Bundespatentgericht:
Beschluss vom 6. Juli 2010
Aktenzeichen: 6 W (pat) 331/06
(BPatG: Beschluss v. 06.07.2010, Az.: 6 W (pat) 331/06)
Tenor
Das Patent 198 59 840 wird widerrufen.
Gründe
I.
Gegen das am 12. Januar 2006 veröffentlichte Patent 198 59 840 mit der Bezeichnung "Bremseinheit" ist am 10. April 2006 (Einsprechende I) bzw.
12. April 2006 (Einsprechende II) Einspruch erhoben worden. Die Einsprüche sind mit Gründen versehen. Die Einsprechende II stützt ihren Einspruch u. a. darauf, der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 offenbare die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen könne (§ 21 Abs. 1 Satz 2 PatG).
Die Einsprechenden beantragen übereinstimmend, das angegriffene Patent zu widerrufen.
Die Patentinhaberin hat mit Eingabe vom 16. Oktober 2006 neue Ansprüche 1 bis 8 vorgelegt und sinngemäß beantragt, das angegriffene Patent mit den neuen Ansprüchen, im Übrigen wie erteilt beschränkt aufrechtzuerhalten.
Sie ist der Auffassung, dass der Gegenstand des Patents ausreichend deutlich offenbart sei und dass der Gegenstand des Anspruchs 1 sowohl neu sei als auch auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.
Der geltende Anspruch 1, der mit dem erteilten Anspruch 1 identisch ist, lautet:
"Bremseinheit aus mindestens einer Bremse und mindestens einer Bremsbacke (40) mit mindestens einem Reibbelag (41), wobei die Bremse (10) eine Bremsscheibe (11) aufweist, die einen Bremsscheibenrotor (12) aus einem kohlefaserverstärkten Siliziumkarbid-Keramik-Werkstoff (CMC) besitzt, dessen äußere Fläche bzw. Flächen zumindest teilweise eine Reibfläche (13) für den mindestens einen Reibbelag (41) bilden, und die einen Bremsscheibentopf (20) aufweist, an dem der Bremsscheibenrotor (12) befestigt ist, dadurch gekennzeichnet, dass -die Reibfläche (13) aus dem kohlefaserverstärkten Siliziumkarbid-Keramik-Werkstoff eine Härte von etwa 1600 bis 2500 HV 0,5 aufweist, -der mindestens eine Reibbelag (41) ein organisch oder anorganisch gebundener Reibbelag ist, welcher durch Wärmebehandlung temperaturbeständig gemacht wurde und einen Reibwert von etwa 0,3 bis 0,5 aufweist, -und dass der Bremsscheibentopf (20) aus einem rostfreien Material oder aus anodisiertem Aluminium gebildet ist."
Wegen der auf den Anspruch 1 rückbezogenen Unteransprüche sowie wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
1.
Das Bundespatentgericht ist für die Entscheidung über den vorliegenden Einspruch nach § 147 Abs. 3 PatG in der bis zum 30. Juni 2006 geltenden Fassung zuständig geworden und auch nach der ab 1. Juli 2006 in Kraft getretenen Fassung des § 147 Abs. 3 PatG gemäß dem Grundsatz der perpetuatio fori zuständig geblieben (vgl. hierzu BGH GRUR 2007, 859, 861 f. -Informationsübermittlungsverfahren I; BGH GRUR 2007, 862 f. -Informationsübermittlungsverfahren II; BGH GRUR 2009, 184 f. -Ventilsteuerung).
2.
Der fristund formgerecht erhobene Einspruch ist ausreichend substantiiert und auch im Übrigen zulässig.
Dies ist seitens der Patentinhaberin nicht bestritten worden.
3.
Der geltende Anspruch 1, der mit dem erteilten identisch ist, offenbart die Erfindung nicht so deutlich, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
Im Anspruch 1 ist u. a. angegeben, dassdie Reibfläche (13) aus dem kohlefaserverstärkten SiliziumkarbidKeramik-Werkstoff eine Härte von etwa 1600 bis 2500 HV 0,5 aufweist.
