Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 30. Januar 1998
Aktenzeichen: 6 U 73/97
(OLG Köln: Urteil v. 30.01.1998, Az.: 6 U 73/97)
1. "Garantiert" ein Versicherungsunternehmen in seiner Werbung (Werbeprospekt) für Rentenversicherungen - mehrfach und herausgestellt - die "Beteiligung an den Stillen Reserven", liegt hierin eine relevante Irreführung der angesprochenen Verkehrskreise, wenn das Unternehmen seine Versicherungsnehmer tatsächlich keineswegs an allen stillen Reserven beteiligt, sondern sich seine Leistung allein auf den Verzicht auf das ihm in § 280 II HGB eingeräumte Wahlrecht beschränkt, wonach bei außerplanmäßigen Abschreibungen auf das Anlagevermögen sowie bei sämtlichen Abschreibungen beim Umlaufvermögen von der Auflösung der einmal gebildeten Abschreibungen abgesehen werden kann, wenn die ursprünglich für die Abschreibung relevanten Gründe wieder weggefallen sind.
2. Der bloße Hinweis auf die Versicherungsbedingungen und den Vertragsinhalt in einem Werbeprospekt ist jedenfalls dann nicht geeignet, den Verkehr über im Prospekt enthaltene (irreführende) Angaben hinreichend aufzuklären, wenn die AGB und der Vertragsentwurf der betreffenden Werbeaussage nicht beiliegen und/oder der Hinweis aufgrund seines Inhaltes oder seiner Plazierung für den Verkehr keinen ausreichenden Bezug zur beanstandeten Aussage aufweist.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 11. März 1997 verkündete Urteil der 31. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 31 O 762/96 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß Ziffer I. des vorbezeichneten Urteils wie folgt neu gefaßt wird:Die Beklagte wird verurteilt, es zwecks Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 500.000,00 DM, ersatzweise Ordnungshaft, oder der Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu unterlassen,im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs mit den nachfolgenden Aussagen- Stempelabdruck: GARANTIERTE BETEILIGUNG AN DEN STILLEN RESERVENund/oder- Sie werden garantiert an den mit Ihren Beiträgen erwirtschafteten stillen Reserven beteiligt.und/oder- DER ENTSCHEIDENDE "MEHRWERT": BETEILIGUNG AN DEN STILLEN RESERVEN!und/oder- Sie bekommen nicht nur die erwirtschafteten Óberschüsse ausgezahlt, sondern werden auch an den stillen Reserven beteiligt. Dies garantieren wir Ihnen in den Versicherungsbedingungen.und/oder- Insbesondere die garantierte Beteiligung an den stillen Reserven bedeutet einen echten "Mehrwert" für Sie.und/oder- Rente + Óberschuß: Plus garantierte Beteiligung an den stillen Reserven.die Angabe zu machen, daß die Versicherungsnehmer der Rentenversicherung SECHZIG plus5 garantiert an den stillen Reserven beteiligt werden, wie nachfolgend wiedergegeben: Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Beklagten auferlegt. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung durch die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 200.000,00 DM hinsichtlich der Verurteilung zur Unterlassung sowie in Höhe von 19.000,00 DM hinsichtlich der Verurteilung zur Zahlung der Prozeßkosten abzuwenden, wenn nicht die Klägerin ihrerseits vor der Zwangsvollstreckung jeweils Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Beide Parteien können die von ihnen zu erbringenden Sicherheiten auch durch unbedingte, unbefristete und selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank oder öffentlich-rechtlichen Sparkasse leisten. Die Beschwer des Beklagten wird auf 200.000,00 DM festgesetzt.
Tatbestand
Die bundesweit tätige Klägerin ist eine Lebensversicherung auf
Gegenseitigkeit mit Sitz in G.. Die Beklagte ist eine 1992 von der
S. AG, G., gegründete Lebensversicherung. Zusammen mit der S. AG
und anderen Unternehmen vor allem aus dem Segment
Finanzdienstleistung bildet sie die "G. Gruppe".
Unter dem 18. Oktober 1996 versandte die Beklagte die als Anlage
K 1 (Bl. 19 f d.A.) zur Klageschrift eingereichte und im Tenor
dieses Urteils in Ablichtung wiedergegebene Werbemappe nach Köln,
in der die Rentenversicherung "SECHZIG PLUS5" mit den aus dem
Urteilstenor ersichtlichen Aussagen beworben wird.
