Landgericht München I:
Urteil vom 20. November 2009
Aktenzeichen: 7 O 17092/09

(LG München I: Urteil v. 20.11.2009, Az.: 7 O 17092/09)

Tenor

I. Die einstweilige Verfügung vom 09.09.2009 wird bestätigt.

II. Die Antragsgegnerin hat auch die weiteren Kosten des Verfahrens zu tragen.

Tatbestand

Der Antragsteller behauptet, dass die Verwendung des Wortes "akut" im Zusammenhang mit einem von der Antragsgegnerin vertriebenen Arzneimittel irreführend sei und begehrt der Antragsgegnerin zu untersagen, dieses Arzneimittel mit dem Wort "akut" zu bewerben.

Der Antragssteller ist ein eingetragener Verein, der gemäß § 1 UKlaV als Wettbewerbsverband eingetragen ist. Die Antragsgegnerin stellt Arzneimittel her. Seit dem 01.08.2009 bietet sie den Wirkstoff O in einer Dosierung von 20 mg je magensaftresistenter Hartkapsel unter dem Namen "O akut 20 mg" an. Dieses Arzneimittel ist apothekenpflichtig, aber nicht verschreibungspflichtig.

Bei dem alleinigen Wirkstoff des Mittels "O akut 20 mg" € O € (Fachinformationen vorliegend als AG 30) handelt es sich um einen Protonenpumpenhemmer. Auf der Verpackung des Arzneimittels ist der Anwendungsbereich des Medikaments mit "Bei Sodbrennen und saurem Aufstoßen" beschrieben. Das Medikament wird oral eingenommen und wird erst im Dünndarm vom Körper aufgenommen. Von dort gelangt es in den Blutkreislauf und wirkt von dort auf mittelbar wirkende Enzyme, die für die Produktion von Salzsäure im Magenbereich ursächlich sind. In der Folge wird vorerst keine weitere Salzsäure produziert. Vorhandene Säure im Magen wird nicht unmittelbar durch das Arzneimittel abgebaut, sondern reduziert sich lediglich durch den natürlichen Abbau. Da keine Säure nachproduziert wird, sinkt der Säuregehalt des Magens der für die Beschwerden Sodbrennen und saures Aufstoßen ursächlich ist und es tritt eine Besserung beim Patienten ein.

Der Antragssteller trug vor, dass es auf Grund der Wirkweise des Wirkstoffs O mindestens einen Tag dauern würde, bis eine Besserung der Beschwerden "Sodbrennen und saures Aufstoßen" eintritt. Es würde einen weiteren Wirkstoff (Antazida) gegen die gleichen Beschwerden geben, der eine andere Wirkweise habe. Nach Einnahme eines solchen Medikaments würde praktisch innerhalb von Sekunden eine Besserung des Sodbrennens oder des sauren Aufstoßens eintreten. Nachteil solcher Arzneimittel sei allerdings, dass dieser Wirkstoff keine nachhaltige Wirkweise habe.

Der Antragssteller ist der Ansicht, dass es eine Irreführung der angesprochenen Verkehrskreise, wenn ein Arzneimittel mit dem Wirkstoff "O" mit dem Zusatz "akut" beworben werde. Mit dem Wort "akut" würden die angesprochenen Verkehrskreise den Eintritt einer besonders schnellen Linderung der Beschwerden verbinden.

Die Bezeichnung des Medikaments "O akut 20 mg" sei irreführend, da kein besonders schneller Wirkeintritt gegeben sei. Es liege deshalb ein Verstoß gegen § 3 Nr. 1 HWG vor, da dem Medikament nicht vorhandene Wirkungen beigelegt würden. Zudem würde gegen § 8 I Nr. 2 AMG verstoßen, da das Medikament mit einer irreführender Angabe versehen sei. Diese beiden Vorschriften seien dazu bestimmt, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Deshalb sei der Verstoß gegen diese Vorschriften zugleich unlauter im Sinne von § 4 Nr. 11 UWG. Zusätzlich werde gegen § 5 I Nr. 1 UWG verstoßen.

