Oberlandesgericht Karlsruhe:
Urteil vom 17. Mai 2013
Aktenzeichen: 7 U 57/12

(OLG Karlsruhe: Urteil v. 17.05.2013, Az.: 7 U 57/12)

1. Sieht der Gesellschaftsvertrag vor, dass Beschlüsse der Gesellschafter binnen drei Monaten seit der Beschlussfassung durch Klage angefochten werden können, so genügt die Einreichung eines PKH-Gesuchs zur Wahrung der Frist nicht.

2. Der Ausschluss des Abfindungsanspruchs eines Gesellschafters ist auch im Falle der Ausschließung aus wichtigem Grund unwirksam; eine solche Regelung kann auch nicht als Vertragsstrafeversprechen ausgelegt werden.

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Baden-Baden vom 29. Februar 2012, 5 O 14/11, im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:

Es wird festgestellt, dass der auf den Gesellschafterversammlungen vom 14.12.2010 und 30.12.2010 der S-GmbH jeweils zum Tagesordnungspunkt 1.2 gefasste Beschlussteil: es wird festgestellt, dass nach § 10 Ziffer 1 des Gesellschaftsvertrages ein Abfindungsentgelt nicht geschuldet ist. Hilfsweise wird festgestellt, dass das Abfindungsentgelt nur nach Maßgabe eines Gerichtsurteils geschuldet ist, mit welchem die im Ausschluss des Abfindungsanspruchs liegende Vertragsstrafe herabgesetzt wird, nichtig ist.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die weitergehende Berufung zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen werden gegeneinander aufgehoben.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Zwangsvollstreckung kann durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abgewendet werden, sofern nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung ihrerseits Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin ficht als GmbH-Gesellschafterin mehrere Beschlüsse an, die in den Gesellschafterversammlungen vom 24.11., 14.12. und 30.12.2010 gefasst wurden.

Am 14. und 30.12 wurden folgende Beschlüsse gefasst:

TOP 1.1: Es wird festgestellt, dass in der Person der Gesellschafterin M. wichtige Gründe vorliegen, die dazu berechtigen, die Gesellschafterin aus der S- GmbH auszuschließen.

TOP 1.2: Die Gesellschafterin M. wird nach § 7 Ziff. 1 des Gesellschaftsvertrages aus der S- GmbH ausgeschlossen; es wird festgestellt, dass nach § 10 Ziff. 1 des Gesellschaftsvertrages ein Abfindungsentgelt nicht geschuldet ist. Hilfsweise wird festgestellt, dass das Abfindungsentgelt nur nach Maßnahme eines Gerichtsurteils geschuldet ist, mit welchem die im Ausschluss des Abfindungsanspruchs liegende Vertragsstrafe herabgesetzt wird.

TOP 1.3: Die Ausschließung der Gesellschafterin M. nach § 7 Z. 1 des Gesellschaftsvertrages wird mit sofortiger Wirkung beschlossen, die mit dem Zugang der förmlichen Mitteilung über den heutigen Beschluss bei der Gesellschafterin M. eintritt, spätestens aber mit Ablauf des 20.12.2010. Die Geschäftsführung wird ersucht, der Gesellschafterin M. die Einziehung schriftlich förmlich unter Beifügung eines Auszugs aus dem Protokoll über die heutige Versammlung mitzuteilen.

TOP 1.4/1.5: Zum Zwecke des Vollzugs der Ausschließung wird die Einziehung des Geschäftsanteils der Gesellschafterin M. in Höhe von 12.400,00 EUR, der die Nr. 5 in der Liste der Gesellschafter trägt, beschlossen. Die Einziehung ist wirksam, ohne dass es auf das Bestehen eines Abfindungsanspruchs dem Grunde nach oder auf die Höhe eines solchen Anspruchs ankommt. Für die Zwecke der Durchführung der Einziehung wird vorsorglich - unbeschadet der Rechtsauffassung der Gesellschaft zur Frage eines etwaigen Abfindungsanspruchs - die Schaffung einer Rücklage nach 272 II Nr. 4 HGB beschlossen, welche Zahlungen der Gesellschaft auf einen etwaigen Abfindungsanspruch ohne Verletzung der Kapitalerhaltungsvorschriften des GmbH-Gesetz ermöglicht. Die Geschäftsführung wird ersucht, zu gegebener Zeit Zusagen zur Dotierung der Rückstellung einzuholen.

TOP 1.6 a):Die Einziehung des Geschäftsanteils der Gesellschafterin M. in Höhe von 12.400,00 EUR der die Nr. 51 in der Liste der Gesellschafter trägt (statt einer Abtretung - vgl. § 9 Ziff. 3 des GmbH-Gesellschaftsvertrags), wie sie bereits zum Zwecke des Vollzugs der Ausschließung beschlossen wurde, soll auch zum Zwecke des Vollzugs des Austritts dienen, falls dieser rechtlich maßgeblich für das Gesellschafterausscheiden sein sollte. Sie soll mithin von der Fassung der Beschlüsse zur Gesellschafterausschließung (1., 1. bis 1., 3.) unabhängig sein. Maßgeblicher Stichtag ist in diesem Fall der 31.12.2010, 14.00 Uhr. Auch in diesem Fall wird der Gesellschaftsanteil der ausgeschlossenen Gesellschafterin eingezogen, ohne dass die Einziehung von der Entrichtung eines Abfindungsentgelts (nach § 9 Ziff. 4 des GmbH-Gesellschaftsvertrages in Verbindung mit § 10) abhängt.

TOP 1.6 b): Zum Zwecke der Durchführung der Einziehung soll - unbeschadet der Rechtsauffassung der Gesellschaft zu 1, 3 bis / 5 - die nach § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB geschaffene Rücklage such für Zwecke des Vollzugs des Austritts dienen falls die erklärte Austrittskündigung rechtlich maßgebend für das Gesellschafterausscheiden sein sollte. Auch die Bildung der Rücklage soll mithin von der Fassung der Beschlusse der Gesellschafterausschließung unabhängig sein Die Gesellschaft darf alle Maßnahmen ergreifen, die geeignet und erforderlich sind um die Rücklage betragsmäßig anzupassen und die der Rücklage im Sinne der zwingenden Kapitalerhaltungsvorschriften des GmbH-Rechts rechtlichen Bestand geben.

