Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Urteil vom 18. März 2008
Aktenzeichen: 5 U 171/06
(OLG Frankfurt am Main: Urteil v. 18.03.2008, Az.: 5 U 171/06)
1. Eine unterbliebene Rückstellung wegen möglicher Schadensersatzansprüche gegen die AG im Jahresabschluss ist dann kein Ansatzfehler, wenn die Schadensersatzbeträge in einem verschwindend geringen Verhältnis zur Gesamtbilanzsumme stehen (hier: weniger als 1/2 Prozentpunkt).
2. Der Umstand, dass der Vorstand der AG in der Hauptversammlung eine berechtigte Frage nach der Organisationsstruktur des Unternehmens (hier: Verpflichtung zur eigenverantwortlichen Leitung des Unternehmens nach § 76 AktG) nicht oder nicht ausreichend beantwortet, kann zur Nichtigerklärung der Entlastungsbeschlüsse für Vorstand und Aufsichtsrat führen.
Tenor
Die Berufungen gegen das am 26.9.2006 verkündete Urteil der 5. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt am Main werden zurück-gewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Kläger 2/3 und die Beklagte 1/3 zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der jeweiligen Gegenpartei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des gegen sie aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, soweit nicht die jeweilige Gegenpartei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu ihren Gunsten vollstreckbaren Betrages leistet.
Gründe
I. Die Kläger waren und sind Aktionäre der Beklagten. Sie wenden sich gegen Beschlüsse der ordentlichen Hauptversammlung 2005 der Beklagten, nämlich vom 18.5.2005, und zwar wie folgt: Gewinnverwendung (TOP 2), Entlastung des Vorstands (TOP 3), Entlastung des Aufsichtsrates (TOP 4), Wahl des Abschlussprüfers (TOP 5) und gegen die Feststellung des Jahresabschlusses 2004, die Klägerin zu 2) erstinstanzlich allein auch gegen einen Geschäftsordnungsbeschluss, durch den die Abwahl des Versammlungsleiters X abgelehnt wurde.
Im Dezember 2001 kam die Unternehmensgruppe des Ehemanns der Klägerin zu 1), Y, nach Medienberichten in finanzielle Bedrängnis. Am 3.2.2002 hielt der damalige Vorstandsvorsitzende der Beklagten, X, der später - bei umstrittener Wirksamkeit - zum Aufsichtsrat gewählt und als dessen Vorsitzender tätig wurde, ein Fernsehinterview, das in seinem Kern eine, wie inzwischen rechtskräftig feststeht, schadensersatzbegründende Äußerung enthielt (€Was alles man darüber lesen und hören kann ist ja, dass der Finanzsektor nicht bereit ist, auf unveränderter Basis noch weitere Fremd- oder gar Eigenmittel zur Verfügung zu stellen.€).
Die Kläger sehen dieses Interview als Ursache für hohe finanzielle Verluste des Y bzw. der von ihm beherrschten Gesellschaften.
Die Kläger halten die gefassten Beschlüsse für nichtig bzw. anfechtbar. Eine Berechtigung des X zur Leitung der Hauptversammlung 2005 habe gefehlt und das Versammlungsprotokoll sei nicht rechtzeitig erstellt worden. Die satzungsmäßige Berechtigung des Versammlungsleiters wird von den Klägern angezweifelt, weil die Satzung die Leitung der Hauptversammlung durch den Aufsichtsratsvorsitzenden oder ein anderes Mitglied des Aufsichtsrats vorsehe. Aus dem Interview und der späteren Handhabung der vermeintlichen Ansprüche ergäbe sich ein wichtiger Grund für seine Abwahl, die zu Unrecht verweigert worden sei. Die Feststellung des Jahresabschlusses für das Geschäftsjahr 2004 sei nichtig, weil der Abschlussprüfer im Vorjahr unwirksam, jedenfalls aber von einem noch offenen Anfechtungsverfahren betroffen, bestellt worden sei und weil der Jahresabschluss 2004 zu Unrecht keine Rückstellung für Schadensersatzansprüche aus dem Interview enthalte, deren die Milliardengrenze übersteigende Höhe sich aus Schriftsätzen des Y zur Feststellungsklage vor dem Landgericht München und dem Oberlandesgericht München ergeben habe. Zumindest für die Prozesskosten hätte ein Betrag zurückgestellt werden müssen. Die Prüferbestellung sei anfechtbar, weil der Abschlussprüfer das Fehlen einer Rückstellung für das Interview nicht beanstandet habe. Aus der Nichtigkeit der Abschlussfeststellung folge auch die Nichtigkeit des Gewinnverwendungsbeschlusses. Zu den Entlastungsbeschlüssen für Vorstand und Aufsichtsrat haben die Kläger u.a. Informationsmängel eingewandt, weil zahlreiche in der Hauptversammlung gestellte Fragen nicht oder nicht ausreichend beantwortet worden seien, namentlich nach der Leitung des Unternehmens, zu der im Geschäftsbericht Äußerungen zur Aufgabenzuweisung an andere Gremien enthalten waren.
