Bundespatentgericht:
Beschluss vom 21. Juni 2001
Aktenzeichen: 15 W (pat) 42/00

(BPatG: Beschluss v. 21.06.2001, Az.: 15 W (pat) 42/00)

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Auf die am 22. Oktober 1987 eingereichte Patentanmeldung hat das Deutsche Patentamt das Patent 37 35 825 mit der Bezeichnung

"Vorrichtung zum Kalzinieren von pulverförmigen Materialien"

erteilt.

Nach Prüfung eines dagegen eingelegten Einspruchs hat die Patentabteilung 43 des Deutschen Patent- und Markenamts das Patent mit Beschluß vom 27. Juli 2000 in vollem Umfang aufrechterhalten.

Dem Beschluß lagen die erteilten Patentansprüche 1 bis 8 zugrunde. Der Patentanspruch 1 lautet:

"Vorrichtung zum Kalzinieren von pulverförmigen Materialien, insbesondere Zementrohstoffen, bestehend aus - einem von den Abgasen beheizten Vorwärmer (6) für die Rohstoffe,

- einer mit dem Vorwärmer (6) über eine Rohstoffleitung (15) verbundenen Kalziniereinheit (3, 4), die eine untere und eine obere Brennluftzufuhr (7, 8) sowie eine dazwischen angeordnete Brennstoffzufuhr (18) aufweist,

- mindestens einen mit der Kalziniereinheit (3, 4) über ein Gemischrohr (11) verbundenen Zyklon (5) zur Abscheidung des Kalzinierguts von den heißen Abgasen und - einem Drehrohrofen (1), der eintragsseitig an dem Kalziniergutaustrag des Abscheidezyklons (5) angeschlossen ist, dadurch gekennzeichnet, daß

- die Kalziniereinheit (3, 4) aus einer Kalzinierkammer (4) und einem Kalzinierkanal (3) besteht,

- die Kalzinierkammer (4) aus einem vertikalen und einem oben an diesen anschließenden schrägen zylindrischen Teil besteht und mit einer axialen Brennluftzufuhr (7) in ihrem Unterteil, einer tangentialen Brennluftzufuhr (8) in ihrem zylindrischen Mittelabschnitt sowie mit einer Brennstoffzufuhr (18) zwischen den beiden Brennluftzufuhren (7, 8) versehen ist,

- das schräge Oberteil der Kalzinierkammer (4) über eine Gemischleitung (10) mit einem schrägen, in Richtung vom Drehrohrofen (1) weggeneigten Unterteil des Kalzinierkanals (3) verbunden ist, der an ein Fußstück (2) des Drehrohrofens (1) anschließt,

- der obere Endteil des Kalzinierkanals (3) über ein Gemischrohr (11) mit dem Abscheidezyklon (5) verbunden ist, der über eine Abgasleitung (12) mit dem Vorwärmer (6) und über eine Leitung (16) für kalzinierten Rohstoff mit dem Fußstück (2) des Drehrohrofens (1) verbunden ist und - eine Rohrleitung (15) zum Einspeisen des Rohstoffes aus dem Vorwärmer (6) in den Unterteil der Kalzinierkammer (4) führt".

Zum Wortlaut der Patentansprüche 2 bis 8 siehe die Patentschrift 37 35 825.

Die Aufrechterhaltung des Patents wurde im wesentlichen damit begründet, daß der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ausreichend deutlich offenbart sei und im Hinblick auf den Stand der Technik nicht nur neu sei, sondern auch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

Als Stand der Technik wurde berücksichtigt:

(1) DE 23 44 094 B2,

(2) "ZEMENT-KALK-GIPS" Nr 7/1986, Seiten 351 bis 366.

Gegen diesen Beschluß hat die Einsprechende Beschwerde eingelegt und als weitere Literaturstelle genannt:

(3) "ZEMENT-KALK-GIPS" Nr 5/1979, Seiten 211 bis 221.

Zur Begründung hat sie im wesentlichen vorgetragen, daß der Patentgegenstand sich von der aus (1) bekannten Vorrichtung nur dadurch unterscheide, daß das Unterteil des Kalzinierkanals (3) schräg in Richtung vom Drehrohrofen weggeneigt sei. Da jedoch in (2) Bild 7 bei einer Kalziniereinrichtung eine schräge Abgasleitung gezeigt sei und auf Seite 353, rechte Spalte ausgeführt werde, daß die Gasleitung annähernd vertikal ausgerichtet sein soll, was auch "schräg" umfasse, sei es nicht erfinderisch, den in (1) gezeigten Abgaskanal entsprechend "schräg" zu gestalten und so zum Streitgegenstand zu gelangen.

Die Einsprechende beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent in vollem Umfang zu widerrufen.

