Kammergericht:
Beschluss vom 11. August 2009
Aktenzeichen: 5 W 88/09

(KG: Beschluss v. 11.08.2009, Az.: 5 W 88/09)

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Kammer für Handelssachen 97 des Landgerichts Berlin vom 17. Juni 2009 - 97 O 124/09 - teilweise geändert:

a) Der Antragsgegnerin wird bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollstrecken an ihren Geschäftsführern, untersagt,

im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs

im Internet mit der Bezeichnung "maßgeschneiderte Hemden" für maßkonfektionierte Hemden zu werben.

b) Der weitergehende Antrag der Antragstellerin wird zurückgewiesen.

2. Die weitergehende sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird zurückgewiesen.

3. Die Antragstellerin hat die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens zu tragen. Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Parteien je 1/2 zu tragen.

4. Der Wert des Beschwerdeverfahrens beträgt 20.000 €.

Gründe

I.

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig, § 567 Abs. 1 Nr. 1, § 569 ZPO. Sie ist auch teilweise begründet, §§ 935, 940 ZPO.

1. Das Landgericht hat den von der Antragstellerin erstinstanzlich allein gestellten und mit der sofortigen Beschwerde zweitinstanzlich weiterverfolgten Unterlassungsantrag (hinsichtlich der Bezeichnung "Maßhemd" für maßkonfektionierte Hemden) zutreffend verneint, § 8 Abs. 1 UWG in Verbindung mit § 3 Abs. 1, § 5 Abs. 1, S. 1, S. 2 Nr. 1, Abs. 2, § 5a Abs. 2 UWG.

Nach der hier maßgeblichen Auffassung der umworbenen Verkehrskreise (Endverbraucher im Bekleidungsmarkt, die über das Internet bestellen wollen und zu denen auch die Mitglieder des Senats gehören) ist die Bezeichnung "Maßhemd" für die von der Antragsgegnerin angebotenen maßkonfektionierten Hemden nicht irreführend.

a) Der Verbraucher unterscheidet (industriell gefertigte und wie vorgefertigt gekaufte) Konfektionsbekleidung von (traditionell handwerklich gefertigter) maßgeschneiderter Bekleidung. Konfektionsbekleidung bleibt "Konfektionsbekleidung" auch dann, wenn in einem geringen Umfang (als Nebenleistung zu einem Kauf) eine individuelle Anpassung erfolgt (etwa eine Verkürzung der Länge der Hose und/oder der Bundweite). "Maßgeschneiderte Bekleidung" ist hingegen in ihrem traditionellen Sinn handwerkliche Schneiderarbeit, bei der das Bekleidungsstück nach den individuellen Vorgaben des Bestellers (Wahl des Stoffes, des Schnittes und der sonstigen Ausstattung) hergestellt und dabei den individuellen - vom Schneider am Kunden aufgenommenen - Maßen und individuellen - wiederum vom Schneider am Kunden festgestellten - körperlichen Besonderheiten des Bestellers angepasst wird.

b) Der Begriff "Maßhemd" geht über den Begriff der "Konfektionsbekleidung" hinaus. Ein "Maßhemd" lässt eine in ihrem Umfang deutlich individuellere Anpassung des Bekleidungsstücks erwarten, als sie etwa bei einer Nebenleistung zu einem Kauf von Konfektionsbekleidung üblicherweise erfolgt.

Dem wird vorliegend das Internetangebot der Antragsgegnerin gerecht. Der Verbraucher kann unter diversen Stoffen, Schnitten, Farbkombinationen usw. wählen. Weiterhin kann der Verbraucher eine Vielzahl individueller Körpermaße vorgegeben (Halsumfang, Brustumfang, Bauchumfang, Hüftumfang, Rückenbreite, Ärmellänge, Hemdlänge, Manschettenweite, Oberarm, Größe, Gewicht/kg), nach denen dann das Hemd individuell angefertigt wird. Die Antragsgegnerin bietet daher vorliegend Hemden an, die in ihrer individuellen Anpassung der maßgeschneiderten Bekleidung deutlich näher stehen als der schlichten - allenfalls in einer Nebenleistung individuell angepassten - Konfektionsbekleidung.

c) Der Begriff "Maßhemd" bleibt auch hinreichend hinter dem Begriff "maßgeschneidertes Hemd" zurück.

aa) Er enthält keinen Hinweis auf das Schneiderhandwerk und daraus folgenden Vorstellungen einer traditionellen Maßanfertigung von Bekleidungsstücken. Vorliegend kommt entscheidend hinzu, dass die Verbraucher nur über das Internet angesprochen und zu einer Bestellung aufgefordert werden. Der so angesprochene und das Medium Internet nutzende verständige Durchschnittsverbraucher wird bei einem solchen Angebot eines "Maßhemdes" keine traditionelle schneiderhandwerkliche Maßanfertigung erwarten. Dies folgt schon daraus, dass die Bestellung über das Internet abgewickelt wird und er weder die Geschäftsräume eines Schneiderhandwerkers aufsuchen noch einen Schneider zu sich bestellen soll. Der Internetauftritt der Antragsgegnerin gemäß Anlage AS 2 macht zudem sogleich deutlich, dass die Körpermaße vom Verbraucher selbst ermittelt werden müssen, wie dies bei einer Bestellung über das Internet auch nahe liegt.

