Landesarbeitsgericht Niedersachsen:
Beschluss vom 23. Mai 2003
Aktenzeichen: 5 Ta 276/02
(LAG Niedersachsen: Beschluss v. 23.05.2003, Az.: 5 Ta 276/02)
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 28.03.2002 abgeändert. Dem Kläger ist eine zweite vollstreckbare Ausfertigung des Urteils des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 08.03.1977 - 1 Ca 2524/76 - zu erteilen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
Gründe
I. Die Parteien streiten um Erteilung einer zweiten vollstreckbaren Ausfertigung.
Der Beklagte wurde durch Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 08.03.1977 zur Zahlung von 8.087,63 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 29.09.1976 verurteilt. Das Landesarbeitsgericht wies die dagegen gerichtete Berufung durch Urteil vom 04.01.1978 zurück.
Mit Schriftsatz vom 06.02.2002 stellte der Kläger den Antrag gestellt, ihm eine zweite vollstreckbare Ausfertigung des Urteils des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 08.03.1977 zu erteilen.
Der Kläger lässt mit anwaltlichem, von ihm mitunterzeichneten Schriftsatz vom 06.02.2002 auszugsweise Folgendes vortragen:
"Der Kläger kann die vollstreckbare Ausfertigung des Urteils nicht mehr auffinden.
Recherche in der Kanzlei des Unterzeichners, der die Praxis des Rechtsanwalts St 1984 übernommen hat, ergab, dass die Handakte nicht verfügbar ist. Eine vollstreckbare Ausfertigung ist nicht vorhanden.
Der Kläger benötigt dringend zum Zwecke der Zwangsvollstreckung zweite vollstreckbare Ausfertigung des Urteils. Er hat inzwischen Anschrift des Beklagten ermittelt.
Die Richtigkeit vorstehender Angaben werden durch den Kläger und den Unterzeichner an Eides statt versichert."
Der Beklagte hat seinen Zurückweisungsantrag u.a. damit begründet, seine Eltern, die Eheleute E. und M. W , hätten seines Wissens nach Aufnahme eines Kredits bei dem inzwischen verstorbenen Makler S den Betrag in Höhe von ca. 7.900.-- DM beglichen.
Demgegenüber hat der Kläger mit Schriftsatz vom 25.02.2002 behauptet, eine Zahlung von 7.900.-- DM sei nicht bekannt. Die Forderung sei nicht erfüllt.
Das Arbeitsgericht Braunschweig hat den Antrag des Klägers auf Erteilung einer zweiten vollstreckbaren Ausfertigung durch Beschluss vom 28.03.2002, auf dessen Begründung ergänzend Bezug genommen wird, mit der Begründung zurückgewiesen, der Klägervertreter habe lediglich glaubhaft gemacht, dass die vollstreckbare Ausfertigung bei Kanzleiübernahme nicht vorhanden gewesen sei. Er habe aber nicht den Verlust der Ausfertigung glaubhaft gemacht. Es müsse die Möglichkeit berücksichtigt werden, dass die vollstreckbare Ausfertigung nach Zahlung eventuell an den Schuldner ausgehändigt worden sei. Es habe nicht zweifelsfrei geklärt werden können, ob die vollstreckbare Ausfertigung des Urteils vom 08.03.1977 "nur" verlorengegangen, nicht aber zurückgegeben worden sei.
Der Beschluss ist dem Kläger am 04.04.2002 zugestellt worden. Zur Begründung seiner sofortigen Beschwerde vom 12.04.2002 behauptet der Kläger, der Beklagte habe die Forderung nicht erfüllt. Dieser könne eine angebliche Zahlung auch nicht durch Vorlage einer Quittung nachweisen. Mit eidesstattlicher Versicherung vom 23.04.2002, auf die wegen ihres vollständigen Inhalts Bezug genommen wird, macht der Kläger glaubhaft, dass die im Schriftsatz vom 23.04.2002 enthaltenen Angaben richtig seien. Ausdrücklich versichert er, er habe zu keiner Zeit durch die Rechtsanwälte St und W eine vollstreckbare Ausfertigung des Urteils des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 08.03.1977 erhalten, sondern lediglich eine Abschrift. Die Zwangsvollstreckungsmaßnahmen seien Anfang der 80er Jahre nicht weiterverfolgt worden.
Ergänzend legt der Kläger mit Schriftsatz vom 30.04.2003 ein Schreiben des "Wehrbereichsgebührenamts " vom 28.03.1980 vor, aus dem sich ergibt, dass "in der o.a. Forderungssache ab April 1980 vorerst keine Überweisungen mehr erfolgen können, weil z. Zt keine Dienstbezüge mehr gezahlt werden." Der Kläger wurde deshalb zur Überweisung des ihm gutgeschriebenen Betrages von 148, 70 DM aufgefordert. Dieses Schreiben nimmt Bezug auf einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 27.12.1978.