Die Patentinhaberin tritt dem Vorbringen der Einsprechenden entgegen und beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Die Beschwerde der Einsprechenden ist frist- und formgerecht eingelegt worden (PatG § 73). Sie ist jedoch nicht erfolgreich.

1. Bezüglich einer ausreichenden Offenbarung der geltenden, in der Patentschrift veröffentlichten Patentansprüche 1 bis 8 bestehen keine Bedenken. Die Merkmale des geltenden Patentanspruchs 1 sind aus dem ursprünglichen Patentanspruch 1 in Verbindung mit der Figur und der Figurenbeschreibung herleitbar. Die Patentansprüche 2 bis 8 entsprechen den ursprünglichen Ansprüchen 2 bis 8.

2. Im Einspruchsschriftsatz vom 16. Januar 1998 hat die Einsprechende den Vorwurf erhoben, daß das Merkmal "schräg" im Streitpatent nicht definiert sei, also völlig unbestimmt sei. Ob dies im Sinne einer mangelnden Klarheit (kein Einspruchsgrund; vgl Schulte PatG, 5. Aufl, § 21 Rdn 6) oder - wie jetzt vorgetragen - im Sinne einer mangelnden Offenbarung einer vollständigen Lehre aufzufassen ist, was möglicherweise zu einem nicht zugelassenen Wechsel des Einspruchsgrundes führt (vgl Schulte PatG 5. Aufl § 59 Rdn 125), kann dahingestellt bleiben, da die Lehre des Streitpatents, wie sie im Patentanspruch 1 in Verbindung mit der Figur und der Beschreibung - auch in der ursprünglichen Fassung - dargestellt ist, von dem Fachmann, einem Verfahrenstechniker oder Anlagenbauer, der mit der Konstruktion und Fertigung solcher Anlagen befaßt ist, nachgebaut werden kann. Denn dort sind Winkellagen der "schrägen" Bauteile gezeigt, die meßbar sind und mögliche Ausgangswerte darstellen.

3. Die Neuheit der beanspruchten Kalziniervorrichtung wird von der Einsprechenden nicht bestritten. Sie ist auch gegeben, da - wie es sich aus den nachstehenden Erörterungen zur erfinderischen Tätigkeit ergibt - in keiner der entgegengehaltenen Druckschriften eine Kalziniervorrichtung beschrieben ist, die eine erste Kalzinierkammer mit einem schrägen zylindrischen Oberteil und einem daran anschließenden Kalzinierkanal mit einem schrägen in Richtung vom Drehrohrofen weggeneigten Unterteil beschrieben ist.

4. Die Entwicklung der beanspruchten Kalziniervorrichtung beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist von der Aufgabe auszugehen, eine Vorrichtung zum Kalzinieren von pulverförmigem Material, insbesondere von Zementrohstoffen zu schaffen, die einen verbesserten Ausbrand auch körniger Brennstoffe, eine gleichmäßigere Kalzinierung und einen höheren Wärmeaustausch-Wirkungsgrad ermöglicht. Gelöst wird diese Aufgabe durch die erfindungsgemäße Vorrichtung mit den Merkmalen des Patentanspruchs 1, wobei diese Kalziniervorrichtung neben anderen aus dem Stand der Technik bekannten Bauteilen besonders dadurch gekennzeichnet ist, daß

a) die Kalziniereinheit aus einer Kalzinierkammer 4 und einem Kalzinierkanal 3 besteht, b) die Kalzinierkammer 4 einen vertikalen und einen oben an diesen anschließenden schrägen zylindrischen Teil aufweist undc) das schräge Oberteil der Kalzinierkammer 4 über eine Gemischleitung mit einem schrägen, in Richtung vom Drehrohrofen weggeneigten Unterteil des Kalzinierkanals 3 verbunden ist.

Der nächstliegende Stand der Technik ist in (1) DE 23 44 094 B2 beschrieben, bei der in der Figur 1 neben den als aus dem Stand der Technik bekannten Bauteilen bezeichneten Merkmalen des Patentanspruchs 1 des Streitpatents auch das Merkmal a) verwirklicht ist, da auch dort eine Zweistufenkalzinierung in einem Topfkalzinator 5 und in der Rauchkammer 8 durchgeführt wird. Dabei werden diese beiden Kalzinierstufen durch einen Abgaskanal 7 verbunden, der am oberen Ende des Topfkalzinators angeschlossen zunächst vertikal nach oben führt und dann über zwei rechtwinklige Krümmer vertikal nach unten mit der Rauchgaskammer 8 verbunden ist. Der Fachmann sieht in dieser Konstruktion keine den Merkmalen b) und c) entsprechenden schrägen Bauteile, da diese Rohrkrümmer nicht als solche anzusehen sind, und bekommt daher aus dieser Druckschrift auch keine Anregungen dazu.

