Landgericht Hamburg:
Urteil vom 3. Februar 2005
Aktenzeichen: 315 O 303/04
(LG Hamburg: Urteil v. 03.02.2005, Az.: 315 O 303/04)
Tenor
I. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu 6 (sechs) Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000,- EURO; Ordnungshaft insgesamt höchstens 2 (zwei) Jahre) zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs im Internet werbliche Informationen über verschreibungspflichtige Arzneimittel in einer Weise zu verbreiten, dass diese Informationen auch außerhalb der medizinischen Fachkreise ohne weiteres zugänglich sind.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist für die Klägerin vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand
Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits sind Angaben der Beklagten über von ihr hergestellte und vertriebene verschreibungspflichtige Arzneimittel auf von ihr für diese Arzneimittel betriebenen Webseiten im Internet.
Die Parteien sind Arzneimittelunternehmen, die miteinander im unmittelbaren Wettbewerb stehen. Die Beklagte betreibt für das von ihr hergestellte und vertriebene Produkt "V...(R)", bei welchem es sich um ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel handelt, die Webseite " www.v....de ". Auf der Startseite dieser Webseite, welche ohne weiteres aufgerufen werden konnte und deren Inhalt ohne weiteres zugänglich war, wurde die Verpackung des Arzneimittels "V...(R)" abgebildet. Zudem befand sich dort ein Hinweis auf die Indikationen (Behandlung von Symptomen bei Reizzuständen degenerativer Gelenkerkrankungen oder rheumatoider Arthritis bei Erwachsenen) durch die Benennung der Begriffe "Gelenkschmerz", "Gelenkserkrankungen" und "Rheuma". Des Weiteren gab es auf der bezeichneten Startseite einen frei zugänglichen, nicht passwortgeschützten Link zu der Gebrauchsinformation für im Sinne von § 11 AMG, deren gesamter Text über diesen Link frei zugänglich war. Schließlich befand sich auf der Startseite der bezeichneten Webseite noch ein Link, der dem Besucher dieser Seite die Möglichkeit eröffnete, den Beitrag "an einen Freund oder Kollegen" weiterzuleiten.
Das Produkt ... zieht die Beklagte derzeit vom Markt zurück. Ähnliche, entsprechend aufgebaute, Webseiten wie für das Produkt ... betrieb die Beklagte für die anderen von ihr hergestellten und vertriebenen verschreibungspflichtigen Arzneimittel "F..." ( "www.f....de ") und "S..." ( "www.s....de ").
Mit Beschluss vom 31. Juli 2003 hat das Landgericht Hamburg, Zivilkammer 12, im Wege einer einstweiligen Verfügung auf Antrag der Klägerin gegen die Beklagte u. a. ein Verbot im Sinne der Ziff. I.) des Tenors des vorliegenden Urteils ausgesprochen (Az. 312 0 576/03).
Vorliegend betreibt die Klägerin das Hauptsacheverfahren.
Sie ist der Auffassung, die bezeichneten Angaben auf den von der Beklagten betriebenen Webseiten, insbesondere der Webseite für das Arzneimittel verstießen als Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel außerhalb der Fachkreise gegen § 10 Abs. 1 des Gesetzes über die Werbung auf dem Gebiete des Heilwesens (Heilmittelwerbegesetz - HWG). Gegen die Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift beständen im Hinblick auf die Grundrechte aus den Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 12 Abs. 1 GG keine Bedenken. Auf die europarechtliche Primarrechtmäßigkeit des Art. 88 Abs. 1 des EG-Arzneimittelkodexes (Richtlinie 2001/83/EG) bzw. der Vorgängervorschrift des Art. 88 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG (Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 92/28/EWG über die Werbung für Humanarzneimittel aus dem Jahre 1992), welche ebenfalls ein Publikumswerbeverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel statuierten, komme es nicht an, da § 10 Abs. 1 HWG in seiner noch heute gültigen Fassung im Jahre 1978, also vor Einführung der Richtlinie 92/28/EWG und des EG-Arzneimittelkodexes, eingeführt worden sei, so dass es sich bei § 10 Abs. 1 HWG um autonomes, unabhängig von europäischem Sekundärrecht bestehendes, deutsches Recht handele. Im Übrigen habe der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinem Urteil vom 11. Dezember 2003 (Rs. C-322/01 - [Doc Morris]) die Rechtmäßigkeit des Publikumswerbeverbots für verschreibungspflichtige Arzneimittel festgestellt.
