Verwaltungsgericht Köln:
Urteil vom 27. März 2014
Aktenzeichen: 20 K 6717/12
(VG Köln: Urteil v. 27.03.2014, Az.: 20 K 6717/12)
Tenor
Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Klägerin die Klage zurückgenommen hat.
Im Übrigen wird die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13.07.2012 und des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2012 verpflichtet, der Klägerin gemäß ihrem Auskunftsantrag vom 14.03.2012 Auskunft aus der Sachakte " M. " und den daraus fortgeführten themenbezogenen Sachakten zu erteilen, soweit nicht bereits Auskunft erteilt worden ist und soweit nicht die Regelungen in § 15 Abs. 2 und 3 BVerfSchG entgegen stehen.
Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Die Klägerin ist seit 1990 Mitglied der Q. bzw. der M. .Q. bzw. der Partei " M1. " und hatte dort verschiedene Führungspositionen inne. Von 1995 bis 1998 war sie Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses. Seit 1998 ist sie mit einem Direktmandat im Bundestag vertreten und gehört dem Innenausschuss an. Seit April 2006 ist sie C. .
Auf einen ersten Auskunftsantrag der Klägerin vom 19.06.2006 erteilte ihr die Beklagte mit Bescheid vom 22.02.2007 eine Reihe von Auskünften. Über die mitgeteilten Informationen hinaus lägen weitere Einzelinformationen vor, die im Zusammenhang mit Datenerhebungen angefallen seien, die nicht auf die Person der Klägerin abzielten. Eine diesbezügliche Auskunftserteilung müsse aber gemäß § 4 Abs. 1 SÜG und § 15 Abs. 2 BVerfSchG unterbleiben, da die entsprechenden Daten geheim zu halten seien. Der gegen diesen Bescheid erhobene Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 05.11.2007 zurückgewiesen. Das sich anschließende Klageverfahren 20 K 5201/07 erklärten die Beteiligten hinsichtlich des Auskunftsbegehrens, soweit es sich auf personenbezogene Informationen über die Klägerin in einer beim Bundesamt für Verfassungsschutz (im Folgenden: Bundesamt) geführten Personenakte bezog, übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt. Im Übrigen trafen die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung am 20.01.2011 folgende einvernehmliche Regelung:
"Zwischen den Beteiligten besteht Einigkeit darüber, dass es der Klägerin unbenommen ist, unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in dem Verfahren 1 BvR 780/09 oder sonstiger Erledigung in dem genannten Verfahren erneut einen Antrag auf Auskunftserteilung betreffend außerhalb der Personenakte der Klägerin zu ihr erfasster Daten bei der Beklagten zu stellen.
Die Beklagte erklärt, dass sie im Falle einer erneuten Antragstellung dem Anspruch die Bestandskraft des Bescheides vom 22.02.2007 und des Widerspruchsbescheides vom 05.11.2007 nicht entgegenhalten wird.
Die Beklage verpflichtet sich, die Entscheidung der Rechtsfrage, inwieweit sich der Auskunftsanspruch nach § 15 BVerfSchG auch auf personenbezogene Daten außerhalb der Personenakte erstreckt, in der Sache Ramelow 20 K 6242/03 nach deren Rechtskraft (unter Einschluss von evtl. Entscheidungen des BVerfG, des EuGH oder des EGMR ) auf den erneut geltend gemachten Auskunftsanspruch der Klägerin zu übertragen."
Am 15.03.2012 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen erneuten Auskunftsantrag, nachdem das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde in dem Referenzverfahren Ramelow nicht zur Entscheidung angenommen hatte (Beschluss vom 17.05.2011 - 1 BvR 780/09). Zur Begründung führte die Klägerin aus, dass die strittige Rechtsfrage durch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.03.2010 - 6 A 2/09 - im Sinne der Klägerin geklärt sei. Sie bitte daher um Auskunft über alle beim Bundesamt vorhandenen personenbezogenen Daten, egal ob sich diese in Papierakten befänden oder digitalisiert seien und auch egal, ob sich die betreffenden Daten in Personen- oder Sachakten befänden. Ferner bat sie um Mitteilung, ob die vorhandenen personenbezogenen Daten mit geheimdienstlichen Mitteln erhoben worden seien. Das Auskunftsbegehren wurde ohne zeitliche Beschränkung gestellt.
