Landgericht Düsseldorf:
Urteil vom 27. Februar 2015
Aktenzeichen: 38 O 8/15
(LG Düsseldorf: Urteil v. 27.02.2015, Az.: 38 O 8/15)
Tenor
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der Nebenintervention trägt die Antragstellerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Antragstellerin kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 5.000,00 € abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Sicherheitsleistungen können durch selbstschuldnerische Bürgschaft einer in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Bank oder Sparkasse erbracht werden.
Tatbestand
Die Antragstellerin ist Inhaberin mehrerer im Jahre 2013 angemeldeter Gemeinschaftsgeschmacksmuster für Uhren, darunter die Gemeinschaftsgeschmacksmuster mit den Nrn. 000000000-000 bis 000, wegen deren genauer Einzelheiten auf die Eintragungen in der Anlage AS 1 verwiesen wird.
Sie vertreibt unter der Bezeichnung "J" den Mustern entsprechende Armbanduhren mit nach ihrer Behauptung überragendem Erfolg im Preissegment bis 150,00 €.
Die Antragsgegnerin hat Armbanduhren für den Vertrieb über die Firmen der B O bzw. B T Firmengruppe eingekauft und vertrieben, die die Antragstellerin als ihre Designrechte verletzende Plagiate einschätzt.
Einzelne der unter der Bezeichnung "D" zum Stückpreis von 9,99 € vertriebenen Uhren, wegen deren genauer Gestaltung auf die Abbildungen in der Antragsschrift Bezug genommen wird, vermittelten denselben Gesamteindruck und seien praktisch identisch. Insbesondere die in das Armband integrierte Lünette und der auf das Zifferblatt aufgesetzte helle Reif als charakteristische Merkmale seien gestalterisch identisch übernommen worden. Wie bei den geschützten Mustern entstehe der Eindruck, dass Lünette und Armband aus einem Guss seien. Die Kombination dieser beiden Elemente sei besonders ungewöhnlich und daher im Rahmen des Gesamteindrucks besonders zu gewichten. Die Unterschiede, insbesondere des Zifferblatts seien dagegen ohne gestalterische Bedeutung.
Die Antragstellerin beantragt den Erlass einer einstweiligen Verfügung mit folgendem Inhalt:
1.
Der Antragsgegnerin wird es verboten,
die nachstehend abgebildeten Armbanduhren einzeln oder in Kombination innerhalb der Europäischen Union anzubieten, zu vertreiben oder sonst in den Verkehr zu bringen, sowie zu den vorgenannten Zwecken zu besitzen:
"Bild/Grafik nur in der Originalentscheidung vorhanden"
und/oder
"Bild/Grafik nur in der Originalentscheidung vorhanden"
2.
Der Antragsgegnerin wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen das Verbot gem. Ziff. 1. ein Ordnungsgeld bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten angedroht, wobei die Ordnungshaft insgesamt zwei Jahre nicht übersteigen darf und die Ordnungshaft am Vorstand der die persönlich haftende Gesellschafterin der Antragsgegnerin vertretenden Aktiengesellschaft zu vollziehen ist.
3.
Die Antragsgegnerin wird verurteilt, der Antragstellerin unverzüglich nach Zustellung der einstweiligen Verfügung Auskunft zu erteilen über den Vertriebsweg der Armbanduhren gem. Ziff. 1., und zwar durch Vorlage eines vollständigen Verzeichnisses über
a.
Namen und Anschrift aller gewerblichen Abnehmer und Verkaufsstellen, für welche die Armbanduhren bestimmt waren;
b.
die Menge der ausgelieferten Armbanduhren.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
Sie trägt vor, angesichts des vorbekannten Formenschatzes fehle den Mustern bereits die erforderliche Neuheit und Eigenart. Zudem vermittelten die beanstandeten Modelle einen wesentlich anderen Gesamteindruck, insbesondere durch das abweichende, verspielt und mit großer Detailfreudigkeit ausgestaltete zweilagige Zifferblatt mit einem anderen Kreis.
Im Übrigen fehle es an der Dringlichkeit zum Erlass einer einstweiligen Verfügung, da die Antragstellerin jedenfalls seit Oktober 2014 Kenntnis von der bereits im März 2014 erfolgten Uhrenaktion habe.
Die Antragsgegnerin hat ihrer Lieferantin den Streit verkündet. Diese ist dem Rechtsstreit auf Seiten der Antragsgegnerin beigetreten.
Die Streithelferin beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
Sie wiederholt und vertieft das Vorbringen der Antragsgegnerin, insbesondere auch zu den Merkmalen, die den Gesamteindruck des Musters prägen und zur Frage des vorbekannten Formenschatzes.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und deren Anlagen verwiesen.
Gründe
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist unbegründet.
Die Antragstellerin hat gegen die Antragsgegnerin keinen Anspruch auf Unterlassung des im Antrag zu 1. beschriebenen Verhaltens gemäß Artikel 89 Abs. 1, 90 GGMVO, §§ 38, 42 DesignG.
