Amtsgericht Hamburg-Mitte:
Urteil vom 22. April 2008
Aktenzeichen: 4 C 134/08
(AG Hamburg-Mitte: Urteil v. 22.04.2008, Az.: 4 C 134/08)
Tenor
Der Verfügungsbeklagten wird es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten oder Ordnungshaft untersagt, die Kundenbereiche in ihren Filialen in Hamburg, die durch Tische und Sitzgelegenheiten ausgestattet sind, mit Videokameras zu überwachen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Parteien jeweils zur Hälfte. Die durch Anrufung des Landgerichts Hamburg entstandenen Kosten trägt der Verfügungskläger.
Tatbestand
Der Verfügungskläger (im Folgenden: Kläger) begehrt im einstweiligen Verfügungsverfahren von der Verfügungsbeklagten (im Folgenden: Beklagten), die Videoüberwachung der Kundenbereiche in ihren Kaffeehaus-Filialen zu unterlassen, hilfsweise ein Hinweisschild in den videoüberwachten Filialen anzubringen.
Die Beklagte betreibt eine Kaffeehaus-Kette mit mehreren Filialen in Hamburg. In den Filialen befinden sich jeweils ein Kassen- und Warentresen, an dem die Kunden ihren Kaffee bestellen, bezahlen und ausgehändigt erhalten, sowie ein Kundenbereich, welcher durch Tische und Sitzgelegenheiten ausgestattet ist, wo die Kunden die verkauften Waren verzehren können. Außerdem gibt es in einigen Filialen Bereiche mit Warenregalen, in denen Produkte der Beklagten angeboten werden, die der Kunde ebenfalls an dem Kassentresen bezahlt. In den Kaffeehäusern befinden sich Videokameras, welche der Überwachung der Bereiche des Kassen- und Warentresens sowie der Warenregale dienen, und von denen einige in der Vergangenheit auch dazu eingesetzt wurden, die Kundenbereiche zu beobachten.
Der Kläger behauptet, drei- bis viermal im Monat eine der Hamburger Kaffeehausfilialen der Beklagten zu besuchen und dies auch in Zukunft zu beabsichtigen. Er meint, die Beklagte verstoße durch unberechtigtes Filmen der Kunden gegen § 6 b Abs. 1 BDSG und verletze ihn in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Aufgrund des Eingriffs stehe ihm ein Unterlassungsanspruch aus §§ 823 Abs. 2 S. 2, 1004 Abs. 1 BGB zu.
Nachdem der Kläger seinen ursprünglichen Antrag teilweise zurückgenommen hat, beantragt er,
der Beklagten bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten oder Ordnungshaft, im Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren, zu untersagen, die Kundenbereiche in ihren Filialen in Hamburg, die durch Tische und Sitzgelegenheiten ausgestattet sind, mit Videokameras zu überwachen,
hilfsweise anzuordnen, die Beklagte habe bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten oder Ordnungshaft, im Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren, im Eingangsbereich ihrer jeweiligen Filialen ein Hinweisschild auf die Videoüberwachung anzubringen.
Die Beklagte beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie meint, die Videoüberwachung sei zur Beweissicherung und Prävention von regelmäßig in den Filialen vorkommenden Ladendiebstählen und anderen Straftaten erforderlich. Die verfassungsrechtlich gebotene Güter- und Interessenabwägung führe dazu, dass diese Interessen der Antragsgegnerin an einer Videoüberwachung ihrer Geschäftsräume gegenüber einem Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Antragstellers überwiegen. Eine Wiederholungsgefahr für eine Überwachung des Kundenbereichs sei nicht gegeben, da die Antragsgegnerin entschieden habe, hierauf in Zukunft freiwillig zu verzichten.
Ferner behauptet die Antragsgegnerin, dass der Antragsteller bereits längere Zeit Kenntnis von der Videoüberwachung gehabt hätte, ohne sich zu beschweren. Sie meint, die erforderliche Dringlichkeit für eine einstweilige Verfügung sei daher nicht gegeben.
Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
Gründe
Der Hauptantrag ist zulässig und begründet.
