Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 22. November 2010
Aktenzeichen: AnwZ (B) 74/07
(BGH: Beschluss v. 22.11.2010, Az.: AnwZ (B) 74/07)
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des 1. Senats des Bayerischen Anwaltsgerichtshofs vom 2. April 2007 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen und der Antragsgegnerin die ihr im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.
Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 50.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist nach einer früheren Zulassung und einem anschließenden zeitweiligen Zulassungsverzicht seit dem 3. August 1982 im Bezirk der Antragsgegnerin als Rechtsanwalt zugelassen. Er äußerte sich, vermehrt seit 1997, in einer Vielzahl von Schriftsätzen, insbesondere gegenüber den verfahrensbeteiligten Richtern, in grob unsachlicher und beleidigender Weise. Wegen eines dieser Vorfälle stellte der Präsident des Landgerichts K. am 14. Mai 1998 Strafantrag gegen den Antragsteller, der zur Einleitung eines mehrjährigen Strafverfahrens führte, das mit einem Freispruch des Antragstellers durch Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 13. Juli 2001 ( ) endete. Im Berufungsrechtszug dieses Strafverfahrens erstatteten die Gutachter Dr. K. und R. am 11. Mai 2000 ein nervenärztliches Gutachten, das eine Persönlichkeitsstörung feststellte, Schuldunfähigkeit ausschloss und verminderten Schuldfähigkeit für nicht hinreichend sicher ausschließbar hielt. Daraufhin gab die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit Bescheid vom 10. August 2000 auf, ein ärztliches Gutachten über seinen Gesundheitszustand vorzulegen. Nach Nichtvorlage des Gutachtens widerrief sie mit Bescheid vom 17. Mai 2001 die Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft aus gesundheitlichen Gründen und zugleich auch wegen Vermögensverfalls und ordnete die sofortige Vollziehung des Bescheids an. Dieser Bescheid wurde durch den Anwaltsgerichtshof aufgehoben, nachdem der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 4. Februar 2002 (AnwZ (B) 56/01) die aufschiebende Wirkung der Rechtsbehelfe des Antragstellers wiederhergestellt und mit Beschluss vom 23. September 2002 (AnwZ (B) 56/01 - NJW 2003, 215) die Gutachtenanordnung als zu unbestimmt beanstandet hatte. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wies der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 18. Oktober 2004 (AnwZ (B) 10/04, AnwBl. 2005, 217) zurück, weil auch ein Vermögensverfall nicht festzustellen war.
Mit nach Verwerfung der sofortigen Beschwerde des Antragstellers durch den Bundesgerichtshof (Beschluss vom 27. April 2005 - AnwZ (B) 45/04, juris) bestandskräftigem Bescheid vom 4. April 2002 gab die Antragsgegnerin dem Antragsteller die Vorlage eines durch den Leiter der Abteilung für forensische Psychiatrie und Psychologie der Universitätsklinik M. Professor Dr. N. zu erstellenden ärztlichen Gutachtens zu der Frage auf, ob bei ihm eine psychische Krankheit vorliege, er in der Lage sei, fremden Interessen sachgemäß und sorgfältig wahrzunehmen, den psychischen und stressbedingten Belastungen, die der Anwaltsberuf mit sich bringe, gewachsen und ob er unfähig sei den Beruf des Rechtsanwalts auszuüben. Mit Bescheid vom 8. Januar 2004 widerrief die Antragsgegnerin erneut die Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft aus gesundheitlichen Gründen. Diesen Bescheid nahm sie zurück, nachdem sich im Verfahren vor dem Anwaltsgerichtshof herausgestellt hatte, dass die Vorlagefrist bei Erlass des Bescheids nicht abgelaufen war.
Mit dem hier zu beurteilenden Bescheid vom 14. Oktober 2004 hat die Antragsgegnerin die Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft zum dritten Mal aus gesundheitlichen Gründen widerrufen, weil er das ihm aufgegebene Gutachten nicht vorgelegt hatte. Dagegen hat der Antragsteller gerichtliche Entscheidung beantragt. Im Verfahren vor dem Anwaltsgerichtshof hat er auf Grund einer Verständigung der Beteiligten den Gutachter beauftragt, der das Gutachten dem Anwaltsgerichtshof vorgelegt hat. Das Gutachten verneint die Gutachtenfrage. Der Anwaltsgerichtshof hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung mit der Begründung zurückgewiesen, das vorgelegte Gutachten entspreche nicht den Anforderungen, weil dem Gutachter die in der Gutachtenanordnung aufgeführten Strafverfahrensakten nicht vorgelegen hätten. Dagegen wendet sich der Antragsteller mit der sofortigen Beschwerde, deren Zurückweisung die Antragsgegnerin beantragt. Der Senat hat ein ergänzendes Gutachten des Sachverständigen Professor Dr. N. und weitere Gutachten von Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof Dr. Na. und Professor Dr. E. (Universitätsklinikum F. ) eingeholt.
