Bundesgerichtshof:
Urteil vom 19. Juli 2011
Aktenzeichen: II ZR 246/09

(BGH: Urteil v. 19.07.2011, Az.: II ZR 246/09)

Tenor

Auf die Revision des Klägers zu 3 wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 9. September 2009 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

I. Die drei Kläger sind Aktionäre der Beklagten, einer börsennotierten Aktiengesellschaft. Sie haben Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen gegen verschiedene Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten vom 26. August 2008 erhoben.

Der Kläger zu 3, P. E. , hielt treuhänderisch für L. V. 52.262 von insgesamt 4.130.633 Stückaktien bei einem Grundkapital der Beklagten in Höhe von 4.130.633 €. Die Aktionäre Dr. T. G. und S. G. hielten 93.411 bzw. 93.410 Aktien. Sie hatten ihr Stimmverhalten mit L. V. abgestimmt. Der Kläger zu 3 hatte der Beklagten und der 1 Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) mitgeteilt, dass ihm 52.262 Aktien direkt zustünden und weitere 186.830 Aktien gemäß § 22 Abs. 2 WpHG zuzurechnen seien. Nachdem L. V. diese Mitteilung gegenüber der Beklagten und der BaFin zurückgenommen hatte, lagen zuletzt noch Meldungen von L. V. , Dr. T. G. und S. G. folgenden Inhalts vor:

direktzugerechnetdurch wen Zurechnungsnorm nach WpHG Dr. T. G.

93.411 93.410 S. G.

§ 22 Abs. 2 S. G.

93.410 93.411 52.262 Dr. T. G. P. E.

§ 22 Abs. 2 L. V.

52.262 93.410

(richtig: 93.411)

93.411

(richtig: 93.410)

P. E.

Dr. T. G. S. G.

§ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2

(richtig: § 22 ...)

§ 22 Abs. 2 § 22 Abs. 2 P. E.

Die Beklagte, die mit den Klägern zu 1 und 2 einen Vergleich geschlossen hat, ist der Auffassung, der Kläger zu 3 habe seine Mitteilungspflicht aus § 21 WpHG verletzt und sei daher gemäß § 28 Satz 1 WpHG nicht klagebefugt.

Das Landgericht hat die Klage des Klägers zu 3 abgewiesen. Seine Berufung ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger zu 3 (im Folgenden: Kläger) sein Klagebegehren weiter. 3 Während des Revisionsverfahrens ist das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten eröffnet worden.

Gründe

Über die Revision des Klägers ist, da die Beklagte trotz ordnungsgemäßer Ladung im Revisionsverhandlungstermin nicht vertreten war, durch Versäumnisurteil zu entscheiden. Das Urteil beruht aber inhaltlich nicht auf der Säumnis, sondern einer sachlichen Prüfung des Antrags (BGH, Urteil vom 4. April 1962 - V ZR 110/60, BGHZ 37, 79, 81).

I. Das Revisionsverfahren ist durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Beklagten nicht unterbrochen worden.

1. Aktienrechtliche Beschlussmängelklagen werden nach § 240 Satz 1 ZPO durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Aktiengesellschaft unterbrochen, wenn sie die Insolvenzmasse im Sinne des § 35 InsO betreffen (BGH, Beschluss vom 21. November 2005 - II ZR 79/04, ZIP 2006, 368 Rn. 2; ebenso für die Genossenschaft BGH, Urteil vom 10. März 1960 - II ZR 56/59, BGHZ 32, 114, 121 f.; vgl. ferner Hüffer, AktG, 9. Aufl., § 245 Rn. 29; Drescher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, AktG § 246 Rn. 12). Das ist der Fall, wenn durch den angefochtenen Beschluss Ansprüche der Masse begründet werden oder Verbindlichkeiten wegfallen. Denn dann zielt die Beschlussmängelklage darauf ab, die Insolvenzmasse zu verringern. Ein Beschlussmängelverfahren wird dagegen nicht unterbrochen, wenn die Klage entweder keine Veränderung der Masse bewirken kann oder darauf abzielt, die Insolvenzmasse zu vergrößern. Im letzteren Fall darf der Insolvenzverwalter nicht gezwungen werden, im Prozess einen für die Masse nachteiligen Be-6 schluss zu verteidigen (RGZ 76, 244, 249 f.; LG Hamburg, ZIP 2009, 686, 687; Lüke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, Stand 2010, § 85 Rn. 17a; Uhlenbruck/Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 85 Rn. 53; MünchKommInso/Schumacher, 2. Aufl., § 85 Rn. 39; Jaeger/Windel, InsO, § 85 Rn. 53 ff.; MünchKomm-AktG/Hüffer, 3. Aufl., § 246 Rn. 49; a.A. K. Schmidt, Festschrift Kreft, 2004, S. 503, 518 ff.; Schwab in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl., § 246 Rn. 15). Er kann sich stattdessen als Nebenintervenient auf Seiten des Klägers beteiligen.