Die Klägerin beantragt:
1. Der Beklagten wird es verboten, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs im Internet werbliche Informationen über verschreibungspflichtige Arzneimittel in einer Weise zu verbreiten, dass diese Informationen auch außerhalb der medizinischen Fachkreise ohne weiteres zugänglich sind.
2. Der Beklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen das vorstehende Verbot die Verhängung eines Ordnungsmittels und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft oder eine Ordnungshaft bis zu sechs Monaten angedroht (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens Euro 250.000,-; Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre).
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Rechtsauffassung, Art. 88 Abs. 1 des EG-Arzneimittelkodexes sei nichtig, da es dieser Vorschrift zum einen an einer gemeinschaftsprimärrechtlichen Rechtsgrundlage fehle. Auf der Grundlage von Art. 95 Abs. 1 EG habe jedenfalls Art. 88 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG aufgrund des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung gemäß Art 5 Abs. 1 EG nicht erlassen werden dürfen, da es sich bei Art. 88 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG nicht um eine "[Maßnahme] zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, welche die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand [hat]", handele. Art. 88 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG diene vielmehr einer Harmonisierung der Gesundheitspolitik, welche gemäß Art. 152 EG ausgeschlossen sei. Die Beklagte beruft sich insoweit auf die ihrer Rechtsauffassung nach vorliegend für die Nichtigkeit von Art. 88 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG sprechende Argumentation des EuGH in seinem Urteil vom 5. Oktober 2000 (Rs. C-376/98; sog. "Tabakwerbeurteil"). Zudem fehle es an der gemäß Art. 253 EG erforderlichen Begründung des Art. 88 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG in den Erwägungsgründen zu dieser Richtlinie; die diesbezüglichen Ausführungen in den Erwägungsgründen zu der Richtlinie 2001/83/EG seien jedenfalls nicht tragfähig. Schließlich greife Art. 88 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG ungerechtfertigt in die Gemeinschaftsgrundrechte der Meinungsfreiheit, der unternehmerischen Freiheit und der Informationsfreiheit sowie in das aus dem Recht auf körperliche Unversehrtheit herzuleitende Selbstbestimmungsrecht der Patienten ein. Würde der EuGH im Wege eines Vorlage Verfahrens Art. 88 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG für ungültig erklären, sei § 10 Abs. 1 HWG - der Auffassung der Beklagten zufolge die innerstaatliche Umsetzungsnorm des Art. 88 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG - ebenfalls nichtig und unanwendbar. Innerstaatlich stelle § 10 Abs. 1 HWG zudem einen ungerechtfertigten Eingriff in die Grundrechte aus den Art. 5 Abs. 1 Satz 1,12 Abs. 1 und 2 Abs. 2 Satz 1 GG dar. Dies sei gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 GG im Wege einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht zu klären, sofern die Kammer § 10 Abs. 1 HWG nicht - der Rechtsauffassung der Beklagten zufolge verfassungskonform - dahingehend auslege, dass der Inhalt der streitgegenständlichen Webseiten der Beklagten nicht unter das Verbot des § 10 Abs. 1 HWG falle. Insoweit beruft sich die Beklagte auf von ihr vorgelegte unveröffentlichte Entscheidungen des Landgerichts München I (Urteil vom 6. November 2003 zum Az.: 17HK O 7494/03 und Urteil vom 6. Mai 2004 zum Az.: 4HK 0 19117/03) und des Oberlandesgerichts München (Urteil vom 6. Mai 2004 zum Az.: 6 U 5565/03).
Gründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Zu recht verlangt die Klägerin von der Beklagten, die streitgegenständlichen Angaben auf den von ihr betriebenen Webseiten für von ihr hergestellte und vertriebene verschreibungspflichtige Arzneimittel zu unterlassen, soweit die Webseiten mit diesen Angaben auch außerhalb der medizinischen Fachkreise ohne weiteres zugänglich sind.
Der von der Klägerin vorliegend geltend gemachte Unterlassungsanspruch folgt aus den §§ 3, 4 Nr. 11, 8 Abs. 1 und 3 Nr. 1 UWG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 HWG (hierzu unter I.). § 10 Abs. 1 HWG beinhaltet - auch in der hier vorgenommenen Auslegung dieser Vorschrift - keinen ungerechtfertigten Eingriff in die Grundrechte aus den Art. 5 Abs. 1 Satz 1, 12 Abs. 1 und 2 Abs. 2 Satz 1 GG (hierzu unter II.). Gegen die Anwendung des § 10 Abs. 1 HWG bestehen schließlich auch keine europarechtlichen Bedenken; § 10 Abs. 1 HWG steht im Einklang mit Art. 88 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG, der wiederum seine gemeinschaftsprimärrechtliche Rechtsgrundlage in Art. 95 Abs. 1 EG findet (hierzu unter III.).