Mit Schriftsatz vom 07.09.2009, der am 09.09.2009 bei Gericht einging, beantragte der Antragssteller den Erlass einer einstweiligen Verfügung. Am 09.09.2009 wurde antragsgemäß eine einstweilige Verfügung mit dem Tenor:

Der Antragsgegnerin wird bei Meidung

€ eines Ordnungsgeldes von EUR 5,€ bis zu EUR 250.000,€, an dessen Stelle im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ordnungshaft bis zu 6 Monaten tritt, oder

€ einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten,

zu vollziehen am Vorstand

für jeden einzelnen Fall der Zuwiderhandlung gemäß §§ 935 ff, 890 ZPO verboten, im geschäftlichen Verkehr für das Arzneimittel "O akut 20 mg" mit dem Wirkstoff O in einer Dosierung von 20 mg und mit den Anwendungsgebieten "zur Behandlung von Sodbrennen und saurem Aufstoßen" mit der Bezeichnung

"akut"

zu werben.

erlassen.

Diese einstweilige Verfügung wurde der Antragsgegnerin am 16.09.2009 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 17.09.2009, der am selben Tag bei Gericht einging, legte die Antragsgegnerin Widerspruch ein und beantragte eine Zwischenverfügung des Gerichts über die Einstellung der Zwangsvollstreckung. Mit Beschluss vom 18.09.2009 (Bl. 27) ordnete das Gericht an, dass die Zwangsvollstreckung nur gegen eine Sicherheitsleistung von 900.000 Euro stattfinden darf.

Die Antragsgegnerin behauptet, dass bei oraler Einnahme von O eine Hemmung der Magensäuresekretion bereits nach einer Stunde eintrete. Nach zwei Stunden habe diese ihr Maximum erreicht. Die vom Antragssteller genannten Antacida würden nicht innerhalb von Sekunden, sondern erst nach 10 bis 15 Minuten wirken.

Die Antragsgegnerin ist der Ansicht, dass die der Namensbestandteil "akut" nicht irreführend sei. Das vom Gericht bei Erlass der einstweiligen Verfügung angewandte Sprachverständnis von "akut" sei falsch. "Akut" bedeute "drastisch, dringend, heftig, resolut, unvermittelt auftretend", nicht jedoch "schnell". Medizinisch sei "akut" das Gegenstück zu "chronisch". Deshalb sei es richtigerweise so, dass das Wort "akut" den angesprochenen Verkehrskreisen anzeige, dass es sich um ein Medikament handle welches bei plötzlich auftretenden Beschwerden angewendet werden solle.

Auf das linguistische Gutachten zum Sprachverständnis des Wortes "akut" (AG 34) wird Bezug genommen.

Fertigarzneimitteln würden häufig mit dem Bezeichnungszusatz "akut" gekennzeichnet, wenn der Wirkstoff für bestimmte Anwendungsgebiete aus der Verschreibungspflicht entlassen worden sei oder wenn es von anderen Produkten abgegrenzt werden solle. Auch dies sei den Verkehrskreisen bekannt. Insgesamt sei es deshalb so, dass der angesprochene Verkehr in dem Wort "akut" keine Aussage über die Wirkgeschwindigkeit des Medikaments sehe.

Darüber hinaus sei ein Wirkungseintritt nach etwa einer Stunde durchaus als schnell zu bezeichnen. Ab diesem Zeitpunkt sei die Produktion neuer Säure gestoppt und da der Magen stetig Säure weiterleite, würde sehr zeitnah eine Linderung der Beschwerden eintreten. Im Übrigen sei der Vorteil von O die nachhaltige Wirkung, die bis zu 24 Stunden anhalte und deshalb nur eine einmalige tägliche Einnahme erforderlich mache. Antazida hätten hingegen lediglich eine Wirksamkeit von 30 bis 60 Minuten. Soweit in den vom Antragsteller vorgelegten Studien von einem Wirkungseintritt erst nach 24 Stunden gesprochen werde, so handele es sich um andere Erkrankungsbilder. Das streitgegenständliche Medikament sei nur für "Sodbrennen und saures Aufstoßen" zugelassen. Deshalb könne nicht auf Studien, welche sich mit schweren Krankheitsbildern befassen, abgestellt werden.