Der Kläger kann von der Beklagten verlangen, dass sie die Videoüberwachung der Kundenbereiche in ihren Filialen in Hamburg, die durch Tische und Sitzgelegenheiten ausgestattet sind, unterlässt. Der Unterlassungsanspruch ergibt sich aus dem Gesichtspunkt einer Schutzgesetzverletzung gemäß §§ 1004 Abs. 1 S. 2 (analog), 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 b Abs. 1 BDSG. Nach § 6 b Abs. 1 BDSG ist die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen (Videoüberwachung) nur zulässig, soweit sie zur Wahrnehmung des Hausrechts oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen. Bei dieser Vorschrift handelt es sich um ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, da es gerade (auch) dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines ihrer Rechtsgüter zu schützen ( vgl. AG Berlin Mitte 16 C 427/02 vom 18.12.2003 ).
Die Videoüberwachung ist zur Wahrnehmung ihres Hausrechts sowie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich im Sinne des § 6 b Abs. 1 Nr. 2 und 3 BDSG. Die Beklagte verfügt unstreitig über das Hausrecht in ihren Kaffeehausfilialen. Sie hat durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht, dass die Videoüberwachung der Beweissicherung und Prävention zur Verfolgung von Ladendiebstählen durch Kunden bzw. Diebstählen oder Unterschlagungen durch Mitarbeiter dient. Sie hat dadurch die laut § 6 b Abs. 1 Nr. 3 BDSG erforderliche Festlegung der Überwachungszwecke nachgeholt. Dies erscheint dem erkennenden Gericht jedenfalls im Rahmen der summarischen Prüfung eines Unterlassungsanspruches im Verfügungsverfahren ausreichend. Die Videoüberwachung ist zur Erreichung der genannten Zwecke erforderlich im Sinne des § 6 b Abs.1 BDSG. Es ist kein zumutbares milderes Mittel erkennbar, mit dem die Beklagte die verfolgten Zwecke ebenso wirksam erreichen könnte. Der Einsatz von Wachpersonal ist ihr schon aus Kostengründen nicht zumutbar. Zudem erscheint im Hinblick auf die bezweckte Strafverfolgung zweifelhaft, ob die Aussage eines Wachmannes als Augenzeuge genauso effektiv ist wie eine Videoaufzeichnung. Im Gegensatz zum menschlichen Auge kann sich die Kamera bei der Identifizierung des Täters nämlich nicht irren.
Die berechtigten Interessen der Beklagten werden jedoch durch die Interessen des Klägers überwogen. Die nach § 6 b Abs. 1 BDSG gebotene Güterabwägung zwischen den Interessen der Beteiligten kann nur unter Würdigung aller rechtlich relevanten, insbesondere auch verfassungsrechtlich geschützten Positionen durchgeführt werden (so schon vor Einführung des § 6 b BDSG: BGH, NJW 1995, 1957) . Der Kläger kann sich vorliegend auf sein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG berufen, während für die Beklagte die Grundrechte der Berufsausübungsfreiheit sowie das Eigentumsrecht bzw. das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gemäß Art. 12 und 14 GG streiten. Die betroffenen Grundrechte sind im Rahmen einer praktischen Konkordanz in einen gerechten Ausgleich zu bringen. Im vorliegenden Fall ist dabei zwischen der Videoüberwachung der Bereiche des Waren- und Kassentresens und der Warenregale sowie der Beobachtung des Kundenbereichs der Kaffeehausfilialen, der durch Tische und Sitzgelegenheiten ausgestattet ist, zu differenzieren. Bezüglich der Videoüberwachung des Kundenbereichs der Kaffeehausfilialen fällt die Abwägung zu Gunsten des Klägers aus. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verbürgt das Recht des Einzelnen, sich in der Öffentlichkeit frei und ungezwungen bewegen zu dürfen, ohne befürchten zu müssen, ungewollt zum Gegenstand einer Videoüberwachung gemacht zu werden. Ob dieses Recht bei einer Videoüberwachung im öffentlich zugänglichen Raum überwiegt, ist einzelfallabhängig und situationsbezogen zu beurteilen (Bizer in: Simitis, BDSG-Kommentar, 5. Auflage, § 6 b Rn. 60) . Regelmäßig ist die Schutzbedürftigkeit in öffentlich zugänglichen Räumen, in denen sich Menschen typischerweise länger aufhalten und/oder miteinander kommunizieren, besonders hoch einzustufen (Bizer in: Simitis, BDSG-Kommentar, 5. Auflage, § 6 b Rn. 60) . Dies trifft auf