Oberlandesgericht Köln:
Beschluss vom 4. April 1997
Aktenzeichen: 2 VA (Not) 21/96

(OLG Köln: Beschluss v. 04.04.1997, Az.: 2 VA (Not) 21/96)

Tenor

Die Anträge vom 18.9.1996 auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung und auf gerichtliche Entscheidung in der Hauptsache werden zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten des gerichtlichen Verfahrens zu tragen und dem Antragsgegner sowie der beteiligten Rechtsanwältin die notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.

Der Geschäftswert wird auf 100.000,00 DM festgesetzt.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Vergabe einer im Justizministerialblatt Nordrhein-Westfalen vom 1.5.1995 ausgeschriebenen Notarstelle in Q. Dort amtiert nach einem Ausscheiden des früheren Anwaltsnotars K, der schon in den Jahren zuvor wegen einer Verlagerung seiner beruflichen Tätigkeit in die neuen Bundesländer weitgehend ortsabwesend war und im Jahre 1993 nur drei sowie 1994 keine Beurkundung getätigt hat, derzeit kein Notar. Um die Stelle haben sich u.a. der Antragsteller und die beteiligte Rechtsanwältin beworben.

Der am 30.03.1957 geborene Antragsteller hat die zweite juristische Staatsprüfung mit "ausreichend" (4,77 Punkte) bestanden und ist seit 1987 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Am 8.10.1987 wurde er in die Liste der bei dem Amtsgericht Minden zugelassenen Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen eingetragen. Seit dieser Zeit unterhält er seine Anwaltskanzlei in Q. Von Februar bis August 1995 war der Antragsteller zum Verweser des früheren Notars K bestellt und hat während dieser Zeit eine Beurkundung getätigt. An notarspezifischen Forbildungsveranstaltungen hat er bis zu seiner Bewerbung nicht teilgenommen. Mit 47,30 Punkten nimmt er unter den insgesamt drei Bewerbern die dritte Rangstelle ein.

Die beteiligte Rechtsanwältin ist 40 alt und hat die zweite juristische Staatsprüfung mit "befriedigend" (8,47 Pkte.) bestanden. Sie ist seit dem 24.10.1983 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen und übte ihren Beruf zunächst in Berlin aus. In die Liste der bei dem Amtsgericht Minden zugelassenen Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen ist sie am 3.1.1989 eingetragen worden. Ihren Kanzleisitz hatte sie zunächst in Minden und war dort in der Anwaltssozietät T, E u.a. tätig. Sie ist mit einem Steuerberater und Wirtschaftsprüfer verheiratet und wohnt seit 1988 in Q. Nach der Geburt ihres dritten Kindes am 13.11.1993 zeigte sie dem Präsidenten des Landgerichts Bielefeld mit Schreiben vom 28.12.1993 an, daß sie ihre Kanzlei nach Q unter ihre Wohnanschrift verlegt habe, jedoch weiter Mitglied der Sozietät T, E u.a. sei. Im Januar 1995 teilte sie sodann mit, daß sie aus der Sozietät ausgeschieden sei. Sie hat als Vertreterin für Anwaltsnotare in der Praxis T, E u.a. 61 Beurkundungen vorgenommen sowie an 8 Halbtagen an notarspezifischen Fortbildungen teilgenommen. Mit insgesamt 91,85 Punkten nimmt sie die erste Rangstelle ein. Ihre Bewerbung ging erst am 2.6.1995 und damit um einen Tag verspätet ein. Wegen der Fristversäumnis hat sie ein Wiedereinsetzungsgesuch eingereicht.

Ein weiterer Bewerber um das Notaramt, der mit 91,45 Punkten die zweite Rangstelle einnimmt, ist in Minden als Rechtsanwalt tätig und hat bei seiner Bewerbung angekündigt, im Falle seiner Bestellung zum Notar seinen Kanzleisitz nach Q verlegen zu wollen.