Die Kläger haben beantragt,
festzustellen, dass die Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten vom 18.5.2005, durch welche die Verwendung des Bilanzgewinns (TOP 2), die Entlastung des Vorstandes (TOP 3), des Aufsichtsrats (TOP 4), und die Wahl des Abschlussprüfers (TOP 5) beschlossen wurden, nichtig sind, bzw. sie für nichtig zu erklären und festzustellen, dass der Jahresabschluss der Beklagten für das Geschäftsjahr zum 31.12.2004 nichtig ist, darüber hinaus noch die Klägerin zu 2), festzustellen, dass der Beschluss über die Geschäftsordnung für den Fall, dass kein Versammlungsleiter gewählt wird und der Aufsichtsratsvorsitzende X die Versammlungsleitung übernimmt, Herrn X aus wichtigem Grund als Leiter der Hauptversammlung vom 18.2.2005 abzuberufen, nichtig ist, bzw. ihn für nichtig zu erklären.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klagen abzuweisen.
Die Beklagte hat die Beschlüsse und die Abschlussfeststellung verteidigt. Das Landgericht hat mit dem beiderseits angefochtenen Urteil die Entlastungsbeschlüsse für nichtig erklärt, weil Fragen zur Funktion und Kontrolle von Leitungsgremien und zur Vergütung deren Mitglieder nicht ausreichend beantwortet worden seien, wie auch Fragen im Zusammenhang mit dem USA-Geschäft der Beklagten offen geblieben seien. Ansonsten hat das Landgericht die Klagen abgewiesen. Zu den tatsächlichen Feststellungen in erster Instanz und zu den Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird auf das am 26.9.2006 verkündete Urteil Bezug genommen (Bl. 760 bis 787 d.A.).
Die Berufungsbegründung der Klägerin zu 2), der sich der Kläger zu 1) angeschlossen hat, macht erneut geltend, die Satzungsbestimmung zur Versammlungsleitung sei durch das Landgericht falsch ausgelegt worden und der als Aufsichtsratsvorsitzender auftretende X nicht ordnungsgemäß bestellt worden. Als Versammlungsleiter sei er ungeeignet gewesen, was sich aus der strafrechtlichen Qualität der Interviewäußerung und aus der Behandlung von Auskunftsverlangen ergebe. Die notarielle Niederschrift der Hauptversammlung sei verspätet unterschrieben worden. Der Jahresabschluss sei nichtig festgestellt, weil die Prüferbestellung des Vorjahres angefochten sei. Bis zu deren gerichtlicher Klärung müsse der Rechtsstreit ausgesetzt werden. Ansonsten wiederholt und vertieft die Berufung der Kläger die erstinstanzlichen Angriffe gegen die Beschlussfassungen zu den Tagesordnungspunkten 2 und 5 und hinsichtlich des Geschäftsordnungsbeschlusses sowie zur Feststellung der Nichtigkeit des Jahresabschlusses.