2. Danach hat hier die Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Bezug auf keinen der angefochtenen Beschlüsse zu einer Unterbrechung des Verfahrens geführt.

a) Die Beschlüsse zu TOP 2 und 3 - Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat für das Geschäftsjahr 2007 - sind masseneutral. Die Entlastung enthält nach § 120 Abs. 2 Satz 2 AktG keinen Verzicht auf etwaige Ersatzansprüche.

b) Auch der Beschluss zu TOP 4 - Wahl des Abschlussprüfers für das Geschäftsjahr 2008 - ist masseneutral.

Durch die Wahl des Abschlussprüfers entsteht noch kein die Masse belastender Vergütungsanspruch. Ein solcher Anspruch wird erst durch den mit dem Abschlussprüfer - nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Insolvenzverwalter - abzuschließenden Prüfungsvertrag begründet, vgl. § 318 Abs. 1 Satz 4 HGB. Zwar ist die Bestellung eines Abschlussprüfers für das Geschäftsjahr vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 155 Abs. 3 Satz 2 InsO verbindlich, so dass sich für diesen Fall eine Pflicht des Insolvenzverwalters ergeben mag, den Prüfungsvertrag mit dem von der Hauptversammlung bestellten Abschlussprüfer abzuschließen. Abgesehen davon, dass hier die Bestellung des Abschlussprüfers für ein früheres Geschäftsjahr betroffen ist, kommt einem im Anschluss daran durch den Prüfungsvertrag mit dem Abschlussprüfer begründeten Vergütungsanspruch im vorliegenden Zusammenhang keine Bedeu-10 tung zu. Denn die Pflicht, den Jahresabschluss durch einen Abschlussprüfer prüfen zu lassen, besteht auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens fort, wie sich aus § 155 InsO ergibt. Wird die Wahl des Abschlussprüfers also für nichtig erklärt, hat der Insolvenzverwalter nach § 155 Abs. 3 Satz 1 InsO beim Registergericht die Bestellung eines neuen Abschlussprüfers zu beantragen, mit dem er dann ebenfalls einen den entsprechenden Vergütungsanspruch begründenden Prüfungsvertrag schließen muss.

c) Der Beschluss zu TOP 5 - Erhöhung der Vergütung des Aufsichtsrats durch entsprechende Anpassung der in der Satzung enthaltenen Vergütungsregelung - ist zwar nicht masseneutral; er führt aber zu einer Verringerung der Masse, weil die Beschlussfassung nach Eintragung der Satzungsänderung unmittelbar zur Entstehung des erhöhten Vergütungsanspruchs für das betreffende Geschäftsjahr führt (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1, 2 AktG). Damit greift insoweit der Grundsatz ein, dass der Insolvenzverwalter nicht zur Verteidigung eines für die Masse nachteiligen Beschlusses verpflichtet sein kann.

d) Der Beschluss zu TOP 6 - Kapitalherabsetzung ist wiederum masseneutral.

