Bundespatentgericht:
Urteil vom 20. Juli 2004
Aktenzeichen: 3 Ni 48/02
(BPatG: Urteil v. 20.07.2004, Az.: 3 Ni 48/02)
Tenor
Das europäische Patent 0 304 616 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Patentansprüche 1 bis 4 und 6 teilweise für nichtig erklärt.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 19. Juli 1988 unter Inanspruchnahme der beiden schweizerischen Prioritäten CH 2830/87 vom 24. Juli 1987 und CH 3334/87 vom 31. August 1987 in deutscher Sprache angemeldeten, mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 304 616 (Streitpatent), das vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer DE 38 75 557 geführt wird.
Das Streitpatent betrifft "Schleifmittel". Von den insgesamt 10 Patentansprüchen der erteilten Fassung betrifft Patentanspruch 1 ein 1. Schleifkorn auf Basis von Aluminiumoxid, dadurch gekennzeichnet, dass es mit einer hygroskopischen und/oder einer hydrophilen Substanz oberflächlich behandelt ist, wobei die Substanzmenge 0,001 bis 5,0 Gew.%, bezogen auf die Menge des Schleifkorns, beträgt.
Daran schließen sich die darauf auf unterschiedliche Weise zurückbezogenen Unteransprüche 2 bis 8 sowie zwei Verwendungsansprüche an:
9. Verwendung des Schleifkorns nach Patentanspruch 1 in durch elektrostatische Beschichtung hergestellten Schleifmitteln auf Unterlage.
10. Verwendung des Schleifkorns nach Patentanspruch 1 in kunstharzgebundenen Schleifkörpern.
Die Klägerin macht geltend, dem Gegenstand der angegriffenen Patentansprüche 1 bis 4 und 6 des Streitpatents fehle die Neuheit und die Erfindungshöhe. Außerdem offenbare das Patent die beanspruchte Lehre nicht so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen könne.
Ihr Vorbringen stützt sie ua auf die Unterlagen D1 US 3 029 160 D2 IT 61 2401 D2a deutsche Übersetzung der D2 D3 US 2 301 123 D4 US 2 527 044 D5 US 3 423 195 D6 US 2 314 340 D7 Römpp Chemie Lexikon, 9. Aufl. 1989, Stichwort "Anhydrit"
D8 Auszug aus dem Klageschriftsatz der Treibacher Schleifmittel GmbH vom 7.9.2001 D9 Gutachten des Fraunhofer-Instituts für Silikatforschung D10 Auszüge aus Internetpublikationen D11 M. McClary Tymeson, The Norton Story, Worcester 1953, S 206 bis 207.
D12 Ullmanns Encyclopädie der technischen Chemie, Bd. 15, 3. Aufl. 1964, Stichwort "Schleifen und Schleifmittel"
D13 Handbuch "Aide - Memoire Formulaire des Utilisateurs de Meules", Compagnie Norton, 1966, S. 15 D14 Ullmanns Encyclopädie der technischen Chemie, Bd. 13, 3. Aufl. 1962, Stichwort "Pigmente"
D15 US 2 244 325 D16 Ullmann's Encyklopädie der technischen Chemie, 4. Aufl., Bd. 12, S. 291 - 292 D17 Römpp Chemie-Lexikon, 4. Aufl., S. 126 - 127 D18 NCC, Datenblatt für Bentonit vom 1. Juli 2003 D19 US 3 770 401 D20 EP 0 008 868 A1.
Die Klägerin beantragt, das mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilte europäische Patent 0 304 616 im Umfang der Ansprüche 1 bis 4 und 6 jeweils in der Fassung gemäß dem in der mündlichen Verhandlung überreichten Haupt- und Hilfsantrag teilweise für nichtig zu erklären.
Mit Schriftsätzen vom 31. Januar 2003 und vom 14. Juni 2004 und zuletzt in der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte eine geänderte Anspruchsfassung mit den Patentansprüchen 1 bis 7 eingereicht und erklärt, dass sie das Streitpatent nur mehr auf dieser Grundlage verteidige.
Die Patentansprüche haben in der nunmehr verteidigten Fassung folgenden Wortlaut:
1. Schleifkorn auf Basis von Aluminiumoxid, dadurch gekennzeichnet, dass es mit einer hygroskopischen Substanz oberflächlich behandelt ist, wobei die Substanzmenge 0,01 bis 5,0 Gew.%, bezogen auf die Menge des Schleifkorns, beträgt.