Zudem würde es an der Dringlichkeit für den Erlass einer einstweiligen Verfügung fehlen. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sei nicht innerhalb der im Gebiet des Oberlandesgerichts München üblichen Monatsfrist gestellt worden. Abzustellen sei hinsichtlich der Kenntnis nicht auf den Antragssteller selbst, sondern vielmehr auf das pharmazeutische Unternehmen, welches den Antragssteller auf das streitgegenständliche Produkt aufmerksam gemacht und die maßgeblichen Argumente, welche der Antragssteller in dieses Verfahren einführte, aufgezeigt habe. Es handele sich dabei mit Sicherheit um einen Mitbewerber der Antragsgegnerin, was sich auch daraus ergeben würde, dass der Antragssteller in der Lage war, die vom Gericht angeordnete Sicherheit in Höhe von 900.000 Euro zu leisten. Dies sei nur möglich, weil hinter dem Antragsteller ein finanzstarkes Unternehmen stehe. Dieser Mitbewerber habe mit Sicherheit vor dem 09.08.2009 Kenntnis von dem streitgegenständlichen Produkt gehabt. Seit der Änderung der am 21.07.2009 beschlossenen Verschreibungspflicht-Änderungsverordnung (AG 17) habe festgestanden, dass zum 01.08.2009 zahlreiche neue O-Präparate auf den Markt kommen würden. Deshalb hätten Mitbewerber die Lauer-Taxe mit Sicherheit beobachtet und bemerkt, dass zum 01.08.2009 das streitgegenständliche Produkt auf dieser gelistet worden sei. Zudem habe es eine großangelegte Werbekampagne für "O akut 20 mg" gegeben.

Gegen die Dringlichkeit spreche zudem, dass es seit dem 01.08.2009 weitere O-Präparate mit dem Bezeichnungszusatz "akut" gäbe. Gegen die anderen Anbieter dieser Arzneimittel sei der Antragssteller bislang in keiner Weise vorgegangen. Dies zeige deutlich, dass es dem Antragsteller nicht darum gehe, unlauteren Wettbewerb zu bekämpfen. Vielmehr sei er lediglich im Interesse eines Mitbewerbers tätig, um die Antragsgegnerin auszuschalten.

Die Antragsgegnerin beantragte in ihrem Schriftsatz vom 30.09.2009 auf den Widerspruch vom 17.09.2009

die einstweilige Verfügung vom 09.09.2009 aufzuheben.

Der Antragssteller beantragte mit Schriftsatz vom 02.10.2009 (Bl. 41),

die einstweilige Verfügung vom 09.09.2009 zu bestätigen.

Der Antragssteller erwidert, dass die Dringlichkeit gemäß § 12 II UWG gesetzlich vermutet werde. Der Antragssteller habe vor dem 11.08.2009 keine Kenntnis von den angegriffenen Verletzungshandlungen. Wann Mitbewerber der Antragsgegnerin von dem Vertrieb des streitgegenständlichen Produkts Kenntnis erlangten, sei ihm unbekannt, es sei aber auch ohne Bedeutung.

Es sei nicht dringlichkeitsschädlich, wenn der Antragssteller erst nur gegen einen Anbieter vorgehe. Verfahren wie das vorliegende hätten erhebliche Kostenrisiken und es sei deshalb sinnvoll, sich auf einzelne Verfahren zu konzentrieren. Zudem sei davon auszugehen, dass Mitbewerber gegen die Anbieter ähnlicher Produkte tätig würden, wenn bekannt werde, dass die Verwendung des Zusatzes "akut" für das streitgegenständliche Produkt von einem Gericht als unzulässig angesehen wurde.

Die Antragsgegnerin würde bei ihren Ausführungen über die Wirkweise des streitgegenständlichen Arzneimittels stets auf die Wirkung des Arzneimittels im Körper abstellen, nicht aber auf den Eintritt einer Linderung der Beschwerden des Patienten. Das streitgegenständliche Medikament behindere die Produktion neuer Magensäure. Dies führe aber erst zu einer Abnahme der Beschwerden, wenn die sich bereits im Magen befindliche Säure abgebaut oder abtransportiert werde. Dies würde zeitlich nach dem Wirkungseintritt des Arzneimittels liegen. Innerhalb der ersten 24 Stunden nach der Einnahme des Medikaments habe der Patient keine spürbare Erleichterung seiner Beschwerden.