Mit Bescheid vom 13.07.2012 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass nach der Erledigung des Verfahrens 20 K 5201/07 zwei weitere im Einzelnen bezeichnete Informationen vom 11.02.2011 und vom 10.10.2011 zur Personenakte der Klägerin genommen worden seien. Im Übrigen wurde der Antrag abgelehnt. Die Beklage habe sich in der einvernehmlichen Regelung im Verfahren 20 K 5201/07 verpflichtet, die Entscheidung der Rechtsfrage, inwieweit sich der Auskunftsanspruch nach § 15 BVerfSchG auch auf personenbezogene Daten außerhalb der Personenakte erstreckt, in der Sache Ramelow 20 K 6242/03 nach deren Rechtskraft auf den erneut geltend gemachten Auskunftsanspruch der Klägerin zu übertragen. Nachdem das Bundesverfassungsgericht die Beschwerde in der Sache Ramelow nicht zur Entscheidung angenommen habe, bleibe es bei der Entscheidung des OVG NRW vom 13.02.2009 - 16 A 844/08 -, wonach sich der Auskunftsanspruch auf die gezielt zur Klägerin gespeicherten Daten beschränke. Ein weiter gehender Auskunftsanspruch bestehe nicht.
Die Klägerin legte hiergegen mit Schreiben vom 31.07.2012 Widerspruch ein und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, dass aufgrund des Vergleiches vom 20.01.2011 keine Bindung an die Entscheidung des OVG NRW vom 13.02.2009 - 16 A 844/08 - bestehe, da die Klägerin eine entsprechende Verpflichtung nicht eingegangen sei, sondern nur die Beklagte, sofern das Bundesverfassungsgericht die Rechtsprechung des VG Köln und des OVG NRW beanstanden würde.
Mit Widerspruchsbescheid vom 30.10.2012 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung nahm sie auf die Ausführungen im Ausgangsbescheid Bezug und führte ergänzend aus, dass die Bindungswirkung der Entscheidung des OVG NRW unabhängig davon eingetreten sei, ob das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung in der Sache getroffen habe oder nicht.
Mit der am 27.11.2012 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Auskunftsbegehren hinsichtlich der Sachakten weiter. Der geschlossene Vergleich stehe dem Auskunftsanspruch nicht entgegen, da dessen Geschäftsgrundlage die Erwartung der Parteien und des Gerichts gewesen sei, dass eine Entscheidung der strittigen Rechtsfrage durch das Bundesverfassungsgericht erfolgen würde. Durch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgericht vom 24.03.2010 - 6 A 2/09 - sei die strittige Rechtsfrage zum Zeitpunkt des Vergleichsabschluss auch bereits im Sinne der Klägerin geklärt gewesen, was zu diesem Zeitpunkt weder dem Gericht noch der Klägerin bekannt gewesen sei.
Während des vorliegenden Klageverfahrens wurden zwei weitere Rechtsstreitigkeiten zwischen den Beteiligten ohne Sachentscheidung beigelegt, nachdem das Bundesamt die Beobachtung der Klägerin im Juli 2012 und die Beobachtung der Partei M1. Ende des Jahres 2012 eingestellt hatte.
Im Verfahren 20 K 3449/08 betreffend die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Beobachtung der Klägerin erklärte die Beklagte in der dortigen mündlichen Verhandlung vom 21.02.2013, dass die Klägerin auch nach der Auffassung des Bundesamtes in ihrer Person keine Anhaltspunkte für die Verfolgung verfassungsfeindlicher Bestrebungen bietet oder in der Vergangenheit geboten hat mit Ausnahme ihrer Stellung als Spitzenfunktionärin der Partei M1. und dass die Beobachtung der Klägerin in der Vergangenheit ausschließlich aufgrund dieser Rolle als Spitzenfunktionärin erfolgt ist. Ferner erklärte die Beklagte vorbehaltlich gleichbleibender tatsächlicher Gegebenheiten, zukünftig die Erhebung, Verarbeitung (mit Ausnahme der Löschung) und Nutzung personenbezogener Daten der Klägerin durch das Bundesamt zu unterlassen. Die Beteiligten erklärten vor diesem Hintergrund und mit Blick auf eine zu erwartende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu der Frage der Rechtmäßigkeit der Beobachtung der Fraktion und von Abgeordneten der Fraktion den Rechtsstreit 20 K 3449/08 in der Hauptsache für erledigt.