Im Verlaufe des Besetzungsverfahrens schlugen die Präsidenten des Landgerichts Bielefeld, des Oberlandesgerichts Hamm sowie der Notarkammer Hamm übereinstimmend vor, die ausgeschriebene Stelle dem Antragsteller zu übertragen, da die übrigen Bewerber das Regelerfordernis der dreijährigen örtlichen Wartezeit nicht erfüllten. Demgegenüber war der Antragsgegner der Meinung, daß hinreichende Gründe für ein Absehen von dem Erfordernis des § 6 Abs. 2 Nr. 2 BNotO vorlägen, und entschloß sich, die Stelle der beteiligten Rechtsanwältin zu übertragen. Nachdem der Antragsteller auf eine entsprechende Mitteilung hin hiergegen Einwendungen erhoben, insbesondere geltend gemacht hatte, daß die beteiligte Rechtsanwältin bis Ende 1994 ihren Beruf - wenn überhaupt - nicht in Q, sondern weiterhin in Minden ausgeübt habe, stellte der Antragsgegner die Vergabe der Stelle zunächst zurück und gab ihr Gelegenheit zur Äußerung. Nach Eingang ihrer Stellungnahme verblieb der Antragsgegner bei seiner Auswahlentscheidung und teilte dies dem Antragsteller unter dem 6.9.1996 mit.

Hiergegen richten sich seine am 19.9.1996 eingegangenen Anträge auf gerichtliche Entscheidung in der Hauptsache sowie auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes.

Der Antragsteller macht weiterhin im wesentlichen geltend, daß die beteiligte Rechtsanwältin in den Jahren 1993 und 1994 ihre anwaltliche Tätigkeit ausschließlich in Minden und auch dort nur sporadisch ausgeübt habe. Hierzu legt er Schriftsätze der Sozietät T, E u.a. vor, in deren Briefköpfen sie teilweise als Sachbearbeiterin bezeichnet, indes ein gesonderter Kanzleisitz nicht angegeben ist. Ferner bezieht er sich auf eidesstattliche Versicherungen des Rechtsanwalts R, eines Mandanten, des Architekten B, sowie des Richters am Amtsgericht L, der am Amtsgericht Minden eine Mietabteilung hat, und legt eine eigene eidesstattliche Versicherung vor, in der der Inhalt von Gesprächen mit dem früher als Referendar in der Praxis T, E u.a. tätigen Rechtsanwalts Horstmann sowie mit früheren Büroangestellten wiedergegeben wird. Deren Inhalt geht dahin, daß ab Januar 1994 der neu in die Sozietät eingetretene Rechtsanwalt H das Mietdezernat der beteiligten Rechtsanwältin übernommen habe und ihm das vorher von ihr und in ihrer Abwesenheit von Referendaren genutzte Zimmer überlassen worden sei. Sie sei aber weiter in der Praxis erschienen, um besprochene Kassetten schreiben zu lassen, und vereinzelt auch, um Besprechungen mit Mandanten zu führen, die nicht von Rechtsanwalt H übernommen worden seien. Hierzu sei dann jeweils das Zimmer eines nicht anwesenden Anwalts benutzt worden. Zu diesen Besprechungen habe sie auch ihre Kinder mit ins Büro gebracht. Hieraus leitet der Antragsteller her, daß sie sich auch im übrigen nur ihren Kindern gewidmet habe, zumal ihr Ehemann eine gutgehende Praxis in Minden betreibe. Jedenfalls bis Ende 1994 habe es sich bei der angeblichen Praxis in Q um eine "Scheinkanzlei" gehandelt, was auch daraus deutlich werde, daß ein Praxisschild erst Anfang 1995 angebracht worden sei. Deren Zweck habe möglicherweise darin bestanden, der Sozietät T, E u.a., in der bereits fünf Anwaltsnotare tätig seien, Notariatsmandate zuzuführen, welche die beteiligte Rechtsanwältin infolge ihrer Beanspruchung durch ihre Kinder und Hausfrauentätigkeit nicht selbst bearbeiten wolle.

Desweiteren beruft der Antragsteller sich darauf, daß bei der beteiligten Rechtsanwältin ein ordnungsgemäßer Geschäftsbetrieb nicht gewährleistet sei. Personal werde nicht beschäftigt. Bei telefonischen Anfragen melde sich in der Regel nur der Anrufbeantworter. Der Kanzleisitz in einem früheren landwirtschaftlichen Anwesen der Familie ihres Ehemanns sei von der Lage in dem ländlich strukturierten Ortsteil O für mögliche Mandanten ungeeignet. Möglicherweise werde mit der Praxis nur der Zweck verfolgt, infolge dort entstehender Verluste die Einkünfte ihres beruflich erfolgreichen Ehemanns teilweise zu kompensieren. Schließlich sei die Gefahr nicht auszuschließen, daß es zu einer beruflichen Zusammenarbeit zwischen ihr und ihrem Ehemann komme.