Es handelt sich bei diesem Beschlussgegenstand um eine vereinfachte Kapitalherabsetzung zum Ausgleich von Wertminderungen, zur Deckung sonstiger Verluste und zur Einstellung in die Kapitalrücklage nach §§ 229 ff. AktG. Eine solche Kapitalherabsetzung führt nicht zu Auszahlungsansprüchen der Aktionäre und berührt daher die Insolvenzmasse nicht.

e) Schließlich ist auch der Beschluss zu TOP 7 - Ermächtigung zur Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen, Aufhebung der bedingten Kapitalerhöhung und erneute bedingte Kapitalerhöhung - masseneutral. 14 Da die Wandelschuldverschreibungen durch den Hauptversammlungsbeschluss nicht ausgegeben werden, sondern lediglich der Vorstand gemäß § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG ermächtigt wird, sie auszugeben, und nicht ersichtlich ist, dass er von dieser Ermächtigung bereits Gebrauch gemacht hat, betrifft der Beschluss noch nicht unmittelbar die Insolvenzmasse. Das Gleiche gilt für die Schaffung bedingten Kapitals nach § 192 AktG.

II. Die Revision ist begründet und führt unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet (OLG München, ZIP 2009, 2095):

Der Kläger habe gemäß § 28 Satz 1 WpHG keine Anfechtungsbefugnis, weil er die Meldepflichten nach § 21 Abs. 1 Satz 1 WpHG nicht erfüllt habe. Nach dem Grundsatz der doppelten Zurechnung seien gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpHG sowohl der Kläger zu 3 als auch sein Treugeber L. V. meldepflichtig gewesen. In welchem Umfang die Zurechnung der Stimmrechte erfolge, ergebe sich sowohl aus § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 als auch aus § 22 Abs. 2 WpHG. Danach seien dem Kläger auch die Stimmrechte der mit L. V. an dem "acting in concert" beteiligten Eheleute G. zuzurechnen. Denn L. V. als Treugeber sei durch das "acting in concert" gebunden. Wenn er insoweit meldepflichtig sei, gelte das auch für den Kläger als seinen Treuhänder. Dass der Kläger mit den Eheleuten G. keinen Kontakt gehabt habe, sei unerheblich.

Gegen dieses Ergebnis spreche auch nicht der Wortlaut des § 28 WpHG. Zwar werde dort nur auf § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 WpHG verwiesen. Das bedeute aber lediglich, dass der Aktionär, der seiner Meldepflicht nachgekommen sei, auch dann keinen Rechtsverlust erleide, wenn ein anderer an dem 18

"acting in concert" Beteiligter seine Meldepflicht verletze und daher seine Rechte nicht geltend machen könne.

Den Kläger, für den L. V. die Stimmrechtsmitteilung zurückgenommen habe, treffe auch ein Verschulden. Sein Vortrag, die Rücknahme sei in Absprache mit der BaFin erfolgt, sei unsubstanziiert. Im Übrigen habe er sich nicht auf die Rechtsansicht der BaFin verlassen dürfen, da durch zahlreiche Korrekturmeldungen eine unübersichtliche Lage geschaffen worden sei.

Ob von dem Rechtsverlust nach § 28 Satz 1 WpHG auch die Nichtigkeitsklage erfasst werde, könne offen bleiben. Denn jedenfalls führten die hier gerügten Einladungsmängel nicht zur Nichtigkeit.

2. Diese Ausführungen halten revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht in allen Punkten stand.

a) Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass im Verhältnis des Klägers zu seinem Treugeber L. V. grundsätzlich eine doppelte Mitteilungspflicht besteht.

