Bundespatentgericht:
Urteil vom 14. November 2007
Aktenzeichen: 1 Ni 14/07

(BPatG: Urteil v. 14.11.2007, Az.: 1 Ni 14/07)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des auch mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 603 775 (Streitpatent). Das Streitpatent ist in deutscher Verfahrensprache unter Inanspruchnahme der Priorität der deutschen Patentanmeldung 42 44 127 vom 24. Dezember 1992 und des deutschen Gebrauchsmusters 93 15 912 U vom 19. Oktober 1993 erteilt worden und wird beim Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer 593 03 650 geführt. Der Gegenstand des Streitpatents ist bezeichnet mit "Verfahren zum dichtschließenden Verbinden eines Kanalrohrs mit einem Anschlussrohr und verspannbares Anschlussrohr hierfür". Es umfasst 16 Patentansprüche, von denen die Ansprüche 1 bis 5 das Verfahren zum Verbinden des Kanalrohrs mit dem Anschlussrohr betreffen, die Ansprüche 6 bis 16 das verspannbare Anschlussrohr.

Patentanspruch 1 lautet wie folgt:

Verfahren zum dichtschließenden Verbinden eines Kanalrohrs (1) mit einem Anschlussrohr (2), das an einem Ende mit einer umlaufenden Dichtungshaltekammer (10) versehen ist, mit folgenden Verfahrenschritten:

- das Kanalrohr (1) wird mit einer Abzweigöffnung (11) versehen,

- in die Dichtungshaltekammer (10) wird eine Ringdichtung (6) eingelegt, die eine über die Außenseite der Dichtungshaltekammer reichende Dichtungslippe (7) mit einem eine Endverdickung (8) ausbildenden oder versehenen Ende besitzt,

- das Anschlussrohr (2) wird mit der Dichtungshaltekammer (10) voran in die Öffnung (11) geschoben, und zwar so weit, dass die beim Einschieben in die Dichtungshaltekammer (10) eingestülpte Dichtungslippe (7) unter den Innenrand des Kanalsrohrs (1) gelangt und ausgestülpt wird,

- anschließend das Anschlussrohr (2) in der Öffnung (11) nach außen gezogen und verspannt wird, so dass die Dichtungslippe (7) mit der Endverdickung (8) den Spalt zwischen der Dichtungshaltekammer (10) und der Innenfläche (112) des Kanalrohrs (1) verschließt.

Anspruch 6 lautet wie folgt:

Verspannbares Anschlussrohr für ein Kanalrohr, das eine Abzweigöffnung besitzt, zum Versehen mit einer Abzweigung unter Durchführung des Verfahrens nach einem der vorhergehenden Ansprüche 1 bis 5, mit einer an einem Ende des Anschlussrohres (2) angeordneten Dichtungshaltekammer (10), in die eine Ringdichtung (6) eingelegt ist, die eine über die Außenseite der Dichtungshaltekammer (10) reichende Dichtungslippe (7) mit einem eine Endverdickung (8) ausbildenden oder mit einer Endverdickung versehenen Ende besitzt und einer Verspanneinrichtung (4) mit der die Ringdichtung (6) verspannbar ist.

Wegen der unmittelbar und mittelbar auf die Ansprüche 1 bzw. 6 rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 5 bzw. 7 bis 16 wird auf die Streitpatentschrift EP 0 603 775 B1 verwiesen.

Die Klägerin ist der Auffassung, der Gegenstand des Patentanspruchs 1 sei durch den druckschriftlichen Stand der Technik vorweggenommen, in jedem Falle aber nahegelegt.

Hierzu beruft sie sich auf - die deutsche Patentschrift 34 46 360 C2 (Anlage K1) mit zugehöriger Offenlegungsschrift - die französische Patentanmeldung 2 233 555 A1 (Anlage K2), bzw. die der K2 entsprechende deutsche Offenlegungsschrift 24 27 637 A1 (Anlage K2D)

- die US-Patentschrift 4 411 458 (Anlage K3)

- die französische Patentanmeldung 2 584 475 A1 (Anlage K4) und - die französische Patentanmeldung 2 269 673 A2 (Anlage K5).

Auch der Gegenstand des nebengeordneten Anspruchs 6 sowie der übrigen untergeordneten Ansprüche sei entweder nicht neu oder gegenüber dem vorbekannten Stand der Technik nicht erfinderisch.