bb) Bei der Anfertigung von Bekleidungsstücken kommen - sachlich nahe liegend und damit dem Durchschnittsverbraucher auch ohne weiteres einsichtig - eine Vielzahl von Zwischenformen in Betracht, die zwischen der Herstellung (industriell vorgefertigter) Konfektionsware und der (rein handwerklichen) Fertigung maßgeschneiderter Bekleidung einzuordnen sind. Mit dem Begriff "Maßhemd" wird die Individualität (das individuelle Maß an Auswahl und Anpassung) betont.

Auch dieser Erwartung wird das vorliegende Angebot der Antragsgegnerin gerecht. Denn die Vielzahl der von der Antragsgegnerin eröffneten Wahlmöglichkeiten und individuellen Anpassungsmöglichkeiten ergeben ein Leistungsangebot, das - wie erörtert - einem maßgeschneiderten Bekleidungsstück deutlich näher steht als einer Konfektionsware. Insoweit ist ein schützenswertes Werbeinteresse der Antragsgegnerin gegeben und wird dem Informationsinteresse der angesprochenen Verbraucher entsprochen.

cc) Die dem Internetnutzer entgegentretenden vielfältigen, über das Angebot von Konfektionsware (mit einer individuellen Anpassung als Nebenleistung) hinaus gehenden, im Umfang ihrer Individualisierung sehr unterschiedlichen Leistungsangebote im Bekleidungsmarkt belegen die vorstehend aufgezeigten Marktverhältnisse und Erwartungen des Verbrauchers. Deshalb kann auch im Zusammenhang mit der Werbung für eine "Maßanfertigung" im Bekleidungssektor nicht mehr ein rein traditionelles Verständnis zugrundegelegt werden, jedenfalls wenn - wie vorliegend - eine Werbung und Geschäftsabwicklung allein über das Internet erfolgen.

dd) Das vorstehend aufgezeigte Verständnis wird auch durch den allgemeinen Sprachgebrauch bestätigt, wie er etwa aus der Online - Enzyklopädie Wikipedia (unter dem Stichwort "Hemd" und der untergliedernden Überschrift "Das Maßhemd" - Anlage AS 3) ersichtlich ist. Denn dort wird das "Maßhemd" als Oberbegriff benutzt, dem sowohl das "reine Maßhemd" unterfällt wie auch das individuell angepasste "vorkonfektionierte Hemd".

Ebenso unterscheiden die begrifflichen Erklärungen auf dem Informationsportal "masskonfektion.net " (Anlage AS 4) eine "maßgeschneiderte Fertigung von Herrenhemden" von der bloßen "Maßkonfektion". Auch bei der "Maßkonfektion" wird aber nach den Erläuterungen auf diesem Informationsportal ein "Maßhemd" angefertigt.

d) Angesichts der umfangreichen Gestaltungsmöglichkeiten und nach dem Inhalt ihres Internetauftritts gemäß der Anlage AS 2 hält der Senat vorliegend weitergehende aufklärende Hinweise (vgl. hierzu KG, 24. Senat, Beschluss vom 14.7.2009, 24 W 101/09) nicht für geboten.

2. Die mit der sofortigen Beschwerde geltend gemachte Antragserweiterung (Verbot der Bezeichnung "maßgeschneiderte Hemden" für maßkonfektionierte Hemden) ist begründet. Insoweit liegt eine wettbewerbsrechtlich unlautere Irreführung vor.

Dies ergibt sich aus den vorstehenden Ausführungen zum Verständnis des angesprochenen Verkehrs bei einer Werbung für "maßgeschneiderte Hemden".

a) Mit ihrem Internetauftritt gemäß Anlage AS 7 (und dem entsprechenden Quelltext) erreicht die Antragsgegnerin eine Aufnahme in die Trefferliste einer Suchmaschine, wenn der Verbraucher dort das Suchwort "maßgeschneiderte hemden" eingibt (Anlage AS 6). Die Antragsgegnerin lenkt dadurch zielgerichtet auch die Aufmerksamkeit solcher Verbraucher auf sich, die über das Internet nur Informationen zu traditionellen maßgeschneiderten Bekleidungsstücken des Schneiderhandwerks suchen (etwa um sich dann hinsichtlich des Geschäftsabschlusses und der Durchführung der Dienstleistung zum Geschäft des Schneiders zu begeben). Die Wendung "maßgeschneidert" weist deutlich einen solchen traditionellen schneiderhandwerklichen Bezug auf. Nicht einmal die Kurzhinweise in der Trefferliste lassen eine Abgrenzung des Angebots der Antragsgegnerin zum traditionellen Schneiderhandwerk erkennen. Sie geben keine hinreichende Aufklärung darüber, dass "nur" Maßhemden angeboten werden. Die in den Kurzhinweisen - zudem erst unter der Überschrift "Im Cache - Ähnlich" aufgeführten Begriffe "Hemd zusammenstellen" und "Maßnehmen" bleiben jedenfalls mehrdeutig, weil sie auch im Zusammenhang mit einer traditionellen schneiderhandwerklichen Maßanfertigung Bedeutung haben können.