Die Klägerin zu 2) rügt die geschäftsplanmäßige Zuständigkeit des Senats und beantragt im Übrigen,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils festzustellen, dass die Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten vom 18.5.2005 zu dem TOP 2 (Verwendung des Bilanzgewinns) mit dem Inhalt: €Der zur Verfügung stehende Bilanzgewinn von 924.552.218,20 € wird zur Ausschüttung einer Dividende von 1,70 € je Stückaktie auf die 510.474.966 dividendenberechtigten Stückaktien verwendet, der Restbetrag von 56.744.766,00 € als Gewinn auf neue Rechnung vorgetragen€,
zu TOP 5 (Wahl des Abschlussprüfers für das Geschäftsjahr 2005): €Die A AG €, O1 wird zum Abschlussprüfer für das Geschäftsjahr 2005 bestellt€ und zur Geschäftsordnung mit folgendem Inhalt: €Für den Fall, dass kein Versammlungsleiter gewählt wird und der Aufsichtsratsvorsitzende X die Versammlungsleitung übernimmt, Herrn X aus wichtigem Grund als Leiter der Hauptversammlung vom 18.5.2005 abzuberufen€, nichtig sind, hilfsweise, die Beschlüsse der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 18. Mai 2005 zu den Tagesordnungspunkten 2 und 5 und zur Geschäftsordnung (Antrag auf Abberufung des Versammlungsleiters), so wie die Hauptversammlung sie gefasst hat und wie sie im vorstehenden Antrag wiedergegeben sind, für nichtig zu erklären, sowie festzustellen, dass der Jahresabschluss der Beklagten für das Geschäftsjahr zum 31.12.2004, festgestellt durch den Aufsichtsrat am 18.3.2005, nichtig ist.
Der Kläger zu 1) stellt keinen Antrag.
Die Beklagte beantragt,
die Berufungen der Kläger zurückzuweisen, und beantragt mit eigener Berufung, das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Soweit die Klage abgewiesen worden ist, verteidigt die Beklagte das angefochtene Urteil. Die Entlastungsbeschlüsse seien wirksam gefasst worden, weil die als offen angenommenen Fragen entweder nicht nötig gewesen oder beantwortet worden seien sowie auch in Einzelfällen die Auskunft hätte verweigert werden können.
Die Klägerin zu 2) beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
II. Die Berufungen der Klägerin zu 2) und der Beklagten sind zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und gerechtfertigt worden. Ob die Berufung des Klägers zu 1) zulässig begründet worden ist, kann dahin stehen. Das Rechtsmittel des Klägers zu 1) wäre ohnehin nicht als unzulässig zu verwerfen, weil die Klägerin zu 2) die Berufung durchgeführt hat und der Kläger zu 1) ihr notwendiger Streitgenosse ist (MüKo/Schilken ZPO, 2. Aufl. 2000, § 62 Rdz. 52; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., Rdz. 42 zu § 62 ZPO; Zöller/Vollkommer, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 62 Rdz. 32; HK-ZPO/Kayser, 2. Aufl. 2007, § 62 Rdz. 23).
Der Senat ist aufgrund der zuerst eingelegten Berufung der Beklagten nach dem Geschäftsverteilungsplan 2006 - entgegen der Rüge der Klägerin zu 2) zuständig geworden, weil dort - im Gegensatz zu späteren Regelungen - die Sonderzuständigkeit für Rechtsstreitigkeiten, mit denen ein Kreditinstitut im Sinne des § 32 KWG verklagt ist, jener des erkennenden Senats noch nicht vorging.
Die vom Vertreter der Klägerin zu 2) im Senatstermin vertretene Auffassung, das erst in 2007 eingelegte Rechtsmittel der Klägerin zu 2) habe zu einer besonderen Zuständigkeit für dieses Rechtsmittel geführt, verkennt die Einheit der Anfallwirkung des erstinstanzlichen Rechtsstreits bei Einlegung der Berufung einer Partei, die aus § 525 ZPO folgt (vgl. etwa RGZ 144, 116, 118; MüKo/ZPO, Rimmelspacher, wie oben, § 518 Rdz. 44).
Die Berufung der Beklagten ist am 27.11.2006 und die Berufung des Klägers zu 2.) am 11.12.2006 eingegangen.