Mit weiterem Schreiben vom 21.01.1982 teilte der damalige (und heutige) Prozessbevollmächtigte dem Kläger mit, dass die Eltern des Beklagten nicht in Anspruch genommen werden könnten.
Das Arbeitsgericht Braunschweig hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt.
II. Die frist- und formgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist begründet.
1. Nach § 724 Abs. 1 ZPO wird die Zwangsvollstreckung aufgrund einer mit der Vollstreckungsklausel versehenen Ausfertigung des Urteils (vollstreckbare Ausfertigung) durchgeführt. Die vollstreckbare Ausfertigung wird nach § 724 Abs. 2 ZPO durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erteilt.
Grundsätzlich möglich ist die Erteilung einer weiteren vollstreckbaren Ausfertigung, wobei nach § 733 Abs. 1 ZPO der Schuldner gehört werden muss, sofern nicht die zuerst erteilte Ausfertigung zurückgegeben wird. Voraussetzung ist in jedem Fall, dass der Gläubiger ein Recht auf Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung und zusätzlich ein Interesse an einer nochmaligen vollstreckbaren Ausfertigung hat. Das ist u.a. bei einem Verlust der ersten Ausfertigung der Fall, wobei es insoweit auf ein Verschulden nicht ankommt (OLG Düsseldorf 10.11.1993 - 1 WF 216/93 - OLGR Düsseldorf 1994, 74). Es ist daher gleich, ob der Titel bei einer Übersendung durch das Gericht, beim Gläubiger, seinem Prozessbevollmächtigten oder bei einer Vollstreckung verloren gegangen ist. Er kann dem Schuldner, auch infolge falscher Berechnung der Gläubigerforderung ausgehändigt worden sein, wobei dann die Klausel auf die Restforderung zu beschränken ist (vgl. Zöller/Stöber § 733 Rn. 4 f.).
Ist der Titel verlorengegangen, muss dies nach Maßgabe des § 294 ZPO mindestens glaubhaft gemacht werden (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 733 Rn. 7 mwN). Wer eine tatsächliche Behauptung glaubhaft zu machen hat, kann sich nach § 294 Abs. 1 ZPO aller Beweismittel bedienen einschließlich der Versicherung an Eides statt. In den Fällen der Glaubhaftmachung tritt an die Stelle des Vollbeweises eine Wahrscheinlichkeitsfeststellung. Der Indizienbeweis wird erleichtert (Zöller/Geimer/Greger § 294 Rn. 1). Für die Wahrscheinlichkeitsfeststellung gilt im Übrigen der Grundsatz der freien Würdigung des gesamten Vorbringens (§ 286 ZPO), wobei es kein festes Beweismaß wie beim Vollbeweis gibt. Zu fordern ist mindestens "überwiegende Wahrscheinlichkeit" unter Beachtung der gesamten Umstände des Einzelfalles (BGH 20.03.1996 VIII ZB 7/96 NJW 1996, 1683; BGH 05.05.1976 IV ZB 49/75 VersR 1976, 928 f.; vgl. Zöller/Geimer/Greger § 294 Rn. 6).
Bloße Glaubhaftmachung reicht nicht aus, wenn ein Gläubiger, der die Erteilung einer weiteren vollstreckbaren Ausfertigung des Titels begehrt, behauptet, die Erstausfertigung des Titels sei verlorengegangen, und der Schuldner darauf erwidert, er habe die Klageforderung gezahlt und der ihm daraufhin ausgehändigte Titel sei vernichtet worden. Hier ist der Vollbeweis zu führen (vgl. LG Dortmund 10.12.1993 - 11 T 58/93 - Rpfleger 1994, 308; AG Unna 26.7.1993 - 4 B 2510/81 - Rpfleger 1994, 308).
2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze reicht es aus, dass der Kläger den Verlust des Titels glaubhaft macht. Denn der Beklagte hat nicht behauptet, der Titel sei an ihn herausgegeben und sodann von ihm vernichtet worden.
Aufgrund der eidesstattlichen Versicherungen besteht der erforderliche Grad an Wahrscheinlichkeit, dass der Titel ungefähr Anfang der 90 er Jahre im Büro des Prozessbevollmächtigten vernichtet worden ist, ohne dass die zugrunde liegende Forderung zuvor vollständig erfüllt und der Titel an den Schuldner zurückgegeben wurde.
