägerin nicht eigene Zahlen präsentiert, wie es ihr ein Leichtes gewesen wäre, sondern sich auf eine Fremdeinschätzung bezieht, die überdies in sich widersprüchlich ist. Die von der Beklagten vorgelegte Auskunft geht von einem Jahresumsatz für 2007 von 2.000.000 € aus, die von der Klägerin nur von 1.800.000 €. Ein weiterer Widerspruch, der auch teilweise durch die Aufgabe des Ladenlokals erst Ende 2008 nicht zu erklären ist, ist darin zu sehen, dass der Absatz nach der Auskunft der Creditreform von 2.000.000 € in 2006 auf 800.000 € in 2008 gefallen sein soll, wohingegen die Zahlen nach den sog. Jahresbilanzen im Hinblick auf die Stückzahlen einen kontinuierlichen Anstieg aufweisen. Dies ist nachvollziehbar nicht in Einklang zu bringen und begründet insoweit Zweifel an der Erfüllung der sekundären Darlegungslast der Klägerin. Da die aufgezeigten Widersprüche nicht aufgeklärt sind, geht der Senat weiterhin davon aus, dass bezogen auf die eigentliche Geschäftstätigkeit der Klägerin eine unverhältnismäßige Abmahntätigkeit vorliegt. Die Kostenrisiken aus den fraglichen Abmahnvorgängen sind für die Klägerin immens. Diese sind mit ihrem eigentlichen Geschäftsumfang und dem Begehren nach einem sauberen Wettbewerb ohne weiteres nicht mehr in Einklang zu bringen.
Ganz wesentlich und durchschlagend ist der Umstand, dass die Klägerin mit ihren Abmahnungen neben den Abmahnkosten durch die Einschaltung ihres Anwalts (hier gemäß Abmahnschreiben vom 29.07.2008 und Schreiben vom 16.09.2008) regelmäßig einen pauschalen Schadensersatz von 100,- € gegen die jeweiligen Empfänger geltend gemacht hat, wie folgt:
"Auch steht meiner Mandantschaft gemäß § 9 UWG ein Schadensersatzanspruch zu. Ohne Anerkennung einer Rechtspflicht wäre meine Mandantin mit einer Schadenspauschale von 100,00 € einverstanden. Damit wäre der meiner Mandantschaft entstandene Schaden abgegolten. Dieses Angebot gilt nur bis zur o.g. Frist. Nach Fristablauf behält sich meine Mandantin vor, den wirklich entstandenen Schaden geltend zu machen."
Hierbei handelte es sich nicht um einen Einzelfall, sondern um ein systematisches Vorgehen, wie sich dies gerichtsbekannt in gleicher Weise aus zahlreichen anderen Fällen aus dem fraglichen Zeitraum ergibt. Dieser Ersatzbetrag wird letztlich als fällig dargestellt, obwohl sich bei den vorliegenden Massengeschäften beim Verkauf von einschlägigen Verbraucherartikeln mit einer großen Vielzahl von Mitbewerbern erfahrungsgemäß kaum eine konkrete Schadensberechnung anstellen, geschweige denn beweisen lässt. Die Klägerin war dabei keineswegs zu der Einforderung einer solchen Kostenpauschale berechtigt. Eine solche Berechtigung wird alsdann weder im Rahmen der gerichtlichen Auseinandersetzung dargelegt oder begründet, noch werden im Wege der Stufenklage Auskunftsansprüche zur konkreten Schadensberechnung geltend gemacht. Dieser Posten wird in den in Rede stehenden Gerichtsverfahren - in inkonsequenter Weise - alsdann nicht mehr weiter verfolgt. Zudem war in den fraglichen Fällen keineswegs das für einen Schadensersatzanspruch gemäß § 9 UWG erforderliche Verschulden angesprochen und geklärt. Die Klägerin hat sich insofern ähnlich wie ein Wettbewerbsverband geriert, der unter bestimmten Voraussetzungen seinen Abmahnaufwand pauschaliert realisieren kann (vgl. Bornkamm, a.a.O., § 12 Rn. 1.98). Hierzu war die Klägerin, zumal die Pauschale zusätzlich zu den Anwaltskosten nach dem RVG verlangt wurde, jedoch nicht berechtigt. Dies zeigt, dass es ihr gerade und überwiegend um die Ausbeute von Kostenerstattungen durch die Gegner ging. Dies gilt umso mehr, als der fragliche Betrag von 100,- € auch der Höhe nach jeder Grundlage entbehrt. Denn wenn als Schaden tatsächlich eine erhebliche Umsatzeinbuße eingetreten wäre, wäre dieser Betrag belanglos und unzureichend. Soweit keine Umsatzeinbuße durch den Verstoß eingetreten ist, ist dieser Betrag insgesamt völlig ungerechtfertigt. Die Klägerin räumt in diesem Zusammenhang ein, dass der entstandene Schaden nachweisbar sein muss, sagt aber nach wie vor nichts dazu, wie der Schaden konkret denn beschaffen sein soll, zumal jedenfalls die Stückzahlen in 2008 gestiegen sein sollen.