Die Klägerin beantragt, das europäische Patent 0 603 775 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie tritt dem klägerischen Vortrag entgegen und meint insbesondere, bei keinem der Gegenstände aus den Entgegenhaltungen sei eine Ringdichtung mit Dichtungslippe, die eine Endverdickung besitze oder ausbilde, in eine Dichtungshaltekammer eingelegt. Der Fachmann erhalte aus dem Stand der Technik auch keine Anregung, das Verfahren so durchzuführen oder das Anschlussrohr so zu gestalten, wie es im Streitpatent vorgesehen sei.

Gründe

Die zulässige Klage, mit der der Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit geltend gemacht wird (Artikel II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Artikel 138 Abs. 1 lit a, 52, 54, 56 EPÜ), ist nicht begründet.

I.

1. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zum Verbinden eines Kanalrohrs mit einem Anschlussrohr und ein verspannbares Anschlussrohr hierfür.

Derartige Verfahren und Anschlussrohre sind nach der Beschreibung des Streitpatents im Stand der Technik bekannt. Bei dem in der deutschen Offenlegungsschrift 34 46 360 A1 offenbarten Verfahren und Anschlussrohr sei jedoch nachteilig, dass die Dichtung auf der Oberfläche des Kanalrohrs aufliege und eine Abdichtung nur zwischen Dichtungskammer und Innenwand der Öffnung erfolge. Diese Dichtung sei nicht sicher, so dass sie öfter erneuert werden müsse und ihre Herstellung damit aufwendiger werde.

Bei dem in der deutschen Offenlegungsschrift 37 16 973 A1 offenbarten Verfahren bestehe ebenfalls nur eine Abdichtung zwischen der Öffnung des Kanalrohrs und dem Anschlussrohr sowie mit der Außenwand des Kanals. Diese Dichtung sei zur Aufrechterhaltung der Abdichtung von einer unverändert bestehenden Elastizität des Dichtringes abhängig.

In der österreichischen Patentschrift 332 815 werde ein Dichtring für Außenverbindungen zwischen einem Kanalrohr und einem zu diesem etwa senkrecht stehenden Anschlussrohr angegeben. Hierbei sei nachteilig, dass die eigentliche Abdichtung nur zwischen dem geraden Anschlussrohr und der gegenüberliegenden Fläche des Dichtringes erfolge. Diese Dichtung sei nur in geraden Kanalwänden einsetzbar.

Bei dem in der deutschen Patentschrift 36 18 963 C2 offenbarten Verfahren sei schließlich nachteilig, dass die dort offenbarte dichtschließende Verbindung zwischen dem Kanalrohr und dem Anschlussrohr nur mit hohem Material- und Montageaufwand herstellbar sei.

2. Zur Vermeidung der bei den Verfahren und Vorrichtungen im Stand der Technik vorhandenen Nachteile soll durch das Streitpatent ein Verfahren zum dichtschließenden Verbinden eines Kanalrohrs mit einem Anschlussrohr und ein Anschlussrohr angegeben werden, mit denen eine dichtschließende Verbindung einfach herstellbar und eine dauerhafte und sichere Abdichtung zwischen Kanalrohr und Anschlussrohr sowie eine Halterung des Anschlussrohrs im Kanalrohr gegeben ist (vgl. die Angabe der Aufgabe auf Seite 2, Zeile 49 bis 52 der Streitpatentschrift).

Zur Lösung offenbart Patentanspruch 1 des Streitpatents ein 1.1 Verfahren zum dichtschließenden Verbinden eines Kanalrohrs (1) mit einem Anschlussrohr (2).

1.1.1 Das Anschlussrohr (2) ist an einem Ende mit einer umlaufenden Dichtungshaltekammer (10) versehen.

Das Verfahren weist folgende Verfahrensschritte auf:

1.2 Das Kanalrohr (1) wird mit einer Abzweigöffnung (11) versehen.

1.2.1 In die Dichtungshaltekammer (10) wird eine Ringdichtung (6) eingelegt.

1.2.2 Die Ringdichtung (6) besitzt eine über die Außenseite der Dichtungshaltekammer (10) reichende Dichtungslippe (7).

1.2.3 Die Dichtungslippe (7) ist mit einem eine Endverdickung (8) ausbildenden oder versehenen Ende versehen.

1.3. Das Anschlussrohr (2) wird mit der Dichtungshaltekammer (10) voran in die Abzweigöffnung (11) geschoben.

1.3.1 Die Dichtungslippe (7) wird beim Einschieben in die Dichtungshaltekammer (10) eingestülpt.

1.3.2 Das Anschlussrohr (2) wird so weit in die Abzweigöffnung (11) geschoben, dass die eingestülpte Dichtungslippe (7) unter den Innenrand des Kanalrohrs (1) gelangt und 1.3.3 die eingestülpte Dichtungslippe (7) ausgestülpt wird.

