Hessischer Verwaltungsgerichtshof:
Beschluss vom 21. Januar 1988
Aktenzeichen: 2 TI 2628/87

(Hessischer VGH: Beschluss v. 21.01.1988, Az.: 2 TI 2628/87)

Gründe

Die innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts eingelegte Beschwerde ist auch im übrigen zulässig (§ 165 i.V.m. den entsprechend anzuwendenden §§ 151 und 147 sowie 146 Abs. 3 VwGO). Die Prozeßbevollmächtigten der gemäß Vergleich vom 14. März 1986 kostenerstattungsberechtigten Klägerin des Ausgangsverfahrens haben die Beschwerde - wie bereits die Erinnerung - im eigenen Namen eingelegt, da ihnen die unter Hinweis auf die §§ 114 Abs. 1, 31 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO für das Berufungsverfahren beantragte Beweisgebühr nicht bewilligt wurde, während eine entsprechende Gebühr für das Verfahren erster Instanz festgesetzt worden war. Dies hält der Senat aus den vom OVG Lüneburg (Beschluß vom 21. April 1972 - III B 16/72 -, NJW 1972 S. 2015) dargelegten Gründen in Übereinstimmung mit Kopp (VwGO, 7. Auflage 1986, § 165 Rz. 4) sowie Schunck/De Clerck (VwGO, 3. Auflage 1977, § 165 Erläuterung 2 b) für zulässig. Der Prozeßbevollmächtigte des Erstattungsberechtigten ist nämlich jedenfalls dann als Beteiligter im Sinne des § 165 S. 1 VwGO oder als im Sinne des § 146 Abs. 1 VwGO von der Entscheidung des Verwaltungsgerichts "Betroffener" (vgl. Eyermann/Fröhler, VwGO, 8. Auflage 1980, § 165 Rz. 2) anzusehen, wenn es im Kostenfestsetzungsverfahren nicht nur um den Erstattungsanspruch der von ihm vertretenen Partei, sondern - wie hier - zumindest im Ergebnis zugleich um seinen eigenen Gebührenanspruch nach § 19 BRAGO geht (a. A. Eyermann/Fröhler a.a.O.; Redeker/von Oertzen, VwGO, 8. Auflage 1985, § 165 Rz. 2 m. w. N.).

Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die von den Beschwerdeführern gegen den Kostenfestsetzungsbeschluß vom 16.09.1986 eingelegte Erinnerung zu Recht zurückgewiesen. Der Urkundsbeamte des Verwaltungsgerichts hat bei der Festsetzung der von der Beklagten des Ausgangsverfahrens gemäß § 162 Abs. 2 S. 1 VwGO zu erstattenden Rechtsanwaltsgebühren die geltend gemachte Beweisgebühr in Höhe von 1.040,-- DM zuzüglich 14 % MWSt (insgesamt 1.185,60 DM) zutreffend abgesetzt. Denn im zweiten Rechtszug ist eine derartige Gebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 34 Abs. 2 BRAGO nicht entstanden.

Nach der erstgenannten, gemäß § 114 Abs. 1 BRAGO im Verwaltungsprozeß sinngemäß geltenden Vorschrift erhält der zum Prozeßbevollmächtigten bestellte Rechtsanwalt eine volle Gebühr (die sich im Berufungsverfahren um 3/10 erhöht, § 11 Abs. 1 S . 4 BRAGO) für die V e r t r e t u n g i m B e w e i s a u f n a h m e v e r f a h r e n oder bei der Anhörung oder Vernehmung einer Partei nach § 613 der Zivilprozeßordnung (Beweisgebühr). Diese Voraussetzungen sind hier entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer nicht deshalb erfüllt, weil auch im Berufungsverfahren die bereits von dem Verwaltungsgericht beigezogenen Planfeststellungsakten der Beklagten sowie die einschlägigen Raumordnungsunterlagen vorgelegen haben und von den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin zwecks näherer Begründung der Berufung durchgearbeitet werden mußten. Nach § 34 Abs. 1 BRAGO erhält der Rechtsanwalt die Beweisgebühr ohnehin nicht, wenn die Beweisaufnahme lediglich in der Vorlegung der in den Händen des Beweisführers oder des Gegners befindlichen Urkunden besteht. Werden Akten oder Urkunden - von Dritten (vgl. Beschluß des Bay. VGH vom 11. Juni 1981 - Nr. 23 C 80 A.1543 -, BayVBl. 1981 S. 572) - beigezogen, so erhält der Rechtsanwalt die Beweisgebühr nur, wenn die Akten oder Urkunden durch Beweisbeschluß oder sonst erkennbar zum Beweis beigezogen oder als Beweis verwertet werden (§ 34 Abs. 2 BRAGO). Keine dieser Voraussetzungen ist vorliegend gegeben. Auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts wird insoweit gemäß Art. 2 § 7 Abs. 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit vom 31. März 1978 (BGBl. I S. 446), zuletzt geändert durch Gesetz vom 4. Juli 1985 (BGBl. I S. 1274), mit folgenden Ergänzungen verwiesen:

Wie sich aus der Niederschrift über die am 29. November 1984 im erstinstanzlichen Ausgangsverfahren durchgeführte mündlichen Verhandlung ergibt, lagen dem Verwaltungsgericht damals die Planungsunterlagen der Beklagten und die Anhörungs- sowie Raumordnungsakten des Regierungspräsidenten in Kassel vor. Weitere Akten sind später - insbesondere während des Berufungsverfahrens - nicht mehr beigezogen worden. Dies behaupten auch die Beschwerdeführer nicht. Sie führen allerdings - sinngemäß - aus, diese Akten seien im Sinne des § 34 Abs. 2 BRAGO "als Beweis verwertet" worden, indem sie Gegenstand der am 14. März 1986 von dem Berichterstatter des zweiten Rechtszuges mit den Parteien durchgeführten Erörterung und damit zugleich Voraussetzung für den Abschluß des in diesem Termin erreichten Vergleichs gewesen seien.