I.
Der Inhalt der streitgegenständlichen Webseiten der Beklagten verstößt gegen § 10 Abs. 1 HWG. Es handelt sich hierbei um Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel. Zu einer einschränkenden Auslegung des § 10 Abs. 1 HWG dahingehend, dass der Inhalt der streitgegenständlichen Webseiten zulässig ist, sieht sich die Kammer- anders als das Landgericht München I und das Oberlandesgericht München - nicht veranlasst.
Wird ein Packungs- oder Packungsbeilagentext aus seiner Kennzeichnungsfunktiongemäß den §§ 10, 11 AMG herausgelöst und zu einem eigenständigen kommunikativen Medium transformiert, etwa als Bestandteil einer Anzeige, so unterliegt dieser kommunikativ verselbständigte Kennzeichnungstext dem Verbot des § 10 Abs. 1 HWG (Doepner, HWG, 2. Auflage 2000, § 10 Rn. 15 m. w. N.). Dies gilt auch für auf Abruf Online von Pharmaunternehmen jedem zugänglich gemachte Packungsbeilageninformationen (vgl. Doepner a. a. O), unabhängig von der Frage, ob diese Informationen inhaltlich zutreffend sind und den Anforderungen an eine Packungsbeilage im Sinne von § 11 AMG entsprechen, Werbung im Sinne der Vorschriften des HWG sind alle informationsvermittelnden oder meinungsbildenden Aussagen, die darauf abzielen, die Aufmerksamkeit der Adressaten zu erwecken und deren Entschlüsse mit dem Ziel der Förderung des Absatzes von Waren im Sinne von § 1 HWG zu beeinflussen (HansOLG MD 2002, S. 119 ff. (S. 120)). Die Angaben der Beklagten auf den streitgegenständlichen Webseiten fallen unter diesen weitgefassten Werbebegriff. Die heilmittelwerberechtlich relevante Absatzwerbung umfasst sowohl die (eher reklamehafte, einseitige) Anpreisung wie auch eine nüchterne, objektiv gehaltene Sachinformation, da der Verkehr gerade im Bereich der Heilmittelwerbung sachlich gehaltene, informative Werbung erwartet (BGH GRUR 1991, S. 860 ff. (S. 861) - "Katovit"; HansOLG a. a. O., S. 121). Es wäre demgemäß verfehlt und würde dem Schutzzweck des HWG zuwider laufen, wenn gerade dieser inhaltlich besonders wirksame Bereich der Werbung von dessen Anwendungsbereich ausgenommen würde (HansOLG a. a. O.).
Eine andere, einschränkende Auslegung des § 10 Abs. 1 HWG verbietet sich nach Auffassung der Kammer. Die Vorschriften des HWG dienen dem Schutz der Volksgesundheit (vgl. BGH GRUR 1998, S. 498 ff. (S. 500); BGH GRUR 1996, S. 806 ff. (S. 808)). Dies gilt auch für § 10 Abs. 1 HWG. Die Vorschrift will verhindern, dass Patienten mit dem Ziel der Förderung des Absatzes verschreibungspflichtiger Arzneimittel mit der Existenz, den Indikationen und der Wirkungsweise verschreibungspflichtiger Arzneimittel konfrontiert werden. Auf diese Weise soll der Gefahr eines erhöhten, womöglich nicht indizierten, Verbrauchs solcher Medikamente entgegengewirkt werden. Der mit Angaben, wie sie auf den Webseiten der Beklagten vorhanden waren, konfrontierte Patient würde aufgrund der so erhaltenen Informationen möglicherweise seinen Arzt bedrängen, ihm gerade diese Arzneimittel zu verschreiben. Insoweit darf die Abhängigkeit der Ärzte von sie aufsuchenden Patienten nicht unterschätzt werden, wenn ein Arzt die Verschreibung eines Arzneimittels für erforderlich hält, für denselben Zweck die Produkte verschiedener Hersteller zur Verfügung stehen und der Patient den Arzt bedrängt, ihm - dem Patienten - gerade dasjenige Medikament zu verschreiben, über dessen Existenz und Wirkungsweise er sich zuvor im Internet informiert hatte, erscheint es wahrscheinlich, dass der betreffende Arzt dem Patienten dessen Wunsch gemäß dieses Medikament auch verschreibt. Gerade dies aber will § 10 Abs. 1 HWG vermeiden. Das Verschreiben eines Arzneimitteis soll in den Händen des behandelnden Arztes liegen und gänzlich unabhängig von Wünschen des Patienten sein, die dieser auf der Grundlage von zum Zwecke der Förderung des Absatzes verschreibungspflichtiger Arzneimittel an ihn gelangten Informationen entwickelt hat.