Der Gesellschaftsvertrag (K 6) sieht unter § 12 Nr. 9 vor, dass Beschlüsse der Gesellschafter nur binnen drei Monaten seit der Beschlussfassung durch Klage angefochten werden können.

Unter § 7 Nr. 1 erlaubt der Gesellschaftsvertrag (künftig GV), dass der Gesellschaftsanteil eines Gesellschafters durch Beschluss der Gesellschafter mit einfacher Mehrheit eingezogen werden kann ohne Zustimmung des betroffenen Gesellschafters u.a., wenn in der Person des Gesellschafters ein wichtiger Grund vorliegt, der seine Ausschließung aus der Gesellschaft rechtfertigen würde (§ 140 HGB). Unter § 7 Nr. 2 GV bestimmt er, dass die Einziehung ohne Entgelt erfolgt, wenn der Gesellschafter die Interessen der Gesellschaft grob verletzt hat.

Am 23.02.2011 ist ein Schriftsatz bei Gericht eingegangen, in dem das Gericht gebeten wurde, die Klageschrift unter Bewilligung von Prozesskostenhilfe unverzüglich zuzustellen, so dass die Wirkung des § 167 ZPO eintritt (I 5). Dieser Schriftsatz enthielt beigefügt einen handgeschriebenen Zettel, auf dem vermerkt war PKH-Antrag (Anl. 5) -> Zustellung nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Mit Verfügung vom selben Tag ist dieser Schriftsatz als Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe sowie ein Klageentwurf an die Beklagte übersandt und die Klägerin hiervon benachrichtigt worden. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe ist durch Beschluss vom 04.05.2011 mangels Bedürftigkeit zurückgewiesen worden, die sofortige Beschwerde ist am 27.06.2011 und die Anhörungsrüge am 01.07.2011 zurückgewiesen worden. Nach Mitteilung des vorläufigen Streitwerts, der am 14.07.2011 (I 107) auf EUR 12.400 festgesetzt worden ist, hat die Klägerin die Gerichtgebühren eingezahlt und am 22.07.2011 die Klageschrift eingereicht, die am 25.07.2011 der Beklagten zugestellt worden ist.

Die Klägerin hat die Anfechtungsklage bezüglich der Beschlüsse vom 24.11.2010 zurückgenommen. Hinsichtlich der Beschlüsse vom 14.12.2010, die am 30.12.2010 wiederholt wurden, hat sie geltend gemacht, ihre Ausschließung aus der Gesellschaft sei unwirksam.

Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass das Prozesskostenhilfegesuch die gesellschaftsvertraglich vorgesehene Anfechtungsfrist wahrte und auch anschließend die Zustellung nicht verzögert wurde. Die Beschlüsse seien unwirksam, wichtige Gründe im Sinne des § 140 HGB hätten nicht vorgelegen. Die der Klägerin vorgeworfenen Umstände knüpften an ihre Geschäftsführertätigkeit, nicht an ihr Verhalten als Gesellschafterin an.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und der Entscheidungsgründe wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihr Klageabweisungsinteresse weiter verfolgt. Die Klägerin hat ihre Berufung gegen die Kostenentscheidung, mit der ihr ein Drittel der Kosten des Rechtsstreits auferlegt worden war, zurückgenommen.

Für das weitere Berufungsvorbringen wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze verwiesen, für die Berufungsanträge auf die Sitzungsniederschrift vom 17.04.2013 (II 209).II.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und teilweise begründet, da die zulässige Klage entgegen dem erstinstanzlichen Urteilsspruch nur im tenorierten Umfang begründet war.

1. Anfechtungsklage

Die Klägerin hat die Beschlüsse vom 14.12.2013 und 30.12.2010 nicht innerhalb der durch § 12 Abs. 9 GV gesetzten 3-Monatsfrist mit einer Klage angefochten. Infolge der Versäumung dieser materiell-rechtlichen Ausschlussfrist (BGH, Urteil vom 15.06.1998, II ZR 40/97, NJW 1998, 3344, 3345) ist sie mit Anfechtungsgründen präkludiert und ihre Klage insoweit unbegründet. Es kann hierbei dahingestellt bleiben, dass § 12 Nr. 9 GV den Beginn der Klagefrist nicht regelt. Sie beginnt dann mit der Beschlussfassung und lief am 14.03.2011, beziehungsweise 30.03.2011 ab. Die Anfechtungsfrist ist nicht durch das innerhalb der Dreimonatsfrist zugegangene erfolglose Prozesskostenhilfegesuch und die am 25.07.2011 zugestellte Klage gewahrt worden.

a) Entgegen dem Vortrag der Klägerin (II 151) kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin unbedingt Klage erheben wollte, das erstinstanzliche Gericht dies verkannte und deshalb nur von einem Klageentwurf ausging. Der handgeschriebene beigefügte Zettel lässt an der Intention der Klägerin ebenso wenig Zweifel wie die Ausführung ihres Bevollmächtigten, wonach der Unterzeichnende einen Entwurf einer Klage gefertigt und Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe gestellt habe (SS v. 6.6.2011 S. 1; vgl. BGH, Beschluss vom 31. 8.2005, XII ZB 116/05, NJW-RR 2006, 140, 141)

b) Der Wortlaut des § 12 Abs. 9 GV bestimmt, dass die Frist durch Klage zu wahren ist. Dieser von den Parteien gewählte Wortlaut ist in seiner prozessualen Bedeutung eindeutig und nicht auf Anträge wie das Prozesskostenhilfegesuch, das in der Sache ein auf die Gewährung eines sozialhilferechtlichen Sonderbedarfs gerichtetes Verwaltungsbegehren ist, erweiterbar. Für den vergleichbaren Wortlaut des § 246 Abs. 1 AktG gilt nichts anderes (MünchKomm-AktG/Hüffer, AktG, 3. Aufl., § 246 Rn 42; OLG Celle, Beschluss vom 25.03.2010, 9 W 19/10, ZIP 2010, 1198). Zwar sind auch gesellschaftvertragliche Bestimmungen einer objektivierten Auslegung zugänglich. Diese muss sich aber gleichfalls am Wortlaut ausrichten, da der Sinnzusammenhang des § 12 Nr. 9 GV mit den übrigen Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags nichts anderes ergibt.

c) Ein über den Wortlaut hinausgehendes erweiterndes Verständnis des Gesellschaftsvertrages erscheint nicht geboten.

aa) Das GmbHG enthält zur Geltendmachung der Mangelhaftigkeit von Beschlüssen keine Regelungen.