II.
Das nach § 215 Abs. 3 BRAO i.V.m. § 42 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 BRAO a.F. zulässige Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1. Nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt aus gesundheitlichen Gründen nicht nur vorübergehend unfähig ist, den Beruf eines Rechtsanwalts ordnungsgemäß auszuüben, es sei denn, dass sein Verbleiben in der Rechtsanwaltschaft die Rechtspflege nicht gefährdet.
a) Die Vorschrift setzt dabei - ebenso wie § 7 Nr. 7 BRAO - nicht voraus, dass der Rechtsanwalt an einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung im Sinne von § 1896 Abs. 1 BGB leidet oder schuldunfähig im Sinne von § 20 StGB ist. Entscheidend ist vielmehr, ob bei ihm gesundheitliche Gründe vorliegen, die ihm nach ihrer Art und ihrem Gewicht die ordnungsmäßige Ausübung des Berufs des Rechtsanwalts, insbesondere die sachgemäße und sorgfältige Wahrnehmung der Interessen der Rechtsuchenden, dauernd unmöglich machen (Senat, Beschlüsse vom 30. Oktober 1995 - AnwZ (B) 15/95, BRAK-Mitt. 1996, 74, 75; vom 14. Februar 2000 - AnwZ (B) 17/98, juris; vom 12. März 2001 - AnwZ (B) 21/00, BRAK-Mitt. 2001, 231 [Ls], juris; vom 2. April 2001 - AnwZ (B) 32/00, NJW-RR 2001, 1426; vom 26. November 2007 - AnwZ (B) 102/05, BRAK-Mitt. 2008, 75 [Ls.], Vollabdruck bei juris; Hagen, Festschrift für Pfeiffer S. 930; Schmidt-Räntsch in Gaier/Wolf/ Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, § 7 BRAO Rn. 52).
b) Wenn es zur Entscheidung über den Widerruf der Zulassung nach dieser Vorschrift erforderlich ist, gibt die Rechtsanwaltskammer dem Rechtsanwalt auf, innerhalb einer von ihr zu bestimmenden angemessenen Frist das Gutachten eines von ihr bestimmten Arztes über seinen Gesundheitszustand vorzulegen. Das ergibt sich im vorliegenden Fall nach § 215 Abs. 3 BRAO noch aus den bei Erlass des Widerrufsbescheids geltenden § 15 Satz 1 i.V.m. § 8a Abs. 1 und 2 BRAO in der vor dem 1. Juni 2007 geltenden Fassung (jetzt: § 15 Abs. 1 Satz 1 BRAO). Wird das Gutachten ohne zureichenden Grund nicht innerhalb der von der Rechtsanwaltskammer gesetzten Frist vorgelegt, so wird nach § 15 Satz 2 BRAO in der vor dem 1. Juni 2007 geltenden Fassung (jetzt: § 15 Abs. 3 Satz 1 BRAO) gesetzlich vermutet, dass der Rechtsanwalt aus dem gesundheitlichen Grund gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO, der durch das Gutachten geklärt werden soll, nicht nur vorübergehend unfähig ist, seinen Beruf ordnungsgemäß auszuüben.
2. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
a) Nach dem hier noch anzuwendenden § 15 Satz 2 BRAO in der vor dem 1. Juni 2007 geltenden Fassung wird gesetzlich vermutet, dass der Antragsteller aus gesundheitlichen Gründen nicht nur vorübergehend unfähig ist, seinen Beruf als Rechtsanwalt ordnungsgemäß auszuüben.
aa) Die Antragsgegnerin hat den Antragsteller mit Bescheid vom 4. April 2002 aufgefordert, ein ärztliches Gutachten über seinen Gesundheitszustand vorzulegen. Diese Anordnung war rechtmäßig. Das steht mit für das vorliegende Verfahren bindender Wirkung fest, nachdem der Senat mit Beschluss vom 27. April 2005 (AnwZ (B) 45/05, juris) die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen diese Anordnung zurückgewiesen hat (vgl. Senat, Beschlüsse vom 6. Juli 2009 - AnwZ (B) 81/08, NJW-RR 2009, 1578, 1579 Rn. 11; vom 13. September 2010 - AnwZ (B) 105/09, juris Rn. 6).
bb) Diese Gutachtenanordnung genügte auch den Anforderungen des § 15 Satz 1 i.V.m. § 8a Abs. 1 und 2 BRAO in der vor dem 1. Juni 2007 geltenden Fassung.
(1) Die Antragsgegnerin hat darin, wie geboten (dazu Senat, Beschluss vom 23. September 2002 - AnwZ (B) 56/01, NJW 2003, 215, 216), den mit der Untersuchung zu beauftragenden Arzt namentlich bezeichnet. Ihre Anordnung war auch inhaltlich ausreichend bestimmt. Eine Gutachtenanordnung muss erkennen lassen, mit welchen Fragen zum Gesundheitszustand des Rechtsanwalts sich der Gutachter befassen soll (Senat, Beschluss vom 6. Juli 2009 - AnwZ (B) 81/08, NJW-RR 2009, 1578, 1579 Rn. 13; EGH München, BRAK-Mitt. 1992, 221). Dazu hatte die Antragsgegnerin folgende Fragen formuliert:
"a) Liegt bei dem Rechtsanwalt eine psychische Krankheit vor€
b) Ist der Anwalt in der Lage, fremde Interessen, insbesondere von Mandanten, sachgemäß und sorgfältig wahrzunehmen€
c) Ist der Rechtsanwalt den besonderen psychischen und stressbedingten Belastungen, die der Anwaltsberuf mit sich bringt, gewachsen€
d) Besteht eine nicht nur vorübergehende Unfähigkeit, den Beruf als Anwalt auszuüben€"
Die gesundheitliche Störung, der nachgegangen werden sollte, hatte die Antragsgegnerin in der Gutachtenanordnung zwar nicht näher präzisiert. Das nimmt dieser aber nicht die erforderliche Bestimmtheit. Die Präzisierung der gesundheitlichen Störung ist entbehrlich, wenn die Begutachtung an ein konkretes tatsächliches Geschehen anknüpfen soll, das sich selbst erklärt und die anstehenden Fragen auch ohne zusätzliche Verbalisierung klar zutage treten lässt (Senat, Beschluss vom 6. Juli 2009 - AnwZ (B) 81/08, aaO Rn. 14). Dieser Fall liegt hier vor.
(2) Die Antragsgegnerin nimmt in der Anordnung auf zahlreiche mit Datum näher bezeichnete Schreiben des Antragstellers an verschiedene Dienststellen der Justiz und auf Schriftsätze in Gerichtsverfahren Bezug. Sie gibt, größtenteils durch wörtliche Zitate, Passagen aus diesen Schreiben wieder, in denen der Antragsteller die Adressaten dieser Schreiben und Schriftsätze persönlich angreift und ihnen rechtswidriges Verhalten unterstellt. Sie weist auf das Gutachten Dr. K. und R. sowie darauf hin, dass zahlreiche Schreiben des Antragstellers ähnlich polemische und beleidigende Ausführungen enthielten und 31 Verfahren wegen berufsrechtlicher Verstöße und auch mit Aktenzeichen näher bezeichnete Strafverfahren anhängig seien. Die wiedergegebenen Äußerungen des Antragstellers und ihr Ausmaß lassen den Gegenstand der Untersuchung auf den ersten Blick erkennen, ohne dass die zu beantwortenden Fragen näher präzisiert werden müssten. Danach hatte die Antragsgegnerin den Verdacht, dass der Antragsteller nicht nur vorübergehend den Bezug zur Realität und die Fähigkeit verloren hat, sich einer sachlichen Gesprächsebene im Umgang mit Dienststellen und Bediensteten der Justiz zu nähern. Für den zu beauftragenden Arzt war klar, dass er das geschilderte Verhalten des Antragstellers unter jedem in Betracht kommenden gesundheitlichen Gesichtspunkt würdigen und feststellen sollte, ob es auf einer psychischen Krankheit beruht oder ob sich bei dem Antragsteller ein Querulantenwahn oder eine andere gesundheitliche Störung mit Krankheitswert entwickelt hat, die den Antragsteller nicht nur vorübergehend außer Stande setzt, seinen Beruf als Rechtsanwalt ordnungsgemäß auszuüben. Die Antragsgegnerin brauchte sich nicht auf einen bestimmten Erkrankungsverdacht festzulegen. Sie war auch nicht gehalten, Fragen nach konkreter bezeichneten Krankheitsbildern zu stellen. Die ärztliche Einordnung und Bewertung der Verdachtsumstände ist Aufgabe des zu beauftragenden Arztes, nicht der Rechtsanwaltskammer (Senat, Beschluss vom 6. Juli 2009 - AnwZ (B) 81/08, NJW-RR 2009, 1578, 1579 Rn. 16).
