Landessozialgericht Baden-Württemberg:
Urteil vom 8. Dezember 2009
Aktenzeichen: L 11 KR 5031/09 ER-B
(LSG Baden-Württemberg: Urteil v. 08.12.2009, Az.: L 11 KR 5031/09 ER-B)
1. Für Streitigkeiten zwischen gesetzlichen Krankenkassen und Hilfsmittellieferanten über die Berechtigung zur Erbringung von Leistungen an gesetzlich Krankenversicherte ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben.2. Die Abgabe von Hilfsmitteln zu Lasten einer gesetzlichen Krankenkasse bedarf der vorherigen Genehmigung durch die Krankenkasse, falls in den Verträgen nach § 127 SGB V nichts anderes geregelt ist.3. Unternehmen, die Hilfsmittel herstellen, dürfen vertragsärztliche Verordnungen nicht annehmen, wenn sie keinen Vertrag nach § 127 SGB V geschlossen haben.4. Gesetzliche Krankenkassen haben einen Anspruch auf Herausgabe vertragsärztlicher Verordnungen gegenüber nicht zugelassenen Leistungserbringern.
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Konstanz vom 23. September 2009wird abgeändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, alle im Besitz der Antragsgegnerin befindlichen oder zukünftig in deren Besitz gelangenden Verordnungen über Hilfsmittel der Produktgruppe 09 - mit Ausnahme des Anwendungsgebietes Haut - für Versicherte der Antragstellerin an die Antragstellerin herauszugeben.Die Kosten des Antragsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragsgegnerin.Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 5.000 EUR,derjenige für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 EURfestgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin macht im Wege der einstweiligen Anordnung die Herausgabe ärztlicher Verordnungen geltend.
Die Antragstellerin ist eine gesetzliche Krankenkasse, deren Zuständigkeitsbereich sich auf den Freistaat Bayern erstreckt. Die Antragsgegnerin ist eine im Handelsregister des Amtsgerichts F. (HRB 580323) eingetragene Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) mit Sitz in S.. Sie vertreibt im gesamten Bundesgebiet Elektrostimulationsgeräte und verfügte über eine Zulassung nach § 126 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in der am 31. März 2007 geltenden Fassung (SGB V aF). Mit Beitrittserklärung vom 20. Dezember 2006 trat die Antragsgegnerin dem zwischen der Antragstellerin und dem Spitzenverband ambulante Nerven- und Muskelstimulation e.V. (sanum) geschlossenen Rahmenvertrag gemäß § 127 SGB V bei. Gegenstand dieses Vertrages war die Versorgung von Versicherten der Antragstellerin mit Elektrostimulationsgeräten sowie Reparaturen, Wartungen, notwendigem Zubehör und Verbrauchsmaterial. Dieser Rahmenvertrag wurde von der Antragstellerin zum 31. März 2009 gekündigt. Die Antragstellerin führte dann eine Ausschreibung für einen Vertrag zur Versorgung ihrer Versicherten mit Elektrostimulationsgeräten (Produktgruppe - PG - 09 des Hilfsmittelverzeichnisses) durch. Dazu bildete sie neun Regionallose, und zwar acht Lose in Anlehnung an die Regierungsbezirke in Bayern und ein Los für die Versorgung von Versicherten der Antragstellerin mit Wohnsitz im Bundesgebiet außerhalb des Bundeslandes Bayern. Ein Bieter konnte für maximal drei Lose ein Angebot abgeben. Die Ausschreibung wurde durch Zuschlagserteilung für jedes der gebildeten Regionallose beendet. Die mit den Losgewinnern geschlossenen Verträge traten am 1. April 2009 in Kraft. Die Antragsgegnerin erhielt in keinem der Regionallose den Zuschlag.
Auch nach dem 1. April 2009 erhielt die Antragsgegnerin direkt, dh ohne Übermittlung durch die Versicherten, von Vertragsärzten Verordnungen für Versicherte der Antragstellerin über Hilfsmittel der PG 09 übersandt. Die Antragsgegnerin teilte daraufhin den Versicherten mit, dass die Antragstellerin dafür die Kosten nicht mehr übernehmen werde. Trotzdem werde die Antragsgegnerin das Hilfsmittel zusenden. Sie habe die Antragstellerin bereits über ihre Vorleistung informiert und hoffe auf eine moralische Entscheidung der Antragstellerin im Sinne ihrer Patienten.