(1) Nach nicht unbestrittener (vgl. Hüffer/Baumbach/Hueck, GmbHG, 20. Aufl., § 47 Rn 3) herrschender Ansicht sind auf fehlerhafte Beschlüsse der Gesellschafterversammlung einer GmbH die aktienrechtlichen Vorschriften mit der Folge entsprechend anzuwenden, dass von dem Versammlungsleiter festgestellte Beschlüsse, soweit sie zwar fehlerhaft, aber nicht nichtig sind, vorläufig verbindlich sind und angefochten werden müssen, wenn sie nicht endgültig wirksam werden sollen (st. Rspr. Nachweise bei BGH, Urteil vom 03.05.1999, II ZR 119/98, NJW 1999, 2115, 2116; BGH, Urteil vom 11.02.2008, II ZR 187/06, NJW-RR 2008, 706). Dieser Rechtslage trägt § 12 Nr. 9 GV Rechnung, indem er für die Geltendmachung der Mangelhaftigkeit eine Klage verlangt.

(2) Für die zur klageweise Anfechtung einzuhaltende Frist wird der in § 246 AktG bestimmten Monatsfrist allerdings nur eine Leitbildfunktion eingeräumt, weil die Breitenwirkung von Gesellschafterbeschlüssen bei der GmbH regelmäßig geringer und das Gewicht individueller Interessen entsprechend größer sei als bei der AG. Zudem seien die Auswirkungen einer Anfechtungsklage auf das Verhältnis der Gesellschafter untereinander häufig sehr erheblich und zögen die Vertrauensgrundlage zwischen den Gesellschaftern, die für die AG typischerweise keine Rolle spiele, auf der die GmbH aber in der Regel beruhe, nachhaltig in Mitleidenschaft (BGH, Urteil vom 21.03.1988, II ZR 308/87, NJW 1988, 1844). Aus der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht erwächst aber die Notwendigkeit, dass der Gesellschafter die Klage mit aller zumutbaren Beschleunigung erhebt. Wird die Monatsfrist wesentlich überschritten, so ist zu prüfen, ob der Gesellschafter an einer früheren Klageerhebung durch zwingende Umstände gehindert war (BGH, Urteil vom 01.06.1987, II ZR 128/86, NJW 1987, 2514). Ohne solche besonderen Umstände ist diese Monatsfrist zu wahren (BGH, Beschluss vom 13.07.2009, II ZR 272/08, DB GmbHR 2009, 1101 mwN).

Eine Regelung der Anfechtungsfrist in der Satzung ist daher zulässig, soweit nicht eine bei wertender Betrachtung unter allen Umständen als unangemessen anzusehende Frist festgesetzt wird. Eine solche Fristbestimmung wäre als unzulässiger Eingriff in ein nicht einschränkbares unverzichtbares Gesellschafterrecht von der Satzungsautonomie nicht mehr gedeckt (BGH, Urteil vom 21.03.1988, II ZR 308/87, NJW 1988, 1844). Die Monatsfrist des § 246 AktG wird daher als Untergrenze für die satzungsrechtliche Gestaltungsfreiheit angesehen, eine gesellschaftsvertragliche Verlängerung aber zugelassen.

Die in § 12 Nr. 9 GV festgesetzte 3-Monatsfrist wahrt diese Vorgaben und bestimmt eine dreimal längere Frist, als für gewöhnlich einzuhalten ist.

bb) Ein Prozesskostenhilfegesuch wahrte diese Frist nicht.

(1) So wird auch für die gesetzliche Frist des § 246 Abs. 1 AktG geurteilt, dass ein innerhalb der Monatsfrist eingereichtes Prozesskostenhilfegesuch nicht genügt (OLG Celle Beschluss vom 25.03.2010, 9 W 19/10, ZIP 2010, 1198 mwN). Hierfür spricht neben dem klaren Wortlauts der Vorschrift, dass § 246 Abs. 1 AktG trotz der bekannten Problematik und trotz Neuregelungen zur Anfechtung aktienrechtlicher Beschlüsse in § 246 und § 246a AktG nicht verändert worden ist, obwohl dies durch eine Erwähnung des Prozesskostenhilfeverfahrens oder, wie in dem auch in jüngerer Vergangenheit geschaffenen § 46 Abs. 1 Satz 3 WEG geschehen, durch Verweis auf eine entsprechende Anwendung der §§ 233 - 238 ZPO möglich war (zur PKH und § 46 WEG: Dötsch NZM 2008, 309).

(2) Dem PKH-Gesuch mit Klageentwurf kann auch nicht über § 167 ZPO fristwahrende Wirkung beigemessen werden, weil diese Bestimmung nur für eine anhängig gemachte Klage gilt. Auch mit § 204 Nr. 14 BGB kann eine solche Wirkung nicht erreicht werden, denn diese Bestimmung betrifft nur die Verjährung von Ansprüchen, nicht aber materiell-rechtliche Ausschlussfristen.

(3) Dies wird als unbefriedigend empfunden und über eine Rechtsfortbildung entweder in Anlehnung an § 167 ZPO (MünchKomm-AktG/Hüffer, 3. Aufl. § 245 Rn 43), § 204 Nr. 14 BGB (OLG Frankfurt NJW 1966, 838), §§ 233 - 238 ZPO (Hüffer aaO) oder im GmbH-Recht über eine Verlängerung der angemessenen Frist (K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10.Aufl. § 45 Rn 145) dem Prozesskostenhilfegesuch eine fristwahrende Bedeutung beigemessen.