2. Schleifkorn nach Patentanspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die Substanzmenge 0,1 bis 0,5 Gew.% bezogen auf die Menge des Schleifkorns, beträgt.
3. Schleifkorn nach Patentansprüchen 1 und 2, dadurch gekennzeichnet, dass der spez. Widerstand des behandelten Schleifkorns, gemessen in Kornschüttungen, kleiner als 3,5 x 1010 Ohm x cm, vorzugsweise zwischen 0, 05 x 1010 und 2,5 x 1010 Ohm x cm, beträgt.
4. Schleifkorn nach Patentansprüchen 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, dass als hygroskopische Substanz ein Carbonat, Hydrocarbonat, Sulfat, Nitrat, Phosphat, Fluorid oder Chlorid der Metalle der 1., 2. oder 3. Hauptgruppe oder der 1. oder 2. Reihe der Übergangsmetalle des Periodensystems eingesetzt wird.
5. Schleifkorn nach Patentansprüchen 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet, dass als hygroskopische Substanz Natriumcarbonat, Natriumhydrogencarbonat, Magnesiumchlorid, Calciumnitrat oder Eisenchlorid eingesetzt wird.
6. Verwendung des Schleifkorns nach Patentanspruch 1 in durch elektrostatische Beschichtung hergestellten Schleifmitteln auf Unterlagen.
7. Schleifkorn auf Basis von Aluminiumoxid, dadurch gekennzeichnet, dass es mit einer hygroskopischen und/oder hydrophilen Substanz oberflächlich behandelt ist, wobei die Substanzmenge 0,001 bis 5,0 Gew.%, bezogen auf die Menge des Schleifkorns, beträgt, und dass als hygroskopische Substanz Natriumcarbonat, Natriumhydrogencarbonat, Magnesiumchlorid, Calciumnitrat oder Eisenchlorid eingesetzt wird.
Hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent in der Form, dass in Patentanspruch 1 das Schleifkorn mit einer hygroskopischen Substanz "beschichtet" ist.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, soweit sie sich gegen das Streitpatent, soweit es angegriffen ist, in der verteidigten Fassung richtet.
Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und hält den Gegenstand des Streitpatents unter Berufung auf die Dokumente B 4 DuPont Speciality Chemicals, Produktinformation Ludox¨, Syton¨, B 5 Römpp Chemie Lexikon, S 5003 in der zuletzt verteidigten Fassung für patentfähig.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten und die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Gründe
Die zulässige Klage erweist sich als begründet.
Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit führt zur teilweisen Nichtigerklärung des Streitpatents im beantragten Umfang, Art II § 6 Abs 1 Nr, 1 IntPatÜG, Art 138 Abs 1 lit a iVm Art 54 EPÜ.
Das Streitpatent war bereits insoweit für nichtig zu erklären, als die Beklagte es nicht mehr in der erteilten Fassung verteidigt (BPatGE 36, 35 mwN zur Rspr.). Durch die nunmehr geltende Fassung der angegriffenen und verteidigten Patentansprüche werden weder der Schutzbereich noch der Schutzumfang des Streitpatents in unzulässiger Weise erweitert.
Durch die Neufassung der Patentansprüche, die die Beklagte mit Schriftsatz vom 14. Juni 2004 vorgelegt hatte, ist in bezug auf Patentanspruch 2 in der Fassung vom 31. Januar 2003 der Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung gem. Art II 6 Abs 1 Nr 3 IntPatÜG, Art 138 lit c EPÜ ausgeräumt worden. Die Klägerin hat zu diesem Nichtigkeitsgrund im weiteren Verlauf des Verfahrens und in der mündlichen Verhandlung auch nichts mehr vorgetragen, zumal die Beklagte durch einen Verzicht auf Patentanspruch 2 in der nunmehr geltenden Fassung vom 20. Juli 2004 diesen Einwand ausgeräumt hat.