Die Berufungen haben jedoch jeweils in der Sache keinen Erfolg, weil das angefochtene Urteil nicht auf einem Rechtsfehler beruht und auch nach § 529 ZPO zu berücksichtigendes abweichendes Tatsachenvorbringen eine andere Entscheidung nicht rechtfertigt (§ 513 Abs.1 ZPO). 1. Die Berufung der Kläger hat keinen Erfolg.
a) Zutreffend hat das Landgericht nämlich gesehen, dass Nichtigkeitsgründe zu den gefassten Beschlüssen gemäß § 241 AktG nicht vorliegen. Die Hauptversammlung ist ausreichend beurkundet worden, denn die getroffenen Feststellungen über die Beschlussfassungen waren solche des Vorsitzenden im Sinne des § 130 Abs. 2 AktG. Das folgt daraus, dass sich die Wirkungen der öffentlichen Urkunde gemäß § 415 Abs. 1 ZPO nicht auf die Berechtigung des tatsächlichen Versammlungsleiters beziehen. Eine späte Einreichung der Notarurkunde beim Handelsregister ist kein Nichtigkeitsgrund gemäß § 241 Nr. 2 AktG. Dort ist § 130 Abs. 5 AktG nicht erwähnt.
b) Es liegen auch keine Anfechtungsgründe vor, die die Beschlüsse zu TOP 2 und 5 sowie zur Abwahl des Versammlungsleiters gemeinsam beträfen, weil diese Entschließungen der Hauptversammlungen weder gesetzeswidrig noch satzungswidrig erfolgten (§ 243 Abs. 1 AktG).
aa) Der Aufsichtsratsvorsitzende war satzungsgemäß als Versammlungsleiter bestimmt, nämlich in § 19 Abs. 1 der Satzung (Anlage K 2, Bl. 97). Dort heißt es: €Den Vorsitz € führt der Vorsitzende des Aufsichtsrats oder ein anderes € Aufsichtsratsmitglied.€ Das ist bei der gebotenen objektiven Betrachtung dahin auszulegen, dass der Vorsitzende des Aufsichtsrats in erster Linie berufen ist. Anderenfalls hätte es seiner Voranstellung nicht bedurft, sondern genügt auszudrücken, dass den Vorsitz ein Mitglied des Aufsichtsrats führt, dem der Vorsitzende schließlich angehört.
bb) Selbst wenn die Wahl des tatsächlichen Versammlungsleiter zum Aufsichtsrat in der Hauptversammlung vom 10.6.2003 wegen eines Beurkundungsmangels nichtig gewesen wäre, wie die Kläger geltend machen, wäre ein solcher Verfahrensfehler für die gefassten Beschlüsse nicht relevant. Die Bedeutung eines Verfahrensfehlers für die Anfechtbarkeit der Beschlussergebnisse hängt nämlich von einer am Zweck der verletzten Norm orientierten wertenden Betrachtung ab. Zweck einer Satzungsregelung zur Versammlungsleitung ist es, eine geordnete Verfahrensweise sicherzustellen. Dem dient hier die Satzungsbestimmung, indem mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden eine Person benannt wird, die bei der Hauptversammlung regelmäßig hohes Ansehen genießt und nach dem ihr übertragenen Amt auch regelmäßig ausreichend befähigt erscheinen muss. Selbst wenn X bei der zwei Jahre zurückliegenden Hauptversammlung als Aufsichtsrat unwirksam bestellt worden wäre, würden weder sein Ansehen noch seine Befähigung zur Wahrnehmung der Aufgaben des Versammlungsleiters in Frage stehen. Mit seiner Leitungstätigkeit als solcher, von deren Fehlerfreiheit hier auszugehen ist, sind Rechte der Aktionäre aber noch nicht berührt.