Hierdurch soll einer auch verfassungsrechtlich als bedenklich angesehenen Rechtsschutzlücke begegnet werden, die bestehe, weil es eine bedingte Klageerhebung nicht gebe, eine Entscheidung über den PKH-Antrag nicht rechtzeitig zu erlangen sei und der Aktionär dann unter Vorlage der vollen Kosten die Klage erheben müsse (Hüffer aaO Rn 42).

Die Ausfüllung einer Regelungslücke praeter legem setzt bereits im Ansatz voraus, dass es sich um ein unbeabsichtigte Lücke handelt, daran bestehen aber wie unter (1) dargestellt erhebliche Zweifel.

Zudem zeigt die zitierte Begründung Hüffers, dass eine Regelungslücke genauerer Betrachtung bedarf. § 247 Abs. 2 und 3 AktG, die auch im GmbH-Recht entsprechend heranzuziehen sind (Koppensteiner/Gruber in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, 5.Aufl., § 247 Rn 144), ermöglichen es der über begrenzte Mittel verfügenden Partei, den Streitwert herabsetzen zu lassen. § 14 Nr. 3 GKG eröffnet zudem die Möglichkeit, eine Zustellung vor Zahlung eines Gerichtskostenzuschusses zu erlangen, wenn durch die verzögerte Zustellung ein Rechtsverlust, etwa durch Verstreichen einer Klagefrist (Binz, GKG, 2. Aufl., § 14 Rn 7) - wie hier - droht. Eine Rechtsschutzlücke besteht demnach nur, wenn diese beiden Möglichkeiten auch in ihrer Kombination nicht genügen. Dies mag der Fall sein, wenn der Anfechtende keinerlei Zahlungen erbringen kann. Dann wird ihm aber auch durch die Prozesskostenhilfe nicht jedes finanzielle Risiko abgenommen, da er im Unterliegensfall die Kosten des Gegners zu tragen hat. Überdies geht es um eine zwischen Privatpersonen in einem Gesellschaftsvertrag getroffene Regelung. In diesem Verhältnis entspricht es der Privatautonomie, dass die Parteien Vereinbarungen treffen können, wonach bestimmte Rechte von finanziellen Leistungen abhängig sind, etwa bestimmten Zahlungen oder Gestellungen von Sicherheiten, ohne dass es verfassungswidrig wäre oder der Bedürftige ein solches Risiko auf die Allgemeinheit verlagern könnte, wenn er diese Rechte nicht ausüben kann, weil er nicht über die Mittel verfügt, um diese Auflagen zu erfüllen.

Eine ausfüllungsbedürftige Regelungslücke läge auch nur vor, wenn kein anderes Vorgehen zumutbar ist, wie es hier mit der Verbindung von (unbedingter) Klageeinreichung und Prozesskostenhilfegesuch zur Verfügung steht. Wird in diesem Fall Prozesskostenhilfe bewilligt, steht sich die Partei nicht anders, als wenn sie ein Prozesskostenhilfegesuch mit einem Klageentwurf verbunden und nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe die Klageschrift eingereicht hätte. Wird die Prozesskostenhilfe mangels Bedürftigkeit versagt, treffen bei unbedingter Klageerhebung die Prozesskosten einen Leistungsfähigen. Möchte er die Klage zwar erheben, wenn er sie nicht bezahlen muss, nicht aber, wenn er dazu verpflichtet ist, führt die Ansicht, dass eine Prozesskostenhilfegesuch fristwahrend wirkt, zu einer Besserstellung des - wenn auch entschuldbar vermeintlich (Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl., § 234 Rn 8) - Bedürftigen gegenüber demjenigen, der seine finanzielle Leistungsfähigkeit richtig einschätzt. Eine solche Besserstellung ist mit der Prozesskostenhilfe nicht intendiert. Der Bedürftige, dessen Prozesskostenhilfegesuch wegen Mutwilligkeit zurückgewiesen wird, ist ohnehin nicht schutzwürdig. Nur wenn die Prozesskostenhilfe versagt wird, weil die Anfechtungsklage keine Aussicht auf Erfolg hat, trägt die bedürftige Partei, wenn die Klage unbedingt eingereicht ist, ein Prozesskostenrisiko, dass ihr mit einem Nacheinander von Prozesskostenhilfegesuch und Klage nicht zugemutet werden soll.

Bei einem solchen Nacheinander begegnet die Anwendung des § 234 ZPO oder seiner Wertung aber gleichfalls Bedenken. Es ist einhellige Meinung, dass auf die materiell-rechtliche Ausschlussfrist zur Beschlussanfechtung der auf prozessuale Fristen beschränkte § 234 ZPO auch seinem Grundgedanken nach keine (analoge) Anwendung findet (Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl. § 233 Rn 8; Teilmann, WM 2007, 1686, 1691). Der Rückgriff für den erfolglos um Prozesskostenhilfe Nachsuchenden wäre demnach, wenig überzeugend, singulär. Warum es aber verfassungsrechtlich bedenklich sein soll, wenn der mangels Erfolgsaussichten voraussichtlich erfolglos Klagende keine Gelegenheit erhält, eine nicht erfolgversprechende Klage mit Mitteln zu führen, über die er nicht verfügt, oder der vermeintlich Bedürftige nicht noch mal eine Überlegungsfrist bekommt, während derjenige, der etwa infolge eines Unfalls auf dem Weg zum Gerichtsbriefkasten die Klage nicht rechtzeitig einreichen kann, mit Anfechtungsgründen ausgeschlossen sein soll, erschließt sich nicht. Die Verfahrensgrundrechte auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), die es gebieten, den Zugang zu den Gerichten und den in den Verfahrensordnungen vorgesehenen Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BGHZ 151, 221, 227), sind für den Verunfallten in (mindestens) gleicher Weise tangiert. Im Rahmen der Anfechtungsfrist erlangt dies aber eben nur mittelbare Bedeutung, weil es um ein Element einer die Anfechtung materiell-rechtlich ausschließenden Regelung geht und in diesem Verhältnis die Interessen des Gesellschafters mit denen der Gesellschaft und der Mitgesellschafter unter Berücksichtigung des im Kapitalgesellschaftrecht besonders ausgeprägten Bedürfnisses nach Rechtssicherheit und Rechtsklarheit in ein Gleichgewicht gebracht werden müssen.

