Anwaltsgerichtshof Celle:
Urteil vom 16. Januar 2012
Aktenzeichen: AGH 31/11

(AGH Celle: Urteil v. 16.01.2012, Az.: AGH 31/11)

Tenor

1. Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheides vom 5. September 2011 verpflichtet, dem Kläger die Befugnis zu erteilen, die Bezeichnung "Fachanwalt für Arbeitsrecht" zu führen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

4. Der Streitwert wird auf 12.500 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der am € 1948 geborene Kläger ist seit 1999 als Rechtsanwalt zugelassen. Er ist Fachanwalt für Steuerrecht sowie für Miet- und Wohnungseigentumsrecht. Mit Schreiben vom 9. September 2010 hat er bei der Beklagten beantragt, ihm die Führung der Bezeichnung Fachanwalt für Arbeitsrecht zu gestatten. Dem Schreiben war ein entsprechendes Antragsformular beigefügt, ferner ein Zertifikat über die Teilnahme an einem Fachanwaltslehrgang Arbeitsrecht, ein Zertifikat über drei schriftliche Leistungskontrollen, die drei Klausuren im Original mit Beurteilungen sowie eine Fallliste mit 153 Aktenzeichen. Mit Schreiben vom 20. Oktober 2010 teilte die Berichterstatterin des Prüfungsausschusses der Beklagten dem Kläger unter Beifügung einer Musterliste und eines Merkblattes mit, die Fallliste sei nicht ausreichend. Sie sei nicht nummeriert, ferner fehlten Angaben darüber, wann die Verfahren begonnen hätten und welche besonderen Tätigkeiten der Kläger entfaltet habe. Zu dem seien gerichtliche und außergerichtliche Verfahren entsprechend erkennbar zu machen.

Der Kläger übersandte unter dem 24. Oktober 2010 eine neue Fallliste, die jeweils in einer Spalte die laufenden Nummern, das Aktenzeichen, Art und Umfang der Tätigkeit, ggf. Fälle aus dem Bereich des § 10 Nr. 2 FAO, das Ende der Tätigkeit und bei gerichtsförmlichen Verfahren Gericht und Aktenzeichen des Gerichts aufführte. Die neunseitige Liste wies die Nummern 1 bis 161 auf.

Nach vorangegangenen Telefonaten am 3. und 4. März 2011 teilte die Berichterstatterin mit Schreiben vom 4. März 2011 dem Kläger erneut mit, dass die Liste nicht den Anforderungen entspreche. Sie enthalte Fälle, die außerhalb des Bearbeitungszeitraums lägen, bei anderen Fällen, nämlich den Nummern 1 bis 21, 67 bis 69, 73, 75, 85 bis 87, 112, 143 und 155 bis 157 ließe die Beschreibung nicht erkennen, welche arbeitsrechtlichen Probleme zu bewältigen waren. Die Fälle 24 sowie 126 bis 140 beträfen steuerrechtliche Probleme und der Fall 25 ein sozialrechtliches Problem. Bei den Fällen Nummer 92 und 93, 102 bis 105 sowie 116 bis 125 sei unklar, ob die Fälle identisch seien. Der Kläger wurde gebeten, die Liste zu ergänzen. Der Kläger übersandte am 9. Mai 2011 eine weitere 24seitige Liste mit 209 laufenden Nummern, allerdings fehlten die Nummern 26, 37, 43, 52, 56, 59, 81, 93, 104, 130, 134, 174, 176, 186, 191 und 199; andererseits enthielt die Liste 3 Fälle ohne laufende Nummer.

