Landgericht Hamburg:
Urteil vom 21. November 2008
Aktenzeichen: 310 S 1/08
(LG Hamburg: Urteil v. 21.11.2008, Az.: 310 S 1/08)
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Altona vom 11.12.2007 € Az.: 316 C 127/07 abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
I.
Auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angegriffenen Urteil wird gem. § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.
Die Beklagten wenden sich unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags gegen das erstinstanzliche Urteil und beantragen,
unter Abänderung des am 11.12.2007 verkündeten Urteils des Amtsgerichts Hamburg-Altona, Az.: 316 C 127/07, die Klage abzuweisen.
Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil und beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Gründe
II.
Die zulässige Berufung ist begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung von Rechtsanwaltskosten.
1. Ein Erstattungsanspruch ergibt sich nicht aus Geschäftsführung ohne Auftrag.
a. Für einen Anspruch aus berechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß §§ 677, 683, 670 BGB fehlt es bereits an einer Sonderverbindung. Allein durch die Geltendmachung eines Anspruchs, der tatsächlich nicht besteht oder nicht weiter verfolgt wird, entsteht eine solche Sonderverbindung nicht (vgl. BGH NJW 2007, 1458, 1459). Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn im Einzelfall eine besondere Schutzwürdigkeit des in Anspruch Genommenen vorliegt. Dies ist vorliegend aber nicht erkennbar. Insbesondere ergibt sich eine solche nicht schon aus dem Umstand, dass die Beklagten der Klägerin eine Urheberrechtsverletzung unterstellt haben.
b. Auch die Voraussetzungen für einen Erstattungsanspruch wegen unberechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß § 678 BGB liegen nicht vor. Zwar ist im Zusammenhang mit der Geltendmachung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche anerkannt, dass der zu Unrecht Abgemahnte unter Umständen vom Abmahnenden den Ersatz der Kosten für eine Gegenabmahnung verlangen kann (OLG Hamburg, NJW-RR 2003, 857; NJW 1983, 200; OLG München, Beschluss vom 08.01.2008, Az.: 29 W 2738/07). Denn da nach ständiger Rechtsprechung dem berechtigt Abmahnenden ein Anspruch auf Ersatz seiner Aufwendungen nach §§ 683 Satz 1, 677, 670 BGB zusteht, ist es folgerichtig, zugunsten des unberechtigt Abgemahnten die Regelung des § 678 BGB anzuwenden. Allerdings besteht ein solcher Erstattungsanspruch nur, wenn den zu Unrecht Abmahnenden ein Übernahmeverschulden trifft. Es kann dahin stehen, ob diese aus dem Wettbewerbsrecht herrührenden Grundsätze auf den hier geltend gemachten Anspruch Anwendung finden. Denn es fehlt vorliegend jedenfalls an einem Übernahmeverschulden der Beklagten.
Ein Übernahmeverschulden liegt vor, wenn der Geschäftsführer bei der Übernahme des Geschäfts den entgegenstehenden Willen des Geschäftsherrn erkannt oder infolge Fahrlässigkeit nicht erkannt hat, § 122 Abs. 2 BGB. Im Hinblick auf die im Verkehr erforderliche Sorgfalt ist das Maß an Umsicht und Sorgfalt erforderlich, welches nach dem Urteil besonnener und gewissenhafter Angehöriger des betreffenden Verkehrskreises von den in seinem Rahmen Handelnden zu verlangen ist. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe kann ein Übernahmeverschulden der Beklagten nicht festgestellt werden. Denn die Beklagten durften vorliegend davon ausgehen, dass die Abmahnung der Klägerin berechtigt war. Die Beklagten durften insoweit auf die Auskunft der Staatsanwaltschaft Dortmund vom 17.01.2007 (vgl. Anlage zur Anlage K8, Bl. 20 d.A.) vertrauen, nach der die Klägerin die streitgegenständliche IP-Adresse €nach Auskunft von ... Internet AG€ im fraglichen Zeitpunkt genutzt hat. Aufgrund dieser Auskunft mahnten sie die Klägerin mit Schriftsatz vom 01.02.2007 ab.
Es stellt im vorliegenden Fall keine Verletzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt dar, dass die Beklagten die Auskunft der Staatsanwaltschaft nicht überprüft haben, bevor sie die Klägerin abmahnten. Zwar war die mit Stellung des Auskunftsantrages ebenfalls beantragte Übersendung der staatsanwaltschaftlichen Akte im Zeitpunkt der Abmahnung noch nicht erfolgt. Die Beklagten waren aber nicht verpflichtet, die Übersendung der Akten abzuwarten. Denn auf die Auskunft der Staatsanwaltschaft durften sie sich verlassen, da keinerlei Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass die Auskunft fehlerhaft war. Insbesondere benannte diese Auskunft keine andere als die von den Beklagten angefragte IP-Adresse. Aus dem Auskunftsschreiben war die Verwechslung der IP-Adresse folglich nicht erkennbar. Eine Pflicht zur weiteren Prüfung bestand daher nicht.