Der vorliegende Fall zeigt auch, dass der weitere Ausgangspunkt, eine Entscheidung im Prozesskostenhilfeverfahren könne nicht erreicht werden, nicht ohne weiteres richtig ist. Da der Streitstoff keine besonderen Umstände bietet, die - ohne gesellschaftsvertragliche Regelung - ein Überschreiten der grundsätzlich einzuhaltenden Monatsfrist rechtfertigen würden, konnte von der Klägerin erwartet werden, dass sie ihr Prozesskostenhilfegesuch binnen Monatsfrist erstellt und unter Hinweis auf eine drohende Klagefristverstreichung bei Gericht einreicht. Da die Anhörung des Gegners (§ 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO) nur zu den Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung und deren Mutwilligkeit erfolgt, im Übrigen ihre Länge aber auch von der Eilbedürftigkeit der Entscheidung abhängt, konnte umgehend ein die Bedürftigkeit verneinender Beschluss ergehen. Über die Erfolgsaussichten durfte jedenfalls nach der üblichen zweiwöchigen - hier betrug sie nach Verlängerung sechs Wochen - Anhörungsfrist eine Entscheidung erwartet werden. Die gesellschaftsvertragliche 3-Monatsfrist genügte demnach durchaus, um das Prozesskostenhilfeverfahren durchzuführen oder zumindest eine erste richtungsweisende Entscheidung zu erhalten.

Für den hier vorliegenden Regelfall ist daher schon nicht von einer unangemessen kurzen gesellschaftsvertraglichen Frist auszugehen, selbst wenn der Klägerin ein Prozesskostenhilfeverfahren vor Klageerhebung anstrebte.

d) Letztlich kann die Frage aber dahinstehen. Das Prozesskostenhilfegesuch der Klägerin wirkte nämlich selbst bei Anwendung der Wertungen des § 234 ZPO nicht fristwahrend. Denn es war aufgrund der gesellschaftsvertraglichen Treuepflicht notwendig, mit aller zumutbaren Beschleunigung vorzugehen. Daran fehlt es.

aa) Für den Maßstab der zumutbaren Beschleunigung kann auf §§ 233ff. ZPO zurückgegriffen werden. Für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist es erforderlich, dass innerhalb der wiedereinsetzungsfähigen Frist ein vollständiges Prozesskostenhilfegesuch eingebracht ist und der Antragsteller vernünftigerweise nicht damit rechnen muss, dass der Antrag wegen fehlender Bedürftigkeit abgelehnt wird (BGH, NJW-RR 2006, 140, 141). Dabei obliegt es dem Antragsteller gemäß § 117 Absatz 4 ZPO, zur Darlegung seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse den durch die Verordnung vom 17. 10. 1994 (BGBl. I 3001) eingeführten Vordruck rechtzeitig (vor Ablauf der Frist) ordnungsgemäß ausgefüllt zu den Akten zu reichen (BGH, Beschluss vom 19.05.2004, XII ZA 11/03, FamRZ 2004, 1548). Daran fehlt es, wenn - wie hier - die Erklärung unvollständig ist.

Die Angaben der Klägerin zu ihrer Bedürftigkeit waren auch für sie erkennbar unzureichend, widersprüchlich und unvollständig. So erklärte sie, Kindergeld zu erhalten, hatte aber ihre Tochter nicht im Gesuch genannt. Weiter gab sie einerseits an, nicht über Einkünfte zu verfügen, andererseits aber ein 440 m² großes Mehrfamilienhaus allein zu bewohnen, für ihre angeblich ertragslose gewerbliche Tätigkeit zu nutzen und hierfür monatlich EUR 3.658,75 aufzuwenden. Der Wert des Hauses war nicht glaubhaft gemacht, Darlehensunterlagen nur bruchstückhaft beigefügt. Eine Erklärung, wieso keine Mieteinkünfte erzielt wurden, obwohl sich der Streit mit dem Mitgesellschafter und der Beklagten bereits seit 1 ½ Jahren hinzog, war nicht gegeben. Die von der Klägerin gehaltene sechs Markenrechte waren nicht als Vermögenswerte genannt. Die Klägerin hatte als Gehalt, Gewinnbeteiligung und über ihre A.- Vertriebsgesellschaft in den Jahren 2006 bis 2009 jeweils Einkünfte im sechsstelligen Eurobereich, so dass erklärungsbedürftig war, wieso keine Vermögenswerte vorhanden sein sollten, aus denen die Prozesskosten finanziert werden konnten. Ausgehend von einem solchen Gesuch konnte mit einer (baldigen) Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht gerechnet werden.

bb) Das Prozesskostenhilfegesuch war aber auch im Hinblick auf die Erfolgsaussichten der geplanten Klage nicht erfolgversprechend. In Anlehnung an die Wiedereinsetzung ist alle zumutbare Beschleunigung nur gewahrt, wenn die Klägerin auf ihre Darstellung des Sach- und Streitgegenstandes hin im fristgerecht eingereichten Prozesskostenhilfegesuch mit der Bewilligung von Prozesskostenhilfe rechnen durfte (Zöller/Greger, aaO § 234 Rn 8).

(1) Ihre Anfechtung bezog sich auf die Beschlüsse 14.12.2010

TOP 1: Feststellung des Vorliegens von Ausschließungsgründen

TOP 1.2: Ausschluss der Klägerin ohne Abfindungsentgelt

TOP 1.3: Ausschluss mit sofortiger Wirkung

TOP 1.4/1.5/1.6: Beschluss über die Ausübung des Wahlrechts der Gesellschaft sowie Klarstellung

und die gleichlautenden Beschlüsse vom 30.12.2010

Sämtliche dieser Beschlussanfechtungen waren formelhaft mit folgenden Sätzen begründet:

Der Beschluss wird nicht von gesellschaftsrechtlich zulässigen Erwägungen getragen. Er dient vielmehr lediglich dazu, einem Gesellschafter die Kontrolle über die Gesellschaft zuzuspielen und ist daher als missbräuchlich zu bewerten. Irgendwie relevante Gründe gegen die Geschäftsführerin, die eine Verweigerung der Entlastung rechtfertigen würden, wurden nicht vorgebracht. Erkennbar wird verzweifelt versucht, einen Vorwand zu finden, weshalb der Mitgesellschafterin das ihr zustehende Auseinandersetzungsguthaben nicht ausgezahlt wird.