cc) Das in der Gutachtenanordnung beschriebene Verhalten bot eine ausreichende Grundlage für den durch das Gutachten zu klärenden Verdacht.
(1) Abwegige persönliche Meinungen eines Rechtsanwalts und diffamierende Äußerungen über Richter, Staatsanwälte und die Justiz insgesamt rechtfertigen zwar noch nicht die Aufforderung zur Vorlage eines Gutachtens über den Gesundheitszustand des Rechtsanwalts (Senat, Beschlüsse vom 26. November 2007 - AnwZ (B) 102/05, BRAK-Mitt. 2008, 75 [Ls], juris Rn. 15 und vom 13. September 2010 - AnwZ (B) 105/09, juris Rn. 11). Anders liegt es aber dann, wenn Umstände vorliegen, die ernsthaft darauf hindeuten, der Rechtsanwalt könne von seinen Vorstellungen in krankhafter Weise derart beherrscht sein, dass dies sich zugleich und in schwerwiegender Weise auf seine Fähigkeit auswirkt, die Belange seiner Mandanten noch sachgerecht und mit der gebotenen Sorgfalt wahrzunehmen. Dann wären die Interessen der einzelnen Rechtsuchenden und das Gemeinwohlinteresse an einer geordneten Rechtspflege insgesamt beeinträchtigt (Senatsbeschlüsse vom 26. November 2007 und vom 13. September 2010, aaO).
(2) So liegt es hier. Der Antragsteller greift in seinen Schreiben und Schriftsätzen an Dienststellen der Justiz und in gerichtlichen Verfahren Gerichts- und Behördenvorstände und die mit den Verfahren befassten Richter immer wieder grundlos massiv persönlich an. Er unterstellt ihnen ohne objektiv nachvollziehbaren Anlass parteiisches Verhalten und wirft ihnen ohne jeden Bezug zu dem sachlichen Zusammenhang seiner Schreiben und Schriftsätze vor, Straftaten begangen zu haben und ihr Amt zu missbrauchen, insbesondere um ihm und seiner Familie zu schaden. Davon haben ihn auch zahlreiche berufsrechtliche Verfahren und staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren nicht abgehalten. In kaum einem dieser Schriftsätze und Schreiben gelingt es dem Antragsteller, bei dem Gegenstand des Verfahrens oder dem Sachverhalt zu bleiben. Er verliert sich geradezu in Vorwürfen der geschilderten Art gegen die adressierten Bediensteten der Justiz. Diese Vorgänge, aber auch das in einem dieser Verfahren, das allerdings letztlich mit einem Freispruch endete, eingeholte Gutachten zur Frage der Schuldfähigkeit des Antragstellers begründen den dringenden Verdacht, dass der Antragsteller so sehr von der Wahnvorstellung beherrscht ist, die Justiz wolle ihm und seiner Familie schaden und ihn ruinieren, dass er zu einer sachlichen Auseinandersetzung in gerichtlichen Verfahren und außergerichtlichen Auseinandersetzungen nicht mehr imstande ist. Damit fehlte ihm eine der für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs unerlässlichen Schlüsselqualifikationen; er wäre auf Dauer zur sachgerechten Wahrnehmung der Interessen von Mandanten und damit zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufs außerstande.
