Bundesverfassungsgericht:
Beschluss vom 22. Juni 2006
Aktenzeichen: 2 BvR 2093/05

(BVerfG: Beschluss v. 22.06.2006, Az.: 2 BvR 2093/05)

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Ablehnung der Einstellung des Beschwerdeführers durch das Europäische Patentamt.

I.

1. Das Europäische Patentamt ist ein Organ der Europäischen Patentorganisation (EPO), die durch das Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente (Europäisches Patentübereinkommen - EPÜ) vom 5. Oktober 1973 gegründet wurde (BGBl 1976 II S. 649 <826>). Die EPO genießt im Rahmen ihrer amtlichen Tätigkeit Immunität vor den mitgliedstaatlichen Gerichtsbarkeiten (vgl. Art. 8 EPÜ in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 des Protokolls über die Vorrechte und Immunitäten der Europäischen Patentorganisation vom 5. Oktober 1973, BGBl 1976 II S. 649 <985>) und besitzt als internationale Organisation die Befugnis zur autonomen Gestaltung ihrer inneren Verhältnisse. Dies schließt die Möglichkeit ein, die Rechtsverhältnisse mit ihren Bediensteten eigenständig und unabhängig vom nationalen Recht der Mitgliedstaaten einschließlich des Sitzstaates zu regeln.

2. Freie Planstellen werden von der Anstellungsbehörde des Europäischen Patentamtes nach Maßgabe der Art. 4 ff. des Beamtenstatuts der EPO besetzt. Neben der fachlichen Befähigung wird im Einstellungsverfahren auch die gesundheitliche Eignung der Bewerber geprüft (Art. 9 des Beamtenstatuts).

3. Der seit 1991 aufgrund eines Unfalls körperbehinderte Beschwerdeführer ist deutscher Staatsangehöriger. Er bewarb sich mit seinem Abschluss als Diplomingenieur um eine vom Europäischen Patentamt ausgeschriebene Stelle als Patentprüfer. Die fachliche Eignungsprüfung führte zu einem positiven Ergebnis. Nach der Einstellungsuntersuchung teilte der Präsident des Patentamtes dem Beschwerdeführer mit, eine Einstellung könne aus gesundheitlichen Gründen nicht erfolgen. Die in Art. 106 ff. des Beamtenstatuts der EPO für dienstrechtliche Angelegenheiten vorgesehene interne Beschwerde des Beschwerdeführers wurde vom Präsidenten als unzulässig zurückgewiesen, da der Beschwerdeführer nicht zum Kreis der Antragsberechtigten gehöre.

II.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 19 Abs. 4 und Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG. Bei dem Europäischen Patentamt handele es sich um eine zwischenstaatliche Einrichtung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 GG. Da ihm Hoheitsrechte zur Ausübung übertragen worden seien, die im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar gegenüber den Grundrechtsberechtigten wirkten, seien die Entscheidungen des Präsidenten des Patentamtes an den Grundrechten zu messen. Den vom Grundgesetz vorgesehenen Rechtsschutzanforderungen sei nicht genügt, weil gegen die Ablehnung der Einstellung des Beschwerdeführers weder organisationsintern noch vor deutschen Gerichten eine Rechtsschutzmöglichkeit bestehe. Da die Einstellung wegen der Behinderung des Beschwerdeführers unterblieben sei, verletzten ihn die Entscheidungen des Präsidenten des Patentamtes im Übrigen in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG.

III.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Sie wirft weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Fragen auf, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt (vgl. § 93a Abs. 2 BVerfGG).

1. Die in der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch die Rechtsprechung des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts geklärt (zum Grundrechtsschutz gegenüber supranationalen Organisationen vgl. BVerfGE 73, 339 <387>; 89, 155 <174 f.>; 102, 147 <162 ff.>).

2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung ist auch nicht zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt, weil sie unzulässig ist. Der Beschwerdeführer legt nicht dar, dass sich die Verfassungsbeschwerde gegen Akte der öffentlichen Gewalt im Sinne von Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG richtet.

a) Unter "öffentlicher Gewalt" im Sinne von Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG ist nicht allein die deutsche Staatsgewalt zu verstehen. Der Begriff erfasst auch Akte einer besonderen, von der Staatsgewalt der einzelnen Staaten geschiedenen öffentlichen Gewalt supranationaler Organisationen, die die Grundrechtsberechtigten in Deutschland betreffen (vgl. BVerfGE 89, 155 <174 f.>). Die EPO ist eine zwischenstaatliche Einrichtung im Sinne des Art. 24 Abs. 1 GG und damit eine supranationale Organisation. Dem Patentamt als maßgeblichem Exekutivorgan der EPO sind Hoheitsrechte zur Ausübung übertragen worden, deren Adressaten unmittelbar die Rechtssubjekte und Rechtsanwendungsorgane der staatlichen Rechtsordnung sind (vgl. Beschluss der 4. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 4. April 2001 - 2 BvR 2368/99 -, NJW 2001, S. 2705 f.; Bundesgerichtshof, Urteil vom 3. November 1987 - X ZR 27/86 (BPatG) -, BGHZ 102, 118 <122 f.>).