Dies gilt auch bei einer im Internet als passiver Darstellungsplattform geschalteten Selbstpräsentation. Zwar wird Internetwerbung typischerweise von solchen Patienten zur Kenntnis genommen, die nicht unaufgefordert durch Werbung beeinflusst werden, sondern sich selbst aktiv informieren (BVerfG NJW 2003, S. 2818 f. (S. 2819)). Diese - von der Beklagten so genannte - "Pull-Situation" wird in dem Augenblick, in welchem der Patient die Webseiten der Beklagten aufruft, aber zu einer "Push-Situation", also einer solchen, die auf einen gewinnbringenden Absatz des dargestellten Arzneimittels ausgerichtet ist. Dies gilt vorliegend umso mehr, als neben der Zugänglichkeit der jeweiligen Packungsbeilagentexte über die Webseiten der Beklagten auf diesen auch die jeweilige Packung selbst dargestellt und über die jeweiligen Indikationen berichtet wurde und jeweils auch die Möglichkeit einer unkontrollierten Weiterverbreitung über den Link, über welchen der Beitrag "an einen Freund oder Kollegen" weitergeleitet werden konnte, bestand.
Eine solche "Push-Situation" gegenüber Patienten soll im Hinblick auf verschreibungspflichtige Arzneimittel und die Gefährlichkeit eines erhöhten Verbrauchs solcher Medikamente vermieden werden. Die Häufigkeit der Verschreibung eines Medikamentes soll nicht auf eine den Absatz dieses Medikamentes zu fördern bestimmte Einwirkung auf Patienten zurückzuführen sein. Dass sich der Patient aus anderen Quellen (z. B. durch Erfahrungsberichte oder über Selbsthilfegruppen) über verschreibungspflichtige Medikamente informieren kann, steht der Erreichung dieses gesetzgeberischen Zieles nicht entgegen, dienen derartige Informationen doch in der Regel nicht dem gewinnbringenden Absatz des betreffenden Arzneimittels. Der diesbezügliche Hinweis der Beklagten - die von ihr ins Internet gestellten Informationen seien gemäß § 11 AMG inhaltlich geprüft worden, wohingegen die von Selbsthilfegruppen oder in Erfahrungsberichten zur Verfügung gestellten Informationen teilweise nicht aktuell, teilweise aber sogar unzutreffend seien - verfängt nicht. Packungsbeilagen werden stets inhaltlich geprüft. Diese Prüfung ändert indes nichts daran, dass die Beklagte mit den Angaben auf den streitgegenständlichen Webseiten werbend tätig geworden ist, da sie die Packungsbeilagen außerhalb ihrer spezifischen Funktion - Beilage zu einem Arzneimittel innerhalb einer Verpackung - genutzt und deren Texte via das Internet zugänglich gemacht hat; dies soll nach Sinn und Zweck des § 10 Abs. 1 HWG außerhalb der Fachkreise unterbunden werden. Dass ein Patient auch ein so beworbenes verschreibungspflichtiges Arzneimittel erst zu erwerben in der Lage ist, wenn ihm dieses von einem Arzt verschrieben worden ist, veranlasst die Kammer schließlich ebenfalls nicht zu der von der Beklagten geforderten einschränkenden Auslegung des § 10 Abs. 1 HWG. Gerade das Zusammenwirken der Verschreibungspflicht mit dem Laienwerbeverbot gemäß § 10 Abs. 1 HWG führt zu einer erheblichen Reduzierung des Konsums der betreffenden Arzneimittel (vgl. Doepner, a. a. 0., Rn. 9; Bülow/Ring, HWG, 1. Auflage 1996, § 10 Rn. 1).
Die Wiederholungsgefahr wird vermutet.
Der Verstoß gegen § 10 Abs. 1 HWG als wertbezogene Norm zum Schutz der Volksgesundheit ist zugleich ein Verstoß gegen die §§ 3, 4 Nr. 11 UWG und berechtigt die Klägerin gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG zur Geltendmachung des aus den §§ 8 Abs. 1, 3, 4 Nr. 11 UWG folgenden Unterlassungsanspruchs.
II.
Gegen die Vereinbarkeit des § 10 Abs. 1 HWG - auch in der von der Kammer vorgenommenen Auslegung dieser Vorschrift - mit den Grundrechten aus den Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 12 Abs. 1 GG bestehen keine Bedenken, die eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 GG erforderlich machen würden.
