Oberlandesgericht München:
Beschluss vom 18. Juli 2012
Aktenzeichen: 7 AktG 1/12
(OLG München: Beschluss v. 18.07.2012, Az.: 7 AktG 1/12)
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass die Erhebung der beim Landgericht München I, Kammer für Handelssachen, unter dem Aktenzeichen 5 HK O 4278/12 anhängige Klage gegen die Wirksamkeit des Beschlusses der außerordentlichen Hauptversammlung vom 12.4.2012 zu Tagesordnungspunkt 3 über eine Barkapitalerhöhung der Antragstellerin von € 696.920,- um bis zu € 876.625,- auf bis zu € 1.573.445,- der Eintragung des Beschlusses nicht entgegensteht und Mängel der Hauptversammlung die Wirkung der Eintragung unberührt lassen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits haben die Antragsgegner zu tragen.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des Freigabeverfahrens von den Antragsgegnern die aus dem Tenor ersichtliche Feststellung.
Die Antragstellerin ist eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft. Ihr Grundkapital beträgt bisher 696.920,- € und ist in 696.920 auf den Namen lautende nennwertlose Stückaktien eingeteilt. Am 12.4.2012 fand eine außerordentliche Hauptversammlung der Antragstellerin statt. Präsent bzw. vertreten waren 516.310 Aktien bzw. Stimmen. Unter Punkt 3 der Tagesordnung fasste die Hauptversammlung bei 4.517 Nein-Stimmen und ohne Enthaltung mit den übrigen anwesenden bzw. vertretenen Stimmen den folgenden Beschluss.
"1. Das Grundkapital der Gesellschaft wird von EUR 696.920,00 um bis zu EUR 876.625,00 auf bis zu EUR 1.573.545,00 durch Ausgabe von bis zu 876.625 Stück auf den Namen lautenden Stückaktien mit einem auf sie entfallenden anteiligen Betrag des Grundkapitals von EUR 1,00 je Aktie gegen Bareinlage erhöht. Der Ausgabebetrag beträgt EUR 1,00 je neu Stückaktie. Die neuen Aktien sind ab dem Beginn des Geschäftsjahrs gewinnberechtigt, in dem die Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung im Handelsregister der Gesellschaft erfolgt.
2. Die neuen Aktien werden den Aktionären im Verhältnis 0,795 : 1 zum Bezug angeboten. Jeder Aktionär ist somit berechtigt, für 0,795 alte Aktien eine neue Aktie zu zeichnen und zu beziehen. Das Bezugsrecht für Spitzenbeträge wird ausgeschlossen. Jeder Aktionär hat darüber hinaus die Möglichkeit, über den auf seinen Bestand nach Maßgabe des Bezugsverhältnisses von 0,795 : 1 entfallenden Betrag hinaus den Bezug von weiteren Aktien zu beantragen, als ihm danach zustehen (Überbezug). Die Entscheidung über das Ob und Wie der Zuteilung von nicht gezeichneten Aktien - ggf. auch an Dritte - sowie des angemeldeten Überbezugs trifft der Vorstand unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nach pflichtgemäßem Ermessen.
3. Das Bezugsrecht beträgt zwei Wochen ab Bekanntmachung des Bezugsangebots im elektronischen Bundesanzeiger.
4. Der jeweilige Ausgabebetrag für die neuen Aktien ist unverzüglich nach Annahme des Angebots auf ein von der Gesellschaft noch zu benennendes Konto zur Zahlung fällig.
5. Der Vorstand wird ermächtigt, mit Zustimmung des Aufsichtsrates weitere Einzelheiten der Kapitalerhöhung und ihrer Durchführung festzusetzen.
6. Der Aufsichtsrat wird ermächtigt, die Fassung des § 5 Abs. 1 und 2 der Satzung der Gesellschaft entsprechend der Durchführung der Kapitalerhöhung zu ändern."
Die Vertreter der Antragsgegner sowie eines weiteren Aktionärs erklärten zu dieser Beschlussfassung Widerspruch zu Protokoll des beurkundenden Notars.