Zwar hat die Beklagte das Streitpatent auch im Hinblick auf die nicht angegriffenen Patentansprüche 5 und 7, die den Patentansprüchen 6 und 12 in der zwischenzeitlich verteidigten Fassung entsprochen hatten, beschränkt. Die zuletzt genannten Patentansprüche wiederum beruhen auf Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung in Verbindung mit der Offenbarung auf S 5, Zeile 14 und dem dort beschriebenen Beispiel 3 bzw der Kombination des erteilten Patentanspruchs 1 mit dem erteilten, aber nicht angegriffenen Patentanspruch 5. Soweit sich die Beschränkung auf Patentansprüche mit einer Kombination von Merkmalen angegriffener Haupt- und nicht angegriffener Unteransprüche bezieht (vgl BPatGE 36, 35; aA Schulte, PatG, 6. Aufl., § 81, Rdnr 122, 142, 143), kann die Änderung des Streitpatents nicht berücksichtigt werden, da Patentanspruch 5 ebenso wie der von der Beklagten beschränkt verteidigte Patentanspruch 7 in der Fassung vom 20. Juli 2004 von der Klägerin insgesamt nicht angegriffen worden und daher nicht Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens sind, § 308 ZPO. I.
1. Das Streitpatent betrifft Schleifmittel mit einem oberflächenbehandelten Schleifkorn auf der Basis von Aluminiumoxid, insbesondere ein daraus hergestelltes, auf eine Unterlage aufgebrachtes Schleifmittel.
Solche Schleifmittel (vgl StrPS S. 1 Z 5 - 10) sind in Form von Schleifpapieren bekannt. Um zu erreichen, dass die Schleifkörner in derselben Ebene parallel zur Unterlage liegen, wird nach der Lehre der deutschen Offenlegungsschrift 21 25 942 auf die Unterlage eine Kunstharz- oder Leimschicht aufgetragen, auf die die Schleifkörner dann auf elektrostatischem Weg entgegen der Schwerkraft eingestreut und derart ausgerichtet in die erste Leimschicht eingebracht werden.
Als nachteilig hat sich hierbei das schlechte Ausrichtverhalten der Schleifkörner erwiesen (vgl StrPA S 1 Z 11 - 26), das nach der genannten Druckschrift dadurch umgangen werden sollte, dass ein dünner Film einer hochviskosen Substanz die Schleifkörner solange festhalten soll, bis sie in die Leimschicht eingebettet sind. Die Beschichtung der Unterlage ist dennoch häufig unregelmäßig und führt zu verminderter Schleifleistung, weil die Einbindung der Schleifkörner in die Unterlage unzureichend ist. Als weiterer Nachteil wird ein stark erhöhtes elektrisches Feld genannt, das mit unerwünschten elektrischen Entladungen führt und eine relative höhere Luftfeuchtigkeit bei der Verarbeitung notwendig macht.
2. Es ist daher Aufgabe des Streitpatents (vgl StrPS S 2 Z 27 bis 28), ein Schleifkorn zur Verfügung zu stellen, das diese Nachteile nicht aufweist.
3. Dementsprechend beschreibt Patentanspruch 1 in der geltenden Fassung ein 1. Schleifkorn auf der Basis von Aluminiumoxid, 2. das oberflächlich behandelt ist 3. mit einer hygroskopischen Substanz 3.1. mit einer Substanzmenge von 0,01 bis 5,0 Gew.%, bezogen auf die Menge des Schleifkorns.
II.
Der Gegenstand der Patentansprüche 1 bis 4 und 6 der gegenüber dem Streitpatent geänderten Fassungen gemäß Haupt- und Hilfsantrag erweist sich als nicht patentfähig, da er, soweit Gegenstand der Patentansprüche 1, 3, 4 und 6, nicht mehr neu ist gegenüber dem Inhalt der Druckschriften D1 oder D19, und soweit Gegenstand des Patentanspruchs 2, nicht mehr neu ist gegenüber dem Inhalt der Druckschrift D19.