Die Antragstellerin forderte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 16. April 2009 auf, eine bestimmte, vorformulierte Unterlassungserklärung abzugeben. Die Antragsgegnerin kam dieser Aufforderung nur teilweise nach. Sie gab mit Datum vom 20. April 2009 eine Unterlassungserklärung ab, in der sie sich wie folgt verpflichtete:
Es zu unterlassen, gegenüber Versicherten der A. schriftlich oder in anderer Form zu behaupten, - seit dem 01.01.2009 werden die Mitglieder der A. nur noch durch einen Billiglieferanten mit Hilfsmitteln versorgt; - nicht jede der gesetzlichen Krankenkassen hat die Lieferung von Hilfsmitteln auf Billiglieferanten eingeschränkt.
Außerdem hatte sich die Antragsgegnerin schriftlich an die Antragstellerin gewandt und ua ausgeführt, aufgrund der hohen Qualität ihrer Versorgung und der damit einhergehenden Patientenzufriedenheit wollten viele Patienten auch weiterhin durch die Antragsgegnerin versorgt werden, so dass sie die ärztlichen Verordnungen im Rahmen des Patientenwahlrechts weiterhin erhalte. Den Patienten sei jedoch bewusst, dass sie aufgrund der gesetzlichen Regelungen dann 100% der Kosten zu tragen hätten. Die ihr vorliegenden Verordnungen dürfe sie daher nur unter der Voraussetzung an die Antragstellerin und damit auch an die Ausschreibungsgewinner weiterleiten, wenn die Antragsstellerin gegenüber ihr bzw den Patienten schriftlich bestätige, dass weiterhin eine qualitativ hochwertige Versorgung entsprechend den gesetzlichen Vorgaben eingehalten werde, wozu insbesondere die aktuell gültigen Bestimmungen des Hilfsmittelverzeichnisses gehörten.
Daraufhin forderte die Antragstellerin die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 17. April 2009 auf, sämtliche der Antragsgegnerin vorliegenden Verordnungen für Versicherte der Antragstellerin über Hilfsmittel der PG 09 unverzüglich entweder an die betreffenden Versicherten oder an die Antragstellerin weiterzuleiten. Der anschließende Schriftwechsel zwischen den Beteiligten führte zu keiner Annäherung der unterschiedlichen Standpunkte.
Am 3. Juli 2009 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Konstanz (SG) den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt und folgenden Antrag gestellt:
1. Es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollstrecken gegenüber dem Geschäftsführer der Antragsgegnerin, zu unterlassen, Verordnungen über Hilfsmittel der Produktgruppe 09 für Versicherte der Antragstellerin anzunehmen.
2. Alle sich im Besitz der Antragsgegnerin befindlichen Verordnungen über Hilfsmittel der Produktgruppe 09 für Versicherte der Antragstellerin an die Antragstellerin, hilfsweise an die Versicherten, für welche die Verordnungen ausgestellt wurden, herauszugeben.
3. Es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollstrecken gegenüber dem Geschäftsführer der Antragsgegnerin, zu unterlassen, die folgenden Aussagen oder Aussagen mit gleichem Aussagegehalt zu machen:
- Wir haben Ihre Krankenkasse bereits über unsere Vorleistung informiert und hoffen auf eine moralische Entscheidung der A. Bayern im Sinne Ihrer Patienten. - Alleiniges Zuschlagskriterium für die Auswahl des Gewinners war der Preis, ohne Rücksicht auf Kundenservice. ... Der Lieferant der A. Bayern muss Sie als Patient/in persönlich und unverzüglich, d.h. in der Regel bei Abgabe des Hilfsmittels an Sie, im medizinisch notwendigen Umfang in das Hilfsmittel in Ihrem häuslichen Umfeld einweisen. ... Sie haben grundsätzlich die Möglichkeit, Ihre Krankenkasse unter Einhaltung bestimmter Fristen zu wechseln. Nicht jede der gesetzlichen Krankenkassen hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die für Sie erforderlichen Produkte im Rahmen einer Ausschreibung zu vergeben.
4. Der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Diesem Antrag ist die Antragsgegnerin mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 30. Juli 2009 (Bl. 126/183 der SG-Akte) entgegengetreten.