In dem Vorspann zu diesen Einzelausführungen wird dargelegt, die Klägerin habe Ansprüche auf anteiligen Gewinn und Lizenzgebühren, den Gesellschaftsvertrag habe sie gekündigt und habe daher Anspruch auf den Verkehrswert ihres Gesellschaftsanteils. Diese Ansprüche versuchte der Mitgesellschafter arglistig durch gesellschaftsrechtliche Manipulationen zu unterlaufen. Im Rahmen der Ausführungen zum Prozesskostenhilfeantrag wird die Beiziehung der Akten LG Baden-Baden, 4 O 36/09 KfH, angeregt. Weitere Ausführungen zur Sache erfolgen nicht.

Der Einladung zur außerordentlichen Gesellschafterversammlung vom 14.12.2010 war das Schreiben vom 05.12.2010 (Anlage BK 1) beigefügt, in dem auf die Vorgeschichte hingewiesen und mitgeteilt wurde, die Ausschließungsgründe ergäben sich maßgeblich auch aus dem Lebenssachverhalt, der Gegenstand des Verfahrens 4 O 64/10 vor dem LG Baden-Baden sei. In diesem Verfahren (später: 5 O 74/11 (7 U 170/11) ging es um eine Geschäftsführerhaftung der Beklagten im Zusammenhang mit einem Wettbewerbsverbot für einen freien Mitarbeiter, der eine Konkurrenzfirma gegründet hatte und um ein unterlassenes gerichtliches Vorgehen gegen diese Konkurrentin. In dem im Vorfeld durch Vergleich beendeten einstweiligen Verfügungsverfahren 4 O 36/09 sollte der Klägerin bis zu ihrer Abberufung als Geschäftsführerin in einer Gesellschafterversammlung auferlegt werden, die Geschäfte nur gemeinsam mit dem gleichfalls hälftigen Mitgesellschafter und Verfügungskläger zu führen. Zur Begründung war vorgetragen, dass die Klägerin keine Inventur zum 1.1.2007 und 31.12.2007 durchgeführt hatte, nachträglich in sich unstimmige Listen erstellt und diese als Inventurergebnis ausgegeben hatte, ihre Angaben zu verkauften Flaschen nicht plausibel zum Umsatz passten, sie über gefasste Gesellschaftsbeschlüsse hinaus einer Vertriebsgesellschaft, die ihr gehörte, Entgelt zukommen ließ, sinnlos überhöhte Warenbestände angeschafft hatte, unerklärliche Rechnungen vorlagen und Geschäftsführeraufgaben weitgehend auf externe Berater verlagert waren, obwohl diese Leistungen von der Klägerin zu erbringen gewesen wären.

(2) Es entspricht st. Rspr. des BGH, dass der Kläger einer Anfechtungsklage zur Vermeidung eines materiell-rechtlichen Ausschlusses innerhalb der einmonatigen Anfechtungsfrist des § 246 AktG zumindest der wesentliche tatsächliche Kern der Gründe vortragen muss, auf die er die Anfechtung stützt (vgl. BGH, Urteil vom 09.11.1992 - II ZR 230/91. BGHZ 120, 141, 156f. mwN); ein Nachschieben von neuen Gründen nach Ablauf der Frist ist ausgeschlossen (BGH, BGH, Urteil vom 12. 12. 2005 - II ZR 253/03, NZG 2006, 191). Diese Vortragslast muss auch für die Beurteilung der Erfolgsaussichten eines Prozesskostenhilfegesuchs gelten. Dass heißt, aus ihm müssen die wesentlichen Kerntatsachen ersichtlich sein, aufgrund derer die Beschlüsse angefochten werden sollen. Die Begründung des Prozesskostenhilfegesuchs erschöpft sich dagegen in inhaltsleeren Postulaten und Rechtsansichten. Sie betreffen zum Teil eine Entlastung als Geschäftsführerin, die mit den streitgegenständlichen Beschlüssen nicht in Zusammenhang steht. Im Übrigen bleibt die Begründung eine Darstellung des tatsächlichen Hintergrundes der Auseinandersetzung und der Beschlüsse, sowie der der Klägerin gemachten Vorwürfe und ihrer Haltung dazu schuldig. Ausführungen sind auch nicht deshalb entbehrlich, weil in anderem Zusammenhang auf ein beim gleichen Gericht früher rechtshängiges Verfahren zwischen anderen Parteien verwiesen wird oder sonst an dem Gericht noch Verfahren zwischen den Parteien anhängig sind. Es ist Aufgabe der klagenden Partei, den Streitgegenstand eines jeden Verfahrens zu beschreiben. Die Prüfung der Schlüssigkeit des klägerischen Anfechtungsvorbringens war mangels vorgetragener Tatsachen nicht möglich.

Im Ergebnis ist die Klägerin daher mit Anfechtungsgründen ausgeschlossen.

2. Nichtigkeitsgründe

Die materiell-rechtliche Ausschlusswirkung der Klagefristversäumnis auf die Anfechtungsgründe hindert aber nicht, dass die Beschlüsse TOP 1.2 vom 14.12. und 30.12. unter dem Gesichtspunkt der Nichtigkeit für nichtig zu erklären sind. Dem Erlass eines solchen Nichtigkeitsurteil steht auch nicht entgegen, dass die Klage als Anfechtungsklage bezeichnet war (K. Schmidt in Scholz, aaO § 45 Rn 48), denn beide Klagen verfolgen ein einheitliches Rechtsschutzziel (BGH, Urteil vom 17.02.1997, II ZR 41/96, BGHZ 134, 364).