1.4 Das Anschlussrohr (2) wird anschließend in der Abzweigöffnung (11) nach außen gezogen und verspannt.

1.4.1 Die Dichtungslippe (7) verschließt mit der Endverdickung (8) den Spalt zwischen der Dichtungshaltekammer (10) und der Innenfläche (112) des Kanalrohrs (1).

Der unabhängige Patentanspruch 6 des Streitpatents beschreibt ein 6.1 Verspannbares Anschlussrohr (2) für ein Kanalrohr (1), welches eine Abzweigöffnung (11) besitzt, zum Versehen mit einer Abzweigung unter Durchführung des Verfahrens wie im unabhängigen Anspruch 1 beschrieben, 6.2 mit einer an einem Ende des Anschlussrohrs (2) angeordneten Dichtungshaltekammer (10), 6.3 in die eine Ringdichtung (6) eingelegt ist, 6.4 die eine über die Außenseite der Dichtungshaltekammer (10) reichende Dichtungslippe (7) mit einem eine Endverdickung (8) ausbildenden oder mit einer Endverdickung versehenen Ende besitzt, und 6.5 mit einer Verspanneinrichtung (4), mit der die Ringdichtung (6) verspannbar ist.

Nach dem Streitpatent muss demnach bei der Herstellung der dichtschließenden Verbindung das Anschlussrohr 2 nach dem Einlegen der Ringdichtung 6 in die Dichtungskammer 10 durch die in das Kanalrohr 1 eingebrachte Abzweigöffnung 11 hindurch geschoben werden, wobei die Dichtungslippe 7 der Ringdichtung eingestülpt wird. Das Anschlussrohr 2 wird so weit in die Abzweigöffnung 11 geschoben, bis die Dichtungslippe 7 unter den Innenrand des Kanalrohrs gelangt und sich wieder ausstülpt. Nach einem Hochziehen und Verspannen des Anschlussrohrs 2 mit der Wand des Kanalrohrs 1 tritt die dichtende Wirkung ein, wobei die Dichtungslippe 7 mit der Endverdickung 8 den Spalt zwischen der Dichtungshaltekammer 10 und der Innenfläche 112 des Kanalrohrs 1 verschließt (Seite 3, Zeilen 7 bis 11, und die hier wiedergegebene Figur 1 der Streitpatentschrift (SPS)).

Als Dichtungshaltekammer 10 ist eine beispielsweise J- oder U-förmig ausgebildete Kammer anzusehen, in die die Ringdichtung 6 eingelegt wird. Sie legt einerseits die Ringdichtung 6 in Schieberichtung des Anschlussrohrs 2 fest, damit die Ringdichtung 6 beim Einschieben des Anschlussrohrs 2 zuverlässig durch die Abzweigöffnung 11 bis unter den Innenrand des Kanalrohrs 1 verschoben wird. Andererseits weist die Dichtungshaltekammer 10 Mittel z. B. in Form eines nach außen gerichteten Flansches auf, um beim Verspannen des Anschlussrohrs 2 eine Abdichtung zwischen der Dichtungshaltekammer 10 und der Innenfläche des Kanalrohrs 1 herbeizuführen.

II.

Das durch Patentanspruch 1 geschützte Verfahren erweist sich als patentfähig.

1. Es ist durch den Stand der Technik nicht vorweggenommen.

Die Klägerin stützt in der mündlichen Verhandlung ihr Vorbringen zur Neuheit vor allem auf die FR 2 233 555 A1 (K2).