Selbst wenn von einem Wirkungseintritt binnen einer bis zwei Stunden auszugehen wäre, so würde dies nicht den Anforderungen genügen, welche durch die Verwendung des Wortes "akut" hervorgerufen werden. Vor allem auch deshalb, weil es mit Antazida Arzneimittel auf dem Markt gäbe, die sehr kurzfristig wirken.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird Bezug genommen auf alle Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen.

Gründe

Der in der einstweiligen Verfügung vom 09.09.2009 enthaltene Unterlassungsanspruch war aufrecht zu erhalten. Es liegen Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund vor. Die zu Grunde liegenden Tatsachen wurden hinreichend glaubhaft gemacht.

Die Bezeichnung "akut" im Namen des Produkts "O akut 20 mg" hat werbenden Charakter und ruft beim durchschnittlichen Verbraucher eine Fehlvorstellung hervor. Dies stellt eine nicht unerhebliche unlautere Wettbewerbshandlung im Sinne von §§ 4 Nr. 11, 3 UWG, § 3 Nr. 1 HWG und § 8 I Nr. 2 AMG dar, die gemäß § 8 I UWG zu unterlassen ist.

I. Verfügungsanspruch

Die Bezeichnung des streitgegenständlichen Produkts mit dem Namen "O akut 20 mg" verstößt gegen § 3 Nr. 1 HWG und § 8 I Nr. 2 AMG, diese beiden Vorschriften sind auch dazu bestimmt, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Deshalb liegt eine unlautere Wettbewerbshandlung im Sinne von §§ 4 Nr. 11, 3 UWG vor.

§ 3 HWG verbietet irreführende Werbung für Arznei- und Heilmittel. Nach § 3 Nr. 1 HWG ist eine Werbung insbesondere dann irreführend, wenn dem Produkt eine therapeutische Wirksamkeit oder Wirkung beigelegt wird, die tatsächlich nicht vorhanden ist. Nach § 8 I Nr. 2 a AMG ist es verboten Arzneimittel mit irreführender Bezeichnung, Angabe oder Aufmachung zu versehen, die eine therapeutische Wirksamkeit oder Wirkung nahelegen, die tatsächlich nicht vorhanden ist. Beide Vorschriften sind zumindest auch dazu bestimmt, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regulieren (siehe BGH, GRUR 1983, 595 ff. € Grippewerbung II).

Durch den Bestandteil "akut" im Namen des streitgegenständlichen Produkts "O akut 20 mg" wird bei den angesprochenen Verkehrskreisen der Eindruck erweckt, dass es sich um ein Medikament handelt, welches sehr schnell wirkt. Die Bezeichnung "akut", die auf der Verkaufsverpackung auch grafisch herausgestellt wird, hat deshalb werbenden Charakter. Tatsächlich setzt eine spürbare Wirkung € selbst wenn man den Vortrag der Antragsgegnerin unterstellt € günstigstenfalls nach einer Stunde ein, bei vielen Anwendungen deutlich später. Dies ist länger, als Verbraucher von einem Medikament, welches mit dem Wort "akut" bezeichnet wird, erwarten. Deshalb liegt eine falsche Angabe über eine Wirkung des Arzneimittels im Sinne des § 3 Nr. HWG und eine irreführende Angabe im Sinne des § 8 I Nr. 2 a AMG vor.

Verständnis von "akut" im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Produkt

Das streitgegenständliche Produkt spricht weite Teile der Verbraucher an. Es handelt sich um ein apotheken-, aber nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel, welches bei den Indikationen "Sodbrennen und saures Aufstoßen" helfen soll. Das Produkt wurde von der Antragsgegnerin ursprünglich intensiv beworben. Deshalb kann der angesprochene Verkehrskreis so beschrieben werden, dass er sich aus Personen zusammensetzt, die keine vertieften Kenntnisse über die Behandlung von Sodbrennen und/oder saurem Aufstoßen haben und erstmalig oder gelegentlich unter den benannten Beschwerden leiden. Personen, die chronisch unter Sodbrennen und/oder saurem Aufstoßen leiden, sind grundsätzlich nicht angesprochen, da dieser Personenkreis sich in der Regel auf Grund der bereits länger andauernden Beschwerden über Behandlungsmethoden informiert haben dürfte und Medikamente mit dem Wirkstoff O bekannt sind. Diese Einschätzung steht auch im Einklang mit der Zulassung des Medikaments, welches gerade nicht für schwerere Krankheitsformen von der Verschreibungspflicht freigestellt wurde.