Die Klägerin hält diese Werbung für irreführend und damit für
wettbewerbswidrig. Sie hat die Ansicht vertreten, die Beklagte
versuche mit dieser Werbung ihre Kunden dadurch zu gewinnen, daß
sie diesen vorgaukele, die bei ihr abschließenden
Versicherungsnehmer würden - anders als bei den anderen
Versicherungen - "an den stillen Reserven" beteiligt, wobei die
Beklagte diese Beteiligung sogar garantiere. Der unbefangene
Empfänger der Werbung der Beklagten erwarte daher aufgrund der
beanstandeten Aussagen eine Beteiligung an den durch regulären
Wertzuwachs der Kapitalanlagen gebildeten stillen Reserven. Daß die
Beklagte ihre Versicherungsnehmer in Wahrheit nicht an diesen
stillen Reserven beteilige, sondern sich ausweislich § 17 ihrer
"Allgemeinen Bedingungen für die Rentenversicherung" (Anlagen K 2,
Bl. 29 d.A., und B 1, Bl. 54 f. d.A.) lediglich verpflichte,
Wertanpassungen gemäß § 280 Abs. 1 HGB vorzunehmen, werde
jedenfalls ein nicht unerheblicher Teil der angesprochenen
Verkehrskreise nicht annehmen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, es bei
Androhung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung
festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu DM 500.000,00, ersatzweise
Ordnungshaft, oder der Ordnungshaft bis zu 6 Monaten zu
unterlassen,
im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken
des Wettbewerbs mit den nachfolgenden Aussagen
- Stempelabdruck:
GARANTIERTE BETEILIGUNG
AN DEN STILLEN RESERVEN
und/oder
- Sie werden garantiert an den mit
Ihren Beiträgen erwirtschafteten stillen Reserven beteiligt.
und/oder
- DER ENTSCHEIDENDE "MEHRWERT":
BETEILIGUNG AN DEN STILLEN RESERVEN!
und/oder
- Sie bekommen nicht nur die
erwirtschafteten Óberschüsse ausgezahlt, sondern werden auch an den
stillen Reserven beteiligt. Dies garantieren wir Ihnen in den
Versicherungsbedingungen.
und/oder
- Insbesondere die garantierte
Beteiligung an den stillen Reserven bedeutet einen echten
"Mehrwert" für Sie.
und/oder
- Rente + Óberschuß: Plus garantierte
Beteiligung an den stillen Reserven.
die Angabe zu machen, daß die
Versicherungsnehmer der Rentenversicherung SECHZIG plus5 garantiert
an den stillen Reserven beteiligt werden, wie nachfolgend
wiedergegeben:
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Köln nicht
für gegeben erachtet. Zur Sache hat sie die Ansicht vertreten, von
einer Irreführung durch die beanstandete Werbung könne keine Rede
sein, weil sie - die Beklagte - ihre Versicherungsnehmer an den
stillen Reserven beteilige, soweit dies rechtlich zulässig sei. Im
übrigen würden die Versicherungsnehmer über den Umfang der
Beteiligung an den stillen Reserven in den "Allgemeinen Bedingungen
für die Rentenversicherung" (Anlage B 1) sowie in den "Allgemeinen
Vertragshinweisen" (Anlage B 2) aufgeklärt.
Mit Urteil vom 11. März 1997 hat das Landgericht seine örtliche
Zuständigkeit gemäß § 24 Abs. 2 Satz 1 UWG bejaht und der Klage
gemäß § 3 UWG antragsgemäß stattgegeben. Das Landgericht hat hierzu
ausgeführt, die mit der Klage angegriffenen Werbeaussagen der
Beklagten seien grob irreführend und damit unzulässig, denn sie
seien in der konkreten Form geeignet, jedenfalls bei einem nicht
unbeachtlichen Teil der angesprochenen Verkehrskreise den Eindruck
zu erwecken, als garantiere die Beklagte eine Beteiligung an allen
stillen Reserven, insbesondere auch an den durch regulären
Wertzuwachs der Kapitalanlagen gebildeten stillen Reserven. Die
Beklagte habe aber in ihrer Klageerwiderung selbst ausgeführt, daß
eine derartige Beteiligung nicht erfolge. Die Aufklärung in den
Allgemeinen Versicherungsbedingungen und in den Allgemeinen
Vertragshinweisen könne die Gefahr der Irreführung nicht ausräumen.
Zum einen seien diese der beanstandeten Werbemappe unstreitig nicht
beigefügt gewesen. Zum anderen werde die garantierte Beteiligung an
den stillen Reserven in der beanstandeten Werbung blickfangmäßig
beworben, so daß eine spätere Richtigstellung nicht ausreiche.