dd) Der Antragsteller hat das Gutachten ohne zureichenden Grund nicht innerhalb der von der Antragsgegnerin gesetzten Frist vorgelegt. Nach § 15 Satz 2 BRAO in der vor dem 1. Juni 2007 geltenden Fassung (jetzt: § 15 Abs. 3 Satz 1 BRAO) wird deshalb gesetzlich vermutet, dass der Antragsteller aus dem durch das ihm aufgegebene Gutachten festzustellenden gesundheitlichen Grund nicht nur vorübergehend außerstande ist, den Beruf des Rechtsanwalts ordnungsgemäß auszuüben.
b) Diese Vermutung hat der Antragsteller nicht widerlegt.
aa) In dem Verfahren vor dem Anwaltsgerichtshof hat er allerdings das geforderte Gutachten des Sachverständigen Professor Dr. N. vorgelegt. Dieser Sachverständige hat eine psychische Krankheit bei dem Antragsteller in seinem Gutachten für den Anwaltsgerichtshof ausgeschlossen und ist bei dieser Einschätzung auch in einer ergänzenden Begutachtung für den Senat geblieben. Er beschreibt den Antragsteller zwar als "keine ganz unauffällige Persönlichkeit". Nach seinen Feststellungen liegt bei dem Antragsteller aber nur eine Persönlichkeitsakzentuierung mit den Charaktermerkmalen rigide, übernachhaltig und hyperthym vor. Es fehlten dagegen schon die diagnostischen Voraussetzungen für die Feststellung einer Persönlichkeitsstörung. Von den sechs Kriterien, die nach den maßgeblichen ärztlichen Standards für die Annahme einer Persönlichkeitsstörung erfüllt sein müssten, seien drei mit Sicherheit nicht erfüllt. Danach setze die Annahme einer Persönlichkeitsstörung unter anderem voraus, dass der Proband ein auffälliges Verhaltensmuster zeige, das tiefgreifend und in vielen persönlichen und sozialen Situationen unpassend sei. Die Störung müsse in Kindheit oder Jugend begonnen, sich im Erwachsenenalter manifestiert und zu einem deutlichen subjektiven Leiden geführt haben.
So liegt es bei dem Antragsteller nach der Beurteilung dieses Sachverständigen nicht. Das auffällige Verhalten des Antragstellers habe seine Wurzel nicht in Kindheit oder Jugend, sondern in einem Schlüsselerlebnis im Erwachsenenalter, nämlich dem Konkurs des Familienunternehmens im Jahre 1997. Vor allem aber lasse sich nicht feststellen, dass das Denken des Antragstellers auf eine überwertige Idee eingeengt sei. Er sei vielmehr in vielen Bereichen und zu vielen Zeitpunkten in der Lage gewesen, von der Auseinandersetzung mit einzelnen Richtern des K. Landgerichts Abstand zu nehmen, eigene Aussagen zurückzunehmen, als falsch oder übertrieben darzustellen und Korrekturen vorzunehmen. Auch spielten die Auseinandersetzungen mit der Antragsgegnerin in vielen Bereichen seines Lebens keine Rolle. Sein aggressives Verhalten zeige sich im Wesentlichen, wenn er seine Existenz in Frage gestellt oder zerstört sehe. Dabei könne weder eine affektive Getriebenheit noch ein Missverhältnis von Realität und Schlussfolgerung festgestellt werden. Das Verhalten des Antragstellers gehe auf das Gefühl zurück, existenziell bedroht zu sein. Das sei bei dem Konkurs des Familienunternehmens und bei der Aberkennung seiner Zulassung auch nachvollziehbar.