Die Kläger können auch nicht eine Unwirksamkeit des Beschlusses zur Abwahl des Versammlungsleiters als Verfahrensfehler im Hinblick auf die übrigen Beschlussfassungen einwenden, weil der negative Geschäftsordnungsbeschluss zur Abwahl nicht wirksam angefochten ist. Er beruht nämlich seinerseits nicht auf einer Verletzung des Gesetzes oder der Satzung, wobei hier dahinstehen kann, ob ein satzungsmäßig berufener Versammlungsleiter sich überhaupt einem Abwahlverfahren stellen kann. Selbst wenn ein solches Verfahren möglich wäre, unterläge die Abwahlentscheidung nur einer beschränkten Kontrolle. Bis zur Grenze der Verletzung von Treuepflichten gegenüber der Aktionärsminderheit kann die Mehrheit dem Versammlungsleiter das Vertrauen aussprechen. Für eine Verletzung von Treuepflichten, etwa bei offenbaren und schweren Leitungsfehlern, fehlen hier konkrete Anhaltspunkte: Eine Verantwortlichkeit des X für Unklarheiten bei der Beurkundung früherer Hauptversammlungen ist von den Klägern mit dem Abwahlantrag der Hauptversammlung des Jahres 2005 nicht unterbreitet worden (Anlage K 9, Bl. 146 d.A.). Ein mit dem Abwahlantrag behaupteter charakterlicher Mangel des X wäre nicht ausreichend, eine positive Vertrauensentscheidung der Aktionärsmehrheit als treupflichtwidrig anzusehen. Denn ein Zusammenhang zwischen Äußerungen in dem Fernsehinterview und dem späteren Umgang mit den sich daraus ergebenden Auswirkungen einerseits und der Eignung zur Führung einer Hauptversammlung andererseits drängt sich nicht auf. Auf Informationsmängel in Ansehung offen gebliebener Fragen kann die Beschlussfassung über die Abwahl schon deshalb nicht gestützt werden, weil die Fragen erst nach der Entscheidung über den Geschäftsordnungsantrag gestellt wurden.
cc) Auch eine Überschreitung der Frist des § 130 Abs. 5 AktG führt nicht zu einer Gesetzeswidrigkeit der gefassten Beschlüsse, der mögliche Verfahrensverstoß würde den Beschlussfassungen der Hauptversammlung nachfolgen, die damit auf der Hand liegend nicht auf ihm beruhen können.
c) Es liegen auch die besonderen, nur zur Wahl des Abschlussprüfers geltend gemachten Gesetzesverletzungen nicht vor. Die Berufung verfolgt insoweit eine Anfechtbarkeit, weil der Abschlussprüfer bereits in mehr als sieben Fällen den Konzernabschuss bestätigt habe. Dabei wird jedoch nicht beachtet, worauf auch die Beklagte hingewiesen hat, dass § 319 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 HGB gemäß Art. 58 Abs. 4 Satz 4 EGHGB erstmals auf Abschlussprüfungen für ein nach dem 31.12.2006 beginnendes Geschäftsjahr anzuwenden ist.
Auch die Auffassung, die Bestellung des Abschlussprüfers für 2005 sei anfechtbar, weil dieser mit dem Unterlassen von Rückstellungen für 2004 fehlerhaft gehandelt habe, hat keine gesetzliche Grundlage. Nach § 243 Abs. 3 Nr. 2 AktG n.F. kann die Anfechtung nicht auf Ablösungsgründe des § 318 Abs. 3 HGB gestützt werden, zu denen die des § 319 Abs. 2 HGB gehören. § 243 Abs. 3 Nr. 2 AktG ist mit dem Bilanzrechtsreformgesetz wirksam geworden.
Ein Informationsmangel wegen Nichtbeantwortung der in der Klageschrift aufgelisteten Fragen war aus der Sicht eines objektiv urteilenden Aktionärs nicht wesentliche Vorrausetzung für die Wahrnehmung seiner Teilnahme- oder Mitgliedsrechte im Hinblick auf die Bestellung des Abschlussprüfers. Hierauf hat bereits das Landgericht hingewiesen, ohne dass die Klägerin ihr Vorbringen insoweit im Berufungsverfahren ausreichend konkretisiert hätte. Dies gilt auch zu den hervor gehobenen Fragen Nr. 25 und 26 (Auflistungsreihenfolge der Klageschrift).
d) Der Gewinnverwendungsbeschluss ist über die zu allen Beschlusspunkten geltend gemachten Unwirksamkeitsgründe hinaus weder wegen Nichtigkeit der Abschlussfeststellung gemäß § 253 Abs. 1 AktG nichtig, noch wegen eines Informationsmangels nach § 243 Abs. 1 AktG anfechtbar.