1. Die D1 betrifft die Herstellung von mit Schleifmitteln beschichteten Erzeugnissen sowie die dabei eingesetzten Schleifkornpräparate. Gemäß einer Ausführungsform bestehen die Schleifkornpräparate aus Aluminiumoxid, dessen Oberfläche mit einem wässrigen kolloidalen Siliciumdioxid-Sol behandelt ist, wobei handelsübliches Siliciumdioxid-Sol eingesetzt wird und die Menge an Siliciumdioxid auf der Oberfläche des Schleifkorns bis zu etwa 5 Gew.-% betragen soll (vgl D1 Anspr 5 iVm Anspr 9, Sp 4 Z 8 bis 27 und Sp 5 Table 1). Typische handelsübliche 30 %-ige Siliciumdioxid-Sole weisen maximal etwa 0,15 Gew.-% Na2SO4 auf (vgl D1 Sp 4 Z 16 bis 27), woraus sich für das damit behandelte Schleifkorn, bezogen auf die genannte Obergrenze von etwa 5 Gew.-% Trockenmenge Silciumdioxid, ein Maximalwert 0,025 Gew.-% an Natriumsulfat auf der Oberfläche errechnen lässt.
Ein Maximalwert von etwa 0,025 Gew.-% Natriumsulfat ergibt sich auch bei der Berechnung ausgehend von Beispielen der Veröffentlichung D1, in denen das Aluminiumoxid-Schleifkorn mit bis zu 5,2 Gew.-% bzw. 3 Gew.-% der Siliciumdioxid-Handelsprodukte "Ludox" bzw. "Syton" behandelt wird (vgl Schriftsatz d Kl v 23. Oktober 2003 S 2 le Abs bis S 3 Abs 1 iVm D1 Sp 5 Z 38 bis 62), unter der Annahme, dass diese beiden Produkte den Analysendaten der Veröffentlichung D1 für handelsübliche Siliciumdioxide (vgl D1 Sp 4 Z 16 bis 27) entsprechen.
Da Natriumsulfat eine hygroskopische Substanz im Sinne des Streitpatents darstellt (vgl geltender Patentanspruch 4 des Streitpatents), weisen nach der Lehre der amerikanischen Patentschrift D1 hergestellte Schleifkornpräparate alle Merkmale 1 bis 3.1 auf und stehen daher dem Gegenstand gemäß Patentanspruch 1 nach Hauptantrag des Streitpatents neuheitsschädlich entgegen.
Der diesbezügliche Einwand der Beklagten unter Verweis auf die zur Akte gereichte Produktinformation B4 der Firma DuPont betreffend "Ludox" und "Syton", wonach bei Nacharbeitung der Beispiele gemäß Tabelle 1 der oben genannten Druckschrift D1 nur solche Ludox- oder Syton-Präparate in Betracht zu ziehen seien, die sämtliche dort in Spalte 4 aufgeführten Analysendaten erfüllten, demzufolge nur Ludox HS30 Berücksichtigung finden und man dabei lediglich zu einem Anteil an hygroskopischem Natriumsulfat auf dem Schleifkorn von 0,005 Gew.-%, also der Hälfte der Maßgabe des geltenden Patentanspruchs 1 gelangen könne, greift nach Ansicht des Senats nicht.
Dass sich aus den betreffenden Analysendaten der Druckschrift D1 für handelsübliche kolloidale Siliciumdioxide eine Präferenz nur für ein bestimmtes Ludox-Präparat aus der Produktinformation B4 der Firma DuPont herauslesen lässt, kann der Senat nicht feststellen. Denn zum einen ist in dieser Patentschrift keiner der in der Produktinformation B4 aufgelisteten speziellen Typen expressis verbis genannt, und zum anderen stammt die Produktinformation B4 erst aus dem Jahr 1998 (vgl B4 le S unten links) und liegt damit etwa 25 Jahre nach der Veröffentlichung von D1, sodass schon deshalb ein Rückschluss auf die Art und Beschaffenheit von Ludox-Präparaten vom Zeitpunkt der Abfassung der Patentschrift D1 über 25 Jahre hinweg nicht zulässig ist.
Vielmehr ist für die Anwendbarkeit der Siliciumdioxid-Präparate in der Druckschrift D1 aus Löslichkeitsgründen lediglich ein oberer pH-Grenzwert von etwa 10,5 angegeben (vgl D1 Sp 4 Z 33 bis 40), den aber sämtliche Ludox-Präparate der Produktinformation B4 wegen ihres Na2O-Gehalts ohne weiteres erfüllen. Daher ist aus D1 im Hinblick auf die Lehre zur Behandlung von Aluminiumoxid-Körnern auch kein praktischer Grund ersichtlich, weshalb gerade diejenigen Siliciumdioxid-Präparattypen Ludox TM und Ludox CL-X der Produktinformation B4, welche die Maßgaben des Streitpatents erfüllen, bei der Nacharbeitung außer Betracht bleiben sollten.