bb) Dieser Befund entspricht im Ergebnis dem Gutachten der Sachverständigen Dr. K. und R. vom 11. Mai 2000, das in dem erwähnten Strafverfahren eingeholt worden ist. Auch in diesem Gutachten wird eine psychische Erkrankung ausdrücklich ausgeschlossen (S. 54). Diese Gutachter haben allerdings bei dem Antragsteller eine "sog. kombinierte Persönlichkeitsstörung mit zwanghaften, hysteroiddemonstrativen, extravertiertexpansiven, narzisstischen, hypomanen und paranoidquerulatorischen Anteilen im Sinne einer sog. schweren anderen seelischen Abartigkeit" festgestellt. Sie haben diese Persönlichkeitsstörung indes ausdrücklich als nicht sehr schwer bewertet und Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störung (§ 20 StGB) klar ausgeschlossen. Sie haben auch verminderte Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) nicht positiv festgestellt, sondern lediglich nicht hinreichend sicher ausschließen können. Das Strafgericht, das den Gutachtern gefolgt ist, hat in seinem Berufungsurteil dem Gutachten entnommen, dass der Antragsteller dazu neigt, seine eigenen Leistungen zu übertreiben und die anderer herabzusetzen. "Er empfindet", so heißt es (auf Seite 70 des Urteils) weiter, "die juristischen Niederlagen in eigener Sache als narzisstische Kränkung und reagiert querulatorisch und misstrauisch. Dies führt bei ihm zum Verdrängen von Erlebtem und zu einer Neigung, eine Entscheidung gegen ihn als feindlich zu missdeuten." Im Ergebnis hat das Strafgericht keine Persönlichkeitsstörung, sondern - wie der Sachverständige Professor Dr. N. - nur eine Persönlichkeitsakzentuierung angenommen. Deshalb hat es das Strafmaß auch nicht verändert, sondern die Berufung verworfen. Der spätere Freispruch des Antragstellers durch das Bayerische Oberste Landesgericht beruht ebenfalls nicht auf einer verminderten Schuldfähigkeit, sondern darauf, dass das angeklagte Verhalten nicht strafbar sei.
cc) Diese beiden Begutachtungen vermögen aber die gegen den Antragsteller streitende gesetzliche Vermutung nicht zu widerlegen. Sie verfehlen die mit der Gutachtenanordnung aufgeworfene Fragestellung im entscheidenden Punkt und stellen deshalb die bei dem Antragsteller wegen der Nichtbefolgung der Gutachtenanordnung gesetzlich vermutete gesundheitliche Störung nicht in Frage. Diese gesundheitliche Störung liegt bei dem Antragsteller, wovon der Senat auf Grund der zusätzlich eingeholten Gutachten von Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof Dr. Na. und Professor Dr. E. und des persönlichen Eindrucks von dem Antragsteller in der mündlichen Verhandlung überzeugt ist, auch tatsächlich vor.
(1) Das Gutachten der Sachverständigen Dr. K. und R. ist in dem seinerzeit noch anhängigen Strafverfahren eingeholt worden und hatte die Frage zum Gegenstand, ob der Antragsteller im Sinne von §§ 20, 21 StGB nicht oder vermindert schuldfähig ist, was die Gutachter seinerzeit im Ergebnis verneint hatten. Eine dauerhaft verminderte oder fehlende Schuldfähigkeit kann und wird zwar vielfach auch dazu führen, dass der Rechtsanwalt seinen Beruf nicht mehr ordnungsgemäß ausüben kann. Der Rechtsanwalt kann aber auch bei - wie hier - gegebener voller Schuldfähigkeit dennoch aus (anderen) gesundheitlichen Gründen auf Dauer gehindert sein, den Beruf des Rechtsanwalts ordnungsgemäß auszuüben. Damit brauchten sich diese beiden Gutachten im Strafverfahren nicht zu befassen. Sie haben es auch nicht getan.
(2) Das war aber Aufgabe des Sachverständigen Professor Dr. N. . Dieser sollte nach der Gutachtenanordnung zwar der Frage nach einer psychischen Krankheit nachgehen, sich aber vor allem mit dem in der Anordnung im Einzelnen geschilderten Verhalten des Antragstellers unter allen in Betracht kommenden gesundheitlichen Gesichtspunkten befassen und auch feststellen, ob dies auf einer anderen gesundheitlichen Störung beruht, die den Antragsteller unfähig macht, den Beruf des Rechtsanwalts ordnungsgemäß auszuüben. Diese Fragestellung hat der Sachverständige verfehlt. Das ergibt sich deutlich aus seiner ergänzenden Stellungnahme zu der Nachfrage der Antragsgegnerin. Damit wollte die Antragsgegnerin in Erfahrung bringen, weshalb der Sachverständige weder dem in der Gutachtenanordnung geschilderten noch dem weiteren, in der Nachfrage sehr ausführlich geschilderten Verhalten nicht entnehmen konnte, dass der Antragsteller einen Querulantenwahn oder eine vergleichbare gesundheitliche Störung entwickelt hatte. Die Antwort auf diese Frage ist der Sachverständige letztlich schuldig geblieben, weil er die ihm vorgelegte Fragestellung in ihrer vollen Breite nicht erkannt hatte. Für ihn ging es allein darum, ob das Verhalten Ausdruck einer psychischen Krankheit ist. Die Möglichkeit einer anderen gesundheitlichen Ursache hat er nicht in den Blick genommen. Damit fehlt seiner Begutachtung aber die Aussage zum entscheidenden Punkt, die deshalb die Vermutung nicht widerlegen kann.