aa) Der gemäß § 172 AktG festgestellte Jahresabschluss für das Geschäftsjahr 2004 ist nicht gemäß § 256 Abs. 1 Ziff. 2 AktG nichtig. Denn die Abschlussprüfer sind in der Hauptversammlung des Jahres 2004 bestellt worden. Dass diese Bestellung ihrerseits nichtig wäre, ist nicht ersichtlich. Eine Anfechtung der Bestellung ist zwar durch Klage eingewandt worden. Ein Eintritt der Wirkungen des § 248 Abs. 1 AktG ist aber noch nicht erfolgt. Es ist insoweit das Verfahren nicht auszusetzen, weil weder die Erfolgsaussicht der Anfechtungsklage (derzeit 23 U 90/07 Oberlandesgericht Frankfurt am Main) aus dem Vortrag der Klägerin beurteilt werden kann, noch sich ein ausreichendes Aufschubinteresse der Kläger ergibt. bb) Der Jahresabschluss ist auch nicht nach § 256 Abs. 5 Satz 1 Ziff. 1 Satz 2 AktG nichtig. Ein Ansatzfehler durch Unterlassen einer nach § 249 Abs. 1 HGB gebotenen Rückstellung für einen Schadensersatzanspruch im Zusammenhang mit dem Fernsehinterview wäre nicht wesentlich, weil eine Rückstellung keine bedeutsame Veränderung des Bildes von der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Beklagten ergeben hätte. Unwesentliche Beeinträchtigungen des Bildes haben aber mit Rücksicht auf den gebotenen Gläubigerschutz außer Betracht zu bleiben (vgl. BGHZ 83, 341, 347; OLG Hamm AG 1992, 233, 234; Spindler/Stiltz/Rölicke, AktG, 2007, § 256 Rz.60; Hüffer, AktG, 6. Aufl., § 256 Rz.25). Es kann dahinstehen, ob trotz nicht ausreichender Bezifferung und trotz des Gebots der Einzelbewertung verschiedener Schadensersatzforderungen aus den Angaben in dem zur Feststellungsklage geführten Rechtsstreit ausreichender Anlass zu einer Rückstellung bestanden haben kann. Diese Beträge berührten nämlich - trotz ihrer beträchtlichen Höhe - die Bewertung der Beklagten nicht. Was die Vermögenslage der Beklagten anbelangt, bewegten sich die Beträge angesichts der Bilanzsumme von 840 Mrd. € im Geschäftsjahr 2004 in einem verschwindend geringen Verhältnis, nämlich deutlich unter 1/2 Prozentpunkt liegend. Dass eine beachtliche Beeinträchtigung der Liquiditätslage hätte entstehen können, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Auch wenn die Bildung einer Rückstellung die Höhe des Bilanzgewinns in dem Geschäftsjahr 2004 überstiegen hätte, ergab sich daraus eine Verzerrung der Darstellung der Ertragslage nicht. Die für die Bewertung des Unternehmens maßgebliche Fähigkeit der Beklagten, in Zukunft Erträge zu generieren, wäre durch die Bildung einer einmaligen Rückstellung - auch in der erheblichen Größenordnung, um die es hier geht - nicht entscheidend beeinträchtigt worden. Auf die Relation des Ansatzfehlers zum Bilanzgewinn eines einzelnen Geschäftsjahres, etwa des laufenden Jahres, kann es für das Wesentlichkeitsurteil nicht ankommen, wie sich bereits daraus erhellt, dass dann eine Gesellschaft, die ohne oder mit ganz geringem Gewinn wirtschaftet, durch nahezu jeden Ansatzfehler wesentlich falsch dargestellt wäre.
Damit kann dahinstehen, ob die Beklagte am 15.3.2005, also zu dem im Senatstermin unwidersprochen benannten Aufstellungszeitpunkt, zur haftungsausfüllenden Kausalität ein ausreichendes Wahrscheinlichkeitsurteil treffen konnte. Das im Rahmen des § 256 Abs. 1 ZPO vom Oberlandesgericht München zum Feststellungsinteresse in dem Urteil vom 10.12.2003 getroffene Wahrscheinlichkeitsurteil war jedenfalls auf die nach § 249 Abs. 1 HGB von der Beklagten zu treffende Bewertung nicht übertragbar.
