Landgericht Köln:
Urteil vom 6. Dezember 2006
Aktenzeichen: 25 O 403/01
(LG Köln: Urteil v. 06.12.2006, Az.: 25 O 403/01)
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 17.500,- nebst 4% Zinsen seit dem 01.10.2001 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des beizutreibenden Betrages.
Tatbestand
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen einer fehlerhaften ärztlichen Heilbehandlung auf Schadensersatz in Anspruch.
Der am 24. August 1967 geborene Kläger erlitt am 13. Januar 1999 einen schweren Unfall. Er stürzte in einem Treppenhaus etwa 10 m tief. Der Kläger wurde anschließend zur Behandlung in das Klinikum der Beklagten eingeliefert. Dort wurde u.a. eine komplette Querschnittslähmung vom Wirbel Th 4, Wirbelfrakturen, eine komplexe Knieverletzung, sowie ein schweres Schädelhirntrauma und Mittelgesichtsfrakturen diagnostiziert. Der Kläger wurde bis zum 22. Februar 1999 im Krankenhaus der Beklagten zunächst bis zum 2. Februar 1999 auf der chirurgischen und der neurochirurgischen Intensivstation, sodann auf Normalstation stationär behandelt. An diesem Tag wurde er in das Gemeinschaftskrankenhaus I verlegt.
Dort wurde beim Kläger präsakral ein Decubitalulcus Grad III diagnostiziert. Erst Ende Juni 1999 war die Heilung so weit fortgeschritten, dass auch eine letzte, nässende Fistel verschlossen war. Der Kläger war vier Monate von intensiver Bettpflege abhängig.
Gegenstand der Klage ist neben einem Schmerzensgeldanspruch materieller Schadensersatz, nämlich eine Besprechungsgebühr gemäß § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO dafür, dass der damalige Prozessbevollmächtigte des Klägers am 2. April 2001 ein längeres Telefonat mit dem Sachbearbeiter der Beklagten geführt haben soll.
Der Kläger behauptet, auf Grund unzureichender Prophylaxe bzw. fehlerhafter Behandlung, Pflege und Lagerung während seines Aufenthalts bei der Beklagten vom 14. Januar bis 22. Februar 1999 habe sich der Decubitus entwickelt. Eine andere, schonendere Lagerung sei trotz der schweren Verletzungen möglich gewesen. Insbesondere sei das Entstehen eines Decubitus durch geeignete Maßnahmen in jedem Fall zu vermeiden gewesen.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens jedoch € 15.338,76 (= DM 30.000,-) nebst Verzugszinsen nach §§ 288 Abs. 1, 291 BGB seit Klagezustellung (01.10.2001) zu zahlen, die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere € 491,53 (= DM 961,35) nebst Verzugszinsen nach §§ 288 Abs. 1, 291 BGB seit Klagezustellung (01.10.2001) zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte tritt dem Vorliegen eines Behandlungsfehlers entgegen. Sie behauptet, eine Wechsellagerung sei wegen der ausgedehnten Verletzungen des Klägers nicht möglich gewesen und der Decubitus nicht zu vermeiden gewesen.
Die Kammer hat Beweis erhoben gemäß den Beweisbeschlüssen vom 20.02.2002, Bl. 70 ff. d.A., und 27.05.2002, Bl. 85 d.A. durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Für das Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des Dr. L, Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik E, vom 11.09.2002, Bl. 98-103, nebst schriftlicher Ergänzung vom 04.12.2002, Bl. 114-116 d.A., Bezug genommen. Nach Anhörung des Sachverständigen Dr. L, für deren Ergebnis auf das Protokoll der Sitzung vom 31.08.2005, Bl. 146-151 d.A. Bezug genommen wird, hat die Kammer die Einholung eines weiteren Sachverständigen nach § 412 ZPO angeordnet. Für das Ergebnis der weiteren Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. med. habil. A, Chefarzt der Abteilung für Querschnittgelähmte der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik M vom 26.04.2006, Bl. 184 bis 222 d.A., Bezug genommen.
Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, ergänzend Bezug genommen.
Gründe
Die Klage ist in Höhe von € 17.500,- nebst 4% Zinsen seit dem 01.10.2001 begründet, im Übrigen aber nicht begründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch aus dem Gesichtspunkt einer kunstfehlerhaften und damit rechtswidrigen Körperverletzung, §§ 823 Abs. 1, 847 BGB a.F. Denn die Beweisaufnahme hat eine Abweichung der Behandlung des Klägers im Krankenhaus der Beklagten vom medizinischen Standard ergeben.