Beschlüsse der Gesellschafterversammlung einer GmbH sind mangels einer eigenen Regelung im GmbHG nur unter den einschränkenden Voraussetzungen der für Hauptversammlungsbeschlüsse einer Aktiengesellschaft maßgebenden §§ 241f., 249 AktG nichtig (BGH, Urteil vom 17.02.1997, II ZR 41/96, BGHZ 134, 364).

Als ein solcher Nichtigkeitsgrund des auf § 7 Nr. 2 GV gestützten Ausschlusses kommt vorliegend ein Verstoß gegen die guten Sitten in Betracht. Nach allgemeiner Meinung sind sittenwidrige Beschlüsse der Gesellschafterversammlung einer GmbH allerdings nicht nach § 138 BGB, sondern analog § 241 Nr. 4 AktG nur dann nichtig, wenn sie durch ihren Inhalt gegen die guten Sitten verstoßen. Der Beschluss muss also "für sich allein betrachtet" gegen die guten Sitten verstoßen. Beschlüsse, bei denen nicht der eigentliche Beschlussinhalt, sondern nur Beweggrund oder Zweck unsittlich sind, oder bei denen die Sittenwidrigkeit in der Art des Zustandekommens liegt, sind lediglich anfechtbar. Insbesondere ist allgemein anerkannt, dass ein sittenwidriger Machtmissbrauch im Abstimmungsverfahren keine Nichtigkeit begründet. Eine Ausnahme wird nur dann gemacht, wenn der Beschluss in unverzichtbare Rechte des Gesellschafters eingreift oder Gläubiger schädigt, weil diese im Gegensatz zum Gesellschafter kein Anfechtungsrecht haben (BGH, Urteil vom 01.06.1987, II ZR 128/86, BGHZ 101, 113)

a) Im vorliegenden Fall ist der Beschlussinhalt, soweit er die Einziehung des Anteils nach § 7 GV ausspricht, nicht sittenwidrig. Gläubigerinteressen werden dadurch nicht berührt. Die Stellung als Gesellschafter ist kein unverzichtbares Recht, die Klägerin hatte durch ihre Kündigung bereits selbst zu erkennen gegeben, dass ihr an der Gesellschafterstellung nichts mehr lag. Im Übrigen wird die Ausschließbarkeit eines GmbH-Gesellschafters aus wichtigem Grunde auch ohne satzungsmäßige Grundlage aus dem das bürgerliche Recht und das Handelsrecht beherrschenden Grundsatz abgeleitet, dass Rechtsverhältnisse von längerer Dauer, die stark in die Lebensbetätigung der Beteiligten eingreifen oder eine besondere gegenseitige Interessenverflechtung mit sich bringen und ein persönliches Zusammenarbeiten, ein gutes Einvernehmen oder ein ungestörtes gegenseitiges Vertrauen der Beteiligten erfordern, vorzeitig gelöst werden können, wenn ein wichtiger Grund vorliegt.Hierbei können die Wertungsgesichtspunkte herangezogen werden, die aus den §§ 140, 142 HGB folgen (BGH, Urteil vom 23.02.1981, II ZR 229/79, BGHZ 80, 364), wie dies § 7 GV vorsieht. Der Streit über das Vorliegen eines solchen wichtigen Grundes kann daher dem Bereich der Anfechtung zugeordnet werden, die vorliegend infolge der Fristversäumnis nicht mehr zu prüfen ist.

b) Anders verhält es sich jedoch mit dem Abfindungsausschluss, der nach § 7 Nr. 2 GV bei einer groben Verletzung der Interessen der Gesellschaft eintritt. Die Frage seiner Zulässigkeit ist von der Frage der Ausschließung zu trennen und separat zu würdigen (Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 2. Aufl. § 131 Rn 128). Ein solcher völliger Abfindungsausschluss ist grundsätzlich unwirksam, auch bei Ausschließung des Gesellschafters aus wichtigem Grund (K. Schmidt in MünchKomm-HGB, 3. Aufl., § 131 Rn 166, Ulmer/Schäfer in MünchKomm-BGB, 5. Aufl., § 738 Rn 60, Hopt in Baumbach/Hopt, HGB, 35. Aufl., § 131 Rn 63). Der vollständige Abfindungsausschluss ist wegen Verstoßes gegen § 138 BGB, beziehungsweise § 241 Nr. 4 AktG unter dem Gesichtspunkt der sittenwidrigen Knebelung von Anfang an nichtig. Der Klägerin werden ungerechtfertigter weise erworbene Vermögenspositionen entzogen, ihre persönliche und wirtschaftliche Freiheit erheblich beeinträchtigt (Behnke NZG 1999, 111, 113), weil die Beschränkung, hier der Ausschluss der Abfindung, vollkommen außer Verhältnis zu den Beschränkungen steht, die erforderlich sind, um im Interesse der verbleibenden Gesellschafter den Fortbestand der Gesellschaft und die Fortführung des Unternehmens zu sichern (BGH, Urteil vom 16.12.1991, II ZR 58/91, BGHZ 116, 359). Eine solche Unverhältnismäßigkeit wird schon angenommen, wenn die Abfindung die Hälfte des Buchwerts betragen soll, und liegt erst recht bei einem vollständigen Ausschluss vor (Lorz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 2. Aufl., § 131 Rn 124f.). Es kann auch dahingestellt bleiben, ob Klauseln, die den Abfindungsanspruch einschränken, anderen Maßstäben unterliegen als solche, die einen vollständigen Ausschluss vorsehen. Denn jedenfalls der hier in streitstehende vollständige Ausschluss einer Abfindung verstößt gegen die guten Sitten.