Rückstellungen zu den Prozesskosten des Schadensersatzprozesses gegen die Beklagte erreichten die Wesentlichkeitsgrenze ohnehin nicht.
bb) Soweit jetzt zusätzlich geltend gemacht ist, die Gewinnverwendungsentscheidung beruhe auch auf einem Informationsmangel aus der Nichtbeantwortung der Fragen 26 und 28 gemäß der Auflistung in der Klageschrift, fehlt ein rechtzeitig geltend gemachter Anfechtungsgrund, weil die Kläger zu dem Gewinnverwendungsbeschluss Informationsmängel konkret nicht mit Klage geltend gemacht haben. Dessen ungeachtet handelte es sich ohnedies nicht um eine für die Verwendung eines wirksam festgestellten Gewinns wesentliche Information.
2. Auch die Berufung der Beklagten gegen die Nichtigerklärung der Beschlüsse zur Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat ist unbegründet, weil die Entlastungsentscheidungen auf einer Gesetzesverletzung beruhen (§ 243 Abs. 1 AktG) und die Kläger dies rechtzeitig und anfechtungsbefugt, insoweit von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen, geltend gemacht haben (§§ 245, 246 AktG).
Die Entlastungsbeschlüsse beruhen auf einem Verfahrensfehler, nämlich auf der Nichterteilung einer Information durch den Vorstand der Beklagten, obwohl dieser gemäß § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG auf die Frage des heutigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin zu 2) zur Auskunftserteilung verpflichtet war. Dies bezieht sich auf die in der Klageschrift unter Nr. 23 bezeichnete Frage, die in der notariellen Niederschrift mit Nr. 28 bezeichnet ist (Klageschrift S. 23, 24, Bl. 64, 65 d.A.; Notarurkunde in Anlage B 1, S. 19) und die für die Klägerin zu 2) durch ihren Vertreter in der Hauptversammlung unstreitig gestellt worden ist.
Die Frage wurde zulässigerweise gestellt. Selbst wenn man in einer Generaldebatte verlangen wollte, dass der von der Frage betroffene Gegenstand der Beschlussfassung bei der Anbringung genannt wird, ergab sich der Bezug der Frage auf die Entlastungsentscheidungen ausreichend deutlich aus dem Inhalt der Frage selbst, die sich bezieht auf die Wahrung der gesetzlichen Verantwortung des Vorstands. Die Klägerin zu 2) missbrauchte auch ihr Fragerecht dazu nicht. Ob sich aus der Anzahl gestellter Fragen eines Aktionärs ein ausreichendes Indiz für die Verfolgung sachfremder Ziele ergeben kann, wie dies der Senat früher für den Fall der Anbringung von 308 Einzelfragen durch einen Aktionär angenommen hat, kann hier dahinstehen, weil sich der Vorstand auf die Frage durch Erteilung einer - wenn auch unzureichenden - Antwort eingelassen hat.
Die Beklagte war nach § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG zur Beantwortung verpflichtet, weil eine Angelegenheit der Gesellschaft betroffen war und die Antwort zur sachgemäßen Beurteilung der Entlastungsentscheidungen aus der Sicht eines objektiv denkenden Aktionärs wesentliche Bedeutung hatte. Der Frage lag die berechtigte Besorgnis zugrunde, dass der Vorstand seine gesetzliche Verpflichtung zur eigenverantwortlichen Leitung des Unternehmens aus § 76 AktG verletzt haben könnte und der Aufsichtsrat es dabei an der nötigen Überwachung gemäß § 111 Abs. 1 AktG habe fehlen lassen können. Diese Sorge war berechtigt aus der Darstellung in S. 8 des Jahresberichts 2004 (Anlage B 11 S. 8), wonach die operative Steuerung drei €divisionalen Committees€ überlassen sei, während der Vorstand sich auf die €strategische Steuerung, Zuteilung der Ressourcen, Risikomanagement und Kontrolle des Konzern€ konzentriere. Der Aktionär darf sich bei dieser Lage, ungeachtet der grundsätzlichen Grenzen einer möglichen Aufgabenzuweisung an nachgeordnete Unternehmensebenen, fragen, ob der Vorstand seinen gesetzlichen Aufgaben noch genügen kann und muss sich dazu ein Bild über die Aufgabenverteilung und Kontrollen machen können. Die Frage betraf auch den für die Entlastungsentscheidungen maßgeblichen Zeitraum, nämlich das Geschäftsjahr 2004, obwohl die Führungsstruktur bereits früher eingeführt wurde, weil eine mögliche Verletzung von Geschäftsleiterpflichten und Aufsichtspflichten in das Geschäftsjahr 2004 hinein andauerte.