Bei der - hier vorliegenden - sogenannten (fremdnützigen) Verwaltungstreuhand werden die Stimmrechte des Treuhänders dem Treugeber nach § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpHG zugerechnet (vgl. BGH, Urteil vom 16. März 2009 - II ZR 302/06, BGHZ 180, 154 Rn. 34 - Wertpapierdarlehen). Das hat zur Folge, dass sowohl der Treuhänder - wegen der ihm gehörenden Aktien und der daraus folgenden Stimmrechte - als auch der Treugeber - wegen der ihm zuzurechnenden Stimmrechte - mitteilungspflichtig sein können (MünchKomm-AktG/Bayer, 3. Aufl., § 22 Anh. WpHG § 21 Rn. 10, § 22 Rn. 17; Uwe H. Schneider in Assmann/Schneider, WpHG, 5. Aufl., § 22 Rn. 50 ff.). Der vom Berufungsgericht gebrauchte Begriff "doppelte Zurechnung" (ebenso Uwe H. Schneider, aaO, Rn. 51) ist allerdings missverständlich. Zugerechnet werden 23 bei Treuhandverhältnissen allein die Stimmrechte des Treuhänders dem Treugeber. In der umgekehrten Richtung bedarf es keiner Zurechnung, weil der Treuhänder schon aufgrund seines Eigentums an den Aktien und seiner daraus folgenden Stimmrechte mitteilungspflichtig ist, soweit sein Aktienbesitz die Schwellen nach § 21 Abs. 1 und 1a WpHG überschreitet.

Das allein führt hier noch nicht zu einer Mitteilungspflicht des Klägers. Denn sein Aktienbesitz belief sich auf lediglich 52.262 Stück oder 1,27 % des Grundkapitals der Beklagten und erreichte damit - bei einer Stimme je Aktie - nicht die nach § 21 Abs. 1 Satz 1 WpHG meldepflichtige Schwelle von 3 % der Stimmrechte. Anders wäre es nur, wenn dem Kläger die Stimmrechte der Eheleute G. zuzurechnen wären. Dann wären bei ihm insgesamt 239.083 Aktien und Stimmrechte zu berücksichtigen, also 5,79 % der gesamten Stimmrechte.

b) Rechtsfehlerhaft ist aber die weitere Annahme des Berufungsgerichts, in einem Treuhandverhältnis seien dem Treuhänder nach § 22 Abs. 2 WpHG auch die Stimmrechte anderer Aktionäre zuzurechnen, wenn der Treugeber sein Stimmverhalten mit diesen abstimme (ablehnend auch Fleischer/Bedkowski, DStR 2010, 933, 937; Veil/Dolff, AG 2010, 385, 387 ff.; Veil in K.Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl., § 22 WpHG Rn. 20; von Bülow/Petersen, NZG 2009, 1373, 1375 f.; Widder/Kocher, ZIP 2010, 457; Schröder/Schöfer, Der Konzern 2010, 72; Podewils, jurisPR-BKR 4/2010 Anm. 5; zustimmend dagegen Mayrhofer/Pirner, DB 2009, 2312 f.; Ostermaier, EWiR 2010, 197; 198; im Ergebnis ebenso Bröcker, GWR 2009, 376).

Nach § 22 Abs. 2 Satz 1 WpHG findet eine Zurechnung von Stimmrechten zwischen solchen Personen statt, die ihr Verhalten aufgrund einer Vereinbarung oder in sonstiger Weise abgestimmt haben. Das waren hier L. V. und die Eheleute G. , nicht dagegen der Kläger. Eine "Weiterreichung" 28 der den Treugeber aufgrund seines "acting in concert" treffenden Mitteilungspflicht nach § 21 Abs. 1 Satz 1, § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 WpHG an den daran nicht beteiligten Treuhänder widerspräche damit schon dem Wortlaut des Gesetzes.

Für eine derartige Auslegung ergeben sich auch keine Anhaltspunkte aus der Begründung zum Regierungsentwurf des Gesetzes zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3822), auf den die Zurechnung beim "acting in concert" in § 22 Abs. 2 WpHG zurückgeht (BT-Drucks. 14/7034, S. 1, 54, 70; zum unionsrechtlichen Gesetzgebungshintergrund s. Fleischer/Schmolke, NZG 2010, 1241, 1242).