Es kann dahin stehen, ob es eine Verletzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt darstellt, dass die Beklagten auch nach der telefonischen Mitteilung des Ehemannes der Klägerin am 02.02.2007, wonach die Klägerin die fraglichen Musikdateien nicht herunter geladen habe, keine Überprüfung der staatsanwaltschaftlichen Auskunft vorgenommen haben. Denn die Beklagten hatten zu diesem Zeitpunkt die Geschäftsführung (€Abmahnung€) schon übernommen. Es könnte insoweit allenfalls ein Ausführungs- oder €Weiterführungsverschulden€ vorliegen, nicht aber einÜbernahmeverschulden. Für ein Ausführungs- oder €Weiterführungsverschulden€ kommt indessen allenfalls eine deliktische Haftung in Betracht (vgl. Jauernig, BGB, 12. Auflage, § 678 Rn. 2; siehe auch Palandt/Sprau, BGB, 67. Auflage, § 678 Rn. 3).
Die Zurechnung eines etwaigen Verschuldens der Staatsanwaltschaft oder des Internet-Providers scheidet schon deshalb aus, weil beide keine Erfüllungsgehilfen der Beklagten sind, § 278 BGB.
2. Ein Erstattungsanspruch ergibt sich auch nicht aus dem Deliktsrecht.
a. Für einen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB fehlt es bereits an der Verletzung eines von dieser Vorschrift geschützten absoluten Rechts. Insbesondere liegt keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vor.
Der Umstand, dass die Beklagten zunächst trotz der telefonischen Mitteilung des Ehemannes der Klägerin am 02.02.2007 von der Geltendmachung ihres Anspruchs nicht abließen, stellt jedenfalls keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar. Es ist bereits zweifelhaft, ob hierdurch ein Eingriff in den Schutzbereich des Rechts begründet wird. Selbst wenn aber ein Eingriff in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vorläge, fehlte es jedenfalls an einer Verletzung des Rechts. Bei dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht handelt es sich um ein Rahmenrecht, dessen Verletzung durch eine umfassende Güter- und Interessenabwägung zu ermitteln ist. Diese Abwägung ergibt vorliegend unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles keine Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Klägerin. Denn die Beklagten nahmen ihrerseits mit der Abmahnung schutzwürdige Interessen wahr: Das Urheberrecht stellt nämlich ebenfalls ein sonstiges Recht im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB dar (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 67. Auflage, § 823 Rn. 15). Dass die Beklagten nach dem Telefonat mit dem Ehemann der Klägerin zunächst bei ihrer Behauptung einer Urheberrechtsverletzung blieben, ist aus ihrer Sicht auch nachvollziehbar. Denn angesichts der staatsanwaltschaftlichen Auskunft war aus Sicht der Beklagten nicht ausgeschlossen, dass es sich bei den Angaben des Ehemannes der Klägerin um eine Schutzbehauptung handelte. Nachdem sich der Irrtum im Hinblick auf die Verwechslung der IP-Adresse herausgestellt hatte, haben die Beklagten die Behauptung einer Urheberrechtsverletzung umgehend fallen gelassen. Darüber hinaus haben die Beklagten die Behauptung einer Urheberrechtsverletzung lediglich gegenüber der Klägerin erhoben. Die soziale Anerkennung der Klägerin nach außen wird hiervon nicht tangiert. Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Abmahnung durch einen Rechtsanwalt erfolgt ist. Hierdurch erhält die Forderung insbesondere auch keinen €offiziellen Anstrich€. Vielmehr ist der Anwalt gerade für eine Partei tätig und nicht - wie beispielsweise die Staatsanwaltschaft - für eine staatliche Institution.
Das Aufrechterhalten des von der Klägerin nicht gewünschten Kontakts ist auch nicht mit den Fällen der Zusendung unerwünschter Werbesendungen bzw. Werbeemails vergleichbar, in denen die Rechtsprechung in bestimmten Fällen eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts angenommen hat. In diesen Fällen setzt sich der Versender bei der Zusendung von Werbesendungen schon mit der (ersten) Kontaktaufnahme über den ausdrücklich erklärten Willen (z.B. Aufkleber am Briefkasten) hinweg. Vorliegend geht es lediglich um ein unterlassenes Abbrechen eines Kontaktes. Insbesondere aber verfolgen die Beklagten ihrerseits schutzwürdige Interessen, während der Werbende allein zum Zwecke der Akquise handelt.
Eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wird auch nicht dadurch begründet, dass die Beklagten gegenüber der Klägerin einen unbegründeten strafrechtlichen Vorwurf gemäß §§ 185, 186 StGB erhoben oder auch nach dem streitgegenständlichen Telefonat am 02.02.2007 aufrechterhalten hätten. Denn die Beklagten haben schon keinen strafrechtlich relevanten Vorwurf gegenüber der Klägerin behauptet. Insbesondere begründet das Abmahnschreiben vom 01.02.2007 (Anlage K1, Bl. 8 d.A.) einen solchen nicht. Hier heißt es:
€(...) nehmen wir Sie in Anspruch wegen unerlaubter Verwertung von geschützten Tonaufnahmen im Internet gemäß §§ 97, 77, 78 Nr. 1, 85, 16, 19a UrhG). (...). Wenn Musikaufnahmen ohne Einwilligung der Rechteinhaber (...) im Internet angeboten werden, so ist dies wegen der Verletzung von Urheber- und Leistungsschutzrechten illegal. (...)€
Es ist bereits äußerst zweifelhaft, ob der (unberechtigte) Vorwurf einer Urheberrechtsverletzung objektiv eine Beleidigung oder eine üble Nachrede darstellt. Im Hinblick auf § 186 StGB fehlt es zudem jedenfalls an einem behaupteten oder verbreiteten Vorwurf durch die Beklagten in Beziehung auf einen anderen. Denn der von den Beklagten gestellte Strafantrag bei der Staatsanwaltschaft war gegen €unbekannt€ gerichtet. Das Behaupten einer Urheberrechtsverletzung im Rahmen eines zivilrechtlichen Vorgehens kann auch nicht gleichgesetzt werden mit dem strafrechtlich relevanten Vorwurf gemäß § 106 UrhG. Diese Vorschrift ist von den Beklagten auch nicht in Bezug genommen worden. Insbesondere erfüllt gerade nicht jede Urheberrechtsverletzung den Tatbestand des § 106 UrhG. Letztlich kann dahin stehen, ob der objektive Tatbestand der strafrechtlichen Vorschriften erfüllt ist und ob allein das Wort €illegal€ einen ehrenrührigen Vorwurf beinhaltet. Denn im Rahmen der Güter- und Interessenabwägung ist neben der Schutzwürdigkeit der Rechtsverfolgung durch die Beklagten auch zu berücksichtigen, dass der subjektive Tatbestand der §§ 185, 186 StGB jedenfalls nicht vorliegt und die Beklagten aufgrund der Auskunft der Staatsanwaltschaft davon ausgegangen sind und ausgehen durften, dass die Klägerin für die Urheberrechtsverletzung verantwortlich ist.
Schließlich kann auch die Höhe der von den Beklagten vergleichsweise angebotenen Pauschalzahlung von € 4.000,- eine Rechtsverletzung der Klägerin nicht begründen. Dies insbesondere auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass vorliegend das unberechtigte Herunterladen von 696 Dateien, davon 515 Audiodateien, in Rede stand. Nach den hierfür regelmäßig festzusetzenden Streitwerten standen zudem erhebliche Prozesskosten im Raum.
Auch nach abschließender Abwägung der betroffenen Güter und Interessen kann schließlich unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles keine Persönlichkeitsrechtsverletzung der Klägerin festgestellt werden. Im vorliegenden Fall liegt in der unterschiedlichen Behandlung von Werbeemails und der unberechtigten Abmahnung durch einen Rechtsanwalt auch kein Verstoß gegen Art. 3 GG. Es handelt sich - wie ausgeführt - bereits nicht um vergleichbare Sachverhalte. Jedenfalls liegt aufgrund der schutzwürdigen urheberrechtlichen Interessen ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung vor.
Da bereits keine Rechtsverletzung festgestellt werden kann, kommt es auf die Frage der Rechtswidrigkeit und des Verschuldens nicht mehr an. Der Rechtswidrigkeit würde im Übrigen wohl entgegenstehen, dass die regelmäßig von den Gerichten zur Gewährung rechtlichen Gehörs vor dem Erlass einer einstweiligen Verfügung geforderte Abmahnung im Rahmen eines staatlichen gesetzlich geregelten Verfahrens erfolgte (vgl. auch BGH NJW 1985, 1959, 1960).
3. Für einen Anspruch aus §§ 823 Abs. 2 BGB iVm § 186 StGB oder § 826 BGB fehlt es jedenfalls an den subjektiven Voraussetzungen.
III.
Der nicht nachgelassene Schriftsatz vom 10.11.2008 enthält keinen entscheidungserheblichen neuen Tatsachenvortrag und hat keine Veranlassung zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gegeben, §§ 296 a, 156 ZPO.
IV.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Vollstreckbarkeitsentscheidung ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert, § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO.
LG Hamburg:
Urteil v. 21.11.2008
Az: 310 S 1/08
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