Bundespatentgericht:
Beschluss vom 2. Dezember 2008
Aktenzeichen: 6 W (pat) 336/05
(BPatG: Beschluss v. 02.12.2008, Az.: 6 W (pat) 336/05)
Tenor
Das Patent 100 47 878 wird mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechterhalten:
Patentansprüche 1 bis 6 vom 1. Dezember 2008 sowie angepasste Beschreibung, eingereicht in der mündlichen Verhandlung, übrige Unterlagen wie erteilt.
Gründe
I.
Gegen das am 14. Juli 2005 veröffentlichte Patent 100 47 878 mit der Bezeichnung "Stoßdämpfer mit amplitudenabhängiger Dämpfung" ist am 1. Oktober 2005 Einspruch erhoben worden. Der Einspruch ist mit Gründen versehen und auf die Behauptung gestützt, der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 sei nicht neu und nicht erfinderisch.
In der Einspruchsbegründung verweist die Einsprechende auf folgende Druckschriften:
DE-OS 24 26 326 DE 3926 704 C1 DE 4002 882 C1 DE-AS 16 50 938 DE 43 35 327 A1.
Die Einsprechende beantragt, das angegriffene Patent zu widerrufen.
Die Patentinhaberin hat dem Einspruchsvorbringen widersprochen, neue Ansprüche 1 bis 6 vorgelegt und beantragt, das angegriffene Patent mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrecht zu erhalten:
Patentansprüche 1 bis 6 vom 1. Dezember 2008 sowie angepasste Beschreibung, eingereicht in der mündlichen Verhandlung, übrige Unterlagen wie erteilt.
Sie ist der Auffassung, dass der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 sowohl neu als auch erfinderisch sei.
Der geltende Anspruch 1 lautet:
"Einrichtung zur amplitudenabhängigen Dämpfung von Stößen, insbesondere eines Fahrzeugrades, mit mindestens einem innerhalb eines Dämpfungsgehäuses (2) angeordneten, mit einer Kolbenstange (3) verbundenen, das Dämpfungsgehäuse in einen oberen Dämpfungsraum (15) und einen unteren Dämpfungsraum (17) aufteilende Arbeitskolben (4), der mit Ventilscheiben (16, 18) sowie einem hydraulisch parallel angeordneten Element (5) zur Beeinflussung kleiner Amplituden zusammenwirkt, wobei das Element (5) zur Beeinflussung kleiner Amplituden einen Raum (6) als Ausgleichsraum für geringe Stoßdämpferbewegungen aufweist, der, abgesehen von als hydraulischen Verbindungen dienenden Bohrungen (29, 30) zum oberen (15) und unteren Dämpfungsraum (17) geschlossen ist und über ein bewegliches Trennelement in zwei Raumbereiche (7, 8) geteilt ist, wobei die Raumbereiche (7, 8) von oben oder von unten ohne wesentliche Dämpfung mit Hydraulikmedium befüllt werden, bis das Trennelement sich an eine von zwei gegenüberliegenden Wänden des Raumes (6) anlegt und wobei erst nach der Anlage des Trennelementes an eine der beiden gegenüberliegenden Wänden des Raumes (6) die Dämpfung über die am Arbeitskolben angeordneten Ventilscheiben (16, 18) einsetzt, dadurch gekennzeichnet, dass das Element (5) zur Beeinflussung kleiner Amplituden außerhalb des Arbeitskolben (4) an diesem angeordnet ist, dass der Ausgleichsraum des Elementes (5) zylindrisch ist und dass das Trennelement als axial frei verschiebliche feste Scheibe (24) gebildet ist, die an ihrem Umfang gegenüber dem Mantel (25) des Raumes (6) abgedichtet ist."
Wegen der auf den Anspruch 1 rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 6 sowie wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Im Prüfungsverfahren sind zusätzlich noch folgende Druckschriften berücksichtigt worden:
DE 100 22 029 A1 FR 24 25 585 A1 US 3232 390 EP 08 48 182 A2.