Nachdem der Fachausschuss gegen die Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung votiert hatte, hat die Beklagte mit Bescheid vom 5. September 2011 den Antrag des Klägers auf Gestattung der Führung der Bezeichnung Fachanwalt für Arbeitsrecht abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, der Kläger habe zwar den Nachweis der besonderen Fähigkeiten der theoretischen Kenntnisse gemäß §§ 4, 10 FAO erbracht, es fehle jedoch der Nachweis der besonderen praktischen Kenntnisse. Aus der zuletzt überreichten Fallliste könnten nur 36 gerichtliche und 48 außergerichtliche Fälle anerkannt werden. Die Fälle 1 bis 66 lägen außerhalb des Bearbeitungszeitraums, bei den Fällen 26, 29, 37, 43, 47, 55, 59, 81, 93, 104, 130, 134, 174 und 176 fehle jegliche Beschreibung, bei den Fällen 67, 68, 69, 74, 76, 82, 83, 87, 89, 100 bis 102, 189 (gemeint ist offenbar 129), 162, 175, 177 und 178 sei lediglich pauschal angeführt, dass Kündigungsschutzklagen abgewehrt werden mussten. Die Fälle 84 und 85, 119 bis 122, 141 bis 144 sowie 145 bis 159 seien identisch und somit jeweils nur als ein Fall zu werten. Bei den Nummern 171 und 172 fehlten die gerichtlichen Aktenzeichen. Ferner sei nicht ausreichend dargelegt, dass der Beklagte Tätigkeiten in den in § 10 Nr. 2 FAO aufgeführten Fällen (Fälle aus dem kollektiven Arbeitsrecht) ausgeübt habe.

Gegen diesen Bescheid, der dem Kläger am 6. September 2011 zugegangen ist, wendet er sich mit seiner am 14. September 2011 beim Anwaltsgerichtshof eingegangenen Klage, mit der er geltend macht, er habe einen Anspruch auf Verleihung der Erlaubnis zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung. Dass er die Voraussetzungen der §§ 3 sowie 2 Abs. 1 a, 4 FAO erfülle, stelle auch die Beklagte nicht in Frage. Er meint, er habe darüber hinaus auch den Nachweis der besonderen praktischen Erfahrungen erfüllt. Die von ihm in der Fallliste aufgeführten Fälle überstiegen die erforderliche Zahl von 100 bei weitem. Soweit die Beklagte in 17 Fällen die Bezeichnung "Abwehr eine Kündigungsschutzklage" als nicht ausreichend beanstandet habe, enthalte die von der Beklagten dem Kläger zugesandte Musterliste in solchen Fällen als Beispiel die Bezeichnung "Kündigungsschutzklage gegen ordentliche betriebsbedingte Kündigung eines Marketingleiters". Insoweit ergänzt der Kläger in der Klageschrift die Angaben in diesen Fällen jeweils um den Zusatz außerordentliche bzw. ordentliche, betriebsbedingte oder verhaltensbedingte Kündigung sowie die jeweilige Berufsbezeichnung des gekündigten Arbeitnehmers.

Soweit die Beklagte bei 14 Fällen beanstande, dass jegliche Beschreibung fehle, fehlten offenbar aufgrund eines Fehlers bei der Nummerierung 12 Nummern, andererseits enthalte die Liste 3 Fälle ohne Nummerierung.

Bei den beanstandeten Fällen Nummer 1 bis 66 läge nur die Nummer 39 außerhalb des Bearbeitungszeitraums. Bei den übrigen Fällen handele es sich zum Teil um fortlaufende Beratung von Arbeitgebern. Die von der Beklagten als identisch angesehenen Fälle beträfen verschiedene Personen. Soweit die Fälle ähnlich gelagert seien, komme nur eine geringere Gewichtung in Betracht. Bei den Nummern 171 und 172 sei es nicht zu gerichtlichen Verfahren gekommen, weshalb dort keine Aktenzeichen eines Gerichts angegeben worden seien.

Der Kläger trägt weiter vor, die Beklagte habe weder Einsicht in seine Handakten noch anonymisierte Arbeitsproben angefordert. Es ergäben sich jedenfalls unter Berücksichtigung seines Vortrages wenigstens 163,8 Fälle, davon 52,5 gerichtliche Verfahren.