Der Antragsteller beantragt in der Hauptsache,

1. den Antragsgegner zu verpflichten, ihm die freie Notarstelle in Q im Amtsgerichtsbezirk Minden zu übertragen,

2. hilfsweise, den Antragsgegner zur Neubescheidung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats zu verpflichten,

sowie im Wege der einstweiligen Anordnung

es dem Antragsgegner zu untersagen, das Stellenbesetzungsverfahren durch Bestellung der beteiligten Rechtsanwältin abzuschließen.

Der Antragsgegner und die beteiligte Rechtsanwältin beantragen,

die Anträge auf gerichtliche Entscheidung und auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen.

Der Antragsgegner macht geltend, daß die Erfüllung der örtlichen Wartezeit keine zwingende Voraussetzung für die Bestellung zum Notar sei und bei gegebenem Anlaß im Rahmen einer umfassenden Gesamtwürdigung aller Umstände unter Einbeziehung auch solcher persönlicher Art in besonderen Fällen von dem Erfordernis abgewichen werden könne. Hierbei könne eine Freistellung dann geboten sein, wenn ohne Einhaltung der Wartezeit sichergestellt sei, daß ein Bewerber mit den örtlichen Verhältnissen hinreichend vertraut sei, die organisatorischen Voraussetzungen für die Geschäftsstelle geschaffen seien und die erforderliche wirtschaftliche Grundlage für die Notarpraxis gewährleistet sei. Er meint unter näherer Darlegung der Tatsachen, die er seiner Auswahlentscheidung zugrunde gelegt hat, daß diese Voraussetzungen in der Person der beteiligten Rechtsanwältin erfüllt seien.

Diese behauptet, sie habe ihre Kanzlei Ende 1993 nicht nur "offiziell", sondern tatsächlich nach Q verlegt. Den Entschluß, künftig zuhause als Einzelanwältin tätig zu sein, habe sie schon kurze Zeit nach Bekanntwerden ihrer dritten Schwangerschaft gefaßt, und dessen Realisierung sei bereits im Sommer 1993 durch den Bau eines Büroanbaus an ihr Wohnhaus mit separatem Eingang in die Wege geleitet worden. Nach Bekanntgabe ihrer Entscheidung habe einer ihrer damaligen Sozii den Vorschlag einer überörtlichen Sozietät unterbreitet, der allseits Zustimmung gefunden habe. Sie sei sodann absprachegemäß noch bis Mitte Oktober 1993 entsprechend der vorherigen Handhabung zu festen Zeiten halbtags (teilweise nachmittags, teilweise morgens) in der Kanzlei in Minden gewesen und habe dort bis Dezember noch einzelne Mandate bearbeitet. Danach habe sie ihre anwaltliche Tätigkeit, allerdings wegen ihres dritten Kindes zunächst nur in eingeschränktem Umfang, nach Q verlagert. In der Kanzlei in Minden sei sie nur erschienen, um besprochene Kassetten schreiben zu lassen, Post auszutauschen und Besprechungen mit den Sozii und Mitarbeitern zu führen. Besprechungstermine mit Mandanten habe sie nicht als Anwältin, sondern nur im Rahmen von Notarvertretungen unter Benutzung des Büros des jeweils vertretenen Notars gehabt. Es treffe zwar zu, daß neben Briefbögen, auf denen in einer Fußzeile auf ihr Büro in Q hingewiesen worden sei, auch Bögen ohne einen entsprechenden Hinweis benutzt worden seien. Gerade die Briefbögenproblematik, in der ihre Kollegen nicht von der bisherigen Handhabung hätten abweichen wollen, sei mitbestimmend für ihren Entschluß gewesen, die Sozietät zum 31.12.1994 zu verlassen.