II.
1. Das Bundespatentgericht ist für die Entscheidung über den vorliegenden Einspruch nach § 147 Abs. 3 PatG in der bis zum 30. Juni 2006 geltenden Fassung zuständig geworden, weil der Einspruch im in dieser Vorschrift genannten Zeitraum beim Deutschen Patentund Markenamt eingegangen ist. Gegen die Zuständigkeit des Bundespatentgerichts für das Einspruchsverfahren nach dieser Vorschrift bestehen weder unter dem Aspekt der Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) noch unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) verfassungsrechtliche Bedenken (vgl. BGH GRUR 2007, 859, 861 f. -Informationsübermittlungsverfahren I).
Das Bundespatentgericht ist auch nach der ab 1. Juli 2006 in Kraft getretenen Fassung des § 147 Abs. 3 PatG gemäß dem Grundsatz der perpetuatio fori, deru. a. in § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO seine gesetzliche Ausprägung gefunden hat, zuständig geblieben (vgl. hierzu auch BPatG GRUR 2007, 499 -Rundsteckverbinder; BPatG GRUR 2007, 907 -Gehäuse/perpetuatio fori; BGH GRUR 2007, 862 f. -Informationsübermittlungsverfahren II).
2.
Der fristund formgerecht erhobene Einspruch ist ausreichend substantiiert und auch im Übrigen zulässig.
Dies ist seitens der Patentinhaberin nicht bestritten worden.
3.
Die geltenden Ansprüche sind zulässig.
Der geltende Anspruch 1 ergibt sich aus den erteilten Ansprüchen 1 und 2 i. V. m. Abs. [0009] der Streitpatentschrift bzw. den ursprünglichen Ansprüchen 1 bis 3 i. V. m. Figur 3, der zugehörigen Beschreibung und S. 2, letzter Abs. der Anmeldungsunterlagen. Die geltenden Ansprüche 2 bis 6 ergeben sich aus den erteilten Ansprüchen 3 bis 6 und Abs. [0019] der Streitpatentschrift bzw. den ursprünglichen Ansprüchen 4 bis 7 und S. 5, Abs. 2 der Anmeldungsunterlagen.
Die Zulässigkeit der geltenden Ansprüche ist im Übrigen seitens der Einsprechenden nicht bestritten worden.
4. Der Gegenstand des angefochtenen Patents stellt eine patentfähige Erfindung im Sinne der §§ 1 bis 5 PatG dar.
a. Der Stoßdämpfer gemäß dem geltenden Anspruch 1 ist neu, da keine der genannten Druckschriften sämtliche im geltenden Anspruch 1 enthaltenen Merkmale zeigt.
Dies wurde in der mündlichen Verhandlung lediglich im Hinblick auf die DE-OS 24 26 326 und die DE 40 02 882 C1 bestritten.