Beim Landgericht München I war unter dem Aktenzeichen 5 HK O 4278/12 bereits eine Klage der Antragsgegner unter anderem gegen Beschlüsse anderer Hauptversammlungen der Antragstellerin rechtshängig. Mit Schriftsatz vom 10.5.2012, eingegangen beim Landgericht am selben Tag, erweiterten die Antragsgegner die anhängige Klage (unter anderem) mit dem Antrag, festzustellen, dass die Beschlussfassung der Antragstellerin durch die Hauptversammlung vom 12. April 2012 betreffend Ziffer 3 nichtig, hilfsweise anfechtbar und daher aufzuheben ist. Hierwegen hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 4.6.2012, eingegangen am selben Tag, den gegenständlichen Freigabeantrag gestellt.
II.
Der zulässige Freigabeantrag erweist sich als begründet, so dass die begehrte Feststellung zu treffen war.
1.
Nach der Auffassung des Senats ist die von den Antragsgegnern beim Landgericht München I (durch Klageerweiterung) gegen den Kapitalerhöhungsbeschluss vom 12.4.2012 erhobene Nichtigkeits- bzw. (hilfsweise) Anfechtungsklage offensichtlich unbegründet, so dass der gegenständliche Antrag schon nach § 246 a Abs. 2 Nr. 1 AktG Erfolg hat.
Die Frage, ob eine Klage offensichtlich unbegründet im Sinne der genannten Vorschrift ist, beantwortet sich nicht aufgrund einer lediglich kursorischen Überprüfung; vielmehr hat bereits im Freigabeverfahren eine vollständige rechtliche Würdigung zu erfolgen. Offensichtliche Unbegründetheit liegt dann vor, wenn bei umfassender rechtlicher Würdigung des gesamten Sachverhalts und der glaubhaft gemachten Tatsachen eine andere Beurteilung nicht oder kaum vertretbar erscheint (vgl. Senat, Beschluss vom 14.12.2011 - 7 AktG 3/11 - NZG 2012, 261 = ZIP 2012, 773 m.w.Nachw.). Auf dieser Basis hält der Senat die Klage der Antragsgegner für offensichtlich unbegründet, weil die gegen die Wirksamkeit des Hauptversammlungsbeschlusses vom 12.4. 2012 vorgebrachten Einwände der Antragsgegner nicht zu überzeugen vermögen.
a)
Der angegriffene Beschluss der Hauptversammlung vom 12.4.2012 verstößt weder gegen § 192 Abs. 3 AktG noch gegen § 202 Abs. 3 AktG. Denn er hat weder eine bedingte Kapitalerhöhung noch genehmigtes Kapital zum Gegenstand; vielmehr handelt es sich um eine durch die Hauptversammlung beschlossene reguläre Barkapitalerhöhung.
Eine bedingte Kapitalerhöhung im Sinne von § 192 Abs. 1 AktG läge vor, wenn die Erhöhung des Grundkapitals nur so weit durchgeführt werden soll, wie von einem Umtausch- oder Bezugsrecht Gebrauch gemacht werden soll, das die Gesellschaft auf die neuen Aktien einräumt. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Vielmehr gewährt Ziffer 2 des angegriffenen Beschlusses den Gesellschaftern über ihr Bezugsrecht von einer neuen Aktie pro 0,795 alten Aktien hinaus, aber nach näherer Bestimmung durch den Vorstand auch Dritten die Möglichkeit, neue Aktien zu erwerben. Die Begrenzung der Kapitalerhöhung auf zehn Prozent des vorhandenen Grundkapitals in § 192 Abs. 3 AktG greift somit offensichtlich nicht.
Genehmigtes Kapital im Sinne von § 202 Abs. 1 AktG läge nur vor, wenn die Satzung den Vorstand zur Kapitalerhöhung ermächtigen würde. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Vielmehr wurde die Kapitalerhöhung durch die Hauptversammlung beschlossen und der Vorstand lediglich zur Durchführung und Gestaltung der näheren Modalitäten ermächtigt. Die Begrenzung der Kapitalerhöhung auf zehn Prozent des vorhandenen Grundkapitals greift somit offensichtlich nicht.