Hinzu komme, daß der weitaus überwiegende Teil der Verbraucher die
Aufklärung in den "Allgemeinen Bedingungen für die
Rentenversicherung" und den "Allgemeinen Vertragshinweisen" nicht
verstehen werde.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe
des angefochtenen Urteils verwiesen.
Gegen dieses ihr am 21. März 1997 zugestellte Urteil hat die
Beklagte am 21. April 1997 Berufung eingelegt und diese rechtzeitig
am 17. Juli 1997 - nach entsprechender Verlängerung der
Berufungsbegründungsfrist - begründet.
Die Beklagte wiederholt und vertieft mit ihrer Berufung ihren
Vortrag aus der ersten Instanz. Sie macht geltend, entgegen der
Ansicht des Landgerichts könne von einer Irreführung des Verkehrs
im Sinne von § 3 UWG durch die beanstandete Werbebroschüre keine
Rede sein, denn diese Werbung vermittle keinen unrichtigen
Eindruck. Viele flüchtige Leser hätten nur eine unscharfe
Vorstellung vom Begriff der "stillen Reserven". Diese Leser
erwarteten mit dem Hinweis auf eine "Mehr-Beteiligung an den
stillen Reserven" eine Bilanzpolitik, die zu einer
anlegerfreundlichen Gewinnausweisung führe. Ein Leser, der der
angegriffenen Werbung diesen Erklärungsinhalt beimesse, werden
jedoch nicht getäuscht, denn der Verzicht auf das Wahlrecht des §
280 Abs. 2 HGB sei in der Versicherungsbranche nur selten
festzustellen. Durch die von ihr - der Beklagten - vorgenommenen
Zuschreibungen würden damit im Vergleich zu anderen
Versicherungsunternehmen aufgrund einer anderen Bilanzpolitik
höhere Gewinne zugunsten der Anleger ausgewiesen.
Von einer Irreführung durch die beanstandete Werbung könne aber
auch schon deshalb keine Rede sein, weil dort nur eine
"Beteiligung" an den stillen Reserven versprochen werde bzw. eine
"Mehr-Beteiligung". Dies bedeute jedoch, daß ein bestimmter Anteil
an den stillen Reserven weitergegeben werde, nicht aber, daß, wie
es das erstinstanzliche Urteil ausgeführt habe, eine Beteiligung an
sämtlichen stillen Reserven erfolge. Jedem Leser, sofern er
überhaupt konkretere Vorstellungen zum Begriff der "stille
Reserven" entwickle, sei im übrigen einsichtig, daß die Beteiligung
selbstverständlich nur im Rahmen der geltenden rechtlichen
Vorschriften erfolgen könne. Damit gehe es von vornherein nur um
die stillen Reserven im Sinne der sogenannten "Ermessensreserven",
d. h. um die zusätzliche Differenz zwischen den nach dem Gesetz
vorgesehenen "normalen" Buchwerten und den durch den Gesetzgeber
zugelassenen Unterbewertungsentscheidungen des Kaufmanns. Zu diesen
"Ermessensreserven" aufgrund handelsrechtlicher
Bewertungswahlrechte enthalte aber der von der Klägerin
angegriffene Werbeprospekt keine täuschenden Angaben. Aufgrund des
Verzichts auf das Wahlrecht nach § 280 Abs. 2 HGB und die hierdurch
erfolgten Zuschreibungen wiesen die Bilanzen der Beklagten
vergleichsweise höhere Gewinne aus als die Bilanzen konkurrierender
Versicherungsunternehmen, die aufgrund einer anderen Bilanzpolitik
erstellt würden.
Schließlich gehe das Landgericht nicht darauf ein, daß
entsprechend den Ausführungen des Bundesgerichtshofs im Urteil
"Kofferschaden" (GRUR 1983/654) bei der Prüfung des
Erklärungsinhalts einer Werbeaussage auch die dort in bezug
genommenen Versicherungsbedingungen oder Vertragsbedingungen zu
berücksichtigen seien. In ihren - der Beklagten - Allgemeinen
Versicherungsbedingungen und Allgemeinen Vertragshinweisen werde
aber ausreichend erläutert, welche stillen Reserven in dem
beanstandeten Werbeprospekt gemeint seien. Aufgrund von § 5 a VVG
sei zudem sichergestellt, daß der Versicherungsnehmer vor
Zustandekommen des Versicherungsvertrages Kenntnis von den
Allgemeinen Versicherungsbedingungen und den
Verbraucherinformationen erhalte.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des erstinstanzlichen
Urteils des Landgerichts Köln vom 11. März 1997 - 31 O 762/96 - die
Klage abzuweisen,
hilfsweise, ihr - der Beklagten -
nachzulassen, eine Sicherheitsleistung auch durch
selbstschuldnerische Bürgschaft eines als Zoll- oder Steuerbürgen
zugelassenen Kreditinstituts erbringen zu können.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten gegen das
Urteil der 31. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 11. März 1997
(AZ - 31 O 762/96 -) mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß der
vollständige Werbeprospekt der Beklagten, wie aus Blatt 20 - 28
d.A. ersichtlich, als konkrete Form in den Unterlassungsantrag
aufgenommen wird.