Aus dieser Druckschrift ist ein verspannbares Anschlussrohr (pièce intercalaire 4) mit einem ein Außengewinde (filetage 11) aufweisenden Teil bekannt, auf dem ein Gewindering (ecrou tendeur 12) angeordnet ist. Das Anschlussrohr 4 weist einen Zentralteil 5 geringeren Durchmessers auf. Auf dem Zentralteil 5 ist axial verschiebbar ein Auflagering (bague de serrage 15) angeordnet, der auf der Außenseite eines Kanalrohrs (tuyau principale 1) aufliegt. Weiter ist auf dem Zentralteil 5 eine Ringdichtung (bague d'etoupage 18) angeordnet. Das untere Ende des Zentralteils 5 ist mit einem Innenbund (rebord d'aboutement 6) und einem Außenbund (collet 7) ausgebildet. Außenbund 7 und Ringdichtung 18 weisen einen Außendurchmesser auf, der im Wesentlichen dem Durchmesser der Abzweigöffnung (trou circulaire 2) entspricht (Seite 3, Zeile 25, bis Seite 4, Zeile 17, und hier wiedergegebene Figur der K2).

Die Montage des Anschlussrohrs 4 erfolgt nach Seite 4, Zeile 17, bis Seite 5, Zeile 1, der K2 in einem ersten Schritt durch Einbringen der Abzweigöffnung 2 in das Kanalrohr 1. Dann wird das Anschlussrohr 4 mit dem Außenbund 7 und der Ringdichtung 18 voran in die Abzweigöffnung 2 eingesteckt. Dies ist ohne Probleme möglich, da der Außendurchmesser des Außenbunds 7 und der Ringdichtung 18 im Wesentlichen dem Innendurchmesser der Abzweigöffnung 2 entsprechen. Anschließend wird der Auflagering 15 auf dem Kanalrohr 1 ausgerichtet und zusammen mit dem Anschlussrohr 4 gegen das Kanalrohr 1 gedrückt. Ein Zurückziehen erfolgt nicht. Zum Verspannen wird der Gewindering 12 angezogen. Dadurch wird die Ringdichtung 18 zwischen dem Auflagering 15 und dem Außenbund 7 des Anschlussrohrs 4 verquetscht und legt sich an die Innenseite der Abzweigöffnung 2 an.

Dieses bekannte Verfahren weist somit offensichtlich die Merkmale 1.1, 1.2, 1.2.1 und 1.3 des Patentanspruchs 1 gemäß Streitpatent auf. Ein Unterschied ergibt sich jedoch bereits durch das Merkmal 1.1.1, da das bekannte Anschlussrohr 4 nicht wie beim Streitpatent eine an einem Ende des Anschlussrohrs 4 angeordnete Dichtungshaltekammer aufweist. Denn die axiale Beweglichkeit der Ringdichtung 18 wird nicht durch eine am Anschlussrohr angeordnete Kammer, sondern durch den Außenbund 7 und den Auflagering 15 festgelegt, der nicht Bestandteil des Anschlussrohrs 4 ist. Außerdem weist die Ringdichtung 18 keine Dichtungslippe auf, die über die Außenseite der Dichtungshaltekammer reicht, da die Ringdichtung 18 zylindrisch ausgebildet ist und der Außendurchmesser der Ringdichtung 18 dem Außendurchmesser des Außenbundes 7 entspricht (Seite 3, Zeilen 32 bis 34, und Seite 4, Zeilen 13 bis 17, der K2). Damit sind in der Entgegenhaltung FR 2 233 555 A1 (K2) ebenfalls alle die Dichtungslippe betreffenden Verfahrensschritte nicht gezeigt, nämlich dass - die Ringdichtung eine über die Außenseite der Dichtungshaltekammer reichende Dichtungslippe besitzt (Merkmal 1.2.2 der SPS),

- die mit einem eine Endverdickung ausbildenden oder versehenen Ende versehen ist (Merkmal 1.2.3),

- beim Einschieben des Anschlussrohrs die Ringdichtung mit einer in eine Dichtungshaltekammer eingestülpten Dichtungslippe bis unter den Innenrand des Kanalrohrs geschoben wird (Merkmale 1.3.1, 1.3.2), und - bei Gelangen der Dichtungslippe unter den Innenrand des Kanalrohrs die Dichtungslippe aus der Dichtungshaltekammer ausgestülpt wird (Merkmal 1.3.3),

- eine derartige Dichtungslippe mit einer Endverdickung den Spalt zwischen der Dichtungshaltekammer und der Innenfläche des Kanalrohrs verschließt (Merkmal 1.4.1).

Das aus der DE 34 46 360 C2 (K1) und der zugehörigen Offenlegungsschrift als Stand der Technik bekannte Verfahren und die gegenständliche Ausbildung des dazu beschriebenen Anschlussrohrs stimmen nach Angaben der Klägerin mit denen nach der FR 2 233 555 A1 (K2) überein, so dass auf die Ausführungen zur FR 2 233 555 A1 (K2) verwiesen wird.