Die DE-OS 24 26 326 offenbart einen Stoßdämpfer, bei dem bereits das Element zur Beeinflussung kleiner Amplituden fehlt. Denn wie sich aus der Beschreibung ergibt (vgl. z. B. S. 8, Abs. 1), sollen dort schnelle, auf das Fahrzeug einwirkende Stöße reduziert werden. Dazu sind ein erster Ölweg 4 und ein zweiter Ölweg 5 vorgesehen. In dem zweiten Ölweg 5 ist eine Ventilkammer angeordnet, in der eine Ventilscheibe 8 vorgesehen ist, die mit einer Anzahl von Vorsprüngen versehen ist, um sich an einer peripheren Kante abzustützen. Die Ventilscheibe 8 ist beidseitig von Federn 9 und 10 beaufschlagt und hält den Ölweg 5 offen, wenn der Kolben des Stoßdämpfers stillsteht. Bei einer schnellen Bewegung des Kolbens beispielsweise nach unten in Figur 2 wird zunächst die Feder 9 zusammengedrückt und die Ventilscheibe 8 zur oberen Öffnung 11 des Ölweges 5 bewegt, um die Öffnung 11 zu verschließen (vgl. S. 4, Abs. 1 und 2). Bei einer langsamen Bewegung des Kolbens dagegen verbleibt das Trennelement in seiner Mittelstellung gemäß Fig. 2 und hat dann keinen Einfluss auf das Dämpfungsverhalten. Somit erfolgt in der DE-OS 24 26 326 eine von der Arbeitsgeschwindigkeit (Frequenz) des Kolbens abhängige Dämpfung, nicht aber eine amplitudenabhängige Dämpfung, wie sie erfindungsgemäß erfolgen soll. Denn beim Schwingungsdämpfer nach der DE-OS 24 26 326 hat die Amplitude des Kolbens keinerlei Einfluss auf das Dämpfungsverhalten. So kann beispielsweise ein nahezu beliebig langer Kolbenhub (Amplitude) ausgeführt werden, solange dieser mit ausreichend geringer Geschwindigkeit erfolgt. Eine schnelle Kolbenbewegung mit noch zu kleiner Amplitude dagegen führt zum Ansprechen der Ventilscheibe 8.
Bei der Erfindung dagegen hat die Arbeitsgeschwindigkeit des Kolbens keinerlei Einfluss auf die Dämpfung, sondern allein die Amplitude. Dazu ist erfindungsgemäß ein Ausgleichsraum vorgesehen, der durch ein Trennelement 24 in zwei Raumbereiche 7 und 8 unterteilt ist. Infolge der Abdichtung des Trennelementes gegenüber dem Mantel des Ausgleichsraums kann kein Ölfluss zwischen den Raumbereichen 7 und 8 erfolgen. Dies hat zur Folge, dass beispielsweise bei einer Bewegung des Kolbens nach oben in Figur 3 Öl über die Kanäle 28 und 29 in den oberen Raumbereich 7 einfließt und die Trennscheibe nach unten drückt, wobei gleichzeitig das Öl aus dem unteren Raumbereich 8 verdrängt wird. Ist die Amplitude größer als der Abstand zwischen Trennscheibe und unterer Wand des Ausgleichsraums, verschließt die Trennscheibe den Kanal 30 mit der Folge, dass nunmehr die Dämpfung einsetzt. Dabei hat die Arbeitsgeschwindigkeit des Kolbens keinerlei Einfluss auf das Dämpfungsverhalten. Dies wird vielmehr ausschließlich durch Höhe des Ausgleichsraumes beeinflusst. Somit bestimmt allein die Amplitude unabhängig von der Frequenz das Dämpfungsverhalten des erfindungsgemäßen Stoßdämpfers.
Da zur Erreichung einer amplitudenabhängigen Dämpfung bei der Erfindung das Trennelement zwingend gegenüber der Wandung des Ausgleichsraums abgedichtet sein muss, beim Stand der Technik nach der DE-OS 24 26 326 jedoch systembedingt ein Umströmen der Ventilscheibe ermöglicht werden muss, ist der erfindungsgemäße Stoßdämpfer neu gegenüber dem aus der DE-OS 24 26 326 bekannten Stoßdämpfer.
Die DE 40 02 882 C1 offenbart einen gattungsgemäßen Stoßdämpfer, bei dem als Trennelement eine am Rand eingespannte Membran vorgesehen ist, welche nach beiden Seiten ausgelenkt werden kann (vgl. Sp. 3, Z. 7 bis 12). Eine Membran ist aber keine axial frei verschiebliche feste Scheibe.
Die Neuheit des Gegenstandes des geltenden Anspruchs 1 im Hinblick auf den übrigen Stand der Technik wurde nicht bestritten, sie ist im Übrigen auch gegeben, wie die folgenden Ausführungen zeigen.