Wie die Einsprechende II ausführt (Schriftsatz vom 12.04.2006, S. 2, Abs. 1a) und wie auch die Patentinhaberin konzediert (Schriftsatz vom 16.10.2006, S. 1 und 2, jeweils letzter Abs.) ist es bei Verbundwerkstoffen, wie dem patentgemäß beanspruchten kohlefaserverstärkten Siliziumkarbid-Keramik-Werkstoff offensichtlich, dass je nach Phasenverteilung sehr unterschiedliche Vickers-Härten in einem breiten Bereich resultieren. Denn je nach dem, in welcher der in dem Verbundwerkstoff vorhandenen Werkstoffphasen Kohlenstoff, metallisches Silizium, unterstöchiometrisches Silizium oder Siliziumkarbid die Messung der Vickers-Härte erfolgt, ergeben sich unterschiedliche Vickers-Härten, da der ermittelte Wert abhängig vom gewählten Messpunkt und der dort vorhandenen Werkstoffphase stark streut.
Somit vermag allein der Hinweis im Anspruch 1, wonach die Reibfläche einen bestimmen Vickers-Härtewert aufweisen soll, dem Fachmann keine eineindeutige Lehre zu vermitteln, da er nicht weiß, für welche Werkstoffphase der beanspruchte Bereich gelten soll.
Da dies offenbar auch der Patentinhaberin bekannt war (Schriftsatz vom 16.10.2006, S. 1, letzter Abs.), hätte sie -wenn nicht im Anspruch 1, so doch zumindest in der Beschreibung -erläutern müssen, wie sie das fragliche Merkmal verstanden haben möchte.
Zwar hat die Patentinhaberin ausgeführt (Schriftsatz vom 16.10.2006, S. 2, Abs. 1 bis 3), es sei dem Fachmann klar, dass sich im vorliegenden Fall eines Verbundwerkstoffes die Härteangabe nicht auf die selektive Härte der einen oder anderen Werkstoffphase beziehen könne, sondern nur auf einen Mittelwert über die im Verbundwerkstoff auftretenden Werkstoffphasen, jedoch geben weder die Ansprüche noch die Beschreibung einen Hinweis auf eine derartige Berechnungsweise. Auch die Lage und Anzahl der einzelnen Messpunkte, an denen die zur Mittelwertbildung erforderlichen Messwerte genommen werden sollen, lässt das Streitpatent offen.
Aber selbst unterstellt, der Fachmann lese nahezu von selbst mit, dass es sich im vorliegenden Fall um eine Mittelwertermittlung handeln müsse, so muss doch unklar bleiben, um welchen Mittelwert es sich dabei handeln soll. Denn gemäß dem Online-Lexikon "wikipedia", Stichwort: Mittelwert gibt es einen Modus-Mittelwert, einen Meridian-Mittelwert, einen arithmetischen Mittelwert, einen geometrischen Mittelwert, einen harmonischen Mittelwert, einen quadratischen Mittelwert und einen kubischen Mittelwert, die alle auf unterschiedlichen Formeln basieren und demzufolge auch unterschiedliche Werte liefern.
Selbst wenn daher der Fachmann unter dem beanspruchten Merkmal eindeutig eine Mittelwertermittlung verstanden hätte, hätte es einer weiteren Angabe bedurft, welcher Mittelwert gemeint sei bzw. aufgrund welcher Formel dieser Mittelwert hätte gebildet werden sollen. Aber auch hierzu fehlt jegliche Angabe in der Streitpatentschrift.
Aus dem geltenden Anspruch 1 erfährt der Fachmann lediglich, dass die Reibfläche aus dem kohlefaserverstärkten Siliziumkarbid-Keramik-Werkstoff eine Härte von etwa 1600 bis 2500 HV 0,5 aufweisen soll. Er weiß jedoch insbesondere nicht, bezüglich welcher Werkstoffphase dieser Härtewert gelten bzw. -sofern ihm klar ist, dass sich der Härtewert nur auf einen Mittewert beziehen kann -um welche Art von Mittelwert es sich dabei handeln soll.
Somit offenbart der Anspruch 1 die Erfindung nicht so deutlich, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
Nach alledem ist der erteilte Anspruch 1 nicht bestandsfähig.
b. Die übrigen Ansprüche fallen notwendigerweise mit dem Anspruch 1 (vgl. BGH GRUR 1989, 103 "Verschlussvorrichtung für Gießpfannen" i. V. m. BGH GRUR 1980, 716 "Schlackenbad").
2. Nachdem die unterlegene Beteiligte, hier die Patentinhaberin, keinen Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt hat, konnte der Senat im schriftlichen Verfahren entscheiden. Auch ein Hinweis auf die entscheidungserhebliche Problematik konnte unterbleiben, da diese in ihren wesentlichen Gesichtspunkten bereits schriftlich zur Sprache gekommen ist.
Das Patent war somit zu widerrufen.
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BPatG:
Beschluss v. 06.07.2010
Az: 6 W (pat) 331/06
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