Auch die Klägerin wiederholt und ergänzt ihren erstinstanzlichen
Vortrag. Sie ist der Ansicht, die Ausführungen der Beklagten in der
Berufungsinstanz seien nicht geeignet, zu einer von der des
Landgerichts abweichenden Beurteilung der angegriffenen
Werbeaussagen zu führen. Dies gelte auch für die von der Beklagten
angeführten "Erläuterungen" in den "Allgemeinen Bedingungen für die
Rentenversicherung" und in den "Allgemeinen Vertragshinweisen". Zum
einen seien diese Unterlagen der streitgegenständlichen Werbung der
Beklagten nicht beigefügt gewesen. Die Beklagte habe zudem - anders
als in dem der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 9. Juni 1993
(GRUR 1983/654) zugrunde liegenden Fall - in ihren Werbeunterlagen
auf die "Allgemeinen Bedingungen für die Rentenversicherung" nicht
im Hinblick auf den Leistungsumfang verwiesen, sondern lediglich
erklärt, an welcher Stelle der Verbraucher die in dem Werbeprospekt
enthaltene Garantiezusage schriftlich fixiert wiederfinde. Hinzu
komme, daß, wie bereits vom Landgericht zutreffend ausgeführt, der
weitaus überwiegende Teil der Verbraucher durch § 17 der
"Allgemeinen Bedingungen für die Rentenversicherung" nicht
aufgeklärt werde, denn er werde dieser Regelung nicht den Inhalt
beimessen, den die Beklagte aus ihm abzuleiten suche. Ohne Erfolg
wende die Beklagte auch gegenüber den Feststellungen des
Landgerichts ein, sie sei nach § 5 a VVG gehalten, dem
Versicherungsnehmer vor Zustandekommen des Versicherungsvertrags
die Allgemeinen Versicherungsbedingungen und eine
Verbraucherinformation im Sinne von § 10 a VAG zu überlassen. Eine
Verpflichtung des Versicherers zur Óberlassung entweder der
Versicherungsbedingungen oder der Verbraucherinformation oder gar
kummulativ beider Unterlagen lasse sich § 5 a Abs. 1 Satz 1 VVG
nicht entnehmen. Die Beklagte sei daher gerade nicht gehalten, dem
Versicherungsnehmer die Allgemeinen Versicherungshinweise
auszuhändigen, und könne sich deshalb zur Begründung der
wettbewerbsrechtlichen Zulässigkeit ihrer Werbemaßnahme nicht auf
deren Inhalt berufen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens der
Parteien wird auf deren zweitinstanzlichen Schriftsätze bezug
genommen.
Gründe
Die zulässige Berufung der Beklagten bleibt in der Sache ohne
Erfolg.
Das Landgericht hat zu Recht die Beklagte gemäß § 3 UWG zur
Unterlassung der von der Klägerin beanstandeten Werbeaussagen
verurteilt. Diese Aussagen sind in der konkreten Form des im
Urteilstenor wiedergegebenen Prospekts der Beklagten geeignet, die
damit umworbenen Interessenten in relevanter Weise irre zu führen,
wie die Mitglieder des Senats als Teil der von der Werbung der
Beklagten angesprochenen Verkehrskreise aus eigener Sachkunde und
Erfahrung beurteilen können. Das vom Landgericht ausgesprochene
Unterlassungsgebot war lediglich im Hinblick auf den von der
Klägerin im Berufungstermin geänderten Klageantrag neu zu fassen.
Eine Veränderung oder gar Einengung des Rechtsschutzbegehrens der
Klägerin ist damit nicht verbunden, denn die Ànderung des
Klageantrags beschränkt sich darauf, daß nunmehr die vollständige
Werbebroschüre der Beklagten zur Konkretisierung der mit der Klage
beanstandeten Wettbewerbshandlung in den Klageantrag aufgenommen
worden ist.