Nach der eidesstattlichen Versicherung des Klägers vom 23.04.2002 sind die Zwangsvollstreckungsmaßnahmen Anfang der "80 er Jahre" nicht weiterverfolgt worden. Aufgrund der Bescheids des "Wehrbereichsgebührenamts " vom 28.03.1980, wonach "in der o.a. Forderungssache ab April 1980 vorerst keine Überweisungen mehr erfolgen können, weil z. Zt. keine Dienstbezüge mehr gezahlt werden", und dem anwaltlichen Schreiben vom 21.01.1982 ist es unwahrscheinlich, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers den Titel an den Beklagten als Schuldner zurückgegeben hat. Der Bescheid sowie die negativ beschiedene Anfrage des Klägers, ob nicht die Eltern des Beklagten in Anspruch genommen werden können, lassen es vielmehr als wahrscheinlich erscheinen, dass weitere Vollstreckungsversuche nicht unternommen wurden. In der damaligen Situation erschien eine weitere Vollstreckung wenig aussichtsreich. Dafür, dass die Eltern des Klägers die Schuld des Beklagten später erfüllt haben, fehlt jeder nachvollziehbare zeitliche Anhaltspunkt oder Zahlungsbeleg. Die entsprechende Auflage des Gerichts vom 28.03.2003 hat der Beklagte nicht erfüllt. Zum Termin am 19.05.2003 ist er nicht erschienen und hat somit die Gelegenheit ungenutzt verstreichen lassen, seinen pauschalen Vortrag näher zu erläutern.
Unter Berücksichtigung der dem Gericht vorliegenden Unterlagen und Erläuterungen ist es plausibel, dass der Titel mit der Akte vernichtet worden ist. Nach § 50 Abs. 2 BRAGO hat ein Rechtsanwalt die Handakten nur für die Dauer von 5 Jahren nach Beendigung des Auftrags aufzubewahren, gerechnet von der Beendigung des Mandats an. Im Zivilprozess gehört grundsätzlich die Zwangsvollstreckung zur Erfüllung des anwaltlichen Auftrags. Die Beendigung des Auftrags durch Erreichen des Vertragszwecks ist in der Regel dann anzunehmen, wenn die übertragenen Aufgaben durch den Rechtsanwalt erledigt sind (Feurich, BRAGO § 50 Rn. 1). Das ist auch dann der Fall, wenn eine Zwangsvollstreckung keinen Erfolg verspricht und deshalb nicht weiter verfolgt wird.
Ausgehend von den im Jahre 1982 aussichtslos erscheinenden Zwangsvollstreckungsmaßnahmen war die 5-Jahresfrist Anfang der 90 er Jahre abgelaufen. Zu diesem Zeitpunkt ist die gesetzliche Frist für die Vernichtung der Akten nach anwaltlicher Versicherung des damaligen und heutigen Prozessbevollmächtigten des Klägers abgelaufen.
Es entspricht dabei zwar einer üblichen Vorgehensweise bei Rechtsanwälten, dass nach einem beendeten Mandatsverhältnis und nach Ablauf der Aufbewahrungsfristen offene Vollstreckungstitel im Original an die Mandantschaft herausgegeben werden. Zur Verfahrensweise in seinem Büro hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers im Termin vom 19.05.2003 zu Protokoll erklärt, Titel würden bei ihm üblicherweise 10 Jahre nach ihrer Zustellung den Mandanten ausgehändigt. Warum dies nicht erfolgt sein soll, wenn "keine Rückmeldung" stattfindet, wie er weiter angegeben hat, ist allerdings nicht ohne weiteres erklärlich. Ob sich eine Partei zwischenzeitlich nach der Sache erkundigt oder nicht, hat keinen Einfluss auf die Wirksamkeit des Titels. Es darf unterstellt werden, dass Mandanten für die gesamte Zeit der Wirksamkeit eines Titels ein Interesse daran haben, dass dieser nicht vernichtet, sondern ihnen ausgehändigt wird, wenn der Rechtsanwalt seine Akten vernichtet. Zudem macht es wenig Sinn, ein angebliches Empfangsbekenntnis zum Beleg für die Übersendung des Titels zu den Akten zu nehmen, die ja gerade vernichtet werden sollen. Das Gericht hält es gleichwohl für wenig wahrscheinlich, dass der Prozessbevollmächtigte dem Kläger den Titel vor einer Vernichtung der Akten zugesandt hat. Dies folgt bereits aus dem naheliegenden Umstand, dass der Kläger anderenfalls das vorliegende Verfahren nicht durchführen müsste, um einen weiteren Vollstreckungsversuch zu veranlassen.
3. Der Beklagte wird etwaige Erfüllungseinwände im Wege der prozessual möglichen Abwehrmaßnahmen gegen eine Vollstreckung geltend machen müssen. Insbesondere erscheint es dem Gericht nicht ausgeschlossen, dass ein Teil der Forderung durch Pfändungen der Bezüge des Beklagten aufgrund des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vom 27.12.1978 in der Zeit bis zum Februar/März 1980 erfüllt ist. Wäre dies richtig, wären die an Eides Statt versicherten Erklärungen, es seien keinerlei Zahlungen erfolgt, unrichtig.
IV. Es bestehen keine Gründe, die Rechtsbeschwerde zuzulassen. Der Beschluss ist damit unanfechtbar.
LAG Niedersachsen:
Beschluss v. 23.05.2003
Az: 5 Ta 276/02
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