Bundespatentgericht:
Beschluss vom 18. Februar 2000
Aktenzeichen: 33 W (pat) 155/99

(BPatG: Beschluss v. 18.02.2000, Az.: 33 W (pat) 155/99)

Tenor

Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluß der Markenstelle für Klasse 35 des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 20. April 1999 aufgehoben.

Gründe I Die Markenstelle für Klasse 35 des Deutschen Patent- und Markenamtes hat die Anmeldung der Wortmarke SONTRA für die Dienstleistungen

"35: Unternehmens- und Organisationsberatung (ausgenommen: für die und in der hessischen Stadt Sontra);

41: Fort- und Weiterbildung, insbesondere für Existenzgründer (ausgenommen: für die und in der hessischen Stadt Sontra);

42: Geschäftsführung, insbesondere im Zusammenhang mit dem Betrieb eines Technologie-/Gewerbeparks, Dienstleistung eines Technologie-/Gewerbeparks, nämlich wirtschaftliche und/oder technische Beratung auf dem Gebiet der Existenzgründung (ausgenommen: für die und in der hessischen Stadt Sontra)"

durch den von einem Mitglied des Patentamts erlassenen Beschluß vom 20. April 1999 gemäß §§ 37 Abs 1, 8 Abs 2 Nr 1 und 2 MarkenG wegen fehlender Unterscheidungskraft sowie wegen eines Freihaltungsbedürfnisses an einer geographischen Herkunftsangabe zurückgewiesen. Zur Begründung ist im wesentlichen ausgeführt worden, die angemeldete Marke besage - trotz der Beschränkung des Dienstleistungsverzeichnisses - lediglich, daß die beanspruchten Dienstleistungen auch oder unter anderem aus der hessischen Stadt "Sontra" stammten sowie dort oder von dort aus angeboten würden.

Die Anmelderin hat gegen diese Entscheidung Beschwerde eingelegt und das Dienstleistungsverzeichnis folgendermaßen neu gefaßt:

"35: Unternehmens- und Organisationsberatung;

41: Fort- und Weiterbildung, insbesondere für Existenzgründer;

42: Geschäftsführung, insbesondere im Zusammenhang mit dem Betrieb eines Technologie-/Gewerbeparks, Dienstleistung eines Technologie-/Gewerbeparks, nämlich wirtschaftliche und/oder technische Beratung auf dem Gebiet der Existenzgründung;

sämtliche vorgenannten Dienstleistungen ausschließlich im südbayerischen/schwäbischen Bereich, insbesondere der Stadt Sonthofen (Allgäu)".

Sie trägt vor, ihr sei bei der Anmeldung die hessische Kleinstadt "Sontra" nicht bekannt gewesen. Der angemeldete Begriff "SONTRA" solle vielmehr in Anlehnung an die Stadt "Sonthofen/Allgäu" für die Bezeichnung des dort zwischenzeitlich etablierten Technologie-/Gewerbeparks dienen. Die hessische Kleinstadt "Sontra" sei auch allgemein unbekannt. Der in das Dienstleistungsverzeichnis aufgenommene Disclaimer schaffe eine deutliche Abgrenzung zu der hessischen Stadt Sontra. Somit sei auch das Freihaltungsinteresse möglicher Mitbewerber gewahrt, weil eventuelle Mitbewerber aus dem Ort Sontra weder gegenwärtig noch zukünftig daran gehindert seien, den Ortsnamen "Sontra" zu verwenden. Zudem stellten solche Ortsangaben keinen markenrechtlichen Gebrauch dar.

II Die Beschwerde ist begründet.

Der Senat hält die als Marke angemeldete Bezeichnung "SONTRA" hinsichtlich der beanspruchten Dienstleistungen für unterscheidungskräftig und nicht freihaltungsbedürftig. Ihrer Eintragung gemäß §§ 33 Abs 2, 41 MarkenG stehen somit keine absoluten Schutzhindernisse gemäß § 8 Abs 2 Nr 1und 2 MarkenG entgegen.