Die Antwort, namentlich im Hinblick auf die beim Vorstand gegenüber den Gremien liegende Führung und Kontrolle, war auch nicht deshalb entbehrlich, weil sie sich einem durchschnittlichen Aktionär aus allgemein zugänglichen Quellen ohnehin ergeben hätte. Die Geschäftsberichte 2001 bis 2003 (Anlage B 43 bis B 45) ergeben solches nicht. Im Geschäftsbericht 2001, soweit von der Beklagten vorgelegt (Anlage B 43, dort S. 7 und 10), ist eine Aufgabenverteilung zwischen Vorstand und den €Committees€ berichtet und zur Führung durch den Vorstand nahezu nichts oder allenfalls andeutungsweise enthalten. Die Darstellung rechtfertigt eher Zweifel, als sie sie beseitigt (€...richten wir uns zur Führungsstruktur noch konsequenter auf das Modell einer virtuellen Holding aus€). Die Jahresberichte 2003 und 2004 enthalten dazu im Wesentlichen Wiederholungen. Zu einer Internetrecherche war der durchschnittliche Aktionär nicht verpflichtet. Insoweit veranlasst auch der nachgereichte Schriftsatz der Beklagten vom 5.2.2008 keine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (§ 156 ZPO).
Die tatsächlich erteilte Antwort der Beklagten (€Die Steuerung des Gesamtunternehmens erfolgt, wie gesetzlich vorgeschrieben, durch den Vorstand€; €Die Leiter der divisionalen Committees sind Mitglieder im GEC. Sie berichten an den Vorstand€; Anlage B 33, S. 123 und 208) erklären die bei dem Vorstand gebliebenen Aufgaben und die Ausübung der Kontrolle über die nachgeordneten Gremien im Rahmen einer Delegation von Geschäftsleiteraufgaben nicht weiter. Auch wenn die Frage der Klägerin zu 2) allgemein gehalten war, war ein Hinweis auf die Gesetzeslage nicht ausreichend. Die Antwort auf die Frage wurde gerade erstrebt, um die Einhaltung der gesetzlichen Aufgabenzuweisungen überprüfen zu können.
Die Erfüllung der Pflicht zur Informationserteilung war auch wesentliche Voraussetzung für die Ausübung des Mitgliedschaftsrechts der Klägerin zu 2). Damit kann dahinstehen, ob § 243 Abs. 4 AktG n.F. für die vor Inkrafttreten des UMAG erfolgte Anfechtung anwendbar sein kann.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 708 Nr. 10 und 711 ZPO. Das Rechtsmittel des Klägers zu 1) ist nicht beschränkt worden, vielmehr hat er sich auf die Berufungsbegründung der Klägerin zu 2) bezogen (Schriftsatz vom 10.8.2007, S. 3, Bl. 1140 d.A.), so dass im Berufungsverfahren von einem einheitlichen Angriff der Kläger gegen die Klageabweisung auszugehen ist. Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor, weshalb die Revision nicht zuzulassen war. Der nachgereichte Schriftsatz des Klägers zu 1.) vom 7.2.2008 (Bl. 1674 d.A.) veranlasst keine weiteren Entscheidungen, wie auch die nach Schluss der mündlichen Verhandlung durch die Klägerin zu 2.) und die Beklagte angebrachten Schriftsätze, soweit sie nicht durch Schriftsatznachlass gedeckt sind, nicht zu einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung führen.
OLG Frankfurt am Main:
Urteil v. 18.03.2008
Az: 5 U 171/06
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