die für Kunden eingerichteten Sitzbereiche, durch die ein längerer Aufenthalt in den Kaffeehausfilialen ermöglicht werden soll, im besonderen Maße zu. Anders als in den Bereichen des Tresens oder der Regale, an denen sich die Kunden in der Regel nur kurzfristig zur Besorgung der gewünschten Produkte aufhalten, werden die Persönlichkeitsrechte der sich in den Sitzbereichen länger aufhaltenden Kunden durch eine ständige Videoüberwachung erheblich beeinträchtigt. Diese Rechtsverletzungen wiegen schwerer als die Interessen der Beklagten an einer effektiven Strafverfolgung in ihren Filialen. Ferner bleibt zu beachten, dass der Waren- und Geldzahlungsverkehr sich in den Kaffeehausfilialen auf die Bereiche der Warenregale sowie insbesondere des Waren- und Kassentresens beschränkt. Dort ist die Gefahr von Diebstählen oder Unterschlagungen durch Kunden oder Mitarbeiter besonders hoch. Hingegen bestehen in den Kundenbereichen keine besonderen Anhaltspunkte für eine Gefahr der Begehung von Straftaten. Insofern kommt in diesen Bereichen dem Interesse der Beklagten an einer effektiven Strafverfolgung auch eine geringere Bedeutung zu. Während also in den Tresen- und Regalbereichen eine Videoüberwachung durchaus gerechtfertigt erscheint, ist die Beobachtung der Kundenbereiche unzulässig im Sinne des § 6 b Abs. 1 S. 1. Die Beklagte hat daher die Kameras so einzustellen bzw. die Kaffeehäuser so einzurichten, dass die Sitzbereiche nicht von der Videoüberwachung eingefangen werden.
Der Kläger ist durch die Schutzgesetzverletzung in den Hamburger Filialen der Beklagten persönlich betroffen. Er hat durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht, dass er drei- bis viermal im Monat die Kaffeehausfilialen der Beklagten in Hamburg besucht und beabsichtigt, dies auch in Zukunft zu tun.
Eine Wiederholungsgefahr gemäß § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB (analog) ist gegeben. Die vorangegangene rechtswidrige Beeinträchtigung begründet regelmäßig eine tatsächliche Vermutung der Wiederholungsgefahr (BGH, NJW 04, 1035) , an deren Widerlegung durch den Störer hohe Anforderungen zu stellen sind (BGH, NJW 99, 356) . Die eidesstattliche Versicherung der Geschäftsführerin der Beklagten, sie habe entschieden, zukünftig auf die Videoüberwachung im Kundenbereich aller Filialen zu verzichten und veranlasst, dass die Kameras innerhalb der nächsten zwei Monate demontiert werden, reicht nicht aus, um die Gefahr einer Wiederholung der Videoüberwachung des Kundenbereichs zu beseitigen. Denn es liegt allein in ihrer Hand, diese Entscheidung ohne Einflussnahme des Klägers zu widerrufen und die Veranlassung der Kamerademontage rückgängig zu machen. Solange durch die in den Filialen hängenden Videokameras eine Überwachung des Kundenbereichs ermöglicht wird, besteht also auch Wiederholungsgefahr.
Es besteht auch ein Verfügungsgrund gemäß § 940 ZPO (analog). Die Sache ist dringlich, solange die Möglichkeit einer Videoüberwachung bestehen bleibt und der Kläger zu befürchten hat, in den Kundenbereichen der Hamburger Kaffeehausfilialen rechtswidriger Weise beobachtet zu werden. Ein Fall, in dem die Dringlichkeit der Sache widerlegt ist, weil der Kläger durch sein Verhalten selbst zu erkennen gegeben hat, dass es "ihm nicht eilig ist" (vgl. OLG Hamburg, GRUR-RR 2002, 277) , liegt nicht vor. Der Kläger hat durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht, die Videoüberwachungskameras in den Filialen der Antragsgegnerin erstmals am 29. Januar 2008 bewusst wahrgenommen und daraufhin umgehend seinen Rechtsanwalt mit der rechtlichen Unterbindung beauftragt zu haben. Auch die Länge des Zeitraums zwischen der ersten Abmahnung am 4. Februar 2008 und der Einreichung des Antrags auf einstweilige Verfügung am 3. März 2008 lässt nicht auf eine fehlende Dringlichkeit für den Antragsteller schließen, zumal die Beklagte erst am 3. März 2008 auf die Abmahnung reagiert hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 269 Abs. 3 S. 2, 281 Abs. 3 S. 2 ZPO.
AG Hamburg-Mitte:
Urteil v. 22.04.2008
Az: 4 C 134/08
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