Auch aus Sinn und Zweck des Gesetzes folgt ein solches Ergebnis nicht. Mit den Mitteilungspflichten nach §§ 21 ff. WpHG soll die Funktionsfähigkeit des deutschen Finanzmarkts gestärkt werden. Dazu soll für die Anleger Transparenz über die wesentliche Eigentümerstruktur der börsennotierten Gesellschaft (Begr. RegE, BT-Drucks. 12/6679, S. 1, 33) und die sonstigen Einwirkungsmöglichkeiten geschaffen werden. Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es keiner Zurechnung von mit dem Treugeber verbundenen Stimmrechten zu dem Treuhänder. Maßgeblich für die Zurechnung nach § 22 Abs. 2 WpHG muss wie bei § 22 Abs. 1 WpHG (vgl. dazu BGH, Urteil vom 16. März 2009 - II ZR 302/06, BGHZ 180, 154 Rn. 34 - Wertpapierdarlehen) die Möglichkeit der Einflussnahme auf die Stimmrechtsausübung sein. Der Treuhänder hat keine Möglichkeit der Einflussnahme auf die übrigen Stimmrechte, wenn lediglich der Treugeber an dem "acting in concert" beteiligt ist. Mit der Zurechnung bei dem Treugeber und dessen Mitteilung nach § 21 Abs. 1 WpHG sind die übrigen Aktionäre in diesem Fall ausreichend informiert (Fleischer/Bedkowski, DStR 2010, 933, 936; Widder/Kocher, ZIP 2010, 457, 458 f.). 31 Gegen eine dem Wortlaut widersprechende Auslegung des § 22 Abs. 2 WpHG spricht schließlich - ebenso wie gegen eine analoge Anwendung der Norm - das aus Art. 103 Abs. 2 GG folgende Bestimmtheitserfordernis, das gemäß § 3 OWiG auch für Ordnungswidrigkeiten gilt. Die Verletzung von Mitteilungspflichten aus § 21 Abs. 1 Satz 1 und 2 WpHG ist nach § 39 Abs. 2 Nr. 2e WpHG eine Ordnungswidrigkeit. Wenn aber nach Art. 103 Abs. 2 GG, § 3 OWiG insoweit eine über den Wortlaut hinausgehende Anwendung der §§ 21, 22 WpHG nicht zulässig ist, kommt eine andersartige ("gespaltene") Auslegung oder analoge Anwendung auch für den Bereich des Zivilrechts grundsätzlich nicht in Betracht (Veil/Dolff, AG 2010, 385, 389 f.; Fleischer/Bedkowski, DStR 2010, 933, 936 f.; von Bülow/Petersen, NZG 2009, 1373, 1375 f.; Widder/Kocher, ZIP 2010, 457, 459; siehe auch BGH, Urteil vom 18. September 2006 - II ZR 137/05, BGHZ 169, 98 Rn. 17 - WMF).

3. Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, da sie noch nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 1 und 3 ZPO). Zwar sind Nichtigkeitsgründe nicht gegeben; hinsichtlich der geltend gemachten Anfechtungsgründe fehlt es aber an hinreichenden Feststellungen für eine abschließende Entscheidung des Revisionsgerichts.

a) Da die Voraussetzungen eines Rechtsverlusts nach § 28 Satz 1 WpHG nicht gegeben sind, kann die Frage, ob von einem Stimmrechtsausschluss nach § 28 Satz 1 WpHG auch das Recht zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage nach § 249 AktG erfasst wird, offen bleiben. Die Zulässigkeit der Nichtigkeits- und Anfechtungsklage des Klägers ist im Übrigen nicht zweifelhaft.

b) Die angefochtenen Hauptversammlungsbeschlüsse sind nicht nach § 241 AktG nichtig. Insbesondere sind die Voraussetzungen des § 241 Nr. 1 AktG nicht erfüllt. Danach ist ein Beschluss der Hauptversammlung nichtig, 33 wenn die Versammlung unter Verstoß gegen bestimmte in § 121 AktG vorgesehene Erfordernisse einberufen worden ist.

Hier kommt allein § 241 Nr. 1, § 121 Abs. 3 Satz 2 AktG in der bis zum 31. August 2009 geltenden Fassung in Betracht, da die Hauptversammlung am 26. August 2008 stattgefunden hat.