Im Verfahren 20 K 3602/08 betreffend die Löschung der von der Beklagten in der Personenakte der Klägerin gespeicherten personenbezogenen Daten der Klägerin erklärte die Beklagte ebenfalls in der mündlichen Verhandlung vom 21.02.2013, eine Sperrung der Daten sei bereits erfolgt und sie werde die Daten löschen, sobald die Klägerin hierzu ihr Einverständnis erteile. Die Beteiligten erklärten daraufhin auch dieses Verfahren in der Hauptsache für erledigt.
Einen zunächst im Wege der Klageerweiterung gestellten Antrag auf Feststellung, dass die Beklagte nicht berechtigt sei, personenbezogene Daten der Klägerin, die das Bundesamt von Landesämtern für Verfassungsschutz erlangt hat und die diese mit nachrichtendienstlichen Mitteln erhoben haben, zu verarbeiten (§ 3 Abs. 4 BDSG) oder sonst wie zu nutzen, hat die Klägerin im Hinblick auf die entsprechende Erklärung, die die Beklagte bereits im Verfahren 20 K 3449/08 abgegeben hatte, in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen.
Die Klägerin beantragt weiterhin,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13.07.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2012 zu verpflichten, der Klägerin Auskunft gemäß ihrem Auskunftsantrag vom 14.03.2012 zu erteilen in Bezug auf die Sachakte M1. bzw. die Sachakten, die aus dieser Sachakte themenbezogen hervorgegangen sind, soweit noch keine Auskunft erteilt worden ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Hinsichtlich des Zeitraums von Ende 2006 bis zum 20.01.2011 hat die Beklagte der Klägerin zunächst Auskunft über 12 weitere in ihrer Personenakte gespeicherte Einzelinformationen erteilt. Dem weitergehenden Anspruch auf Auskunftserteilung über alle etwaigen über die Klägerin gespeicherten Informationen in Sachakten oder Personenakten Dritter tritt die Beklagte entgegen. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.03.2010 sei schon vom Ansatz her nicht auf das Bundesamt übertragbar, da beim Bundesnachrichtendienst (im Folgenden: BND) im Unterschied zu den Gegebenheiten beim Bundesamt keine Personenakten geführt würden. Beim BND hinge auch die Zulässigkeit einer personenbezogenen Recherche in Sachakten nicht davon ab, dass die jeweiligen Informationen über die Verknüpfung der Fundstelle(n) aus der betreffenden Sachakte mit der Person in einer (zentralen) Datei als personenrelevant im Sinne der Aufgabenerfüllung qualifiziert würden. Beim BND unterläge vielmehr eine Recherche in Sachakten überhaupt keinen Beschränkungen; korrespondierend damit habe das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass auch der Auskunftsanspruch nach § 7 BNDG iVm § 15 BVerfSchG keinen Einschränkungen unterliege. Beim Bundesamt hingegen würde die sowohl für die eigene Facharbeit als auch - korrespondierend damit - den Auskunftsanspruch wesentliche Verknüpfung eines gespeicherten Datums mit einer Person, die aus dem Datum ein "zu einer Person" gespeichertes Datum mache, über die NADIS-Speicherung hergestellt. Die mit einer Speicherung verbundenen Gefahren beschränkten sich somit beim Bundesamt nach den technischen und organisatorischen Gegebenheiten auf die gezielt zu einer Person gespeicherten Daten. Personenbezogene Suchen in den elektronisch geführten Akten dürften nur bei einer entsprechenden NADIS-Erfassung des jeweils Betroffenen durchgeführt werden. Zu einer Person gespeichert iSv § 15 Abs. 1 BVerfSchG seien Daten nur dann, wenn sie so gespeichert seien, dass sie nach den von der Behörde verwendeten Aktenverwaltungs- oder Datenbanksystemen gezielt recherchiert werden könnten; beim Bundesamt sei dies nur bei einer NADIS-Erfassung der Fall. Auch seien die Ausdrücke "zu einer Person gespeichert" und "personenbezogene Daten" nicht synonym. Das erhellten auch die Regelungen im Antiterrordateigesetz (ATDG) und im Rechtsextremismus-Datei-Gesetz (REDG). Aus dem Schutzzweck des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) lasse sich nichts anderes entnehmen. Das Auskunftsbegehren sei zudem deshalb unzulässig, weil die Klägerin nicht auf einen konkreten Sachverhalt hingewiesen habe, was aber Tatbestandsvoraussetzung für das Bestehen