b)
17Es ist nicht ersichtlich, dass der angegriffene Beschluss unter Verletzung von Informationsrechten der Aktionäre im Sinne von § 131 AktG zustande gekommen ist. Soweit sich die Antragsgegner auf den Standpunkt stellen, ihre Informationsrechte seien schon dadurch verletzt, dass im Zeitpunkt der Beschlussfassung entgegen den zeitlichen Vorgaben in der Satzung der Antragstellerin die Jahresabschlüsse der beiden vorangegangenen Geschäftsjahre noch nicht vorlagen bzw. festgestellt waren, führt dies nicht zur Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit des Kapitalerhöhungsbeschlusses. Der Senat tritt insoweit der vom Landgericht im Termin vom 14.6.2012 geäußerten Rechtsansicht bei, wonach die Vorlage von Jahresabschlüssen im Rahmen einer Kapitalerhöhung von den Vorschriften des Aktiengesetzes nicht vorgesehen ist. Die Information der Aktionäre erfolgt nach der Konzeption des § 186 AktG durch den Bericht des Vorstands. Somit bliebe nur eine Verletzung von Informationsrechten während der Hauptversammlung vom 12.4.2012, etwa durch einen unzureichenden Bericht des Vorstands oder durch Beschneidung des Fragerechts von Aktionären. Dergleichen ist aber weder im Ausgangsverfahren noch im vorliegenden Verfahren substantiiert behauptet.
c)
Soweit sich die Beklagten auf den Standpunkt stellen, entgegen der Satzung der Antragstellerin habe schon lange keine ordentliche Hauptversammlung der Antragstellerin stattgefunden, vielmehr "jage eine außerordentliche Hauptversammlung die andere", berührt dies die Wirksamkeit des angegriffenen Beschlusses nicht. Das Unterbleiben einer ordentlichen Hauptversammlung hat keinen Einfluss auf eine in außerordentlicher Hauptversammlung ordnungsgemäß beschlossene Kapitalerhöhung; insoweit läßt sich ein logischer Zusammenhang nicht herstellen.
d)
Die sog. "Investorenvereinbarung" zwischen einzelnen Aktionären der Antragstellerin vom 13.10.2010 und der Nachtrag hierzu vom 15.3.2011 (von den Antragsgegnern vorgelegt als Anlagen 8 und 9) stehen der Wirksamkeit des Kapitalerhöhungsbeschlusses vom 12.4.2012 nicht entgegen.
20Der Senat sieht in den genannten Vereinbarungen keinen (verdeckten) Beherrschungsvertrag im Sinne von § 291 Abs. 1 AktG, auch wenn die Antragstellerin als Partei der Vereinbarung genannt wird. Dahinstehen kann dabei die Frage, ob eine allenfalls vorliegende BGB-Innengesellschaft beherrschendes Unternehmen im Sinne des Konzernrechts sein kann. Denn jedenfalls läßt sich den genannten Vereinbarungen nicht entnehmen, dass die Parteien der Investitionsvereinbarung berechtigt sein sollen, dem Vorstand der Antragstellerin Weisungen zu erteilen. Vielmehr wird dort lediglich das geplante Stimmverhalten der Parteien der Vereinbarung hinsichtlich der zukünftigen Geschäftspolitik der Antragstellerin koordiniert, was weder direkt noch indirekt ein Weisungsrecht der Parteien der Vereinbarung gegenüber dem Vorstand der Antragstellerin ergibt. Das Weisungsrecht des § 308 AktG wäre jedoch ein unverzichtbares Merkmal eines Beherrschungsvertrages (vgl. Hüffer, AktG, 10. Aufl., § 291 Rz. 10 m.w.Nachw.).
Aber selbst wenn man - wie nicht - von einem mangels Zustimmung der Hauptversammlung der Antragstellerin unwirksamen Beherrschungsvertrag ausgehen würde, hätte dies auf den Kapitalerhöhungsbeschluss vom 12.4.2012 keinen Einfluss. Denn auch dann wären die Parteien der Vereinbarung nicht gehindert gewesen, als Aktionäre in der Hauptversammlung wie geschehen abzustimmen.
e)
Der in Ziffer 2 des Kapitalerhöhungsbeschlusses vom 12.4.2012 enthaltene teilweise Bezugsrechtsausschluss führt nicht zur Unwirksamkeit des Beschlusses. Bei in der Hauptversammlung anwesenden 516.310 Stimmen wurde der Beschluss bei 4.517 Nein-Stimmen mit den Stimmen aller übrigen Anwesenden gefasst, so dass die erforderliche 3/4-Mehrheit des § 186 Abs. 3 S. 2 AktG unproblematisch gewahrt wurde. Aber auch materiell ist der Bezugsrechtsausschluss nicht zu beanstanden.