Der angesprochene Personenkreis, zu dem auch die Mitglieder der erkennenden Kammer gehören, wird in der überwiegenden Mehrheit den Bestandteil "akut" in dem Namen "O akut 20 mg" so verstehen, dass es sich um ein Medikament handelt, welches sehr schnell wirkt und eine schnelle Linderung der Beschwerden verschafft. Sodbrennen und saures Aufstoßen sind, ähnlich wie Kopfschmerzen oder Halsschmerzen, Beschwerden, die zum Zeitpunkt ihres Auftretens sehr lästig sind, aber in der Regel nicht als schwere Erkrankung wahrgenommen werden. Diese Beschwerden haben gemeinsam, dass von den meisten Personen nach der Einnahme eines Medikaments ein schnelles Abklingen der Beeinträchtigungen erwartet wird.

Auf Grund dieser Erwartungshaltung wird das Wort "akut" so verstanden, dass es sich um ein besonders schnell wirkendes Mittel handelt und nicht um ein Mittel, welches zwar eine lang andauernde Wirkung hat, aber erst nach einiger Zeit zu einem Nachlassen der Beschwerden führt. Dieses Verständnis wird von der Antragsgegnerin durch die grafische Gestaltung der Verkaufsverpackung noch gefördert. Auf dieser steht der Begriff "akut" neben dem vermeintlichen Produktnamen "O" in einem eigenen Kasten herausgehoben, der in der Signalfarbe orange gehalten ist, dessen Intensität im Verlauf des Kastens nach unten stark nachlässt.

Die Argumentation, dass es sich bei dem Wort "akut" um den Gegenbegriff zu "chronisch" handele, mag sprachwissenschaftlich zutreffend sein. Ansonsten setzt sich das als Parteivortrag zu wertende linguistische Gutachten (AG 34) nicht hinreichend nachvollziehbar mit dem umgangssprachlichen Verständnis des Wortes "akut" auseinander. Die Mitglieder der erkennenden Kammer, welche auch zum angesprochenen Personenkreis zählen, sind der Ansicht, dass aus dem Fazit des linguistischen Gutachtens, dass nämlich das Adjektiv "akut" bei sprachlich korrekter Anwendung ausschließlich zur Charakterisierung des Auftretens eines Problems verwandt wird, nicht geschlossen werden kann, dass nicht ein wesentlicher Teil des Verkehrs mit der werbend eingesetzten Angabe "akut" im Zusammenhang mit Wirkstoffen die Erwartung verbindet, dem Problem werde schnell abgeholfen.

Zudem berücksichtigt das benannte Gutachten nicht, dass das Medikament selbst "O akut 20 mg" heißt. Im Vergleich zu den von der Antragsgegnerin zitierten Beschreibungen anderer Medikamente (Schriftsatz vom 30.09.2009 auf Seite 7 (Bl. 34)), in denen es beispielsweise lautet "im Rahmen einer akuten Erkältungskrankheit" oder "zur symptomatischen Behandlung von akuten Durchfällen" bezieht die Antragsgegnerin selbst das Wort "akut" streitgegenständlich nicht auf die Krankheit, sondern vielmehr auf das Medikament und rückt den Begriff damit gerade vom Problem weg zu dessen Lösung. Wenn aber nicht die Krankheit als "akut" bezeichnet wird, sondern das von der Antragsgegnerin als Lösung angebotene Medikament kann dies kann nur so verstanden werden, dass es sich um ein Medikament handelt, welches die Eigenschaft hat, "akut" zu wirken, es sich mithin um ein besonders schnell wirkendes Medikament handelt.

Wirkung des Medikaments

Das Gericht unterstellt bei seiner Entscheidung, dass "O akut 20 mg" seine schmerzlindernde Wirkung etwa eine bis drei Stunden nach Einnahme entfaltet. Dabei wird insofern auf den schriftsätzlichen Vortrag der Antragsgegnerin und die von der Antragsgegnerin vorgelegten Anlagen Bezug genommen.