Die Klägerin hat sodann eine Vielzahl, nach eigenen Angaben 30 Abmahnungen, ausgesprochen, nachdem es aufgrund eines technischen Fehlers bei F bei einer Vielzahl von Verkäufern in der Zeit vom 22.10. bis 27.10.2008 zu einer fehlerhaften Darstellung der Rücknahmebedingungen auf der Artikelseite kam. Dabei wurde zeitweise an Stelle der vorhandenen Widerrufsbelehrung automatisch der generierte Satz
"der Verkäufer nimmt diesen Artikel nicht zurück"
bzw. "Siehe Artikelbeschreibung" auf der Artikelseite angezeigt. Dies war auch dann erfolgt, wenn im Angebot eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung enthalten war. Auch wenn die Klägerin selbst hiervon nicht betroffen gewesen sein mag, war die Verantwortlichkeit der Verkäufer hierbei von vornherein sehr zweifelhaft, schon deshalb, weil es lebensfremd und klar auffällig erscheint, wenn plötzlich zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Vielzahl von auch namhaften Anbietern krass verbotswidrig mitteilen, den jeweiligen Artikel, zumal ohne Begründung, nicht mehr zurückzunehmen. Ersichtlich hatte sich dieser Softwarefehler bei F auch übergreifend bei einer weiteren und offenen Vielzahl von Anbietern ausgewirkt. Gleichwohl wurde am 28.10.2008 eine große Anzahl von Abmahnungen an entsprechende gewerbliche Verkäufer ausgebracht, wobei es zudem nahe gelegen hätte, sich an F zu wenden, um dort die Quelle es Übels zu stopfen. Ohne dass es noch darauf ankommt, sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die Klägerin im Rechtsstreit 3 U 189/08 OLG Hamm mit Schriftsatz vom 21.02.2009 (S. 10; vorgelegt hier mit Schriftsatz vom 26.02.2009) einschränkungslos - und insofern unrichtig - ausgeführt hatte, dass man sich entschlossen habe, die ausgesprochenen Abmahnungen ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und ohne jedes Präjudiz für gegenstandslos zu erklären, wohingegen sich aus der Senatssache 4 U 10/09 ergibt, das eben dieser Fehler gegen die Fa. C doch noch weiterverfolgt worden ist.
Weitere Indizien kommen hinzu. Die Kostenrechnungen wurden mit dem Hinweis oder vielmehr der Androhung begleitet, dass im Falle einer gerichtlichen Festsetzung des Gebührenstreitwerts nicht auszuschließen sei,
"dass ein Gericht ein weitaus höheren Gegenstandswert ansetzen"
werde, obwohl die angesetzten Werte bereits regelmäßig den vom Senat üblicherweise festgesetzten Werten entsprachen. Zweck der Abmahnung ist es, den Verletzter zu einem wettbewerbsgemäßen Verhalten anzuhalten. Insofern ist dieser Hinweis einerseits überflüssig, andererseits verständlich nur vor dem Hintergrund, dass es nicht primär um das Abstellen der in Rede stehenden Wettbewerbsverstöße ging.
Die Klägerin setzt mitunter Vertragsstrafen an und macht diese geltend, die erheblich über den in solchen Fällen üblicherweise als ausreichend gehaltenen Vertragsstrafen liegen. So wurde etwa in dem Fall "H e.K. III" (gemäß Anlage 11) für jeden Fall der Zuwiderhandlung eine Vertragsstrafe in Höhe von 10.500,- € gefordert.
Alsdann werden die abgemahnten Verkäufer ersichtlich in Bezug auf Fehler in Anspruch genommen, die gerade in großer Vielzahl bei F oder bei anderen Verkaufsforen vorhanden sind und die "massenhaft", sprich auch mit einem geringem Aufwand, parallel verfolgt werden können. Dabei ist zu konstatieren, dass die Antragstellerin selbstredend als Wettbewerberin ihrerseits grundsätzlich gegen entsprechende Wettbewerbsverstöße vorgehen und sich gegen die Angriffe ihrer Wettbewerber "wehren" kann. Indes zeigt vorliegend die Gesamtschau, dass bei der Rechtsverfolgung in der streitgegenständlichen Sache nicht Wettbewerbsinteressen, sondern vielmehr ein Gebührenerzielungsinteresse im Vordergrund stand.
III.
Eine Schriftsatzfrist war der Klägerin im Hinblick auf die im Termin neue eingereichte Liste vom 18.05.2009 nicht mehr einzuräumen, da es auf diese in keiner Weise mehr ankommt.
IV.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 91 I ZPO.
Eine Zulassung der Revision ist nicht veranlasst, § 543 ZPO.
OLG Hamm:
Urteil v. 19.05.2009
Az: 4 U 23/09
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