Sämtliche von der Klägerin angegriffenen Werbeaussagen der
Beklagten versprechen dem Interessenten bei einem Abschluß der
Versicherung "SECHZIG PLUS5" die Beteiligung an "den stillen
Reserven". Dies wird sogar von der Beklagten garantiert, wie zum
Beispiel in der Ankündigung des mehrfach in dem Prospekt zu
findenden, blickfangartig herausgestellten Stempels "GARANTIERTE
BETEILIGUNG AN DEN STILLEN RESERVEN". Da jedoch die Beklagte von
"den stillen Reserven" spricht, ohne in ihrer Werbebroschüre diesen
Begriff näher zu erläutern, und die Beklagte auch in anderer Weise
ihre Anpreisung nicht einschränkt, wird nicht nur ein nicht
unbeachtlicher Teil der angesprochenen Verbraucher die Werbung der
Beklagten dahin verstehen, daß sie bei einem Abschluß des in Rede
stehenden Versicherungsvertrags an sämtlichen stillen Reserven der
Beklagten - garantiert - beteiligt werden. In dieser Erwartung
werden aber die Verbraucher getäuscht, denn die Beklagte beteiligt
ihre Versicherungsnehmer unstreitig keineswegs an allen stillen
Reserven. Vielmehr beschränkt sich die tatsächliche Leistung der
Beklagten auf den Verzicht des ihr in § 280 Abs. 2 HGB eingeräumten
Wahlrechts, bei außerplanmäßigen Abschreibungen auf das
Anlagevermögen sowie bei sämtlichen Abschreibungen beim
Umlaufvermögen von der Auflösung (= "Zuschreibung" im Sinne des §
280 HGB) der einmal gebildeten Abschreibungen unter den in § 280
Abs. 2 HGB genannten Voraussetzungen in Ausnahme vom
Wertaufholungsgebot des § 280 Abs. 1 HGB abzusehen, wenn die
ursprünglich für die Abschreibung relevanten Gründe wieder
weggefallen sind. Damit umfaßt die von der Beklagten tatsächlich
gewährleistete Beteiligung ihrer Versicherungsnehmer an den stillen
Reserven entgegen ihrer Auslobung nicht sämtliche stillen Reserven,
nämlich insbesondere nicht diejenigen stillen Reserven, die durch
den regulären Wertzuwachs ihrer Kapitalanlagen gebildet werden.
Auch wenn man zugunsten der Beklagten davon ausgeht, daß ohne den -
unstreitig bei Versicherungsunternehmen nicht üblichen - Verzicht
auf das Wahlrecht des § 280 Abs. 2 HGB die Gewinne und folglich die
Beteiligung der Versicherungsnehmer dauerhaft niedriger ausfallen,
erfüllt somit die von der Beklagten angebotene Versicherung trotz
dieser Vorteile nicht die Erwartungen, die mit der beanstandeten
Werbung bei den Interessenten geweckt werden, um das Produkt der
Beklagten attraktiv zu machen und gegenüber den Konkurrenzprodukten
als etwas Besonderes und Neues herauszustellen.
Ohne Erfolg macht die Beklagte gegenüber dieser Beurteilung
ihrer Werbeaussagen geltend, sie verspreche in ihrem Prospekt nur
eine "Beteiligung" an den stillen Reserven bzw. eine
"Mehr-Beteiligung" und stelle auf diese Weise klar, daß an den
Versicherungsnehmer nur ein bestimmter Anteil an den stillen
Reserven weitergegeben werde. Der Begriff "Beteiligung" kann zwar
auch die von der Beklagten angeführte Bedeutung umfassen. Geht es
aber wie im Streitfall, um Vermögenswerte, die dem einzelnen
Versicherungsnehmer nur zusammen mit allen anderen
Versicherungsnehmern der Beklagten zustehen, so daß der einzelne
Versicherungsnehmer ohnehin lediglich einen Teil dieser Werte
erhalten kann, und wird nichts darüber gesagt, daß nur bestimmte
Teile dieser Werte den (allen) Versicherungsnehmern zur Verfügung
stehen sollen, liegt es nicht nur nach dem spontanen Verständnis
nahe, den Hinweis auf die "Beteiligung an den stillen Reserven" in
dem oben dargelegten Sinne zu verstehen, also als Beteiligung der
Versicherungsnehmer an sämtlichen bei der Beklagten angesammelten
stillen Reserven.