Mit Beschluss vom 23. September 2009, der Antragstellerin zugestellt am 28. September 2009, hat das SG den Antrag abgelehnt. Hinsichtlich des Unterlassungsbegehrens fehle es an einem Anordnungsgrund und für das Herausgabeverlangen sei ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
Mit einem am 28. Oktober 2009 beim SG eingegangenen Schriftsatz hat die Antragstellerin Beschwerde eingelegt. Sie trägt im Wesentlichen vor, die Antragsgegnerin reiche weiterhin Verordnungen bei ihr ein, anstatt diese Verordnungen an die Versicherten zurückzusenden. Dies geschehe in Fällen, in denen außer einem Elektrosimulationsgerät noch Zubehör verordnet worden sei. Sie verweise hierzu auf die Kostenvoranschläge vom 4. September 2009 und 27. Oktober 2009. Das Verhalten der Antragsgegnerin stelle einen rechtswidrigen Eingriff in die Sicherstellung der Versorgung der Versicherten mit Hilfsmitteln durch die Antragstellerin dar. Die Antragstellerin sei verpflichtet, ihren Versicherten die Hilfsmittel als Sachleistung zur Verfügung zu stellen. Das Verhalten der Antragsgegnerin mache dies jedoch unmöglich. Nach §§ 33 Abs 6 Satz 2, 127 Abs 1 SGB V sei seit dem 1. April 2009 nur noch der jeweilige Ausschreibungsgewinner eines jeden Regionalloses berechtigt, Versicherte der Antragstellerin mit Hilfsmitteln der PG 09 zu versorgen. Ein Anspruch auf Herausgabe der Verordnungen an die Antragstellerin ergebe sich aus § 69 Abs 1 Satz 3 SGB V iVm § 1004 BGB iVm § 823 Abs 1 BGB. Da Vertragsärzte aus Gründen der Wirtschaftlichkeit ein Hilfsmittel nicht doppelt verordnen dürften, seien die Versicherten nicht in der Lage, das Hilfsmittel als Sachleistung zu erhalten. Das Verhalten der Antragsgegnerin verstoße auch gegen nachvertragliche Schutzpflichten. Außerdem unterstütze die Antragsgegnerin die verordnenden Ärzte in ihrem berufs- und datenschutzrechtswidrigen Vorgehen. Denn nach § 34 Abs 5 der Berufsordnung für die Ärzte Bayerns sei es dem Arzt nicht gestattet, Patienten ohne hinreichenden Grund an bestimmte Apotheken, Geschäfte oder Anbieter gesundheitlicher Leistungen zu verweisen. In den meisten Fällen seien die Verordnungen direkt von Ärzten an die Antragsgegnerin gesandt worden. Ein hinreichender Grund hierfür sei nicht ersichtlich. Es bestehe auch ein Anordnungsgrund. Das Verhalten der Antragsgegnerin verzögere die Versorgung der Versicherten mit medizinisch notwendigen und ärztlich verordneten Hilfsmitteln.
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Konstanz vom 23. September 2009 abzuändern und die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, alle im Besitz der Antragsgegnerin befindlichen oder zukünftig in den Besitz gelangenden Verordnungen über Hilfsmittel der Produktgruppe 09 - mit Ausnahme des Anwendungsgebietes Haut - für Versicherte der Antragstellerin an die Antragstellerin, hilfsweise an die Versicherten, für welche die Verordnungen ausgestellt wurden, herauszugeben.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen.
Die Antragsgegnerin ist der Ansicht, dass es für das Begehren der Antragstellerin an einer Anspruchsgrundlage fehle. Zudem habe sie schon im Antragsverfahren glaubhaft gemacht, dass sie die Verordnungen, die Ausschreibungsgegenstand gewesen seien, nicht mehr entgegennehme bzw diese noch am selben Tag an die Versicherten herausgebe. Wie die Antragstellerin selbst ausführe, betreffe dies nunmehr nur noch Fälle, in denen außer einem Elektrostimulationsgerät noch Fixierungen verordnet worden seien. Die von der Antragstellerin vorgelegten Kostenvoranschläge beträfen TENS-Geräte mit einer speziellen Fixierung für Elektroden gemäß der Hilfsmittelpositionsnummer 09.99.02.5000. Diese Fixierungen seien nicht Gegenstand der Ausschreibungen der Antragstellerin gewesen.