Mit der Klageschrift hat der Kläger weitere Falllisten eingereicht und die Ansicht vertreten, auch diese seien noch zu berücksichtigen. Eine Ausschlussfrist sei ihm nicht gesetzt worden, vielmehr sei ihm keine Gelegenheit gegeben worden, die Liste zu ergänzen.

Der Kläger trägt weiter vor, er habe auch die geforderten 5 Fälle aus dem kollektiven Arbeitsrecht bearbeitet. Insoweit reiche es aus, dass das kollektive Arbeitsrecht für den Fall substanzielle Bedeutung habe. Bei den von ihm in der Fallliste mit TV kenntlich gemachten Fällen sei dies der Fall.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 5. September 2011 zu verurteilen, ihm die Befugnis zu erteilen, ihm die Bezeichnung "Fachanwalt für Arbeitsrecht" zu führen,

hilfsweise

den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden,

weiter hilfsweise

den Antrag des Klägers vom 9. September 2010 unter Berücksichtigung sämtlicher vorgelegter geleisteter Fälle neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage zurückzuweisen.

Sie vertritt weiter die Ansicht, der Kläger habe den Nachweis der besonderen praktischen Erfahrungen nicht erbracht.

Der Kläger habe mehrfach Gelegenheit gehabt, seine Fallliste zu korrigieren. Eine Nachbesserung im gerichtlichen Verfahren sei nicht mehr möglich, wenn dem Kläger mehrmals eine Ausschlussfrist gesetzt worden sei, die dieser unter grobem Verstoß gegen seine Mitwirkungspflicht versäumt habe.

Im Übrigen habe der Kläger auch unter Einbeziehung der neubenannten Fälle die erforderliche Fallzahl nicht erreicht. Es fehlten zudem jegliche Fälle aus dem Bereich des kollektiven Arbeitsrechts.

Der Verwaltungsvorgang der Beklagten, betreffend den Antrag des Klägers, lag dem Senat vor und war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

II.

Die Klage ist zulässig und begründet.

Voraussetzung für die Verleihung einer Fachanwaltsbezeichnung ist zunächst nach § 3 FAO eine dreijährige Zulassung und Tätigkeit als Rechtsanwalt innerhalb der letzten 6 Jahre vor Antragstellung. Diese Voraussetzung erfüllt der Kläger. Weitere Voraussetzung ist der Nachweis besonderer theoretischer Kenntnisse und besonderer praktischer Erfahrungen. Auch nach dem Vorbringen der Beklagten hat der Kläger die erforderlichen besonderen theoretischen Kenntnisse nachgewiesen. Der Erwerb besonderer praktischer Erfahrungen setzt nach § 5 Abs. 1 c FAO voraus, dass der Kläger innerhalb der letzten 3 Jahre vor der Antragstellung in dem Fachgebiet Arbeitsrecht als Rechtsanwalt persönlich und weisungsfrei 100 Fälle aus allen der in § 10 Nr. 1 a - e und 2 a und b bestimmten Gebiete, davon mindestens 5 Fälle aus dem Bereich des § 10 Nr. 2 und mindestens die Hälfte gerichts- oder rechtsförmliche Verfahren bearbeitet hat. Als Fälle des kollektiven Arbeitsrechts (§ 10 Nr. 2 FAO) gelten auch solche des Individualarbeitsrechts, in denen kollektives Arbeitsrecht eine nicht unerhebliche Rolle spielt.

Auch diese Voraussetzungen hat der Kläger jedenfalls aufgrund der mit Schreiben vom 9. Mai 2011 übersandten Fallliste erfüllt.