(3) Die von dem Senat zu dieser offen gebliebenen Fragestellung eingeholten Gutachten der Gutachter Dr. Na. und Professor Dr. E. haben die gegen den Antragsteller streitende Vermutung nicht widerlegt, sondern im Gegenteil bestätigt.
(a) Der Sachverständige Rechtsanwalt Dr. Na. hat sich mit der Frage befasst, ob sich der Antragsteller aus der Sicht eines Rechtsanwalts in seinen Schriftsätzen und Schreiben im Rahmen des im "Kampf ums Recht" Vertretbaren hält und ob sie auch unter Berücksichtigung des prozesstaktischen Werts von Abschweifungen noch ausreichenden Bezug zum Verfahrensstoff erkennen lassen. Er hat beide Fragen klar verneint. Die Äußerungen des Antragstellers in all den untersuchten Verfahren bewegten sich im Wesentlichen weit außerhalb des Rahmens vertretbarer anwaltlicher Äußerungen in gerichtlichen Verfahren und hätten zu den konkreten Verfahren - einschließlich des Strafverfahrens und des vorliegenden Verfahrens - keinen Bezug. Verfahrenstaktische Zwecke ließen sie nicht erkennen. Allerdings sei dabei auch zu berücksichtigen, dass der Antragsteller sich dabei überwiegend selbst vertreten habe. Das gibt indessen keine Veranlassung zu einer abweichenden Beurteilung. Die persönliche Betroffenheit kann zwar den Blick für die Berechtigung des eigenen Rechtsstandpunkts trüben und zu Überreaktionen führen. Hier liegen aber keine bloßen Überreaktionen vor. Der Antragsteller zeigt das beschriebene Verhalten seit dem Konkurs des Unternehmens seiner Familie im Jahr 1997 und dem anschließenden Strafverfahren gegen ihn, das er aus seiner Sicht als ungerecht empfinden konnte, nahezu ununterbrochen und immer intensiver. Seitdem findet der Antragsteller in keinem der zahlreichen Verfahren den Weg zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Gegenstand des Verfahrens. Er gleitet immer wieder in die Schilderung der Verfolgungssituation ab, in der er sich und seine Familie wähnt. Er ist nicht (mehr) in der Lage, sich von der Vorstellung zu lösen, die Justiz habe vor, ihn zu ruinieren, und schrecke auch vor strafbarem Verhalten nicht zurück. Dieses Verhalten zeigt der Antragsteller auch im vorliegenden Verfahren. In seinen Schriftsätzen erreicht der Antragsteller selten die Ebene einer sachlichen Auseinandersetzung. In kaum einem seiner zahlreichen Schriftsätze in dem vorliegenden Verfahren ist es dem Antragsteller gelungen, sich mit dem Verfahrensthema wenigstens ansatzweise zu befassen. Immer wieder verfällt er in Tiraden gegen die verschiedensten Bediensteten der Justiz, denen er vielfältig böswilliges oder strafbares Verhalten vorwirft. Regelmäßig und auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gerät ihm dabei der Gegenstand des Verfahrens völlig aus dem Blick. Er ist auch nicht in der Lage, die nötige Distanz zu wahren. Dies kommt etwa darin zum Ausdruck, dass er im vorliegenden Verfahren den Sachverständigen Dr. Na. unmittelbar persönlich angeschrieben und auch in diesem Schreiben die immer wiederkehrenden massiven Vorwürfe gegen Bedienstete der bayerischen Justiz erhoben hat. Ein vergleichbares Verhalten zeigt der Antragsteller auch in anderen Verfahren.