Die Prüfung des Freihaltungsbedürfnisses an einer Ortsbezeichnung als geographische Herkunftsangabe gemäß § 8 Abs 2 Nr 2 MarkenG richtet sich nunmehr vor allem nach der Auslegung und den Beurteilungsmaßstäben, die der Europäische Gerichtshof in seiner neuesten Rechtsprechung zum - der inhaltsgleichen nationalen Bestimmung zugrundeliegenden und für deren richtlinienkonforme Auslegung maßgeblichen - Art 3 Abs 1 lit c) der Ersten Richtlinie des Rates der EG Nr 89/104 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Marken vom 21. Dezember 1988 (EG-Rili) vorgegeben hat (EuGH GRUR 1999, 723, 725 f - Chiemsee; vgl dazu auch BPatG, BlPMZ 2000, 60 - WALLIS). In seinem "Chiemsee"-Urteil hat der Europäische Gerichtshof unter anderem festgestellt, daß an der Freihaltung von Angaben, die zur Bezeichnung der geographischen Herkunft dienen können, vor allem von geographischen Bezeichnungen, grundsätzlich ein Allgemeininteresse besteht. Denn diese Angaben können insbesondere nicht nur auf die Qualität und andere Eigenschaften der betreffenden Waren hinweisen, sondern die Vorlieben der Verbraucher auch in anderer Weise beeinflussen, etwa indem diese die Waren mit einem Ort verbinden, der bei ihnen positive Vorstellungen erweckt (EuGH aaO Ez 26). Art 3 Abs 1 lit c) EG-Rili verbietet die Eintragung geographischer Bezeichnungen als Marken nicht nur, wenn sie bestimmte geographische Orte bezeichnen, die für die betreffenden Waren bereits berühmt oder bekannt sind und die daher von den beteiligten Verkehrskreisen aktuell mit diesen Waren in Verbindung gebracht werden (EuGH aaO Ez 29, 37). Vielmehr müssen auch solche geographischen Bezeichnungen freigehalten werden, die zukünftig von Unternehmen als Herkunftsangabe für die betreffenden Waren verwendet werden können (EuGH aaO Ez 30, 37). Im letzteren Fall ist zu prüfen, ob vernünftigerweise zu erwarten ist, daß die angemeldete geographische Bezeichnung von den beteiligten Verkehrskreisen in Zukunft mit den betreffenden Waren in Verbindung gebracht werden kann und die geographische Herkunft dieser Waren bezeichnen kann (EuGH aaO Ez 31, 37). Für die Frage der Eignung als Herkunftsangabe kommt es insbesondere darauf an, inwieweit den beteiligten Verkehrskreisen die geographische Bezeichnung bekannt ist und welche Eigenschaften der bezeichnete Ort und die betreffenden Waren besitzen (EuGH aaO Ez 32, 37). Grundsätzlich sind geographische Bezeichnungen eintragbar, die den beteiligten Verkehrskreisen als solche nicht bekannt sind oder bei denen es wegen der Eigenschaften des bezeichneten Ortes wenig wahrscheinlich ist, daß die beteiligten Verkehrskreise annehmen könnten, die Waren stammten von diesem Ort (EuGH aaO Ez 33). Diese vom Europäischen Gerichtshof für den Bereich von Waren ausgesprochenen Beurteilungsgrundsätze gelten in entsprechender Anwendung auch für die hier beanspruchten Dienstleistungen.

Wie die Markenstelle des Patentamts zutreffend ermittelt hat, handelt es sich bei der mit der Anmeldemarke "SONTRA" übereinstimmenden Bezeichnung "Sontra" um den Namen einer Stadt im Bundesland Hessen. Die Stadt Sontra hat ca. 9.300 Einwohner, sie ist Bundeswehrgarnison, und gewerblich sind in ihr Betriebe der Textil- und Maschinenindustrie sowie der Kunststoff- und Holzverarbeitung ansässig (vgl Brockhaus Enzyklopädie in 24 Bänden, 19. Auflage, Bd 20, 1993, S 478). Die historisch traditionsreiche Stadt Sontra liegt im landschaftlich reizvollen und touristisch erschlossenen Werra-Meißner-Land (vgl Deutsches Handbuch für Fremdenverkehr, Reisen in Deutschland, 48. Auflage 1998, 314, 315, 317).

Die Recherchen des Senats haben jedoch keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß die angesprochenen Verkehrskreise die beanspruchten, mit der Anmeldemarke "SONTRA" gekennzeichneten Dienstleistungen gegenwärtig oder zukünftig mit der hessischen Stadt Sontra in Verbindung bringen können. Denn die Stadt Sontra ist - abgesehen von ihrem unmittelbaren Umkreis - der deutschen Bevölkerung regelmäßig nicht bekannt. Dies liegt nicht nur an ihrer der Ortsgröße entsprechend geringen wirtschaftlichen Bedeutung, sondern auch daran, daß in Sontra weder historisch, politisch, kulturell, sportlich oder sonstwie aufmerksamkeitserregende Ereignisse stattgefunden haben noch irgendwelche herausragenden Produkte oder Dienstleistungen mit einem überregionalen Ruf hergestellt, erbracht oder angeboten werden, die den Namen der Stadt Sontra bekannt werden ließen. Auch für die Zukunft ist vernünftigerweise eine nennenswerte Bekanntheit der Stadt Sontra nicht zu erwarten. Zudem vermittelt die Bezeichnung "Sontra" nicht den Eindruck eines typischen Ortsnamens, da sie für deutsche geographische Angaben ungewöhnlich erscheint und eher italienischsprachig anmutet. Außerdem ist zu berücksichtigen, daß die angesprochenen Verkehrskreise die unter der Bezeichnung "SONTRA" angebotenen beanspruchten Dienstleistungen umsoweniger mit der Kleinstadt Sontra in Verbindung bringen, je weiter der tatsächliche Erbringungsort von dem kleinen, insoweit wenig bedeutenden hessischen Ort Sontra entfernt liegt. Daher läßt jedenfalls auch der regional auf den südbayerisch/schwäbischen Bereich hinweisende Zusatz im Dienstleistungsverzeichnis der Anmeldung, dessen materiellrechtliche Bedeutung hier dahingestellt bleiben kann, selbst bei unterstellter Kenntnis des Ortsnamens "Sontra" es als unwahrscheinlich erscheinen, daß die angesprochenen Verkehrskreise angesichts der Bezeichnung "SONTRA" einen Bezug zu der hessischen Stadt annehmen werden.

Ein Freihaltungsbedürfnis an der geographischen Angabe "SONTRA" gemäß § 8 Abs 2 Nr 2 MarkenG liegt somit hinsichtlich der Dienstleistungen der Anmeldung nicht vor. Da die angesprochenen Verkehrskreise den Ortsnamen "Sontra" regelmäßig nicht kennen und die Anmeldemarke "SONTRA" nicht mit der hessischen Kleinstadt "Sontra" in Verbindung bringen werden, sondern die Bezeichnung "SONTRA" vielmehr als Phantasiewort auffassen werden, steht die Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs 2 Nr 1 MarkenG nicht in Frage.

Winkler Pagenbergv. Zglinitzki Cl






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Beschluss v. 18.02.2000
Az: 33 W (pat) 155/99


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