Die Antragstellerin ist zwar Inhaberin der eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster mit den Nrn. 000000000-000 und -000, für deren Rechtsgültigkeit zunächst die Vermutung aus Artikel 85 GGMVO spricht. Der allerdings im vorläufigen Verfahren zulässige Nichtigkeitseinwand erscheint jedoch bereits berechtigt. Gemeinschaftsgeschmacksmuster sind nur schutzfähig, wenn sie zur Zeit der Eintragung als neu und eigenartig anzusehen waren. Ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster gilt dann als neu, wenn der Öffentlichkeit vor der Anmeldung zur Eintragung kein identisches Geschmacksmuster zugänglich gemacht worden ist, Artikel 5 GGMVO. Identität liegt auch dann vor, wenn sich Muster nur in unwesentlichen Einzelheiten unterscheiden.
Eigenart hat ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster, wenn sich der Gesamteindruck, den es beim informierten Benutzer hervorruft, von dem Gesamteindruck unterscheidet, den ein anderes Geschmacksmuster bei diesem Benutzer hervorruft, wobei bei der Beurteilung der Eigenart der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung des Geschmacksmuster zu berücksichtigen ist, Artikel 6 GGMVO. Eigenart liegt demnach nur dann vor, wenn keines der vorbekannten Muster alle prägenden Merkmale des eingetragenen Musters aufweist oder vorbekannte Muster prägende Merkmale aufweisen, die dem eingetragenen Muster fehlen.
Prägende Merkmale des Musters der Antragstellerin sind die integrative Gestaltung von Uhr und Armband im Sinne einer übergangslosen Einbindung von Lünette und Armband einerseits, andererseits aber auch des Uhrglases. Darüber hinaus entspricht die Farbe des Zifferblattes derjenigen des Armbands. Ein heller Reif trennt Zifferblatt und Glas. Zifferblatt und Zeiger sind "minimalistisch" gehalten. An der für die Angabe 3 vorgesehenen Stelle findet sich die Buchstabenfolge "J" in Druckbuchstaben.
Mit für den Gesamteindruck unwesentlichen Abweichungen weist diese Merkmale auch das Uhrenmodell "C" auf. Bis auf die unterschiedliche Markenangabe, die Form des Sekundenzeigers und geringfügigen Proportionsverschiebungen entsprechen die Uhrmodelle einander. Insbesondere ist auch der Reif - sei er aus technischen Gründen notwendig oder nicht - vorhanden. Der Reif tritt zwar bei den Mustern der Antragstellerin deutlicher hervor. Dieser Umstand ist allerdings für den Gesamteindruck des auf notwendige Details beschränkten Designs, das einen minimalistischen Eindruck erweckt, von eher untergeordneter Bedeutung. Der Breite des ansonsten lediglich hell gehaltenen Reifs kommt im Rahmen der Gesamtbetrachtung kein herausragendes Gewicht zu. Die Inaugenscheinnahme des Modells, das dem geschützten Muster entspricht, und des Modells "C" hat ergeben, dass zwar die Gestaltung des Uhrglases unterschiedlich ist. Auch dieser Unterschied ist jedoch für den Gesamteindruck nicht maßgebend. Das Modell "C" weist nur eine geringfügig höhere Verformung des Uhrglases auf.
Vor dem Hintergrund des übrigen Formenschatzes, der auch bereits nahe an die Muster der Antragstellerin heranreichende Gestaltungen von Armbanduhren wie beispielsweise der Firma T und der Firma B umfasst, ist das Modell der Firma C als einen identischen Gesamteindruck vermittelnd anzusehen.
Die Streithelferin hat ausreichend dargelegt und glaubhaft gemacht, dass dieses Uhrenmodell bereits im Jahr 2012, also vor der Anmeldung der Muster der Antragstellerin, der Öffentlichkeit zugänglich war. Die Ausdrucke der Plattform B, der Zeitschrift "T" und des bis auf die farbliche Gestaltung des Zifferblattes identischen Gemeinschaftsgeschmacksmusters 000000000-0000 aus dem Jahre 2011 lassen im derzeitigen Verfahrensstadium die Beurteilung der Priorität als ausreichend gesichert erscheinen. Bei dieser Situation bedarf es keiner Entscheidung, ob die Antragstellerin die den Mustern entsprechenden Uhren selbst bereits neuheitsschädlich vor der Anmeldung der Gemeinschaftsgeschmacksmuster vertrieben hat.
Da somit der Nichtigkeitseinwand als berechtigt anzusehen ist, muss nicht die ebenfalls als zweifelhaft zu beurteilende Frage der Nachahmung der Muster durch die von der Antragsgegnerin und der Streithelferin vertriebenen Uhren entschieden werden.
Mangels Unterlassungsanspruch besteht auch kein Anspruch auf Erteilung weiterer Auskünfte.
Ob die zum Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderliche Dringlichkeit im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung noch gegeben ist, bedarf ebenfalls keiner Entscheidung.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 91 und 101 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 6 und 711 ZPO.
Der Streitwert wird auf 250.000,00 € festgesetzt.
LG Düsseldorf:
Urteil v. 27.02.2015
Az: 38 O 8/15
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