Der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 ist somit neu.
b. Der zweifelsfrei gewerblich anwendbare Stoßdämpfer gemäß dem geltenden Anspruch 1 beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Wie bereits beim Neuheitsvergleich ausgeführt, arbeitet der Stoßdämpfer nach der DE-OS 24 26 326 nicht nur nach einem grundsätzlich anderen Prinzip als der erfindungsgemäße Stoßdämpfer, er weist auch nicht die im kennzeichnenden Teil des geltenden Anspruchs angegebenen gegenständlichen Merkmale auf, nämlich ein Element zur Beeinflussung kleiner Amplituden, das außerhalb des Arbeitskolben an diesem angeordnet ist. Es ist auch weder ein Ausgleichsraum im erfindungsgemäßen Sinn vorhanden, noch ist das Trennelement als axial frei verschiebliche feste Scheibe gebildet, die an ihrem Umfang gegenüber dem Mantel des Raumes abgedichtet ist.
Die DE 40 02 882 C1 offenbart zwar einen gattungsgemäßen Stoßdämpfer, jedoch ist dort das Trennelement als eine am Rand eingespannte Membran ausgebildet, welche nach beiden Seiten ausgelenkt werden kann (vgl. Sp. 3, Z. 7 bis 12). Eine Membran ist aber keine axial frei verschiebliche feste Scheibe. Darüber hinaus vermag aus dieser Druckschrift mangels entsprechender Hinweise auch keine Anregung dahingehend auszugehen, die Membran durch eine axial frei verschiebliche feste Scheibe zu ersetzten.
Zu einer derartigen Ausgestaltung erhält der Fachmann auch keinen Hinweis aus der DE 43 35 327 A1. Diese Druckschrift erläutert einen Einrohrschwingungsdämpfer, bei dem ein Trennkolben 22 vorgesehen ist, der einen gasgefüllten Ausgleichsraum 23 von einem flüssigkeitsgefüllten Arbeitsraum 21 trennt. Der Mittelteil dieses Trennkolbens kann zwar gemäß den Ausführungen nach den Fig. 2 bis 6 als Scheibe und gemäß der Ausführung nach Fig. 7 membranartig ausgebildet werden (vgl. Anspruch 13), hieraus erhält der Fachmann jedoch keinen Hinweis, ausgehend von einem Schwingungsdämpfer nach der DE 40 02 882 C1 die dort verwendete Membran durch eine axial frei verschiebliche feste Scheibe zu ersetzten, da die in der DE 43 35 327 A1 als Mittelteil verwendete Scheibe einteilig mit dem Trennkolben ausgebildet ist und daher nicht axial frei verschieblich sein kann.
Der übrige Stand der Technik wurde in der mündlichen Verhandlung nicht mehr aufgegriffen, er liegt im Übrigen noch weiter vom Patentgegenstand ab als der vorstehend abgehandelte, da die dort gezeigten Stoßdämpfer konstruktiv allesamt einen anderen Aufbau als der Streitgegenstand zeigen.
Folglich kann der Stand der Technik weder einzeln noch in einer Zusammenschau eine Anregung zu der erfindungsgemäßen Ausgestaltung geben, das Element zur Beeinflussung kleiner Amplituden außerhalb des Arbeitskolbens an diesem anzuordnen, den Ausgleichsraum zylindrisch auszugestalten und das Trennelement als axial frei verschiebliche feste Scheibe auszubilden, die an ihrem Umfang gegenüber dem Mantel des Raumes abgedichtet ist. Der Stand der Technik zeigt allenfalls Einzelmerkmale der Erfindung, gibt jedoch keine Anregung, diese Einzelmerkmale in der nunmehr beanspruchten Weise zu kombinieren.
Der geltende Anspruch 1 ist somit gewährbar.
c. Zusammen mit dem Anspruch 1 sind auch die auf ihn rückbezogenen Unteransprüche gewährbar, da sie nicht platt selbstverständliche Ausgestaltungen des erfindungsgemäßen Stoßdämpfers betreffen.
Lischke Guth Schneider Hildebrandt Cl
BPatG:
Beschluss v. 02.12.2008
Az: 6 W (pat) 336/05
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