Hierzu hat die Antragstellerin mit einem am 2. Dezember 2009 beim Senat eingegangenen Schriftsatz ausgeführt, von der Ausschreibung seien nicht nur die TENS-Geräte erfasst gewesen, sondern auch Zubehör und Verbrauchsmaterialien.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akten des Senats und des SG samt Anlagen verwiesen.II.
Die gemäß § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragsstellerin ist zulässig. Die Beschwerde ist auch nicht nach § 172 Abs 3 SGG Nr 1 SGG in der seit 1 April 2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 29 Buchst b) des Gesetzes zur Änderung des SGG und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 - SGGArbGÄndG - (BGBl I, S 444) ausgeschlossen.
Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist bindend festgestellt (§ 17a Abs 5 Gerichtsverfassungsgesetz; vgl BGH, Beschluss vom 18. September 2009, V ZB 40/08, NJW 2008, 3572); er ergibt sich im Übrigen auch aus § 51 Abs 1 Nr 2, Abs 2 Satz 1 SGG. Für Streitigkeiten zwischen gesetzlichen Krankenkassen und Hilfsmittellieferanten über die Berechtigung zur Erbringung von Leistungen an gesetzlich Krankenversicherte ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet. Maßgeblich hierfür ist, dass die Rechtsbeziehungen der gesetzlichen Krankenkassen zu den Leistungserbringern von Heil- und Hilfsmitteln spätestens seit dem 1. Januar 2000 durch § 69 SGB V und die Ausgestaltung der §§ 124 bis 127 SGB V dem öffentlichen Recht zugewiesen worden sind. Auch das Abrechnungsverhältnis des einzelnen Leistungserbringers mit der jeweiligen Krankenkasse ist seitdem nicht mehr dem Privatrecht, sondern dem öffentlichen Recht zugeordnet (vgl BSG, Urteil vom 25. September 2001, B 3 KR 3/01 R, SozR 3-2500 § 69 Nr 1). Zu diesen Rechtsbeziehungen rechnet auch die Frage, ob die Krankenkasse einen Anspruch auf Herausgabe von im Besitz eines Hilfsmittellieferanten befindlichen ärztlichen Verordnungen über Hilfsmittel hat.
Die Beschwerde ist auch begründet.
Rechtsgrundlage für den von der Antragstellerin begehrten vorläufigen Rechtsschutz ist § 86b Abs 2 SGG. Nach Abs 2 Satz 1 dieser Vorschrift kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des § 86b Abs 1 SGG vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind nach § 86 b Abs 2 Satz 2 SGG auch zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwehr wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Vorliegend ist eine Regelungsanordnung zu treffen, weil die Herausgabe von Dokumenten begehrt wird. In der Hauptsache müsste das Anliegen mit einer (allgemeinen) Leistungsklage verfolgt werden. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die Prüfung der Erfolgsaussicht in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs 2 Zivilprozessordnung - ZPO).
Eine Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) ist zu bejahen. Die Antragstellerin weist zu Recht darauf hin, dass die Erbringung medizinisch notwendiger Leistungen nur verzögert wird, wenn die Antragsgegnerin ärztliche Verordnungen annimmt und einbehält, obwohl sie hierzu sowie zur Leistungserbringung nicht berechtigt ist. Auch ein Anordnungsanspruch ist gegeben. Rechtsgrundlage des Herausgabeverlangens ist entweder ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch oder ein Beseitigungsanspruch nach § 1004 BGB analog.
Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch, ein aus den allgemeinen Grundsätzen des öffentlichen Rechts hergeleitetes Rechtsinstitut, setzt voraus, dass im Rahmen eines öffentlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne rechtlichen Grund erbracht oder sonstige rechtsgrundlose Vermögensverschiebungen vorgenommen worden sind. Dabei gelten ähnliche Grundsätze wie nach §§ 812 ff BGB (BSG, Urteil vom 12. Juni 2008, B 3 KR 19/07 R, SozR 4-2500 § 109 Nr 9). Dass die Rechtsbeziehungen zwischen den Hilfsmittellieferanten und den gesetzlichen Krankenkassen dem öffentlichen Recht zuzuordnen sind, wurde bereits dargelegt. Im Übrigen verweist § 69 Abs 1 Satz 3 SGB V ergänzend auf die Vorschriften des BGB. Im Zivilrecht ist anerkannt, dass Gegenstand eines Bereicherungsanspruchs, das erlangte Etwas, auch nichtgegenständlicher Natur sein kann (Schwab in Münchener Kommentar zum BGB, 5. Auflage 2009, § 812 BGB RdNr 4; vgl auch BGH, Urteil vom 9. März 1990, V ZR 260/88, NJW 1990, 1662). Die Antragsgegnerin hat mit den von Vertragsärzten ausgestellten Verordnungen über die Abgabe von Hilfsmitteln etwas ohne Rechtsgrund erlangt, was nicht ihr, sondern der Antragstellerin zusteht. Sie ist daher verpflichtet, die in ihrem Besitz befindlichen Verordnungen über Hilfsmittel der PG 09 an die Antragstellerin herauszugeben.
Außerdem kommt als Rechtsgrundlage auch ein Beseitigungsanspruch analog § 1004 BGB in Betracht. Die Antragstellerin muss in ihrer Eigenschaft als öffentliche Auftraggeberin darauf achten, dass sie Verträge mit Hilfsmittellieferanten, die erfolglos an der Ausschreibung teilgenommen haben, nur schließt, wenn sie gesetzlich hierzu verpflichtet ist. Denn die Vorschriften des Vierten Teils des GWB sind Marktverhaltensregeln iS von § 4 Nr 11 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) und schränken die Vertragsfreiheit der öffentlichen Auftraggeber ein (BGH, Urteil vom 3. Juli 2008, I ZR 145/05, BGHZ 177, 150). Mit der Zurückhaltung der ihr nicht zustehenden Verordnungen hindert die Antragsgegnerin die Antragstellerin an der Einhaltung von Marktverhaltensregeln. Zur Beseitigung dieser Störung kann die Antragstellerin deshalb die Herausgabe der Verordnungen analog § 1004 BGB verlangen. Die analoge Heranziehung von § 1004 BGB dient auch der Sicherung des Versorgungsauftrags (§ 72 SGB V), den die Antragstellerin als gesetzliche Krankenkasse zu erfüllen hat, und damit letztlich dem Schutz der Funktionsfähigkeit der Sozialversicherung.
Nach § 19 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) werden die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nur auf Antrag erbracht, soweit sich aus dem SGB V nichts anderes ergibt. Auch im SGB V ist die Frage, ob eine Sachleistung der vorherigen Beantragung und Bewilligung durch die zuständige Krankenkasse bedarf, so geregelt, dass die vorherige Beantragung und Bewilligung der Leistung die Regel und das Absehen hiervon die Ausnahme ist. Ausnahmen vom Regelprinzip der vorherigen Beantragung und Bewilligung durch die Krankenkasse bestehen da, wo Eilbedürftigkeit gegeben ist oder gegeben sein kann (BSG, Urteil vom 24. September 2002, B 3 KR 2/02 R, SozR 3-2500 § 132a Nr 3). Falls nichts anderes geregelt ist, muss deshalb der Versicherte die Verordnung bei der Antragstellerin einreichen und diese darüber entscheiden, ob sie das verordnete Hilfsmittel bewilligt. Dabei kann sie in geeigneten Fällen durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) vor Bewilligung eines Hilfsmittels prüfen lassen, ob das Hilfsmittel erforderlich ist (§ 275 Abs 3 Nr 1 SGB V). Der Vertragsarzt handelt bei der Ausstellung der Verordnung kraft der ihm durch das Vertragsarztrecht verliehenen Kompetenzen als Vertreter der Krankenkasse und gibt mit Wirkung für und gegen diese eine Willenserklärung ab. Nach einer Bewilligung der Leistung durch die Krankenkasse kann der Versicherte die Verordnung bei einem zur Abgabe des Hilfsmittels berechtigten Hersteller oder Lieferanten des Hilfsmittels einreichen. Dieser kann dann das Vertragsangebot der Krankenkasse annehmen, indem er dem Versicherten das Hilfsmittel aushändigt (BSG, Urteil vom 17. April 1996, 3 RK 19/95, SozR 3-2500 § 19 Nr 2). Bis zur Leistungsbewilligung durch die Krankenkasse ist der Versicherte nicht berechtigt, die Verordnung bei einem Leistungserbringer einzureichen. Nach dem dargestellten Regelprinzip steht daher die ärztliche Verordnung auf jeden Fall bis zu einer Entscheidung über die Bewilligung der Leistung der Krankenkasse zu. Diesem Regelprinzip entsprach weitgehend auch der zwischen der Antragstellerin und dem Spitzenverband ambulante Nerven- und Muskelstimulation e.V. (sanum) geschlossene (und inzwischen gekündigte) Rahmenvertrag gemäß § 127 SGB V. Darin wurde in § 4 die Genehmigungspflicht sowie die Notwendigkeit eines Kostenvoranschlags und in § 5 das Vorgehen bei nicht genehmigungspflichtigen Produkten geregelt.