(b) Sein Verhalten ist nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen Professor Dr. E. auf eine gesundheitliche Störung zurückzuführen. Auch dieser Sachverständige verneint zwar eine psychische Erkrankung, deren Vorliegen der Sachverständige Professor Dr. N. nachgegangen ist. Er kommt aber zu dem Ergebnis, dass sich die - auch von dem Sachverständigen Professor Dr. N. festgestellte - ausgeprägt querulatorische Neigung zu einem Querulantenwahn entwickelt hat. Bei dem Antragsteller hat sich nämlich nach den Feststellungen des Sachverständigen, ausgelöst durch ein Schlüsselerlebnis tatsächlich oder vermeintlich erlittenen Unrechts, die wahnhafte Überzeugung entwickelt, von Einzelpersonen und Ämtern juristisch falsch behandelt zu werden, verbunden mit der Vorstellung, trotz einer Fülle von negativen Urteilen im Recht zu sein, und mit einem eskalierenden Sendungsbewusstsein. Diese von dem Sachverständigen als abnorm beschriebene seelische Entwicklung hat bei dem Antragsteller zu einer Lösung aus sozialen Bindungen, zumindest im beruflichen Umfeld, und dazu geführt, dass er der Vorstellung, ungerecht behandelt zu werden und sich dagegen wehren zu müssen, nicht mehr entrinnen kann. In Übereinstimmung mit dem Befund des Sachverständigen Dr. Na. ist der Sachverständige Professor Dr. E. zu dem Ergebnis gelangt, dass der Antragsteller den Bezug zur Realität verloren hat und seelisch nicht mehr in der Lage ist, in gerichtlichen und außergerichtlichen Verfahren im Rahmen des aus anwaltlicher Sicht Vertretbaren angemessen zu reagieren. Nach den Feststellungen des Sachverständigen ist damit zu rechnen, dass der Antragsteller den Gegenstand des Verfahrens und die Interessen seiner Mandanten aus dem Blick verliert und auch mit Kritik von Seiten seiner Mandanten nicht mehr angemessen umgehen kann. Es ist im Gegenteil zu befürchten, dass er selbst solche Kritik als persönlichen Angriff deutet und ebenso maßlos reagiert wie gegenüber den Bediensteten der Justiz.
(c) Nach diesen auch angesichts des Verhaltens des Antragstellers im vorliegenden Verfahren überzeugenden Feststellungen hat der Antragsteller auf Grund einer seelischen Störung die Kernkompetenz eines Rechtsanwalts, nämlich die Fähigkeiten, eine sachliche Gesprächsebene herzustellen und zu halten und die innere Distanz zur Sache zu wahren, verloren.
c) Von dem Widerruf der Zulassung des Antragstellers ist auch nicht nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 Halbs. 2 BRAO deshalb abzusehen, weil sein Verbleiben in der Rechtsanwaltschaft die Rechtspflege nicht gefährdete.
Ist ein Rechtsanwalt aus gesundheitlichen Gründen auf Dauer außerstande, seinen Beruf ordnungsgemäß auszuüben, indiziert das eine Gefährdung der Rechtspflege bei seinem Verbleiben in der Rechtsanwaltschaft (Senat, Beschlüsse vom 26. Mai 1997 - AnwZ (B) 4/97, BRAK-Mitt. 1997, 200, 201; vom 2. April 2001 - AnwZ (B) 32/00, NJW-RR 2001, 1426 f.; vom 26. November 2007 - AnwZ (B) 102/05, BRAK-Mitt. 2008, 75 [Ls], juris Rn. 19; vom 13. September 2010 - AnwZ (B) 105/09, juris Rn. 16). Besondere Umstände, welche die Annahme rechtfertigen könnten, dass eine solche Gefährdung bei dem Antragsteller ausnahmsweise nicht bestand, liegen nicht vor.
Diese Gefährdung wird im Gegenteil immer deutlicher. Die von der Antragsgegnerin vorgelegten Klageschriften von Mandanten, das im Berufungsrechtszug bestätigte Urteil des Amtsgerichts L. vom 4. Februar 2010 ( ) und die Verurteilung des Landgerichts K. vom 26. August 2010 ( ) belegen, dass sich der Antragsteller ohne Bedenken über die Rechte und Interessen auch von Mandanten und Mitarbeitern hinwegsetzt, wenn er meint, im Recht zu sein.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 215 Abs. 2 und 3 BRAO i.V.m. § 201 Abs. 1 und § 42 Abs. 6 Satz 2 BRAO a.F. sowie dem früheren § 13a FGG.
Ernemann Schmidt-Räntsch Fetzer Frey Hauger Vorinstanz:
AGH München, Entscheidung vom 02.04.2007 - BayAGH I - 34/04 -
BGH:
Beschluss v. 22.11.2010
Az: AnwZ (B) 74/07
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