In der (2) ZEMENT-KALK-GIPS Nr 7/1986, Seite 354 Bild 7 wird ebenfalls eine Kalziniereinrichtung gezeigt, die dort jedoch mit zwei einstufigen Kalzinierstrecken arbeitet. Mit dieser Vorrichtung sollen über eine Art Bypass die Ofenrauchgase aufgeteilt werden können, um so eine optimale Ausnutzung des Wärmeangebots der Ofenrauchgase zu ermöglichen. Außerdem soll diese Vorrichtung dadurch auf jede Brennstoffart einstellbar sein. Die Verbindung vom Ofen zur dortigen Pyroclonstrecke erfolgt in dieser Darstellung zwar durch eine schräge Leitung, was aber den Fachmann wegen des völlig anderen Konstruktionsprinzips keine Anregungen zur Verwirklichung der patentgemäßen Merkmale b) und c) geben kann.

Die in derselben Literaturstelle im Bild 31 gezeigte RSP-Vorrichtung ist zwar auch zweistufig angelegt, arbeitet aber wiederum nach einem anderen Prinzip, da dort Zementrohmehl und Brenngase von oben in einen Drallkalzinator gegeben werden, dort also völlig andere Strömungsverhältnisse bestehen, die wiederum spezielle konstruktive Maßnahmen erfordern. Anregungen für die patentgemäßen Merkmale b) und c) sind daher auch dieser Abbildung nicht zu entnehmen.

In derselben Druckschrift wird im Bild 4 ein einstufiges Pyroclon-S-Verfahren gezeigt und dazu ausgeführt, daß eine gleichmäßige Verteilung des Rohmehls im Gasstrom am besten in einer annähernd vertikalen Gasleitung mit turbulenter Strömung zu erzielen sei (vgl (2) Seite 353 Abs 2). Die Einsprechende ist der Auffassung, daß die Angabe "annähernd vertikal" in (2) Seite 353, reSp Z 13-15 auch "schräg" einschließe und der Fachmann damit in Verbindung mit der Offenbarung von (1) zum Patentgegenstand gelange. Da jedoch auch hier nur ein einstufiges Kalzinierverfahren beschrieben ist und der differenzierte Aufbau einer Kalziniervorrichtung mit den Merkmalen b) und c) weder in (1), noch an dieser Stelle von (2) auch nur andeutungsweise erkennbar ist, kann auch die in Bild 4 beschriebene Vorrichtung weder allein noch in Zusammenschau mit (1) zum Streitgegenstand führen.

In (3) ZEMENT-KALK-GIPS Nr 5/1979 Seiten 211 bis 221 wird - wie schon in (2) - der RSP-Kalzinator gezeigt (vgl (3) Bild 8). In Bild 9 dieser Druckschrift wird das Schema eines KSV-Kalzinators abgebildet, wozu im Text ausgeführt wird, daß sich das KSV- vom RSP-Verfahren in der Hauptsache dadurch unterscheide, daß die Wirbel- und Mischkammer in einer einzigen Kammer vereinigt wurde (vgl Seite 217 reSp Abs 1). Dh, daß hier wieder eine Vorrichtung für ein einstufiges Verfahren beschrieben wird und dieses sich schon daher vom Streitgegenstand unterscheidet. Außerdem sind die Merkmale b) und c) auch nicht ansatzweise (3), weder in Bild 8, noch in Bild 9 verwirklicht, so daß der Fachmann auch diesen Druckschriften keine entsprechenden Anregungen dazu entnehmen kann.

Da damit diese Druckschriften weder einzeln, noch in einer Zusammenschau dem Fachmann Anregungen zur patentgemäßen Lösung der gestellten Aufgabe geben konnten, beruht die Entwicklung der Vorrichtung gemäß Patentanspruch 1 auf der erforderliche erfinderischen Tätigkeit. Die beanspruchte Vorrichtung, über deren gewerbliche Anwendbarkeit keine Zweifel bestehen, ist daher patentfähig.

Bei dieser Sachlage kann es dahingestellt bleiben, ob es sich bei den verschiedenen bekannten Verfahren um Wirbelbett- oder Flugstrom-Verfahren handelt, da schon die Schrägstellung der Bauteile gemäß den Merkmalen b) und c) den wesentlichen Unterschied zum Stand der Technik bringt.

Die Merkmale der Patentansprüche 2 bis 8 stellen vorteilhafte Ausgestaltungen der Vorrichtung nach Patentanspruch 1 dar und sind daher mit diesem ebenfalls gewährbar.

Kahr Deiß

Jordan Schroeterbr/Pü






BPatG:
Beschluss v. 21.06.2001
Az: 15 W (pat) 42/00


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