§ 7 Nr. 2 GV kann auch nicht in ein Vertragsstrafeversprechen in Form einer Verfallklausel (Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. I, 1. Teil, 1977, S. 180) umgedeutet werden. Beide Rechtsinstitute verfolgen unterschiedliche Zwecke. Die Vertragsstrafe dient als Druckmittel zur Erzwingung vertragsgerechten Verhaltens und setzt ein Verschulden des Vertragsstrafeschuldners voraus, die Einziehung ist unabhängig von einem Verschulden des Gesellschafters möglich und dient dazu, die Gesellschaft davor zu schützen, dass ihr Vermögen zur Unzeit durch Abfindungsansprüche ausgehöhlt wird. Im Übrigen würde auch bei dieser Umdeutung die sittenwidrige Knebelung durch einen ungerechtfertigten Entzug miterarbeiteter Vermögenswerte erhalten bleiben (Behnke NZG 1999, 111, 113). Die Umdeutung für schuldhafte Verstöße hätte außerdem die Wirkung einer geltungserhaltenden Reduktion, die § 241 Nr. 4 AktG beziehungsweise § 138 BGB zuwiderläuft, der eben nicht lautet: Soweit ein Rechtgeschäft gegen die guten Sitten verstößt, ist es nichtig, sondern die Nichtigkeit des (ganzen) Rechtsgeschäfts anordnet. Dass § 139 BGB anwendbar sein mag, steht dem nicht entgegen.

Auch im konkreten Fall ergibt sich nichts anderes. Der § 7 Abs. 2 GV knüpft daran an, dass der Gesellschafter die Interessen der Gesellschaft grob verletzt. Hierin das Erfordernis eines schuldhaften Verhaltens des Gesellschafters zu sehen und damit einen Hinweis auf den Willen der Gesellschafter, eine Vertragsstrafe zu vereinbaren, überzeugt nicht. Die Interessen der Gesellschaft sind auch dann grob verletzt, wenn ihr ein besonders hoher Schaden entsteht oder die Pflichtverletzung ihrer Art nach besonders schwer wiegt, unabhängig von der persönlichen Vorwerfbarkeit (vergleichbar dem groben Behandlungsfehler im Arzthaftungsrecht). Dies gilt für die Formulierung grobe Pflichtverletzung, die im folgenden Absatz und § 10 GV benutzt wird, entsprechend. Auch dass ein gesetzlich geschuldetes Entgelt so niedrig wie möglich zu bemessen sein soll, gebietet keine andere Betrachtung. So wäre dem Bestandsinteresse der Gesellschaft bestmöglich Rechnung getragen. Dies macht auch Sinn, wenn ein besonders hoher Schaden schuldlos herbeigeführt wurde.

Der vollständige Ausschluss der Abfindung in § 7 Nr. 2 GV verstößt somit gegen die guten Sitten. Der Beschluss, der diese Folge feststellt, leidet an demselben Mangel, verstößt schon für sich allein betrachtet seinem Inhalt nach gegen die guten Sitten und ist daher nichtig. Dies gilt auch für den Zusatz: Hilfsweise wird festgestellt, dass das Abfindungsentgelt nur nach Maßgabe eines Gerichtsurteils geschuldet ist, mit welchem die im Ausschluss des Abfindungsanspruchs liegende Vertragsstrafe herabgesetzt wird. Er ist auf die Herabsetzung einer Vertragsstrafe nach § 343 BGB zugeschnitten, von der vorliegend nicht, auch nicht im Wege der Umdeutung, ausgegangen werden kann.

Soweit der Gesellschaftsvertrag in § 7 Nr. 2 weiter vorsieht, dass für den Fall, dass ein Entgelt rechtlich geschuldet sein sollte, dieses so niedrig wie möglich zu bemessen sein soll, kann hiermit der gefasste Beschluss, dass ein Abfindungsentgelt nicht geschuldet sei, auch nicht gerechtfertigt werden. Diese Bestimmung ist zu unbestimmt, um Rechtswirkungen zu zeitigen; es ist völlig unklar, was so niedrig wie möglich meint, jedenfalls ist dies nicht Null.

Da es sich bei Tagesordnungspunkt 1.2 um einen zusammengesetzten Beschluss aus der Ausschließung gemäß § 7 Nr. 1 a) GV und dem Abfindungsausschluss nach § 7 Nr. 2 GV handelt und eine Teilanfechtung einzelner Regelungsgegenstände, die eigene Streitgegenstände bilden, möglich ist (BGH, Urteil vom 11.06.2007, II ZR 152/06, NZG 2007, 907, 908), kann insoweit auch eine Teilnichtigkeit ausgesprochen werden. Aus dem Beschluss zu Tagesordnungspunkt 1.4 Die Einziehung ist wirksam, ohne dass es auf das Bestehen eines Abfindungsanspruchs ... ankommt, wird nämlich deutlich, dass die Ausschließung auch ohne den Ausschluss der Abfindung beschlossen worden wäre (§ 139 BGB). Die übrigen Tagesordnungspunkte betreffen den Ausschluss der Abfindung nicht. Sie stehen vielmehr im Zusammenhang mit der Ausschließung, gegen die die Klage unbegründet ist, so dass diese Beschlüsse nicht für nichtig zu erklären sind.III.

Für die der Kostenentscheidung zugrundeliegenden Streitwertvorstellungen verweist das Gericht auf den Hinweis vom 08.04.2013 (II 197). Der erstinstanzliche Streitwert beträgt danach EUR 844.728, wobei Klagerücknahme in Höhe eines Streitwerts von EUR 54.000 erklärt ist. Der zweitinstanzliche Streitwert beträgt EUR 790.128. Zu berücksichtigen ist ein Teilunterliegen der Klägerin, soweit der Ausschluss aus der Gesellschaft betroffen ist. Das Gericht sieht daher im Ergebnis, für beide Instanzen, eine Kostenaufhebung als gerechtfertigt an (§ 92 Abs. 1 ZPO). Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO. Die Revision ist zuzulassen. Die fristwahrende Wirkung eines (Nachfragen bedingenden) Prozesskostenhilfegesuchs und die Deutung eines vollständigen Abfindungsausschlusses als Vertragsstrafeversprechen haben grundsätzliche Bedeutung und bedürfen höchstrichterlicher Klärung (§ 543 ZPO).






OLG Karlsruhe:
Urteil v. 17.05.2013
Az: 7 U 57/12


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/dbaa05f1f05c/OLG-Karlsruhe_Urteil_vom_17-Mai-2013_Az_7-U-57-12




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