Sowohl das Grundrecht des werbenden Unternehmens auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 GG als auch das Grundrecht des Verbrauchers, sich aus allgemein zugänglichen Quellen zu informieren, aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 GG finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze (Art. 5 Abs. 2 GG). § 10 Abs. 1 HWG dient dem Schutz der Volksgesundheit und ist zur Erreichung dieses Zieles sowohl geeignet als auch erforderlich. Die Vorschrift des § 10 Abs. 1 HWG ist auch im Übrigen verhältnismäßig, Insoweit ist zu berücksichtigen, dass dem Gesetzgeber ein Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Wahl der Mittel zur Erreichung eines gesetzgeberischen Zieles zur Verfügung steht, dessen Gebrauch nur begrenzt (verfassungs-)gerichtlich überprüfbar ist. Dass der Gesetzgeber im Ergebnis in der Abwägung zwischen den Grundrechten aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 GG und Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 GG einerseits und dem Gemeinwohlbelang der Volksgesundheit andererseits letzterem den Vorrang eingeräumt hat, unterliegt keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Dies gilt auch für den Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG, zumal es sich insoweit bei § 10 Abs. 1 HWG lediglich um eine Einschränkung der gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG durch Gesetz oder aufgrund Gesetzes regelbaren Berufsausübungsfreiheit handelt. Einen Eingriff in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG stellt § 10 Abs. 1 HWG nicht dar.
III.
Gegen § 10 Abs. 1 HWG bestehen schließlich auch keine europarechtlichen Bedenken. Eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof ist nicht veranlasst.
Zum einen ist § 10 Abs. 1 HWG älter als die Richtlinien 92/28/EWG und 2001/83/EG und stellt insoweit autonomes deutsches Recht dar. Zum anderen entspricht diese Vorschrift nunmehr auch Art. 88 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG (vgl. EuGH GRURInt 2004, S. 418 ff. (S. 427; Ziff. 139 und 145) - [Doc Morris}), welcher wiederum nicht gegen Bestimmungen des Gemeinschaftsprimärrechts verstößt. In den Erwägungsgründen zu der Richtlinie 2001/83/EG wird Art. 88 Abs. 1 dieser Richtlinie wie folgt im Sinne von Art. 253 EG begründet (Ziff. 43 und 44):
"(43) Ferner haben alle Mitgliedstaaten spezifische Maßnahmen auf dem Gebiet der Arzneimittelwerbung ergriffen. Diese Maßnahmen sind unterschiedlich, und diese Unterschiede wirken sich auf das Funktionieren des Binnenmarktes aus, da sich eine in einem Mitgliedstaat verbreitete Werbung auch auf die übrigen Mitgliedstaaten auswirken kann.
(44) Die Richtlinie 89/552/EWG des Rates vom 3. Oktober 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit verbietet die Fernsehwerbung für Arzneimittel, die in dem Mitgliedstaat, dessen Hoheitsgewalt der Fernsehveranstalter unterworfen ist, nur auf ärztliche Verschreibung erhältlich sind. Dieser Grundsatz ist auch auf die übrigen Medien auszudehnen."
Diese Begründung ist tragfähig und rechtfertigt den Erlass des Art. 88 Abs. 1 der Richtlinie 20017S3/EG auf der Grundlage von Art. 95 Abs. 1 EG, da sich unterschiedliche einzelstaatliche Maßnahmen auf dem Gebiet der Arzneimittelwerbung auf das Funktionieren des Binnenmarktes auswirken. Zudem hat Art. 88 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG - zulässigerweise - Auswirkungen auf den Gesundheitsschutz. Gemäß Art. 95 Abs. 3 Satz 1 EG geht die Kommission in ihren Vorschlägen für Maßnahmen nach Art. 95 Abs. 1 EG im Bereich Gesundheit von einem hohen Schutzniveau aus. Zudem bestimmt Art. 152 Abs. 1 EG, dass bei der Festlegung und Durchführung aller Gemeinschaftspolitiken und -maßnahmen ein hohes Gesundheitsschutzniveau sicherzustellen ist und die Tätigkeit der Gemeinschaft die Politik der Mitgliedstaaten ergänzt und auf die Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung und die Beseitigung von Ursachen für die Gefährdung der menschlichen Gesundheit gerichtet ist. Diesen Anforderungen genügt Art. 88 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Sätze 1 und 2 ZPO.
LG Hamburg:
Urteil v. 03.02.2005
Az: 315 O 303/04
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