Den weiteren Stand der Technik hat die Klägerin nicht zur mangelnden Neuheit angeführt. Die aus den vorgelegten Druckschriften bekannten technischen Lehren stehen dem Streitpatent offensichtlich nicht neuheitsschädlich entgegen.

2. Das durch Patentanspruch 1 des Streitpatents geschützte Verfahren beruht auf erfinderischer Tätigkeit, denn es war für den Fachmann, dessen Verständnis Maßstab sowohl für die Auslegung des Patentanspruchs als auch für die Beurteilung der erfinderischen Leistung ist, nicht durch den Stand der Technik nahegelegt.

a. Fachmann ist hier ein Diplomingenieur der Fachrichtung Bauingenieurwesen, der über Erfahrungen in der Entwicklung und Konstruktion von Rohrleitungsverbindungen im Bereich der Kanalisation verfügt. Zu seinem Tätigkeitsgebiet gehören der Umgang mit Betonarbeiten ebenso wie Kenntnisse auf dem Gebiet der Abwassertechnik. Der Fachmann wird die Materialeigenschaften der Rohre und insbesondere die speziellen Anforderungen an Rohrleitungen im Tiefbau beachten, weil die patentgemäßen Leitungen den Erdbewegungen und gegebenenfalls der Aggressivität des hier umgebenden Erdreichs standhalten müssen. Deshalb wird der Fachmann, wenn er sich im Stand der Technik informiert, nur verwandte Einsatzbereiche von Rohrleitungen berücksichtigen.

b. Aus der FR 2 233 555 A1 (K2) ist bekannt, im Kanalrohr eine Abzweigöffnung vorzusehen und das Anschlussrohr mit seinem unteren Ende durch diese Abzweigöffnung zu stecken. Anschließend wird die Ringdichtung zwischen dem auf der Außenseite des Kanalrohrs angeordneten Auflagering und dem sich innen im Rohr befindlichen Außenflansch des Anschlussrohrs verspannt. Durch dieses Verspannen weitet sich die Ringdichtung auf und legt sich an die innere Oberfläche der Abzweigöffnung im Kanalrohr an. Die Abdichtung erfolgt somit im Wesentlichen einerseits zwischen der Außenseite des Anschlussrohrs und der Innenseite der Dichtung sowie andererseits zwischen der Außenseite der Ringdichtung und der Innenseite der Abzweigöffnung im Kanalrohr.

Der zuständige Fachmann wird sich in seinem Bestreben nach Verbesserung der Abdichtung natürlich im Stand der Technik nach anderen Lösungen umsehen. Doch keine der im Verfahren befindlichen Druckschriften lehrt ihn, von dieser Art der Abdichtung durch eine zwischen Anschlussrohr und Innenseite der Abzweigöffnung im Kanalrohr verpresste Dichtung abzugehen, die zwischen zwei auf gegenüberliegenden Seiten der Rohrwand angeordneten Vorrichtungsteilen verspannt wird.

Diesen aus allen angeführten Druckschriften bekannten Weg hat die Patentinhaberin verlassen. Sie verlegt die Abdichtungsstelle von der Innenseite der Abzweigöffnung im Kanalrohr auf die innere Oberfläche des Kanalrohrs. Die Abdichtung erfolgt nämlich erfindungsgemäß durch die Endverdickung der Dichtungslippe, die beim Verspannen des Anschlussrohrs den Spalt zwischen der Dichtungshaltekammer und der Innenfläche des Kanalrohrs verschließt (Merkmal 1.4.1 des beanspruchten Verfahrens). Auf eine Abdichtung auf der Innenseite der Abzweigöffnung im Kanalrohr kommt es daher nicht an. Um diese Verlegung der Abdichtungsstelle durchzuführen und trotzdem die Rohrleitungsverzweigung durch einfaches Einstecken des Anschlussrohrs in die Abzweigöffnung im Kanalrohr zu ermöglichen, weist die Ringdichtung eine Dichtungslippe mit einer Endverdickung auf, die über die Außenseite der Dichtungshaltekammer reicht. Die Dichtungslippe ermöglicht das Ein- und Ausstülpen der Dichtung bei der Montage. Die Endverdickung führt zu einer zuverlässigen Abdichtung des Spalts zwischen der Dichtungshaltekammer und der Innenfläche des Kanalrohrs. Vor allem diese konstruktive Ausgestaltung der Ringdichtung ermöglicht das beanspruchte Verfahren, für das es im Stand der Technik keine Anregung gibt.