In dem Schriftsatz vom 30.10.2009 (S. 3) führt die Antragsgegnerin aus, dass sich das Medikament innerhalb von 1 bis 2 Stunden "auch auf das Wohlbefinden des Patienten" auswirke. In dem Schriftsatz vom 30.09.2009 (S. 11) heißt es, dass "nach oraler Applikation von O ... eine Hemmung der Magensäuresekretion nach 1 Stunde" eintritt, "die ihr Maximum bereits nach 2 Stunden erreicht. Diese zeitliche Einschätzung der Antragsgegnerin wird durch die Ausführung ihrer Mitarbeiterin, Frau ..., gestützt. Diese gab in der mündlichen Verhandlung vom 19.11.2009 an, dass etwa eine Stunde bis eineinhalb Stunden nach Einnahme des streitgegenständlichen Arzneimittels eine Besserung der Symptome eintreten würde. Das Gutachten des Prof. Dr. ... (AG 37, S. 7) geht von einem Wirkungseintritt innerhalb von ein bis zwei Stunden nach Einnahme aus. Weiter wird auf die von der Antragsgegnerin vorgelegten Praktikerberichte Bezug genommen. Dr. ... (AG 39) berichtet von einem Wirkungseintritt nach ein bis drei Stunden. Dr. ... (Anlage AG 40) berichtet, dass "der Wirkungseintritt häufig schon nach knapp 1 Stunde einsetzt." Gemäß Dr. ... (AG 41) führt die Durchführung einer O-Therapie dazu, dass nach ca. 90 Minuten die Beschwerden zum Stehen kommen. Dies ist im Einklang mit den Angaben von Dr. ... (AG 42).

Auf Grund dieser Angaben legt das Gericht dieser Entscheidung das Verständnis zu Grunde, dass ein erster Wirkungseintritt frühestens nach ca. einer Stunde eintritt, wahrscheinlicher aber ein Wirkungseintritt nach etwa 1 ½ Stunden ist. Spätestens nach zwei Stunden ist von einer Linderung der Beschwerden auszugehen, womit noch kein vollständiges Beenden der Beschwerden gemeint ist. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass sich aus den vom Antragssteller vorgelegten Unterlagen Anhaltspunkte ergeben, dass eine Symptomlinderung erst deutlich später, nämlich nach ein bis vier Tagen, eintritt. Dies kann aber dahinstehen.

Erwecken einer Fehlvorstellung

Wie oben dargelegt wurde, kann auf Grund der Verabreichungsform und Wirkweise eine Symptomlinderung € abgesehen von einem möglichen Placebo-Effekt € frühestens eine Stunde nach Einnahme von "O akut 20 mg" eintreten. Dabei handelt es sich um den schnellst möglichen Verlauf. In einer Vielzahl von Behandlungen dauert es bis zum Eintritt einer ersten Linderung auch länger (bis zu zwei Stunden) und noch deutlich länger bis zum Eintritt einer nachhaltigen Symptombeseitigung. Dies widerspricht den Vorstellungen des angesprochenen Verkehrskreises. Denn dieser geht von einer schnellen Wirkung des Medikaments aus. Das Gericht ist der Ansicht, dass es sich um einen Zeitrahmen von zwischen 20 Minuten und maximal einer Stunde handelt. Deshalb kann das Wort "akut" nicht mit der Vorgabe in Einklang gebracht werden, dass es zwischen einer und zwei Stunden dauert, bis eine erste Linderung eintritt.

Es kann auch nicht darauf abgestellt werden, dass im günstigsten Fall bereits nach einer Stunde eine Linderung eintritt. Denn dem angesprochenen Personenkreis ist zum Zeitpunkt des Erwerbs des Medikaments nicht bekannt, wann die Wirkung bei jeder einzelnen Person eintreten wird. Die Bezeichnung des Arzneimittels mit dem Wort "akut" deutet nicht darauf hin, dass es auch bis zu zwei Stunden dauern kann, bis eine erste spürbare Wirkung eintritt. Dass diese zudem noch keiner Symptombeseitigung gleichkommen muss, soll im Rahmen des vorliegenden Verfahrens dahinstehen, da der Streit um den tatsächlichen Eintritt der nachhaltigen klinischen Wirksamkeit vermutlich erst im Hauptverfahren geklärt werden kann.