Somit ergeben sich selbst bei Einsatz der acht verschiedenen Typen des Ludox-Sortiments der Firma DuPont und damit bei Berücksichtigung der gegenüber D1 um etwa 25 Jahre nachveröffentlichten B4 zwei Schleifkornpräparate, welche den Merkmalen 1 bis 3.1 gemäß geltendem Patentanspruch 1 des Streitpatents genügen (vgl B4 S 6 Tabelle 3, Ludox TM und Ludox CL-X).
Die Bewertung des Offenbarungsgehalts der amerikanischen Patentschrift D1 steht nach Ansicht des Senats insofern auch in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung, wonach ein zahlenmäßig vorbeschriebener Konzentrationsbereich, hier bis zu etwa maximal 5 Gew.-% Siliciumdioxid, auch sämtliche Zwischenwerte in diesem Bereich und damit auch eine, wenn auch nur als Verunreinigung vorliegende Konzentration von bis zu maximal 0,025 Gew.-% einschließt (vgl BGH GRUR 1990, 510 -Crackkatalysator), und wobei es nicht darauf ankommt, ob ein zu gewinnendes Endprodukt in allen Einzelheiten und Vorteilen vorbeschrieben ist (vgl BGH GRUR 1980, 283 - Terephthalsäure). Vielmehr werden dem Fachmann auch diejenigen Kenntnisse zugänglich gemacht, die bei Nacharbeitung unmittelbar und zwangsläufig offenbar werden, und zwar dann, wenn er - wie im vorliegenden Fall entsprechend der Druckschrift D1 zur elektrostatischen Beschichtung von Schleifmitteln unter Einsatz oberflächenbehandelter Körner - die Lehre der Vorveröffentlichung nacharbeitet.
Für die Frage der stofflichen Neuheit kommt es auch nicht darauf an, ob die Merkmale 3 und 3.1 im Zuge der Herstellung von Schleifkörnern nach der Lehre der Druckschrift D1 gezielt und damit bewusst eingehalten werden oder, wie die Beklagte vorgebracht hat, lediglich zufällig im Beisein von Natriumsulfat und damit ohne Kenntnis über das Erfordernis des Einsatzes einer hygroskopischen Substanz erfolgt (vgl BGH GRUR 1986, 163 - Borhaltige Stähle).
Bei Klageabweisung und Aufrechterhaltung des Streitpatents im nunmehr beantragten Umfang würde indessen auch Schutz gewährt für Erzeugnisse, die schon vor dem Prioritätstag des Streitpatents erhalten wurden und somit bereits dem Stand der Technik zuzurechnen sind (vgl hierzu BGH GRUR 1972, 80 - Trioxan, inbes S 84 li Sp Abs 3; BGH GRUR 1986, 163 - Borhaltige Stähle, inbes S 164 re Sp Abs 3).
Aber selbst wenn man, entsprechend dem Vortrag der Beklagten, den Offenbarungsgehalt der Druckschrift D1 bezüglich des Anteils an Natriumsulfat im Siliciumdioxid-Sol anders bewerten wollte und dabei zu einem anderen Ergebnis gelangte, mangelt es dem beanspruchten Schleifkorn an der erforderlichen Neuheit gegenüber der Lehre der Druckschrift D19.
Dort sind Schleifkörper ua auf Basis von Aluminiumoxid beschrieben, die mit wenigstens 0,1 Gew.-% bis zu maximal 12 Gew.-% eines die Festigkeit verbessernden Mittels behandelt sind. Als solche Mittel werden entweder Aluminiumteilchen und/oder Natriumsilikat eingesetzt, wobei im Fall des Natriumsilikats dieses bevorzugt ein Gewichtsverhältnis SiO2/Na2O von 1 bis weniger als 3,8, besonders bevorzugt von 2,0 bis 3.3, aufweist (vgl D19 Sp 1 Z 3 bis 12 iVm Anspr 1 bis 4 und Sp 4 Z 6 bis 43). In zwei Ausführungsbeispielen wird dies verdeutlicht anhand des Einsatzes von 0,57 bzw. 0,58 Gewichtsteilen Natriumsilikat, das ein Gewichtsverhältnis SiO2/Na2O von 2,40 aufweist (vgl D19 Table 1D, F).