Die von der Klägerin hierzu angeführte US-PS 4 411 458 (K3) gibt dem Fachmann keine Anregung in diese Richtung. Denn dort wird, wie bereits aus der FR 2 233 555 A1 (K2) bekannt, die Ringdichtung (resilient cylindrical sleeve 24) zwischen einer Anschlagplatte (coupling sleeve 26) auf einer Seite der Wand des Kanalrohrs 28 und einem Außenflansch (shoulder portion 20) am Anschlussrohr (cylindrical stem 13) auf der anderen Seite des Kanalrohrwand verspannt und füllt den gesamten Raum zwischen diesen beiden Gegenlagern aus (Spalte 4, Zeilen 59 bis 69, Spalte 5, Zeile 9, bis Spalte 6, Zeile 27, mit Figuren 1 bis 4 der K3). Eine Dichtungslippe ist dort entgegen der Auffassung der Klägerin nicht offenbart. Denn die Dichtung weist im unverpressten Zustand in ihrer Hauptrichtung einen im wesentlichen ringzylindrischen Dichtungskörper auf, der etwa die Höhe der Kanalwand aufweist (Spalte 4, Zeilen 59 bis 69, und Figur 1 der K3). An beiden Enden läuft die Dichtung in dreieckförmige Ansätze aus, die die Dichtung in ihrer Hauptrichtung verlängern. Weder der Außendurchmesser noch der Innendurchmesser der Dichtung werden durch diese Ansätze beeinflusst. Eine Dichtungslippe, die sich ein- und ausstülpen könnte, wird somit nicht gezeigt.

Die weiteren Druckschriften führen den Fachmann ebenfalls nicht zum beanspruchten Verfahren. Die Klägerin hat sie in der mündlichen Verhandlung auch nicht mehr angeführt.

III.

Auch das in Patentanspruch 6 offenbarte Anschlussrohr ist durch den Stand der Technik weder vorweggenommen noch nahegelegt.

1. Die mit dem Streitpatent beanspruchte Vorrichtung ist nicht aus dem von der Klägerin angeführten Stand der Technik bekannt.

Zum Patentanspruch 6 hat die Klägerin hinsichtlich mangelnder Neuheit ebenfalls die FR 2 233 555 A1 (K2) angeführt. Wie aus den vorherigen Ausführungen folgt, weist das daraus bekannte Anschlussrohr keine Dichtungshaltekammer im Sinne des Streitpatents, die die Ringdichtung in Axialrichtung festlegt, und auch keine Ringdichtung mit einer Dichtungslippe auf. Somit unterscheidet sich das beanspruchte Anschlussrohr von dem nach der K2 durch eine - Dichtungshaltekammer (Merkmal 6.2) und durch eine - Ringdichtung mit einer Dichtungslippe, die über die Außenseite einer Dichtungshaltekammer hinausreicht und die mit einem eine Endverdickung ausbildenden oder mit einer solchen aufweisenden Ende versehen ist (Merkmal 6.4).

2. Die durch Patentanspruch 6 des Streitpatents geschützte Vorrichtung beruht auf erfinderischer Tätigkeit, denn sie war für den Fachmann nicht durch den Stand der Technik nahegelegt.

Mit dem Verfahren nach Patentanspruch 1 ist auch die beanspruchte Vorrichtung nach Patentanspruch 6 patentfähig, da sie durch den Rückbezug "unter Durchführung des Verfahrens nach einem der vorhergehenden Ansprüche 1 bis 5" auch alle Verfahrensmerkmale des Patentanspruchs 1 enthält, deren Patentfähigkeit vorstehend begründet wurde. Aber auch für sich allein ist die Vorrichtung nach Patentanspruch 6 patentfähig, da mit ihr die für diese Anwendung erfinderische Ausgestaltung der Ringdichtung mit Dichtungslippe beansprucht wird, für die es im angeführten Stand der Technik keine Anregungen gibt.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 ZPO.

Lutz Bork Schuster Bülskämper Reinhardt Pü






BPatG:
Urteil v. 14.11.2007
Az: 1 Ni 14/07


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