Der Sachverständige Prof. Dr. habil. A, der als Chefarzt der Abteilung für Querschnittsgelähmte der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik M über sehr große Erfahrung bei der Behandlung von Querschnittsgelähmten und ihrer Rehabilitation in praktischer und wissenschaftlicher Hinsicht verfügt, hat in seinem Sachverständigengutachten - von den Parteien nicht in Frage gestellt - zunächst darauf hingewiesen, dass die Dokumentation der Behandlungsmaßnahmen im Krankenhaus der Beklagten unübersichtlich sei. Nach deren ausführlicher Analyse und umfangreicher Darstellung des relevanten Behandlungsgeschehens sowie des für die Beurteilung maßgeblichen medizinischen Fachwissens, insbesondere der bestehenden Leitlinien zur Decubitusprophylaxe, gelangt der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass bei dem Kläger für das Eintreten eines Decubitus schon bei Aufnahme vorhersehbar zahlreiche Risikofaktoren vorgelegen hätten, insbesondere Immobilität, zeitweise Bewusstlosigkeit und Sedierung. Die notwendige Risikoeinschätzung und eine vorausschauende Beurteilung seien gleichwohl für den Kläger nicht erfolgt. Insbesondere sei die vom 15. Januar 1999 bis zum 22. Januar 1999 zum Einsatz gebrachte Schaumstoffmatraze wegen der durch die Verletzungen notwendigen vollständigen Immobilisierung unzureichend gewesen. Vielmehr sei der Einsatz eines Wechseldrucksystems erforderlich gewesen, dass auch bei den vorliegenden Grundverletzungen zum Einsatz hätte gebracht werden können. Auf erste Hinweise für die Entwicklung eines
Decubitalulcus am 17. Januar 1999, für den eine Rötung der Haut an Rücken und Gesäß dokumentiert ist, sei nicht ausreichend reagiert worden. Trotz der im Weiteren festgehaltenen zunehmenden Anzeichen sei der Kläger ab dem 22. Januar 1999 in einer besonders ungünstigen Form gelagert worden, nämlich für 3 Stunden in einer halb sitzenden und halb liegenden Stellung (Thekla-Stuhl). Für den Zeitraum vom 14. Januar 1999 bis zum 22. Januar 1999 seien insgesamt keine ausreichenden prophylaktischen Maßnahmen getroffen worden, insbesondere wenn man die Verletzungen und die daraus resultierenden Lagerungsvorgaben für den vorliegenden Hochrisikopatienten berücksichtige. Die ab dem 22. Januar 1999 getroffenen Maßnahmen hätten den begonnenen Prozess nicht mehr aufhalten können. Zudem sei auch nicht konsequent vorgegangen worden, so sei der Patient am 26. Januar 1999 wiederum für 2 Stunden in einem Stuhl gelagert worden. Trotz der weiteren Fortentwicklung des Decubitus habe der Kläger am 17. Februar 1999 eine Mobilisierung auf einem Therapiefahrrad und an den Folgetagen für mehrere Stunden jeweils in einem Rollstuhl erfahren. Damit sei eine in den Behandlungsunterlagen festgehaltene ärztliche Vorgabe "kein Sitzen" bei dem Kläger missachtet worden. Stattdessen wäre eine konsequente Druckentlastung erforderlich gewesen.
Der Sachverständige hat weiter ausgeführt, dass auch die bei dem Kläger vorliegenden schweren Verletzungen die vorliegenden Fehler bei der Durchführung einer ausreichenden Decubitalulcusprophylaxe nicht rechtfertigen könnten. Die schweren Verletzungen hätten einer ausreichenden Decubitalulcusprophylaxe nicht entgegen gestanden.
Zur Bewertung dieser Versäumnisse hat der Sachverständige erläutert, aus seiner Sicht sei es in der Tat schlechterdings unverständlich, warum der Kläger nicht von Anfang an auf ein Wechseldrucksystem gelagert worden sei. Denn schon bei der Aufnahme sei erkennbar gewesen, dass eine längere Zeit der Lagerung für den immobilen Patienten unvermeidlich sein werde. Der bei diesem Patienten erforderliche Präventionsplan und eine Risikoeinschätzung innerhalb der ersten Tage seien nicht erstellt worden. Damit sei gegen schon im Jahre 1999 bekannte allgemein gültige und elementare Grundsätze der Behandlung verstoßen worden. Durch diese frühen Fehler bei der Behandlung sei es später nicht mehr möglich gewesen, den eingetretenen Verlauf noch zu ändern.
Die Kammer nimmt auf diese sehr gut nachvollziehbaren, hier nur in den gebotenen Grundzügen wiedergegebenen Bewertungen des Sachverständigen Prof. Dr. habil. A Bezug und macht sie sich zu Eigen. Sie sind im Gegensatz zu den Ausführungen des zunächst beauftragten Sachverständigen Dr. L, der etwa die sich aus dem Querschnittsyndrom ergebende Besonderheit des Falles übersehen und die Krankenunterlagen nicht mit dem erforderlichen hohen Aufwand sortiert hatte, in sich widerspruchsfrei und unter Berücksichtigung der sorgfältig erarbeiteten Umstände des vorliegenden Einzelfalls erstattet worden. Sie entsprechen im Übrigen der in der Rechtsprechung des OLG Köln angenommenen medizinischen Tatsache, dass das Auftreten eines erheblichen Decubitus regelmäßig auch bei einem Schwerstverletzten auf einen groben Mangel bei Pflege und bzw. oder Lagerung schließen lässt (OLG Köln NJW-RR 2000, 1267; anders noch OLG Zweibrücken VersR 1997, 1281).