eines Auskunftsanspruchs sei. Die Klägerin habe zudem kein besonderes Interesse an der begehrten umfassenden Auskunft dargelegt. Die Klägerin habe bei dieser Sachlage auch im Ermessenswege keinen weitergehenden Auskunftsanspruch. Dies ergebe sich daraus, dass nicht auf konkrete Sachverhalte bezogene Auskunftsverlangen einen erheblichen Verwaltungsaufwand verursachten und die Gefahr der Ausforschung bergen würden. Auch bei einer DOMUS-Recherche würden lediglich die betreffenden Aktenstücke aufgelistet, in denen sich der Suchbegriff befinde. Diese Aktenstücke, die teilweise sehr umfangreich sein könnten, müssten dann im Einzelnen gesichtet bzw. vollständig gelesen werden. Außerdem müsste vor jeder Auskunftserteilung geprüft werden, ob dadurch möglicherweise geheimhaltungsbedürftige Informationen offenbart würden. In Bezug auf die Klägerin habe eine DOMUS-Recherche 400 Fundstellen ergeben. Jedes einzelne dieser Aktenstücke, das u.U. mehrere Dokumente enthalten könne, müsste geöffnet werden. Für die Klägerin seien in den 400 Aktenstücken u.a. 175 Fundstellen enthalten, die sich jeweils auf eine als Ganzes eingescannte Publikation bezögen. Insgesamt fiele ein Arbeitsaufwand von schätzungsweise 60 Arbeitstagen für einen Mitarbeiter der Beklagten an. Diesem Interesse stünde ein geringes Interesse der Klägerin gegenüber, da alle relevanten Informationen in der Personenakte seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte in diesem Verfahren sowie in den Verfahren 20 K 5201/07, 20 K 3449/08 und 20 K 3602/08 und den Inhalt der jeweils beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes.
Gründe
Soweit die Klägerin die Klage zurückgenommen hat, war das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.
Im Übrigen ist die Klage zulässig und begründet.
Die Klägerin hat gemäß § 15 Abs. 1 BVerfSchG einen umfassenden Anspruch auf Auskunftserteilung aus der Sachakte M1. und den daraus hervorgegangenen themenbezogenen Sachakten in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang.
Dem Anspruch steht zunächst nicht der zwischen den Beteiligten im Verfahren 20 K 5201/07 geschlossene Vergleich entgegen. Soweit sich die Beklage darin verpflichtet hat, die Entscheidung der Rechtsfrage, inwieweit sich der Auskunftsanspruch nach § 15 BVerfSchG auch auf personenbezogene Daten außerhalb der Personenakte erstreckt, in der Sache Ramelow 20 K 6242/03 nach deren Rechtskraft auf den erneut geltend gemachten Auskunftsanspruch der Klägerin zu übertragen, sollte dadurch ausschließlich die Klägerin begünstigt werden für den Fall einer von der vorgenannten Entscheidung der Kammer abweichenden Beurteilung der Rechtsfrage durch das Bundesverfassungsgericht (oder den EuGH bzw. EGMR). Eine anderweitige Bindung der Beklagten enthält dieser Vergleich ersichtlich nicht und die Beklagte hat diesen Einwand im Klageverfahren auch nicht mehr aufrecht erhalten.
Nach § 15 Abs. 1 BVerfSchG erteilt das Bundesamt dem Betroffenen über zu seiner Person gespeicherte Daten auf Antrag unentgeltlich Auskunft, soweit er hierzu auf einen konkreten Sachverhalt hinweist und ein besonderes Interesse an einer Auskunft darlegt. Zum Umfang dieses Auskunftsanspruchs hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 24.03.2010 - 6 A 2/09 - (DVBl 2010, 1307-1309) Folgendes ausgeführt:
"Schon dem Wortsinn nach drückt die in § 15 Abs. 1 BVerfSchG verwendete Präposition "zu", nicht anders als die Präposition "über" lediglich die Beziehung der gespeicherten Daten zu der betroffenen Person aus. Überlegungen zur Entstehungsgeschichte des § 15 Abs. 1 BVerfSchG bestätigen dies. So sollte mit dem zugrundeliegenden Gesetz zur Fortentwicklung der Datenverarbeitung und des Datenschutzes vom 20. Dezember 1990 (BGBl I S. 2954) dem Volkszählungsgesetzurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1983 Rechnung getragen werden (...). Der Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ist aber nach dem Volkszählungsurteil - unabhängig von der Finalität und dem Speicherort der betreffenden Datenerhebung - schon dann berührt, wenn die "Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß" (...).