Bei Natriumsilikat dieser Spezifikation handelt es sich entsprechend eines in der mündlichen Verhandlung von der Klägerin überreichten Auszugs aus Ullmanns Encyklopädie der technischen Chemie, 4. Aufl. 1982, Bd 21 S 409 bis 414 (vgl aaO S 410 re Sp Abs 1) um eine hygroskopische Substanz. Die Kenntnis dieses Sachverhalts ist letztlich auch bei der Beklagten als bekannt vorauszusetzen, und zwar insofern, als sie hinsichtlich der Siliciumdioxid-Zusammensetzung der Druckschrift D1 auf diese von ihr im anhängigen Verletzungsverfahren als Anlage K8 eingeführte Textstelle verwiesen hat (vgl Schrifts d Bkl v 14. Juni 2004 S 5 Abs 4 bis 6).
Dass es sich um eine oberflächliche Behandlung des Schleifkorns handelt, ergibt sich aus der in der Druckschrift D19 beschriebenen Art der Herstellung der Schleifkörperformmasse. Demnach wird das Natriumsilikat in hydratisierter Form mit den Aluminiumoxid-Schleifkörnern gemischt, was zwangsläufig zu einer Behandlung der Oberfläche der Aluminiumoxidkörner führt (vgl D19 Sp 4 Z 62 bis Sp 5 Z 4).
Dementsprechend oberflächlich behandelte Schleifkörner weisen somit alle Merkmale 1 bis 3.1 auf und stehen daher dem Gegenstand des Patentsanspruchs 1 nach Hauptantrag neuheitsschädlich entgegen.
Auch das Vorbringen der Beklagten, wonach in der Veröffentlichung D19 keine Oberflächenbehandlung im Sinne der streitpatentgemäßen Lehre vorgenommen, sondern das Gemisch aus Aluminiumoxid mit dem hydratisierten Natriumsilikat nachfolgend zusätzlich mit Phosphorsäure gemischt werde (vgl D19 Sp 4 Z 62 bis Sp 5 Z 4), führt zu keiner anderen Bewertung. Denn auch unter Berücksichtigung dieses Gesichtpunkts ist ein gemäß der Druckschrift D19 erhaltenes Schleifkorn nicht als von dem Gegenstand des Streitpatents in der verteidigten Fassung, soweit angegriffen, abgegrenzt zu erkennen, weil dessen Oberfläche in jedem Fall mit einer hygroskopischen Substanz behandelt ist, und zwar entweder durch hygroskopisches Natriumsilikat nach Vermischung mit dem hydratisierten Natriumsilikat und Trocknung vor der Zugabe der Phosphorsäure, oder aufgrund sich offenbar insitu bildender Phosphatstrukturen nach Zugabe der Phosphorsäure (vgl D19 Sp 2 Z 68 bis Sp 3 Z 7).
Ob und unter welchen Bedingungen das Aufbringen von Natriumsilikat gemäß Druckschrift D19, wie die Beklagte vorhält, zu einer nicht stabilen, weil wasserlöslichen Beschichtung führt, findet keinen Niederschlag im Anspruchswortlaut und ist damit für die Frage der Abgrenzbarkeit und Neuheit unbeachtlich.
Aber auch ein durch Merkmale der Unteransprüche, soweit angegriffen, ausgestaltetes Schleifkorn erweist sich als nicht patentfähig.
Was die Einschränkung auf einen Anteil von 0,1 bis 0,5 Gew-% der hygroskopischen Substanz angelangt, so wird auch dieser Zahlenbereich von dem gemäß der Druckschrift D19 hervorgehobenen Bereich von 0,3 bis 12 Gew-% neuheitsschädlich getroffen (vgl D19 Sp 4 Z 29 bis 34).