Häufig entspricht allerdings die Praxis der Leistungsgewährung im Hilfsmittelbereich nicht dem dargestellten Regelprinzip der vorherigen Beantragung und Bewilligung der Leistung durch die Krankenkasse. Dies beruht aber nicht auf einer (vom Gesetz abweichenden) tatsächlichen Übung, sondern auf einer bestimmten vertraglichen Gestaltung, mit der in rechtmäßiger Weise vom Regelprinzip abgewichen wird. So wird zB in § 4 Nr 1 des im Wege der Ausschreibung geschlossenen Vertrages geregelt, dass der Leistungserbringer die ärztliche Verordnung für das Hilfsmittel sowohl vom Versicherten als auch vom Verordner erhalten kann. In § 3 Nr 12 ist bestimmt, wie in Fällen einer vertraglich vorgesehenen Genehmigungspflicht durch die Antragstellerin zu verfahren ist. In der Rechtsprechung ist deshalb auch anerkannt, dass sogar ein genereller Verzicht der Krankenkasse auf eine vorherige Kostenübernahmeerklärung vereinbart werden kann (BSG, Urteil vom 17. April 1996, 3 RK 19/95, SozR 3-2500 § 19 Nr 2). Nur in diesen Fällen, in denen ein solcher Verzicht vereinbart oder das Verfahren der Leistungserbringung vertraglich anders geregelt ist, kann daher der Versicherte die ärztliche Verordnung direkt beim Lieferanten einreichen und nur insoweit besteht eine durch das Vertragsarztrecht vermittelte Kompetenz des Vertragsarztes, eine die Krankenkasse bindende Willenserklärung abzugeben. In den anderen Fällen (Regelprinzip) steht das mit der ärztlichen Verordnung erklärte Angebot der Krankenkasse auf Abschluss eines Vertrages mit dem Hilfsmittellieferanten unter der aufschiebenden Bedingung einer vorherigen Genehmigung der Leistung durch die Krankenkasse.
Im vorliegenden Fall stehen der Antragsgegnerin unter keinem Gesichtspunkt die ihr von den Vertragsärzten übersandten Verordnungen zu. Die Antragsgegnerin ist mit Abschluss der Ausschreibung aus dem Kreis der nach § 126 SGB V zur Abgabe von Hilfsmitteln der PG 09 Berechtigten ausgeschieden. Ihr steht auch nicht übergangsweise eine solche Berechtigung nach § 126 Abs 2 SGB V zu, weil inzwischen eine Ausschreibung erfolgt ist (§ 126 Abs 2 Satz 3 SGB V). Der Hinweis der Antragsgegnerin, die ihr vorgelegten Verordnungen beträfen nur noch Hilfsmittel, die nicht Gegenstand der Ausschreibung gewesen seien, ist unbeachtlich. Unabhängig davon, ob dies zutrifft oder nicht, ergibt sich hieraus keine Berechtigung, Leistungen zu Lasten der Antragstellerin abzugeben, da der frühere Rahmenvertrag wirksam gekündigt worden ist und daher zwischen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin keine vertraglichen Beziehungen in Bezug auf die hier streitigen Hilfsmittel mehr bestehen.