Es kann auch dahinstehen, ob es andere Medikamente gibt, welche ebenfalls den Namensbestandteil "akut" haben, die eine Wirkung auch erst nach über einer Stunde entfalten. Der angesprochene Personenkreis wird in der Regel solche Vergleichsbetrachtungen nicht anstellen.

Umgekehrt wird der Kreis von Personen, der häufiger die streitgegenständlichen Beschwerden selbst therapiert, oft bereits Erfahrungen mit anderen rezeptfrei erhältlichen Medikamenten zur Behandlung von Sodbrennen und saurem Aufstoßen, insbesondere den Antazida, haben und daher von einem Vorverständnis geprägt sein, dass für diese Indikation "akute Hilfe" auch besonders schnell, nämlich in wenigen Minuten erlangt werden kann.

II. Verfügungsgrund

Es ist ein Verfügungsgrund gegeben. Nach § 12 II UWG wird die Dringlichkeit vermutet. Diese Vermutung ist in der Regel unwiderlegt, wenn der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung innerhalb von einem Monat ab Kenntnis des Verstoßes den Antrag gestellt wurde. In der mündlichen Verhandlung hat der Antragssteller durch Vorlage einer eidesstattlichen Erklärung der Geschäftsführerin der Antragsstellerin glaubhaft gemacht, dass der Antragssteller vor dem 11.08.2009 keine Kenntnis von dem Verletzungsgegenstand hatte. Da der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung am 09.09.2009 gestellt wurde, wurde die Frist von einem Monat eingehalten.

Die Dringlichkeit würde nicht entfallen, wenn der Antragssteller tatsächlich von einem Konkurrenten der Antragsgegnerin auf das streitgegenständliche Produkt hingewiesen wurde und dieser Konkurrent bereits ab dem 01.08.2009 Kenntnis von dem Produkt gehabt hätte. Die im Bereich des Oberlandesgerichts München übliche Monatsfrist ist eine Frist zur Entscheidungsfindung und zur Vorbereitung eines Verfahrens, einschließlich einer eventuell erforderlichen Abmahnung. Diese Frist steht dem Antragssteller vollständig zu. Eine Zurechnung von Wissen kann nur stattfinden, wenn eine offensichtlich missbräuchliche Gestaltung vorliegen würde. Wenn etwa ein Wettbewerber Informationen über einen seit längerer Zeit bekannten Missstand an einen Dritten weitergibt, damit dieser die Vorteile des einstweiligen Rechtsschutzes für sich in Anspruch nehmen kann. Dies ist hier bereits deshalb nicht der Fall, weil das streitgegenständliche Produkt erst seit dem 01.08.2009 auf dem Markt ist. Letztlich kommt es auf die rechtliche Einordnung aber nicht an, da es bereits an einem substantiierten und glaubhaft gemachten Vortrag über etwaige Hinterleute der Antragsstellerin und deren Kenntnis fehlt. Vermutungen sind insoweit, auch wenn sie sich sehr nachvollziehbar anhören, nicht ausreichend.

Auch die Tatsache, dass die Antragsstellerin allein gegen die Antragsgegnerin vorgeht und nicht auch gegen sonstige Wettbewerber, die ebenfalls Produkte mit O mit dem Wort "akut" anbieten, steht der Dringlichkeit nicht entgegen. In einer Situation, in der es mehrere gleichgelagerte Wettbewerbsverstöße gibt, steht es dem Antragssteller frei zu entscheiden, gegen welchen Anbieter vorgegangen werden soll. Es kann vom Antragsteller nicht erwartet werden, dass er gegen alle Anbieter vorgeht. Dies würde die Erfolgsaussichten des Antragsstellers beeinträchtigen, da dieser sich gleichzeitig mit mehreren Verfahren auseinandersetzen würde, was die vorhandenen Kapazitäten in einem hohen Maße belasten kann. Zudem würde dies ein erhebliches Kosten- und Schadensersatzrisiko mit sich bringen. Es kann davon ausgegangen werden, dass für den Fall, dass in einem Verfahren eine Entscheidung ergeht, dies zu einer Anpassung des Marktes an die in der Entscheidung genannten Voraussetzungen führt.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.






LG München I:
Urteil v. 20.11.2009
Az: 7 O 17092/09


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/dd51ccddafbd/LG-Muenchen-I_Urteil_vom_20-November-2009_Az_7-O-17092-09




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share