Die Beklagte vermag ebenfalls nicht mit ihrem Einwand zu
überzeugen, von einer Irreführung im Sinne von § 3 UWG könne bei
der beanstandeten Werbung keine Rede sein, weil die meisten
Verbraucher keine feste oder allenfalls nur eine ungenaue
Vorstellung vom Begriff der "stillen Reserven" hätten, zudem jeden
Verbraucher, sofern er überhaupt konkretere Vorstellungen zu diesem
Begriff entwickele, einsichtig sei, daß die Beteiligung an den
stillen Reserven nur im Rahmen der geltenden rechtlichen
Vorschriften erfolgen könne, somit keine Beteiligung an nicht
aufgedeckten und unsicheren Reserven entgegen den
handelsrechtlichen Regelungen in Betracht komme. Es ist zwar
richtig, daß es sich bei dem Begriff der "stillen Reserven" um
einen mehrdeutigen Begriff handelt, dessen genaue Definition und
Abgrenzung selbst in den Fachkreisen umstritten ist. Dies bedeutet
jedoch nicht, daß die Verbraucher keine konkreten Vorstellungen von
diesem Begriff haben und deshalb mit der beanstandeten Werbung
allenfalls die von der Beklagten angeführte Erwartung einer
Beteiligung an den stillen Reserven, soweit dies rechtlich möglich
und zulässig sei, verbinden.
Der Senat ist davon überzeugt, daß jedenfalls ein nicht
unbeachtlicher Teil der Verbraucher, selbst wenn diese nicht
gewerblich tätig sind, bei dem Begriff der "stillen Reserven" an
die regulären Wertzuwächse von Kapitalanlagen, wie z.B. der
Immobilien, gegenüber deren "Buchwert" denken, die auch nach dem
Vortrag der Beklagten den Hauptfall der stillen Reserven bilden. In
diese Richtung zielt ersichtlich ebenfalls der Hinweis in dem
Werbeprospekt der Beklagten: "Sie werden garantiert an den mit
Ihren Beiträgen erwirtschafteten stillen Reserven beteiligt.", der
zusätzlich geeignet ist, die Vorstellung des Verkehrs von den im
Werbeprospekt angesprochenen stillen Reserven als den regulären
Wertzuwächsen bei den - mit ihren Beiträgen geschaffenen -
Kapitalanlagen zu fördern. Zu berücksichtigen ist außerdem die von
der Beklagten selbst in der ersten Instanz angeführte gegenwärtige
Diskussion der Àffentlichkeit zur Beteiligung der
Versicherungsnehmer an den bei den Versicherungsunternehmen
angesammelten stillen Reserven durch die erheblichen Wertzuwächse
ihrer Kapitalanlagen, die vor ihrer Realisierung den
Versicherungsnehmern nicht zugute kommen. Diese von der Beklagten
auch bei der Erörterung der Sache im Berufungstermin bestätigte
öffentliche Diskussion und Kritik gegenüber den
Versicherungsunternehmen spiegelt sich ebenfalls in dem Bericht mit
der Óberschrift "Stille Reserven - mehr Transparenz €"( in der
Zeitschrift "Versicherungswirtschaft", Heft 23/1996, Bl. 59 d.A.),
wieder, den die Beklagte mit der Klageerwiderung vorgelegt hat.
Gerade vor diesem Hintergrund wird daher zumindest ein nicht
unbeachtlicher Teil der Verbraucher die streitgegenständliche
Werbung als Antwort der Beklagten auf die angeführte Diskussion und
Kritik gegenüber den Versicherungsunternehmen verstehen und
folglich - um so mehr - die in dem Prospekt als Neuheit
herausgestellte garantierte Beteiligung an den stillen Reserven der
Beklagten auf die (regulären) Wertzuwächse bei den Kapitalanlagen
der Beklagten beziehen. Auch wenn diese Verbraucher dabei nicht
erwarten werden, daß die Beklagte ihnen eine gesetzeswidrige
Beteiligung an den stillen Reserven offeriert, verbinden sie somit
mit den beanstandeten Werbeaussagen die aufgezeigten konkreten
Vorstellungen hinsichtlich des Leistungsangebots der Beklagten. Daß
schließlich bei den Verbrauchern solche Vorstellungen geweckt
werden und nach der Óberzeugung des Senats auch bewußt
hervorgerufen werden sollen, bestätigt letztlich - ohne daß es
hierauf entscheidend ankommt - auch das beanstandete Werbeverhalten
der Beklagten, bei dem die Beteiligung an den nicht näher
spezifizierten stillen Reserven in den Mittelpunkt einer
mehrseitigen Werbebroschüre gestellt wird. Eine solche Werbeaktion
wäre unverständlich, wenn nicht auch aus der Sicht der Beklagten
der Verbraucher mit der beworbenen Beteiligung konkrete
Vorstellungen verbinden würde, die ihn veranlassen können, sich
näher mit dem Produkt der Beklagten zu befassen. Dabei gibt das
gesamte Vorbringen der Beklagten deutlich zu erkennen, daß sie
selbst dabei ersichtlich nicht von einer Kenntnis des
durchschnittlichen Verbrauchers von dem Spezialfall des § 28o Abs.