Die Antragsgegnerin kann sich ferner nicht auf eine angebliche Unwirksamkeit des im Wege der Ausschreibung zustande gekommenen Vertrages mit anderen Leistungserbringern berufen. Die Unwirksamkeit eines im Wege der Ausschreibung abgeschlossenen Vertrages kann nur im Rahmen eines (hier bereits abgeschlossenen) Nachprüfungsverfahrens festgestellt werden. Dies ergibt sich seit dem 24. April 2009 aus dem durch das Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20. April 2009 (BGBl I S 790) eingefügten § 101b des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), galt aber auch schon vorher nach dem bis zum 23. April 2009 geltenden § 13 der Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (Vergabeverordnung) idF der Bekanntmachung vom 11. Februar 2003 (BGBl I S 169; vgl hierzu BGH, Beschluss vom 1. Februar 2005, X ZB 27/04, BGHZ 162, 116). Nach Abschluss des Vergabeverfahrens kann der unterliegende Bieter nur noch Sekundärrechtsschutz in Anspruch nehmen.
Auch der Hinweis der Antragsgegnerin auf das Wahlrecht der Versicherten geht fehl. Die Versorgung der Versicherten erfolgt grundsätzlich nur über den Vertragspartner, wenn - wie hier - ein Vertrag nach § 127 Abs 1 SGB V abgeschlossen wurde (§ 33 Abs 6 Satz 2 SGB V). Einen anderen Leistungserbringer können sie nur wählen, wenn ein berechtigtes Interesse besteht (§ 33 Abs 6 Satz 3 SGB V). Die Ausübung des Wahlrechts kann nur durch den Versicherten selbst, nicht aber durch den Vertragsarzt erfolgen und außerdem erst, wenn die Leistung von der Antragstellerin bewilligt wurde. Denn insoweit gilt mangels einer vertraglichen Regelung das oben dargelegte Regelprinzip. Die Vertragsärzte waren und sind auch nicht berechtigt, die Verordnungen direkt an die Antragsgegnerin zu senden; auch hierfür fehlt es an einer vertraglichen Rechtsgrundlage. Im Übrigen besteht für die Antragstellerin nach § 127 Abs 5 SGB V auch die Pflicht, ihre Versicherten über die zur Versorgung berechtigten Vertragspartner zu informieren. Diese Pflicht würde konterkariert werden, wenn die Vertragsärzte berechtigt wären, die Verordnungen direkt an solche Leistungserbringer zu senden, die - wie die Antragsgegnerin - keine vertraglichen Beziehungen mit der Krankenkasse haben.
Das Verhalten der Vertragsärzte dürfte insoweit auch gegen § 34 Abs 5 der Berufsordnung für die Ärzte Bayern verstoßen. Danach ist es den Ärzten nicht gestattet, Patienten ohne hinreichenden Grund an bestimmte Anbieter von Gesundheitsleistungen zu verweisen. Ein Verstoß gegen diese Bestimmung dürfte insbesondere dann anzunehmen sein, wenn Vertragsärzte entgegen den gesetzlichen Bestimmungen Verordnungen an nicht zugelassene Leistungserbringer übersenden. Nur ergänzend sei darauf hingewiesen, dass der BGH (Urteil vom 9. Juli 2009, I ZR 13/07, GesR 2009, 549) derartige Reglungen in den Berufsordnungen der Ärzte als Marktverhaltensregeln iS von § 4 Nr 11 UWG wertet.
Die Kostenentscheidung beruht im Antragsverfahren auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 1, 155 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und im Beschwerdeverfahren auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 154 Abs 2 VwGO. Dabei ist zu berücksichtigen, dass im Antragsverfahren zwei unterschiedliche Ansprüche - auf Herausgabe und auf Unterlassung - geltend gemacht worden sind, aber nur das Herausgabeverlangen im Ergebnis erfolgreich war. Die Kosten des Antragsverfahrens sind daher gegeneinander aufzuheben. Dagegen hat die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren obsiegt.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs 2 Nr 4, 63 Abs 2 und 3 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von EUR 5.000,00 (Auffangstreitwert) anzunehmen. Hiervon ist vorliegend auszugehen, da das wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin nicht beziffert werden kann und genügend tatsächliche Anhaltspunkte für eine Schätzung fehlen. Hiervon ist ein Abschlag von 50% wegen der Vorläufigkeit der angestrebten einstweiligen Anordnung vorzunehmen; auszugehen ist demnach von 2.500 EUR je Antrag. Für das Antragsverfahren ergibt dies einen Streitwert von 5.000 EUR, für das Beschwerdeverfahren einen Streitwert von 2.500 EUR.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
LSG Baden-Württemberg:
Urteil v. 08.12.2009
Az: L 11 KR 5031/09 ER-B
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