In ihrer Kanzlei in Q habe sie wegen der Bekanntheit ihres Ehemanns und dessen örtlicher Verwurzelung zunehmend Mandantschaft aus dem gesamten Ort. Ihr Büro sei voll mit EDV ausgestattet und ihre Erreichbarkeit sei gerade wegen der räumlichen Verbindung von Büro und Wohnung sowie über einen Anrufbeantworter gewährleistet. Der Umfang ihrer Mandate habe inzwischen schon so zugenommen, daß sie eigentlich schon jetzt eine Fachkraft benötige, deren Einstellung sie aber zunächst zurückgestellt habe, um abzuwarten, ob diese auch Notariatskenntnisse benötige. Ein Büroneubau auf dem Anwesen, in dem zwei getrennte Büros für die Praxis ihres Ehemannes mit derzeit 13 Mitarbeitern sowie für ihre Kanzlei errichtet werden sollten, sei mit einem avisierten Baubeginn für Anfang 1998 in der Planung. Sie meint schließlich, daß das zeitweise "Zurückfahren" ihrer beruflichen Tätigkeit wegen ihrer Kinder ihr nicht zum Nachteil gereichen dürfe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Der Besetzungsvorgang 3830 - I B. 5 Minden des Antragsgegners sowie die Personalakten I c L xx1 und I c S xx2 des Präsidenten des Oberlandesgerichts Hamm lagen vor und waren Gegenstand der Verhandlung und Beratung.

II.

Der zulässige Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat in der Sache keinen Erfolg.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist weder mit dem in erster Linie geltend gemachten Begehren auf Bestellung zum Notar noch mit dem Hilfsantrag auf Neubescheidung begründet.

Die Entschließung des Antragsgegners, der beteiligten Rechtsanwältin bei der Besetzung der Stelle gegenüber dem Antragsteller den Vorzug zu geben, ist nicht rechtswidrig.

Die Auswahlentscheidung des Antragsgegners unterliegt als Akt wertender Erkenntnis nur einer eingeschränkten Rechtsprüfung. Sie ist vom Senat nicht zu wiederholen, sondern kann nur daraufhin überprüft werden, ob ihr ein zutreffendes Verständnis des gesetzlichen Auswahlmaßstabs zugrunde liegt, ob allgemein gültige Wertmaßstäbe beachtet, sachwidrige Erwägungen ausgeschlossen sind und ob der zu beurteilende Tatbestand verfahrensfehlerfrei festgestellt wurde ( vgl. z.B. BGH NJW 1993, 2040 u. NJW 1994, 3354).

1.

Was das Auswahlverfahren selbst anbelangt, lassen sich Fehler nicht feststellen; insbesondere konnte und durfte der Antragsgegner die erst am 2.6.1995 und damit am Tag nach Ablauf der Bewerbungsfrist eingereichte Bewerbung der beteiligten Rechtsanwältin berücksichtigen.

Der Antragsgegner hat die Bewerbungsfrist von einem Monat in § 19 Abs. 1 seiner AVNot dadurch, daß nach Fristablauf eingegangene Bewerbungen nur bei Vorliegen besonderer, ausdrücklich aufzuführender Gründe berücksichtigt werden, als Ausschlußfrist gestaltet. Dies war nicht nur zulässig, sondern zur Vermeidung einer willkürlichen Einflußnahme auf den Bewerberkreis geboten (vgl. BGH NJW 1995, 2361).

Die Annahme des Antragsgegners, daß die beteiligte Rechtsanwältin besondere Gründe im Sinne des § 19 Abs. 1 S. 2 AVNot dargetan und glaubhaft gemacht habe, die eine ausnahmsweise Berücksichtigung ihrer Bewerbung ermöglichen, begegnet keinen Bedenken.

Sie hat näher dargelegt, daß sie sich am 15.5.1995 wegen eines schon seit längerem geplanten operativen Eingriffs in stationäre Krankenhausbehandlung begeben habe. Da noch Bescheinigungen über Vertretungen der in der Praxis T, E u.a. amtierenden Notare sowie die Teilnahmebescheinigung über einen erst kurz zuvor besuchten Fortbildungskurs gefehlt hätten, habe sie sich an den Bürovorsteher U in der Praxis gewandt, der ihr eine Einreichung der Unterlagen nach deren Vervollständigung zugesagt und nach Beibringung der letzten Vertreterbescheinigung am 29.5.1995 durch den an diesem Tag aus dem Urlaub zurückgekehrten Notar in der Weise veranlaßt habe, daß die Unterlagen von dem Rechtsanwalt und Notar Dr. I zum Landgericht Bielefeld gebracht werden sollten. Erst am 2.6.1995 sei sodann festgestellt worden, daß letzteres nicht geschehen sei, sondern die Bewerbungsunterlagen aus nicht geklärten Gründen in eine Generalakte gelangt seien.