Die Beklagte selbst hat auf der Grundlage dieser Liste 84 Fälle, davon 36 gerichtsförmliche Fälle, anerkannt. 17 weitere Fälle, nämlich die Nummern 67 bis 69, 74, 76, 82, 83, 87, 89, 100 bis 102, 129, 162, 175, 177 und 178, sind nur deshalb von der Beklagten nicht anerkannt worden, weil der Kläger in der Beschreibung jeweils ausgeführt hatte: "Hier musste die vom gekündigten Arbeitnehmer erhobene Kündungsschutzklage abgewehrt werden". Nach Ansicht der Beklagten reicht dies als Beschreibung nicht aus. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Auffassung der Beklagten zutrifft, denn der Kläger hat jedenfalls mit der Klage die Angaben jeweils noch dahingehend ergänzt, ob es sich um eine betriebs- oder verhaltensbedingte Kündigung handelte und welche Tätigkeit der gekündigte Arbeitnehmer ausgeübt hat. Es bestehen schon Zweifel, ob diese Ergänzung erforderlich war, um die Voraussetzungen des § 6 Abs. 3 FAO zu erfüllen, denn jedenfalls sind die von der Beklagten geforderten Angaben zwischenzeitlich erfolgt und auch zu berücksichtigen. Denn entgegen dem Vortrag der Beklagten ist der Kläger zu keinem Zeitpunkt unter Fristsetzung zu entsprechenden Angaben aufgefordert worden. Auch eine Ausschlussfrist ist niemals gesetzt worden. Nach Einreichung der letzten Fallliste im Mai 2011 ist dem Kläger bis zum Bescheid vom 5. September 2011 keinerlei Hinweis mehr gegeben worden, auch keine Auflage erteilt.

Jedenfalls mit der nunmehr vorgenommenen Ergänzung sind auch diese Fälle, jedenfalls 16 davon, weil unter Umständen die Fälle 129 und 162 letztlich als ein Fall angesehen werden könnten, was hier dahinstehen kann, zu berücksichtigen. Damit hat der Kläger die geforderten 100 Fälle erreicht. Da die genannten 16 bzw. 17 Fälle zudem alle gerichtsförmliche Verfahren beinhalteten, ist auch die Voraussetzung von 50 gerichtsförmlichen Verfahren erfüllt. Auf die Beurteilung der weiteren streitigen Fälle kommt es deshalb nicht mehr an.

Der Kläger hat zudem auch die geforderten 5 Fälle aus dem kollektiven Arbeitsrecht bearbeitet. Jedenfalls die Fälle Nr. 36, 79, 84, 85 und 99 weisen nicht unerhebliche Bezüge zum kollektiven Arbeitsrecht auf. Der Fall Nummer 36 betraf ein Betriebsratsmitglied, bei den Fällen Nummer 79 und 99 ging es um Betriebsratswahlen, und bei den Fällen Nummer 84 und 85 um die Einstufung von Mitarbeitern in bestehende Tarifverträge. Bei den Fällen 84 und 85 handelt es sich um verschiedene Fälle. Ferner ist Fall 36 in den Bearbeitungszeitraum einzubeziehen. Den detaillierten Erläuterungen des Klägers hierzu in der Klage ist die Beklagte nicht mehr entgegengetreten.

Da der Kläger somit die Voraussetzungen für die Fachanwaltsbezeichnung Arbeitsrecht erfüllt, ist die Beklagte zu verpflichten, ihm die Führung dieser Bezeichnung zu gestatten.

III.

Ein Anlass, die Berufung nach den §§ 124 VwGO, 112 c Abs. 1, 112 e BRAO zuzulassen, besteht nicht. Die Rechtssache weist weder besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf, noch hat sie grundsätzliche Bedeutung.

IV.

Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 112 c Abs. 1 BRAO, 154 Abs. 1, 167 Abs. 1 und 2 VWGO, 709 ZPO.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 194 Abs. 1 BRAO, 52 Abs. 1 GKG und richtet sich nach dem wirtschaftlichen Wert der Fachanwaltsbezeichnung.






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Urteil v. 16.01.2012
Az: AGH 31/11


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