In systematischer Hinsicht ist bei der Auslegung von § 15 Abs. 1 BVerfSchG das Zusammenspiel mit dem Bundesdatenschutzgesetz zu berücksichtigen. Während das Auskunftsrecht des Bürgers über beim Bundesamt für Verfassungsschutz über ihn gespeicherte Daten früher im Bundesdatenschutzgesetz geregelt war, ist dieser Anspruch durch das erwähnte Gesetz vom 20. Dezember 1990 in Form von § 15 in das Bundesverfassungsschutzgesetz aufgenommen worden (vgl. zur Normgeschichte BTDrucks 12/553 S. 73). Diese Novellierung hat allerdings die Verbindung mit dem Bundesdatenschutzgesetz nicht beseitigt, sondern durch die Regelungen in § 11 BNDG und in § 27 BVerfSchG über die Nichtanwendbarkeit einiger näher aufgeführter Normen des Bundesdatenschutzgesetzes in einer besonderen Weise neu gestaltet. Anwendbar bleibt - im Umkehrschluss - insbesondere die in § 11 BNDG und § 27 BVerfSchG nicht aufgeführte Regelung über den Begriff der personenbezogenen Daten in § 3 Abs. 1 BDSchG.
Personenbezogene Daten sind in § 3 Abs. 1 BDSG definiert als Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person. Für den Begriff der personenbezogenen Daten kommt es demnach nur auf den in § 3 Abs. 1 BDSG hervorgehobenen Bezug zu den persönlichen oder sachlichen Verhältnissen einer Person an, nicht aber darauf, zu welchem Zweck die Daten erfasst worden sind (...). Wie sich aus einem Vergleich mit § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 BDSG ergibt, verwendet der Gesetzgeber die Begriffe "zu seiner (des Betroffenen) Person gespeicherte Daten" und "personenbezogene Daten" synonym (...). Daher handelt es sich - auch im Sinne von § 15 Abs. 1 BVerfSchG - bei den zur Person des Betroffenen gespeicherten Daten um alle personenbezogenen Daten im Sinne des § 3 Abs. 1 BDSG, die sich auf seine eigene Person beziehen (...). Soweit dagegen das Oberverwaltungsgericht Münster (...) für die von ihm befürwortete Unterscheidung zwischen Daten zu einer Person und Daten über eine Person auf die Vorschrift des § 11 BVerfSchG betreffend die Speicherung der Daten über Minderjährige verweist, geht das deshalb fehl, weil diese Sondervorschrift nicht die Speicherung von Daten zur Person von Minderjährigen, sondern nur die Speicherung "in zu ihrer Person geführten Akten" besonders beschränkt. Gegen die vom Oberverwaltungsgericht Münster eingeführte Differenzierung spricht letztlich, dass es die auf Auskunft in Anspruch genommene Behörde nicht in der Hand haben darf, den Auskunftsanspruch mittels des von ihr gewählten Ordnungssystems von Personen- und Sachakten einzuschränken."
Die Kammer schließt sich dieser Rechtsauffassung nach erneuter Überprüfung der Sach- und Rechtslage unter Aufgabe ihrer früheren Rechtsprechung an.
Soweit die Beklagte dem vorgenannten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zwar beipflichtet, aber meint, dieses sei auf das Bundesamt wegen des vom BND verschiedenen Aktenführungssystems nicht übertragbar, folgt die Kammer dem nicht. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich in seiner Entscheidung primär mit dem Auskunftsanspruch gemäß § 15 Abs. 1 BVerfSchG, den § 7 BNDG für entsprechend anwendbar erklärt, befasst und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass es für den Umfang des Auskunftsanspruchs gerade nicht auf das von einer Behörde gewählte Ordnungssystem und den Zweck der Datenerfassung ankommt. Dies ist zudem offenkundig in Kenntnis des Aktenführungssystems der Beklagten und der dort vorgenommen Unterscheidung zwischen Personen- und Sachakten geschehen, wie die ausdrückliche Abgrenzung von dem anderslautenden Beschluss des OVG NRW vom 13.02.2009 - 16 A 844/08 - (NVwZ-RR 2009, 505), in dem dieses Aktenführungssystem im Einzelnen dargestellt wird, zeigt. Soweit sich die Beklagte in diesem Zusammenhang hinsichtlich des Zeitraums ab 2007 auch auf die in ihrer Behörde geltende Dateianordnung DOMUS bezieht, durch die sichergestellt sei, dass es nicht zu zweckwidrigen und zweckentfremdenden Zugriffen auf personenbezogene Daten in elektronischen (Sach)Akten komme, so liegt es zur Überzeugung der Kammer auf der Hand, dass derartige datenschutzrechtliche Sicherungsmechanismen zugunsten des Betroffenen nicht einem von diesem selbst geltend gemachten Auskunftsanspruch entgegen gehalten werden können. Die Klägerin hatte im Übrigen im Hinblick auf entsprechende Bedenken der Beklagten bereits in dem Erörterungstermin vom 21.02.2013 ausdrücklich ihr Einverständnis mit einer personenbezogenen Recherche in der Sachakte erklärt.