Dieses Vorbringen, das nicht nur durch eidesstattliche Versicherungen der beteiligten Rechtsanwältin, des Bürovorstehers U sowie der Büroangestellten C und eine ärztliche Bescheinigung glaubhaft gemacht worden ist, sondern zudem erhärtet wird durch die aus den Bewerbungsunterlagen ersichtlichen Daten über die Ausstellung von Vertreterbescheinigungen und die Beglaubigung von weiteren Anlagen, rechtfertigt die Annahme eines besonderen Grundes im Sinne des § 19 Abs. 1 S. 2 AVNot. Hieraus ergibt sich nachvollziehbar, daß die beteiligte Rechtsanwältin vor Antritt ihres Krankenhausaufenthaltes geeignete Maßnahmen getroffen hatte, um einen rechtzeitigen Eingang der Bewerbung sicherzustellen. Daran, daß dies nicht geschehen ist, trifft sie kein Verschulden, so daß ihr in einem gerichtlichen Verfahren Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren gewesen wäre. Wenn der Antragsgegner hieran anknüpft, stellt dies eine sachgerechte Entschließung dar.

2.

Es kann nicht festgestellt werden, daß der Antragsgegner seiner Auswahlentscheidung ein unzutreffendes Verständnis der Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Ziff. 2 BNotO zugrunde gelegt hat.

Ein Absehen von dem Erfordernis der mindestens dreijährigen Wartezeit ist als solches sowohl nach der gesetzlichen Regelung wie auch nach den in deren Ausführung ergangenen Regelungen in den §§ 16 Abs. 1 lit. d), 17 AVNot möglich. Bereits der Wortlaut der Norm mit der Verwendung der Begriffe "soll in der Regel" macht deutlich, daß es sich hierbei nur um eine nicht zwingende Regelvoraussetzung handelt, von der in Ausnahmefällen abgewichen werden kann. Hierdurch wird der Justizverwaltung die Möglichkeit eröffnet, bei grundsätzlicher Geltung der schematischstarren, aber nicht zuletzt im Interesse der Rechtssicherheit und der Rechtspraktikabilität notwendigen Wartezeitregelung die erforderlichen Ausnahmen zuzulassen, deren Annahme nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht nur dann in Betracht kommt, wenn an dem fraglichen Ort kein oder nur ein Notar amtiert oder wenn ohne Bestellung des Bewerbers eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit notariellen Leistungen nicht sichergestellt wäre. Mit Blick auf Sinn und Zweck der Vorschrift kann die Freistellung des Bewerbers von dem Erfordernis der örtlichen Wartezeit vielmehr auch dann geboten sein, wenn ohne deren Einhaltung sichergestellt ist, daß er mit den örtlichen Verhältnissen hinreichend vertraut ist und die organisatorischen Voraussetzungen für die Geschäftsstelle sowie die erforderliche wirtschaftliche Grundlage für die Notarpraxis gewährleistet sind. Bei gegebenem Anlaß setzt daher die Prüfung, ob ein Ausnahmefall vorliegt, eine umfassende Gesamtwürdigung aller insoweit erheblichen Umstände voraus. Dabei ist die Justizverwaltung verpflichtet, auch Umstände persönlicher Art in die Prüfung einzubeziehen (vgl. BGH, Beschluß vom 18.9.1995 - NotZ 36/94 -).

Anlaß für die Prüfung der Frage, ob es geboten ist, einen Ausnahmefall in Erwägung zu ziehen, besteht daher dann, wenn in der Person eines Bewerbers im Einzelfall Umstände vorliegen, die den Schluß darauf zulassen, daß der vom Gesetzgeber mit der Regelvoraussetzung der örtlichen Wartezeit verfolgte Zweck auch ohne eine dreijährige hauptberufliche anwaltliche Tätigkeit an dem in Aussicht genommenen Amtssitz erfüllt wird.