Der Kläger hat nach den gut nachvollziehbaren und überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen Prof. Dr. habil. A infolge der Fehlbehandlung folgende bei richtiger Therapie vermeidbare Folgen erlitten: Wegen der vermeidbaren Entwicklung des Decubitalulcus teilweise 4. Grades ist am 19. April 1999 im Krankenhaus I die operative plastische Deckung des Defekts im Kreuzbeinbereich erforderlich geworden. In den zwei Monaten zuvor ab der Aufnahme musste der Decubitalulcus mehrfach debridiert werden. Durch konservative Behandlung konnten oberflächliche Decubitalulcera über den Sitzbeinen zur Ausheilung gebracht werden.
Nach der Operation hat der Kläger bei einem komplizierten Verlauf mit einer Wundheilungsstörung und Fistelbildung in einigen Lappenbereichen, der bei Eingriffen dieser Art nicht ungewöhnlich ist, erst ab dem 31. Mai 1999 für dreimal 2 Stunden im Rollstuhl mobilisiert werden können. Diese Behandlung hat im Krankenhaus I noch bis zum 26. August 1999, also nochmals drei Monate, fortgesetzt werden müssen.
Durch das Auftreten des Decubitalulcus ist es zu einer Verlängerung der stationären Krankenhausbehandlung des Klägers von etwa zwei bis drei Monaten gekommen. Die durch die erhebliche Verlängerung des ohnehin schon notwendigen langen stationären Aufenthalts verursachte psychische Beeinträchtigung ist nach der klinischen Erfahrung des Sachverständigen Prof. Dr. habil. A als erheblich zu bemessen.
Bei dem Kläger ist heute organisch noch eine minderbelastbare Gewebesituation im Bereich des Kreuzbeins zurück geblieben, die gerade für einen Querschnittsgelähmten eine Prädeliktionsstelle für die Entstehung weiterer Decubitalulcera trotz aller angewandten Vorsichtsmaßnahmen sein kann. Gerade die insoweit alltäglichen Belastungen hat der Kläger in seiner persönlichen Anhörung in Übereinstimmung mit den wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen des Sachverständigen anschaulich beschrieben. Diese von dem Kläger beschriebenen Einschränkungen, insbesondere die Notwendigkeit, in regelmäßigen Abständen im Tagesverlauf den Rollstuhl zu verlassen, sind unter Berücksichtigung der Darstellung des Sachverständigen erwiesen. Im Übrigen wäre es Sache der Beklagten sich, wegen der Beweislastumkehr, die sich aus dem Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers ergibt, zu entlasten.
Auf der Grundlage dieser Umstände erscheint bei Einordnung der vorliegenden Schäden in den Kontext früherer Schmerzensgeldbemessungen in vergleichbaren Fällen (OLG Köln OLGReport Köln 2000, 149 = NJR-RR 2000, 1267; OLG Oldenburg OLGR Oldenburg 2000, 102) unter Berücksichtigung aller Umstände des vorliegenden Einzelfalls, insbesondere der bei dem Kläger infolge der Grundverletzung eintretenden besonderen Auswirkungen (etwa für die Fähigkeit, im Rollstuhl sitzen zu können) und auch des Gesichtspunktes, dass dem Kläger wegen des Querschnitts die mit einem Decubitus regelmäßig verbundenen Schmerzen erspart geblieben sind, zum Ausgleich seines immateriellen Schadens ein Betrag von € 17.500,- als angemessen aber auch ausreichend.
Nicht begründet sind die mit dem Antrag zu 2. geltend gemachten materiellen Schäden. Die Besprechungsgebühr, § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO, wäre zwar nicht auf die Gebühren im vorliegenden Verfahren anzurechnen, § 118 Abs. 2 S. 1 BRAGO. Ihre Voraussetzungen sind aber angesichts des qualifizierten Bestreitens der Beklagten, nach der nur eine telefonische Sachstandsanfrage erfolgt sein soll, nicht ausreichend vorgetragen.
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288, 291 BGB a.F., weil der Schmerzensgeldanspruch (Hauptforderung) vor dem 01. Mai 2000 fällig geworden ist, Art. 229 § 1 Abs. 1 EGBGB.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92, 108 Abs. 1, 709 ZPO.
Streitwert: € 15.830,28 (= DM 30.961,35, vgl. Beschluss vom 21.08.2001)
LG Köln:
Urteil v. 06.12.2006
Az: 25 O 403/01
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