2 HGB und einer davon beeinflußten Bewertung ihrer Werbung durch
den Verbraucher ausgegangen ist.
Entgegen der Ansicht der Beklagten kann jedoch auch keine Rede
davon sein, daß der Verbraucher jedenfalls durch die in dem
Werbeprospekt mit dem Hinweis "Dies garantieren wir Ihnen in den
Versicherungsbedingungen" in bezug genommenen "Allgemeinen
Bedingungen für die Rentenversicherung" (Bl. 54 f.) der Beklagten
hinreichend über das Ausmaß seiner Beteiligung an den stillen
Reserven aufgeklärt wird und es deshalb an einer Irreführung des
Verkehrs fehle. Zum einen waren diese Versicherungsbedingungen der
Beklagten der streitgegenständlichen Werbebroschüre nicht beigefügt
und konnten bereits aus diesem Grund die durch die Werbung
hervorgerufene Irreführung und dadurch veranlaßte Anbahnung oder
Intensivierung eines geschäftlichen Kontakts des Interessenten zur
Beklagten mit der sich daraus ergebenden Relevanz der Irreführung
im Sinne von § 3 UWG nicht verhindern. Die Beklagte nimmt zudem mit
dem angeführten Hinweis nicht zur näheren Erläuterung der
angepriesenen Vorteile auf ihre Versicherungsbedingungen bezug,
sondern lediglich zur Bekräftigung dafür, daß das, was in ihrer
Werbung ausgelobt worden ist, durch die Versicherungsbedingungen
garantiert wird. Selbst bei sorgfältiger Prüfung des beanstandeten
Prospektes besteht deshalb für den durchschnittlichen Interessenten
keine Notwendigkeit, in den Versicherungsbedingungen der Beklagten
nach etwaigen Einschränkungen zu der in der mehrseitigen
Werbebroschüre angepriesenen Beteiligung an den stillen Reserven
nachzusehen. Die von der Beklagten angeführten Erwägungen des
Bundesgerichtshofs in dem Urteil vom 9. Juni 1983 "Kofferschaden"
(GRUR 1983/654 f.) führen zu keiner anderen Beurteilung, denn
diesen Ausführungen des Bundesgerichtshofs ist gerade nicht zu
entnehmen, daß bei der Prüfung des Erklärungsinhalts einer
Werbeaussage stets die in bezug genommenen Versicherungsbedingungen
zu berücksichtigen seien. Im Streitfall kann im übrigen von einer
Aufklärung des Verbrauchers durch die "Allgemeinen Bedingungen für
die Rentenversicherung" der Beklagten um so weniger die Rede sein,
weil die dort in § 17 enthaltene Erläuterung für eine solche
Aufklärung ungeeignet ist. § 17 der Versicherungsbedingungen steht
unter der Óberschrift "Óberschüsse" und erst im Fließtext des
Absatzes 1 Satz 5 taucht der Begriff der stillen Reserven auf, mit
einer wiederum so knappen Erläuterung, daß sie von den meisten
Verbrauchern nicht verstanden wird.
Eine entsprechende Aufklärung des Verkehrs über den
tatsächlichen Umfang der von der Beklagten beworbenen Beteiligung
an den stillen Reserven erfolgt ebenfalls nicht durch die
"Allgemeinen Vertragshinweise" der Beklagten (Bl. 57 f. d. A.).