Die Annahme derartiger Umstände im vorliegenden Fall durch den Antragsgegner ist ebenfalls frei von Rechtsfehlern; insbesondere liegen ihr keine unzutreffenden tatsächlichen Erwägungen zugrunde.

a)

Der zu beurteilende Sachverhalt erlaubt die Feststellung, daß die beteiligte Rechtsanwältin mit den örtlichen Verhältnissen vertraut ist.

Sie wohnt bereits seit 1988 in Q, und ihr Ehemann ist in dem Ortsteil, in dem sie ihre Praxis unterhält, verwurzelt. Der größte Teil ihrer in der eingereichten Liste aufgeführten Mandanten stammt aus Q. Der Ortsteil O wiederum grenzt zwar an Minden an, ist aber, worüber im Termin Einvernehmen zwischen den Beteiligten bestand, nicht wesentlich anders strukturiert als z.B. der jenseits der Weser und ebenfalls in der Nähe von Minden gelegene Ortsteil C1, wo sich die Praxis des Antragstellers befindet. Ein eigentliches Zentrum hat die im Rahmen einer kommunalen Neugliederung aus mehreren Gemeinden gebildete Stadt Q nicht.

Die weitere Feststellung des Antragsgegners, die beteiligte Rechtsanwältin sei bereits etwa 1½ Jahre als Anwältin vor Ort tätig gewesen, trifft zu. Auch der Senat hat keine Zweifel daran, daß sie ihre anwaltliche Tätigkeit bereits nach der Geburt ihres dritten Kindes Ende 1993 und nicht erst ab Januar 1995 nach Q verlagert und dort nicht lediglich eine Scheinkanzlei unterhalten hat.

Ihr standen nach ihren glaubhaften Angaben im Termin in einem im Jahre 1993 errichteten Büroanbau Räumlichkeiten für die Ausübung anwaltlicher Tätigkeit zur Verfügung, und sie hat - auch nach der Darstellung des Antragstellers - seit der Jahreswende 1993/94 kein Bürozimmer in Minden mehr gehabt. Ihr Mietdezernat in der Kanzlei T, E u.a. war von Rechtsanwalt H übernommen worden. Das bloße Vorbeibringen von besprochenen Kassetten, um diese schreiben zu lassen, stellt ebensowenig eine anwaltliche Tätigkeit dar wie die Teilnahme an sozietätsinternen Besprechungen. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, daß sie in Ausübung anwaltlicher Tätigkeit Besprechungstermine mit Mandanten gehabt hat, lassen sich auch der eidesstattlichen Versicherung des Antragstellers nicht entnehmen. Ein Referendar oder eine Büroangestellte konnte nicht unbedingt wissen, welchen Zwecken Besprechungen dienten, die im Büro eines nicht anwesenden Mitglieds einer Sozietät von Rechtsanwälten und Anwaltsnotaren stattfanden. Angesichts der Tatsache, daß die Beteiligte in dem hier interessierenden Zeitraum wiederholt zur Notarvertreterin bestellt war, nämlich vom 25.4.-9.5.1994 für Notar J, vom 25.6.-10.7. und vom 25.-30.7.1994 für Notar K sowie vom 17.8.-12.10.1994 für Notar T, und sie während dieser Zeit insgesamt 52 Urkundsgeschäfte, davon 28 Beurkundungen getätigt hat, bestehen keine Bedenken gegen die Richtigkeit ihrer Darstellung. Gerade die Tatsache, daß sie neben ihren beiden anderen Kindern einen Säugling zu betreuen hatte, läßt es im Gegenteil als naheliegend erscheinen, anfallende berufliche Tätigkeiten möglichst in dem Büroanbau ihres Wohnhauses auszuüben.