Die zwischenzeitlich eingetretene tatsächliche Änderung der Beobachtungspraxis der Beklagten in Bezug auf die Partei M1. und deren Abgeordnete sowie die damit einhergehende Änderung der Aktenführung bestätigen zur Überzeugung der Kammer die Notwendigkeit, die Reichweite des Auskunftsanspruchs gemäß § 15 Abs. 1 BVerfSchG unabhängig von dem Ordnungssystem des Bundesamtes zu bestimmen. Die Beklagte hatte bereits in dem zwischen den Beteiligten anhängig gewesenen Verfahren auf Löschung von Daten - 20 K 3602/08 - ihre Bereitschaft erklärt, die Personenakte der Klägerin zu löschen bzw. zu vernichten. Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 17.09.2013 - 2 BvR 2436/10 - (NVwZ 2013, 1468 - 1479) betreffend die Rechtmäßigkeit der Beobachtung von Abgeordneten durch das Bundesamt hat die Beklagte nunmehr auch in Bezug auf andere Abgeordnete eine entsprechende Bereitschaft erklärt. Die Personenakten der Klägerin und anderer Abgeordneter werden also in einem absehbaren Zeitraum nicht mehr vorhanden sein und auch nicht mehr fortgeführt worden. Die Klägerin - und andere Abgeordnete - können daher zukünftig anfallender Informationen über die Speicherung ihrer personenbezogenen Daten nur noch über einen Auskunftsanspruch bezogen auf Sachakten erlangen. Würde ein solcher Anspruch bezogen auf Sachakten aber prinzipiell verneint, liefe der Auskunftsanspruch des § 15 BVerfSchG der Klägerin - und anderer Abgeordneter - faktisch ins Leere.
Die weiteren Voraussetzungen für den geltend gemachten Auskunftsanspruch liegen ebenfalls vor.
Der Auskunftsanspruch gemäß § 15 Abs. 1 BVerfSchG besteht nur, soweit der Betroffene auf einen konkreten Sachverhalt hinweist und ein besonderes Interesse an einer Auskunft darlegt. Wann ein Sachverhalt hinreichend konkret und das besondere Interesse an der begehrten Auskunft dargelegt ist, lässt sich nicht abstrakt definieren, sondern richtet sich nach den Umständen des konkreten Einzelfalls unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck dieser einschränkenden Tatbestandsvoraussetzungen, nämlich einerseits der Vermeidung eines unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwandes auf Seiten der Beklagten zur Erfüllung des Auskunftsanspruchs und andererseits der Verhinderung von Ausforschungsanträgen.