Dies gilt bereits deshalb, weil diese "Allgemeinen
Vertragshinweise" der streitgegenständlichen Werbebroschüre weder
beigefügt waren noch in dieser Broschüre überhaupt erwähnt,
geschweige denn in Bezug genommen werden. Zu dem Zeitpunkt, an dem
der Interessent diese Vertragshinweise regelmäßig erhält (z.B.
gemäß § 5 a VVG bei Stellung des Versicherungsantrags) hat damit
die Werbung der Beklagten mit der darin enthaltenen Irreführung
bereits ihre Wirkung entfaltet und eine sich eventuell aus den
"Allgemeinen Vertragshinweisen" ergebende Aufklärung des
Verbrauchers käme zu spät. Abgesehen davon ist der Senat ebenso wie
das Landgericht der Ansicht, daß die in den "Allgemeinen
Vertragshinweisen" der Beklagten enthaltenen Angaben nicht
ausreichend deutlich und verständlich sind, um den
durchschnittlichen Verbraucher über den Umfang der von der
Beklagten gebotenen Beteiligung ihrer Versicherungsnehmer an den
stillen Reserven aufzuklären.
Die beanstandeten Werbeaussagen in der konkreten Form des
Werbeprospekts der Beklagten sind nach alledem vom Landgericht zu
Recht als grob irreführend bewertet worden. Diese Irreführung
zumindest eines nicht unbeachtlichen Teils der Verkehrskreise ist
auch relevant im Sinne von § 3 UWG. Es liegt auf der Hand und
ergibt sich letztlich bereits aus den vorstehenden Erwägungen zur
Irreführung, daß die in Rede stehende Werbung der Beklagten für
eine neue, besondere Versicherungsleistung auf dem Gebiet der
gerade derzeit im Blickpunkt der Àffentlichkeit stehenden
Altersversorgung und ihrer Absicherung geeignet ist, einen nicht
unbeachtlichen Teil der Verbraucher zu veranlassen, mit der
Beklagten in geschäftlichen Kontakt zu treten und sich mit deren
Versicherungsvertrag "SECHZIG PLUS 5" näher zu befassen. Dies gilt
auch für diejenigen von der Beklagten in ihrem Berufungsvorbringen
angeführten Verbraucher, die vor Abschluß eines
Versicherungsvertrags insbesondere für die Altersversorgung und
ihre Absicherung genauere Óberlegungen anstellen und
"üblicherweise" Vergleichsangebote einholen. Die
streitgegenständliche Werbung mit der dort herausgestellten
Besonderheit und Neuheit der Beteiligung an den stillen Reserven
ist so angelegt, daß sie ebenfalls diese potentiellen
Versicherungsnehmer, zumal wenn sie auf diesem Gebiet unerfahren
sind, veranlassen kann und wird, Produkte anderer
Versicherungsunternehmen, die die vermeintlichen Vorteile der
Beklagten nicht bieten, von vornherein zu vernachlässigen.
Der Tatbestand des § 3 UWG ist aber auch im übrigen erfüllt,
denn die im Rahmen dieser Vorschrift gebotene Abwägung der sich
gegenüber stehenden Interessen der Parteien geht zu Lasten der
Beklagten. Diese hat es ohne weiteres in der Hand, den Verbraucher
durch entsprechende Hinweise in ihrer Werbung über die tatsächlich
von ihr angebotenen Vorteile ihrer Versicherung "SECHZIG PLUS 5" zu
informieren und auf diese Weise die aufgezeigte Irreführung des
Verkehrs zu verhindern.
Schließlich kann die Klägerin den sich aus § 3 UWG ergebenden
Unterlassungsanspruch gegenüber der Beklagten geltend machen.
Hierbei kann dahinstehen, ob die Klägerin als durch den
Wettbewerbsverstoß der Beklagten unmittelbar Verletzte anzusehen
ist. Zumindest ergibt sich die Klagebefugnis und Aktivlegitimation
der Klägerin aus § 13 Abs. 2 Ziffer 1 UWG. Unstreitig bietet die
Klägerin ebenso wie die Beklagte bundesweit Versicherungsleistungen
an, ist also mit gleichen Leistungen auf dem selben Markt wie die
Beklagte tätig. Der von der Klägerin verfolgte Verstoß der
Beklagten gegen § 3 UWG ist auch im Sinne von § 13 Abs. 2 Ziffer 1
UWG geeignet, den Wettbewerb auf dem in Rede stehenden Marktsegment
wesentlich zu beeinträchtigen. Von einer solchen Beeinträchtigung
ist schon wegen der mit der beanstandeten Werbung veranlaßten
massiven Irreführung der Verbraucher gerade auf dem Bereich der
derzeit im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehenden
Altersversorgung und ihrer Absicherung auszugehen.
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht
auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Beschwer der Beklagten war gemäß §
546 Abs. 2 ZPO festzusetzen und entspricht dem Wert des
Unterliegens der Beklagten im Rechtsstreit.
OLG Köln:
Urteil v. 30.01.1998
Az: 6 U 73/97
Link zum Urteil:
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