23Dass entgegen § 186 Abs. 1 AktG im Falle der Kapitalerhöhung das Bezugsrecht der bisherigen Aktionäre ganz oder teilweise ausgeschlossen werden kann, zeigt § 186 Abs. 3 S. 1 AktG. Zwar ergibt sich die Zulässigkeit des Bezugsrechtsausschlusses hier nicht schon aus § 186 Abs. 3 S. 4 AktG, weil die Kapitalerhöhung zehn Prozent des bisherigen Grundkapitals übersteigt. Wie das Wörtchen "insbesondere" zeigt, kann ein Bezugsrechtsausschluss aber auch ansonsten zulässig sein. Ob dies der Fall ist, ist unter Abwägung der Interessen der Gesellschaft einerseits bzw. derjenigen der beteiligten Aktionäre andererseits zu beurteilen. Zugunsten der Aktionäre ist dabei anzusetzen, dass im Falle des gänzlichen oder teilweisen Bezugsrechtsausschlusses ihr Stimmgewicht in der Hauptversammlung verwässert wird. Der gegenständliche Kapitalerhöhungsbeschluss kommt diesem Interesse der Aktionäre jedoch dadurch entgegen, dass er den einzelnen Aktionären die Möglichkeit einräumt, über ihr Bezugsrecht hinaus weitere Aktien zu zeichnen. Im übrigen handelt es sich nur um einen teilweisen, in seiner rechnerischen Auswirkung eher minimalen Bezugsrechtsausschluss in der Spitze. Der Senat sieht daher die berechtigten Interessen der Aktionäre hinreichend gewahrt und hält den Bezugsrechtsausschluss somit für rechtmäßig (vgl. Hüffer, AktG, 10. Aufl., § 186 Rz. 39).
f)
Der Kapitalerhöhungsbeschluss vom 12.4.2012 krankt auch nicht an einer eventuellen Unwirksamkeit der vorangegangenen Kapitalerhöhungsbeschlüsse vom 9.5.2011, 10.10.2011 und 30.1.2012. Für den letztgenannten Beschluss folgt dies schon daraus, dass er nicht zur Durchführung gelangte und mittlerweile zurückgenommen wurde. Die beiden anderen Beschlüsse wurden nicht fristgerecht angefochten und demzufolge auch ins Handelsregister eingetragen, so dass insoweit nur deren Nichtigkeit nach § 241 Nrn. 3, 4 AktG schaden könnte. Elementare Verstöße gegen das Aktienrecht bzw. gegen Gläubiger oder die Allgemeinheit schützende Vorschriften oder Verstöße der Beschlussinhalte gegen die guten Sitten vermag der Senat nicht zu erkennen, jedenfalls sind solche nicht hinreichend dargetan.
2.
Da der gegenständliche Antrag somit schon nach § 246 a Abs. 2 Nr. 1 AktG begründet ist, sind weitere Ausführungen zu § 246 Abs. 2 Nr. 2 AktG entbehrlich. Der Senat hat von einer Teilentscheidung vorab ohne mündliche Verhandlung gegen den Antragsgegner zu 1, der letztlich unstreitig weniger als 1.000,- € vom Grundkapital der Antragstellerin hält, abgesehen, da ein solcher Teilbeschluss das Registergericht nicht veranlasst hätte, den gegenständlichen Kapitalerhöhungsbeschluss ins Handelsregister einzutragen. In Richtung gegen die Antragsgegnerin zu 2 lagen nach der Überzeugung des Senats die Voraussetzungen des § 246 a Abs. 2 Nr. 2 AktG nicht vor. Letztlich unstreitig hält die Antragsgegnerin zu 2 mehr als 1.000,- € vom Grundkapital der Antragstellerin. Urkundlich nachgewiesen ist dies zwar erst für die Zeit ab der Hauptversammlung vom 12.4.2012 und nicht schon für die Zeit ab der Bekanntmachung der Einberufung der Hauptversammlung. Da aber weder behauptet wird noch sonst ersichtlich ist, dass die Antragsgegnerin zu 2 zwischen Einberufung und Hauptversammlung Aktien erworben hat, hält der Senat diesen Gesichtspunkt für unerheblich.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 246 a Abs. 1 S. 2 AktG, 91 Abs. 1 ZPO.
OLG München:
Beschluss v. 18.07.2012
Az: 7 AktG 1/12
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