In der Einladung zu dieser Hauptversammlung heißt es:

Die Gesellschaft weist darauf hin, dass die Ausübung des Stimmrechts auch durch einen Bevollmächtigten oder durch eine Vereinigung von Aktionären erfolgen kann. Wenn weder ein Kreditinstitut noch eine Aktionärsvereinigung bevollmächtigt wird, ist die Vollmacht schriftlich zu erteilen.

Der Kläger meint, das stehe in Widerspruch zu § 121 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit § 135 Abs. 9 Nr. 2 und 3 AktG aF.

In § 135 Abs. 4 Satz 3 AktG aF (= § 135 Abs. 5 Satz 4 AktG nF) war geregelt, dass Kreditinstitute, wenn in der Satzung nichts anderes bestimmt war, lediglich eine Bescheinigung nach § 123 Abs. 3 Satz 2 AktG vorlegen mussten, um in Vertretung des Aktionärs dessen Stimmrecht ausüben zu können, während nach § 134 Abs. 3 AktG aF in den übrigen Fällen für die Vollmacht Schriftform vorgeschrieben war, wenn die Satzung keine Erleichterung bestimmte. In § 135 Abs. 9 AktG aF waren den Kreditinstituten gleichgestellt die Aktionärsvereinigungen (Nr. 1), die Geschäftsleiter und Angestellten eines Kreditinstituts, wenn die ihnen nicht gehörenden Aktien dem Kreditinstitut zur Verwahrung anvertraut waren (Nr. 2), und Personen, die sich geschäftsmäßig gegenüber Aktionären zur Ausübung des Stimmrechts in der Hauptversammlung erbieten (Nr. 3). Der Kläger macht geltend, in der Einladung sei der - unrichtige - Eindruck erweckt worden, außer Kreditinstituten und Aktionärsvereinigungen sei niemand von dem Erfordernis einer schriftlichen Vollmacht ausgenommen. Da-37 mit wäre die Einladung insofern fehlerhaft, als auch der Personenkreis des § 135 Abs. 9 Nr. 2 und 3 AktG aF von der Vorlage einer schriftlichen Vollmacht befreit war.

Das kann schon deshalb nicht zur Feststellung der Nichtigkeit im Sinne der § 241 Nr. 1, § 249 Abs. 1 Satz 1 AktG führen, weil die Modalitäten der Bevollmächtigung eines Stimmrechtsvertreters nicht unter die nach § 121 Abs. 3 Satz 2 AktG aF anzugebenden Bedingungen der Teilnahme an der Hauptversammlung oder der Ausübung des Stimmrechts fallen, wie der Senat mit Urteil vom heutigen Tage in der Sache II ZR 124/10 entschieden hat.

c) Hinsichtlich der geltend gemachten Anfechtungsgründe mangelt es an ausreichenden Feststellungen des Berufungsgerichts.

In dem Berufungsurteil heißt es zwar, auf die zutreffenden Gründe des landgerichtlichen Urteils werde gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO Bezug genommen. Zum einen ist aber schon nicht klar, ob sich diese Bezugnahme nur auf die davor stehende Aussage, dem Kläger fehle die Anfechtungsbefugnis, bezieht, sondern auch auf die Ausführungen des Landgerichts zu den Anfechtungsgründen im Rahmen der Begründung seiner Kostenentscheidung nach § 91a ZPO bezüglich der Erfolgsaussichten der übereinstimmend für erledigt 41 erklärten Anfechtungsklagen der Kläger zu 1 und 2. Zum anderen fehlt insoweit die nach § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO erforderliche Begründung für eine Bestätigung der angefochtenen Entscheidung auch in diesen Punkten.

Bergmann Strohn Reichart Drescher Born Vorinstanzen:

LG München I, Entscheidung vom 29.01.2009 - 5 HKO 16785/08 -

OLG München, Entscheidung vom 09.09.2009 - 7 U 1997/09 -






BGH:
Urteil v. 19.07.2011
Az: II ZR 246/09


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/e0b6e4a0c457/BGH_Urteil_vom_19-Juli-2011_Az_II-ZR-246-09




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