Die Klägerin hat hier unter Berücksichtigung dieser Kriterien mit der Bezugnahme auf die Sachakte M1. und die daraus hervorgegangenen themenbezogenen Sachakten einen hinreichend konkreten Sachverhalt dargelegt. Es ist bekannt, dass die Klägerin seit 1990 vom Bundesamt wegen ihrer Mitgliedschaft und herausgehobenen Stellung innerhalb der Partei beobachtet wurde und in erheblichem Umfang personenbezogene Daten der Klägerin beim Bundesamt vorliegen. Einer Ausforschung bedarf es insoweit nicht mehr. Angesichts der den Beteiligten bekannten Fülle von Einzelinformationen, die sich sowohl aus der Personenakte der Klägerin als auch aus deren parteipolitischer Arbeit und allgemeinen politischen Funktionen ergeben, wäre es reine Förmelei und diente keinesfalls einer Reduktion des Verwaltungsaufwandes der Beklagten, von der Klägerin zusätzlich eine spezifizierte Auflistung aller Einzelsachverhalte zu verlangen, zu denen sie Auskunft begehrt. Die Kammer verkennt nicht, dass der mit der Erfüllung dieses Auskunftsanspruchs für die Beklagte verbundene Arbeitsaufwand hoch ist. Dieser beruht allerdings maßgeblich auf der Fülle des vom Bundesamt gesammelten Datenmaterials (und ist damit nicht vermeidbar) und nicht auf einer zu wenig konkreten Benennung des Gegenstandes der begehrten Auskunft. Hinsichtlich des Arbeitsaufwandes ist zudem zu berücksichtigen, dass die Beklagte in Parallelverfahren von Abgeordneten der Partei M1. erklärt hat, die personenbezogenen Daten auch in den Sachakten zu sperren. Eine entsprechende Bereitschaft darf in Bezug auf die Klägerin ebenfalls unterstellt werden. Die Beklagte hat zwar auf Nachfrage der Kammer schriftsätzlich erklärt, dass diese Sperrung in der Form erfolgen soll, dass ein entsprechender Sperrungsvermerk der Sachakte vorangestellt wird. Es ist nach Auffassung der Kammer aber fraglich, ob dieses Prozedere für eine effektive Sperrung der Daten ausreichend ist, insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Sachakte in Bezug auf den Zeitraum vor 2007 eine ganz erhebliche Zahl von Ordnern umfasst. Vielmehr spricht vor dem Hintergrund des § 13 Abs. 2 Satz 2 BVerfSchG, wonach gesperrte Daten mit einem entsprechenden Vermerk zu versehen sind, Vieles dafür, dass eine gesetzeskonforme Sperrung nur durch Anbringung eines Sperrvermerks an jedem einzelnen Datum erfolgen kann. Dies vorausgesetzt würde die Erfüllung des Auskunftsanspruchs der Klägerin keinen zusätzlichen Arbeitsaufwand erfordern, der nicht bereits wegen der erforderlichen Sperrvermerke anfiele.
Das besondere Interesse der Klägerin an der begehrten Auskunft folgt bereits aus ihrer Stellung als Abgeordnete des Bundestages und Bundestagvizepräsidentin. Es wird entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass sie in einem ersten Schritt bereits Auskunft über die in ihrer Personenakte gespeicherten Daten erlangt hat (jedenfalls soweit keine Geheimhaltungsgründe vorlagen). Denn die Annahme der Beklagten, dass in den betreffenden Sachakten im Wesentlichen keine Daten gespeichert sind, die nicht bereits in der Personenakte der Klägerin vorhanden sind, steht mit dem eigenen Vorbringen der Beklagten nicht in Einklang. Die Beklagte hat in ihrem Schriftsatz vom 13.09.2013 angegeben, dass im Zeitraum von Ende des Jahres 2006 bis zum 20.01.2011 aus offenen Quellen insgesamt zwölf im einzelnen bezeichnete Informationen in der Personenakte der Klägerin gespeichert wurden. Hinzukommen die bereits mit dem Ausgangsbescheid des vorliegenden Verfahrens vom 13.07.2012 mitgeteilten zwei Einzelinformationen. Am Ende desselben Schriftsatzes vom 13.09.2013 hat die Beklagte im Zusammenhang mit der Darlegung des für die Erfüllung des geltend gemachten Auskunftsanspruchs erforderlichen Arbeitsaufwandes ausgeführt, dass eine durchgeführte DOMUS-Recherche in der ab dem Jahr 2007 elektronisch geführten Sachakte M1. für die Klägerin insgesamt 400 Fundstellen, d.h. Aktenstücke, in denen der Name der Klägerin vorkommt, ergab, wobei ein Aktenstück zusätzlich zum Hauptdokument beliebig viele Teilobjekte enthalten kann. Die hohe Anzahl der gefundenen Aktenstücke mag angesichts der Prominenz der Klägerin nicht überraschend sein, wie die Beklagte zu Recht ausführt. Die Diskrepanz zwischen den lediglich 14 in die Personenakte der Klägerin aufgenommen Einzelinformationen ist allerdings so erheblich, dass sich das besondere Interesse der Klägerin an einer genauen Aufklärung dieses Befundes durch Kenntnis auch von den sie betreffenden personenbezogenen Daten in den Sachakten geradezu aufdrängt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 2, 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
VG Köln:
Urteil v. 27.03.2014
Az: 20 K 6717/12
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