Was den spezifischen Widerstand des behandelten Schleifkorns gemäß geltendem Patentanspruch 3 betrifft, so ist diese Eigenschaftsangabe nicht zur Abgrenzung gegenüber einem Schleifkorn gemäß der Druckschrift D1 geeignet. Dies ergibt sich allein schon aus denjenigen Ausführungsbeispielen des Streitpatents, in denen bereits eine Oberflächenbehandlung mit 0,2% Aluminiumoxid und damit dem Basismaterial des beanspruchten Schleifkorns selbst und ohne hygroskopische Substanz ausreicht, um die Widerstandswerte bzw. die Maßgaben des Patentanspruchs 3 zu erzielen (vgl StreitPS S 3 Z 37 bis S 4 Z 42 Beisp 1 u 2, insbes Tabellen I u II), wobei es sich bei Behandlung mit Aluminiumoxid zudem um eine Ausführungsform mit einer hydrophilen Substanz gemäß Patentansprüchen 6 oder 8 in der erteilten Fassung handelt, die von der verteidigten Fassung nicht mehr umfasst ist.
Darüber hinaus stellt das zur Unterscheidung beabsichtigte Merkmal des spezifischen Widerstands des behandelten Schleifkorns lediglich eine für die Feststellung, ob ein Schleifkorn die Nachteile des Standes der Technik vermeidet und die Aufgabe zu lösen vermag, zweckmäßige Eigenschaft dar (vgl StreitPS S 2 Z 11 bis 36 insbes Z 33 bis 36) und erschöpft sich damit in einer bloßen Umschreibung eines zugrundeliegenden technischen Problems (vgl in Analogie dazu BGH, GRUR 1985, 31 - Acrylfasern).
Nicht gewährbar aus den vorstehend ausgeführten Gründen ist auch ein durch Merkmale des Patentanspruchs 4 weiter gekennzeichnetes Schleifkorn, weil Natriumsulfat ersichtlich die Maßgaben des Patentanspruchs 4 erfüllt, sowie auch die Verwendung eines Schleifkorns zur elektrostatischen Beschichtung gemäß Patentanspruch 6 des Streitpatents im Hinblick auf die gleiche Verwendbarkeit in der Druckschrift D1 (vgl D1 Sp 1 Z 10 bis 13).
2. Auch die von der Beklagten hilfsweise verteidigte Fassung der Patentansprüche erweist sich, soweit angegriffen, ebenfalls als nicht bestandsfähig.
Die hilfsweise verteidigte Fassung unterscheidet sich vom Hauptantrag lediglich durch den Ersatz von "oberflächlich behandelt" durch "beschichtet" in Patentanspruch 1.
Der Senat kann nicht feststellen, dass die hilfsweise verteidigte Anspruchsfassung, soweit angegriffen, aufgrund dieser Änderung von der Lehre der Veröffentlichung D1 oder der Lehre der Druckschrift D19 abgegrenzt ist. Denn sowohl gemäß der Druckschrift D1 als auch gemäß der Entgegenhaltung D19 wird die Oberflächenbehandlung, wie auch im Fall des Streitpatents (vgl StreitPS S 3 Z 16 bis 27), dadurch vorgenommen, dass das Aluminiumoxidbasiskorn nach Vermischen mit der betreffenden Substanzlösung mittels üblicher Arbeitsweisen getrocknet wird (vgl D1 zB Anspr 5; D19 zB Sp 4 Z 62 bis Sp 5 Z 15). Gleiche bzw. vergleichbare Verfahrensweisen müssen aber regelmäßig zu gleichen bzw. vergleichbaren Ergebnissen führen.
3. Bei dieser Sachlage brauchte auf die weiteren von der Klägerin eingeführten Druckschriften nicht eingegangen zu werden.
Inwieweit dem Gegenstand des Streitpatents, soweit angegriffen, darüber hinaus der Nichtigkeitsgrund fehlender Patentfähigkeit unter dem Gesichtpunkt mangelnder Ausführbarkeit im Hinblick auf die Lösung der Aufgabe zur Senkung der Widerstandswerte entgegensteht, braucht angesichts der Nichtigerklärung des Streitpatents im beantragten Umfang nicht entschieden zu werden.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs 2 PatG iVm § 91 Abs 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht auf Grund von § 99 Abs 1 ZPO iVm § 709 Satz 2 ZPO.
Brandt Dr. Jordan Dr. Niklas Sredl Dr. Egerer Ko
BPatG:
Urteil v. 20.07.2004
Az: 3 Ni 48/02
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