Dem entgegenstehende Schlüsse lassen sich aus der Gestaltung der Briefbögen, die in der Praxis T, E u. a. verwandt wurden, nicht ziehen; denn auch auf solchen Bögen, bei denen das gesonderte Büro in Q nicht in der Fußzeile erwähnt ist, ist in von der beteiligten Rechtsanwältin bearbeiteten Sachen in der Rubrik "Sachbearbeiterin" nicht die Durchwahl-Nr. in Minden, sondern die Nr. "...#", also diejenige der Beteiligten in Q vermerkt (GA 16, 18). Eine Ausnahme hiervon findet sich nur in dem Schreiben vom 2.2.1994 an die Anwaltssozietät, der der Antragsteller angehört (GA 21). Dieses Schreiben ist indes nicht von ihr, sondern von Rechtsanwalt H unterzeichnet.

Die Tatsache schließlich, daß die beteiligte Rechtsanwältin erst 1995 ein Praxisschild hat anbringen lassen, findet ihre Erklärung wiederum leicht darin, daß sie ihre berufliche Tätigkeit nach der Geburt ihres dritten Kindes eingeschränkt und ihren eigenen Angaben zufolge im Jahre 1994 nur wenige Mandate bearbeitet hat, deren genaue Zahl sie nicht nennen konnte. Davon, daß sie tatsächlich auch nach der Geburt des Kindes weiterhin anwaltlich tätig war, ist der Senat ebenfalls überzeugt, zumal ihre Angaben erhärtet werden durch vorgelegte Schriftstücke wie die Kostenrechnung vom 19.7.1994 (GA 18) oder die Klageschrift in einem sozialgerichtlichen Verfahren (Bl. 68 des Besetzungsvorgangs), die vom 17.3.1994 stammt, also zu einem Zeitpunkt verfaßt wurde, zu dem das dritte Kind erst wenige Monate alt war. Auch das Vorbeibringen von besprochenen Kassetten, um diese in der Praxis T, E u.a. schreiben zu lassen, macht deutlich, daß sie sich nicht lediglich der Kinderbetreuung gewidmet hat, sondern weiter anwaltlich tätig gewesen ist.

Da zudem das Merkmal der hauptberuflichen Tätigkeit in § 6 Abs. 2 Nr. 2 BNotO, mit dem eine Abgrenzung zu angestellten (Syndikus-) Anwälten erfolgen soll, nicht auf den Umfang anwaltlicher Tätigkeit abstellt, sondern es nur darauf ankommt, ob der Bewerber an dem Ort "auch wirklich tätig gewesen ist" bzw. seinen Beruf in der spezifischen Form des freien Anwalts tatsächlich ausgeübt hat (vgl. BGH DNotZ 1977, 486; Seybold/Schippel, BNotO 6. Auflage, § 6 Rdn. 20), konnte der Antragsgegner nach alledem seiner Auswahlentscheidung eine Verweildauer der beteiligten Rechtsanwältin ab der Jahreswende 1993/94 zugrunde legen.

b)

Mit dem Antragsgegner hat der Senat keine Zweifel daran, daß bei der beteiligten Rechtsanwältin die organisatorischen Voraussetzungen für eine Geschäftsstelle geschaffen und die wirtschaftlichen Grundlagen für das Notaramt gewährleistet sind.

Ihre Anwaltspraxis ist zwar derzeit noch klein und wird ohne Hilfskräfte geführt. Dies beruht aber erkennbar darauf, daß sie ihre anwaltliche Tätigkeit nach der Geburt ihres dritten Kindes zeitweise eingeschränkt und danach schrittweise begonnen hat, ihre eigene Praxis in Q aufzubauen. Auch insoweit erscheinen dem Senat ihre Angaben im Termin über die Ausweitung ihrer anwaltlichen Tätigkeit, die Anfang bis Mitte 1995 etwa 5 - 6 Stunden pro Tag betragen hat und inzwischen zu einer regelmäßigen Anwesenheit im Büro von 9.00 Uhr bis gegen Mittag sowie nach einer Beaufsichtigung der Schularbeiten ihrer Kinder nochmals am Nachmittag führt, als glaubhaft. Die Schilderung ihrer Tätigkeit entspricht einem normalem Verhalten einer Frau, die mit zunehmendem Alter ihrer Kinder ihre berufliche Tätigkeit wieder ausbauen kann und will.