b) Eine spätere Aufklärung auf der - vom Verbraucher nach Ansicht der Trefferliste aufgerufenen - Internetseite der Antragsgegnerin wäre zum einen wettbewerbsrechtlich unzureichend, weil dem irreführenden Unternehmen dabei schon der werbliche Vorteil verbliebene, dass der Verbraucher sich näher mit seinem Angebot beschäftigt (vgl. hierzu etwa BGH, GRUR 2007, 65, TZ. 19). Zum anderen bestärken die auf der Eingangsseite des Internetauftritts der Antragsgegnerin in den ersten Absätzen gegebenen Informationen zu einem "maßgeschneiderten Lebensgefühl", zu "handgenähten Hemden" und zu einer gebotenen "meisterhaften Schneiderkunst" noch den Eindruck, es könnte sich vorliegend um das Angebot einer traditionellen Maßanfertigung handeln. Dies gilt umso mehr, wenn die Antragsgegnerin sich ausdrücklich "als Spezialist für maßgeschneiderte Oberhemden" bezeichnet. Erst im weiteren nachfolgenden Text wird deutlich, dass nur eine Maßanfertigung nach vom Besteller zu messenden Körpermaßen angeboten wird.

c) Auch wenn der das Internet nutzende Verbraucher erkennt, dass er selbst die Körpermaße vorgeben muss, bleibt eine werbende Bezeichnung als "maßgeschneiderte" Bekleidung irreführend.

aa) "Maßgeschneidert" ist im Bekleidungsbereich nach wie vor - insbesondere wegen der ausdrücklichen Bezugnahme auf das Schneiderhandwerk - gleichbedeutend mit der Aussage "Sitzt wie angegossen". Die Antragsgegnerin erreicht mit ihrem Angebot zwar schon eine sehr große individuelle Anpassung ihrer Hemden an die jeweilige Figur ihrer Kunden. Der Durchschnittsverbraucher erkennt aber nicht ohne weiteres den erheblichen Unterschied im Angebot der Antragsgegnerin zu traditionellen maßgeschneiderten Bekleidungsstücken. Dieser liegt insbesondere darin, dass die Antragsgegnerin keine individuelle Anpassung bei körperlichen Anomalien (insbesondere in der Symmetrie) vorzunehmen vermag (etwa bei unterschiedlich langen Armen oder unterschiedlich hohen Schultern). Schon das Vorliegen derartiger Anomalien ist dem Verbraucher nicht immer bewusst. Noch weniger kann er Auswirkungen der daraus folgenden Abweichungen im passgenauen Sitz der Bekleidung erkennen. Die Wendung "maßgeschneidert" suggeriert dem Verbraucher aber einen Sitz der Bekleidung "wie angegossen".

bb) Darüber hinaus vergleicht sich die Antragsgegnerin mit dem traditionellen handwerklichen Angebot maßgeschneiderter Bekleidung. Selbst wenn der Verbraucher den Umfang der individuellen Anpassung im Angebot der Antragsgegnerin erkennen würde, bestünde die nicht unerhebliche Gefahr, dass der Verbraucher aufgrund der Angaben der Antragsgegnerin annehmen könnte, "maßgeschneiderte" Bekleidung auch nach traditioneller handwerklicher Art würde dem Angebot der Antragsgegnerin entsprechen, also keine weitergehenden Vorteile in der individuellen Anpassung bieten. Angesichts der aufgezeigten erheblichen Unterschiede in der individuellen Anpassung der hergestellten Bekleidung muss es dem traditionellen Schneiderhandwerk möglich bleiben, sich begrifflich hinreichend vom Angebot der Antragsgegnerin abzusetzen. Nahe liegend ist dafür gerade eine ausdrückliche Bezugnahme auf das Schneiderhandwerk geeignet, wie sie in der Wendung "maßgeschneidert" deutlich wird.

II.

Die Nebenentscheidungen zu den Kosten und zur Wertfestsetzung beruhen auf § 97 Abs. 1, § 92 Abs. 1, § 3 ZPO.






KG:
Beschluss v. 11.08.2009
Az: 5 W 88/09


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