b) Die angegriffenen Entscheidungen des Präsidenten des Patentamtes fallen jedoch nicht in den Bereich der supranationalen Befugnisse der EPO. Der Beschwerdeführer ist nicht als Grundrechtsberechtigter in Deutschland betroffen, da die Maßnahmen in der innerstaatlichen Rechtsordnung keine Rechtswirkungen entfalten (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 28. November 2005 - 2 BvR 1751/03 -, JURIS; Walter, Grundrechtsschutz gegen Hoheitsakte internationaler Organisationen, AöR 129 <2004>, S. 39 <47, 50>).

aa) Für die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde gegen einen nicht der deutschen Hoheitsgewalt entstammenden Rechtsakt reicht es nicht aus, dass der erlassenden Organisation generell supranationale Befugnisse eingeräumt wurden. Vielmehr muss der konkret beanstandete Rechtsakt supranationaler Natur sein. Nur dann liegt ein Rechtsakt vor, der den Grundrechtsberechtigten in Deutschland im Sinne der Maastricht-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts "betrifft" (vgl. BVerfGE 89, 155 <175>). Diese differenzierende Sichtweise vermeidet, dass die völkerrechtliche Unterscheidung zwischen klassisch-zwischenstaatlichen und supranationalen Organisationen aufgehoben wird.

bb) Die supranationale Wirkung eines Akts einer internationalen Organisation ist ausgeschlossen, wenn seine rechtlichen Wirkungen den Binnenbereich der Organisation nicht verlassen. In einem solchen Fall findet ein Durchgriff auf die rechtliche Stellung Einzelner nicht statt. Daraus folgt, dass Maßnahmen, die internationale Organisationen im Rahmen eines Dienstverhältnisses mit Staatsangehörigen ihrer Mitgliedstaaten treffen, grundsätzlich nicht supranationaler Natur sind (vgl. Tomuschat, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 24 Rn. 13; Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 24 Rn. 35). Sie entfalten keine Wirkungen in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen, sondern verbleiben im innerorganisatorischen Bereich, in den sich der Bedienstete zuvor begeben hat. Dies gilt für Maßnahmen im Vorfeld der Begründung eines dienstlichen Verhältnisses ebenso wie für die dienstlichen Befugnisse nach dem Eingehen eines Beamtenverhältnisses.

cc) Nichts Anderes ergibt sich daraus, dass der EPO im Rahmen der Erteilung von Patenten Hoheitsrechte übertragen wurden. Ein Abstellen auf supranationale Befugnisse jenseits des innerorganisatorischen Bereichs führte dazu, sämtlichen Befugnissen supranationale Wirkung zuzumessen; die Gerichtsbarkeit des Bundesverfassungsgerichts würde sich dann auf jeden von der Organisation erlassenen Rechtsakt erstrecken. Dies hätte zur Folge, dass sich die der Hoheitsrechtsübertragung entsprechende Durchgriffswirkung einerseits und die Reichweite des bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes andererseits nicht decken würden.

dd) Die Entscheidungen des Präsidenten des Patentamtes werden auch nicht dadurch zu supranationalen Hoheitsakten, dass sie die Anbahnung eines Dienstverhältnisses betreffen, bei dem der Beschwerdeführer eine Tätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland ausgeübt hätte. Allein das Betroffensein eines in Deutschland ansässigen Deutschen durch einen nicht-deutschen Rechtsakt macht diesen nicht automatisch zu einem Akt der öffentlichen Gewalt im Sinne von Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG. Die Frage der Supranationalität betrifft nicht die (territoriale) Wirkung in Deutschland, sondern unmittelbare Auswirkungen in der deutschen Rechtsordnung.

Zwar hätte die Anstellung des Beschwerdeführers eine dem Bereich der supranationalen Befugnisse zuzurechnende Statusentscheidung dargestellt, weil sich an sie konkrete Rechtsfolgen innerhalb der deutschen Rechtsordnung geknüpft hätten. Den die Einstellung des Beschwerdeführers ablehnenden Entscheidungen fehlt es jedoch an solchen Rechtswirkungen. Anders als im Bereich der Zulassung von Vertretern im Verfahren beim Europäischen Patentamt (vgl. Beschluss der 4. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 4. April 2001 - 2 BvR 2368/99 -, NJW 2001, S. 2705 f.) ist die negative Statusentscheidung im Dienstrecht nicht supranationaler Natur. Das Bundesverfassungsgericht hat im Rahmen der Zulassung als Vertreter maßgeblich auf den engen sachlichen Zusammenhang mit der Kernaufgabe des Patentamtes abgestellt, in einem rechtsstaatlichen Verfahren Patente zu erteilen (a.a.O.). Ein solcher Zusammenhang mit der hoheitlichen Tätigkeit ist im dienstrechtlichen Einstellungsverfahren nicht gegeben.

c) Angesichts der Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde bedarf die Frage, ob der innerorganisatorische Rechtsschutzstandard der EPO auch im Rahmen des Dienstrechts den verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht, die bei Hoheitsrechtsübertragungen gewahrt bleiben müssen (vgl. BVerfGE 73, 339 <375 ff.>; 102, 147 <162 ff.>), keiner Klärung.

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.






BVerfG:
Beschluss v. 22.06.2006
Az: 2 BvR 2093/05


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