Daß die beteiligte Rechtsanwältin auch derzeit noch nur gelegentlich Schreibkräfte außer Haus heranzieht und ansonsten selbst auf dem PC schreibt, ist wegen der Vorteile, die EDV-Systeme nicht nur in der Verwaltung einer Anwaltskanzlei, sondern auch bei der Fertigung von Schriftsätzen infolge von Textbausteinen und Berechnungsmöglichkeiten in Routineangelegenheiten bzw. Korrektur- und Abänderungsmöglichkeiten in komplexen Sachen bieten können, nicht ungewöhnlich und entspricht einer rationellen und kostenbewußten Arbeitsweise. Ihr aus einem Raum mit einem Vorraum bestehendes Büro ist zwar relativ klein, erlaubt aber die räumliche Unterbringung einer Hilfskraft, die sie für den Fall einer Bestellung zur Notarin einstellen will. Auch insoweit ist es nachvollziehbar, wenn sie hiervon wegen der Unsicherheit, ob sie eine solche mit Fachkenntnissen auch im Notariat benötigt, zunächst abgesehen hat. Auch der Antragsteller beschäftigt derzeit nur Hilfskräfte mit Kenntnissen im anwaltlichen Bereich. Die Nutzung eigener Räumlichkeiten trägt schließlich dazu bei, daß Kosten relativ gering gehalten werden können.

c)

Der Antragsgegner hat schließlich die für die Annahme eines Ausnahmefalles gebotene umfassende Abwägung aller Umstände vorgenommen.

Er hat die Problematik, die sich daraus ergibt, daß der Zuschnitt der Kanzlei der beteiligten Rechtsanwältin derzeit noch klein ist, berücksichtigt. Seine Wertung, dies sei unbedeutend und lasse nicht den Schluß zu, sie werde im Falle einer Bestellung zur Notarin ihrer Pflicht zur Amtsbereitschaft nicht nachkommen, ist - wie die vorstehenden Ausführungen zeigen - aufgrund des Sachverhalts in gleicher Weise möglich wie seine Feststellung, sie wolle sich mit zunehmenden Alter ihrer Kinder wieder stärker ihrem Beruf widmen. Die Einbeziehung der besonderen persönlichen Komponenten bei der beteiligten Rechtsanwältin infolge der beruflichen Umorientierung im Zusammenhang mit der Geburt des dritten Kindes ist rechtlich zulässig. Auch mit den weiteren Erwägungen, daß sie ein besseres Examen aufweise als der Antragsteller, länger anwaltlich tätig sei und für sie die bei Notarvertretungen mit 61 Beurkundungen gewonnenen Erfahrungen sowie die Teilnahme an mehreren notarspezifischen Fortbildungsveranstaltungen sprächen, während der Antragsteller lediglich eine Beurkundung vorzuweisen und an notariellen Fortbildungen nicht teilgenommen habe, hat der Antragsgegner in tatsächlicher Hinsicht zutreffende und sachgerechte Gesichtspunkte in seine Auswahlentscheidung einfließen lassen. Schließlich hat er nicht außer Acht gelassen, daß der Ehemann der beteiligten Rechtsanwältin Wirtschaftsprüfer ist. Anhaltspunkte dafür, daß eine berufliche Verbindung der Ehegatten gewollt ist, sind trotz der für die Zukunft gewollten Verlagerung seiner Praxis nach Errichtung eines Büroneubaus auf dem Hof des Grundstücks in Q nicht ersichtlich.

All dies führt dazu, daß die Entscheidung des Antragsgegners hinzunehmen und einer weiteren gerichtlichen Überprüfung entzogen ist.

III.

Die fehlende Begründetheit des Antrags auf gerichtliche Entscheidung in der Hauptsache führt dazu, daß im Falle der Bestellung der beteiligten Rechtsanwältin zur Notarin die Gefahr einer Beeinträchtigung von Rechten des Antragstellers durch eine rechtswidrige Maßnahme nicht droht und daher der Erlaß einer einstweiligen Anordnung nicht geboten ist.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 111 Abs. 4 Satz 2 BNotO in Verbindung mit §§ 200, 201 Abs. 1, 40 Abs. 4 BRAO, 13 a FGG.

Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 111 Abs. 4 Satz 2 BNotO in Verbindung mit §§ 202 Abs. 2 BRAO, 30 Abs. 2

KostO.






OLG Köln:
Beschluss v. 04.04.1997
Az: 2 VA (Not) 21/96


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