Dieser Rechtsauffassung steht bereits entgegen, daß eine beweismäßige Verwertung beigezogener Akten oder Urkunden in aller Regel ausscheidet, wenn ein Rechtsstreit mit einem Vergleich beendet wurde (vgl. Keller in Riedel/Sußbauer, BRAGO, 5. Auflage 1985, § 34 Rz. 19; Beschluß des OLG München vom 15. Oktober 1984 - 11 W 2674/87 -, KostRspr. § 34 BRAGO Nr. 55 m. w. N.). Sie findet auch keine Stütze in der von den Beschwerdeführern zitierten Rechtsprechung. Im Beschluß des OLG Frankfurt am Main vom 11. März 1981 - 20 W 624/80 - (Anwaltsblatt 1981 S. 240) ist für den Fall eines von dem Vorsitzenden des B e r u f u n g s g e r i c h t s gemäß § 273 Abs. 2 Nr. 2 ZPO an eine Behörde gestellten E r s u c h e n s u m M i t t e i l u n g e i n e r U r k u n d e ausgeführt, eine zunächst nur der Bereitstellung eines urkundlichen Beweismittels dienenden richterliche Maßnahme eröffne jedenfalls dann ein die Beweisgebühr des § 31 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO auslösendes Beweisaufnahmeverfahren, wenn sie sich auf Tatsachen beziehe, die in dem schriftsätzlich angekündigten Parteivortrag enthalten und für die nach mündlicher Verhandlung zu treffende Entscheidung erheblich sind. Als ebensowenig einschlägig erweist sich die oben bereits zitiert Entscheidung des Bay. VGH vom 11. Juni 1981. Hier ging es darum, ob jegliche durch richterliche Verfügung angeordnete Beiziehung von Akten unbeteiligter Behörden oder von Gerichtsakten grundsätzlich zu Beweiszwecken erfolge, ob eine Beiziehung solcher Unterlagen im Gegensatz dazu auch "ausschließlich zur Information" erfolgen könne und wie schließlich die konkrete, durch das Verwaltungsgericht ausdrücklich angeordnete Aktenbeiziehung unter dem Gesichtspunkt des Beweiszwecks rechtlich einzuordnen sei.

Demgegenüber kommt es für das vorliegende Verfahren entscheidend auf die Beantwortung der Frage an, ob das Berufungsgericht die bereits vom Gericht des ersten Rechtszugs beigezogenen Behördenakten im Sinne des § 34 Abs. 2 BRAGO (letzte Alternative) "als Beweis verwertet" hat. Diese Frage ist zu verneinen. Die Beiziehung von Akten in der zweiten Instanz, die bereits in der ersten Instanz beigezogen waren, führt nach einhelliger Auffassung immer dann - aber auch nur dann - zur Entstehung der Beweisgebühr, wenn sie erstmalig vom Berufungsgericht ausgewertet, zur Klärung neuer oder anderer Beweisfragen herangezogen oder wenn schließlich andere Aktenteile als im ersten Rechtszug verwertet werden (von Eicken in Gerold/Schmidt, BRAGO, 9. Auflage 1987, § 31 Rz. 99, § 34 Rz. 27; Göttlich/Mümmler, BRAGO, 15. Auflage 1984, Stichwort "Beweisgebühr", Erläuterung 4.323, S. 323; Hartmann, Kostengesetze, 22. Auflage 1987, § 34 BRAGO, Erläuterung 3 D f S. 1282; Keller in Riedel/Sußbauer a.a.O., Rz. 20; Swolana, BRAGO, 6. Auflage 1981, § 31 Erläuterung 4 d S. 313 m. w. N.; Beschluß des OLG Koblenz vom 17. September 1974 - 6 a W 495/74 -, KostRspr. § 34 BRAGO Nr. 7 mit Anm. Schneider; Beschluß des OVG Bremen vom 18. März 1983 - 1 B 7/83 -, KostRspr. § 34 BRAGO Nr. 35). Für eine derartige Fallgestaltung ergeben sich aus dem Prozeßverlauf sowie dem Inhalt der Gerichtsakten des Ausgangsverfahrens keine Anhaltspunkte. Vielmehr haben die Parteien noch vor einer ersten mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren einen Prozeßvergleich zur Beilegung des Rechtsstreits geschlossen, der eine Verwertung beigezogener Behördenakten "als Beweis" im Sinne des § 34 Abs. 2 BRAGO erübrigte. Tatsächlich ist eine derartige Verwertung im Verfahren des zweiten Rechtszugs erkennbar auch nicht erfolgt. Insbesondere sollte der Erörterungstermin am 14. März 1986, zu dem die Parteien "unvorgeladen" erschienen, ausschließlich der Entgegennahme eines Vergleichs durch den Berichterstatter des zweiten Rechtszugs und nicht etwa der Klärung irgendwelcher Beweisfragen dienen. Doch selbst wenn es zutreffen sollte, daß dieser Vergleich ohne Verwertung der von dem Regierungspräsidenten in Kassel geführten Akten nicht hätte zustande kommen können, kann daraus keine die Beweisgebühr auslösende Verwertung gerade zu Beweiszwecken abgeleitet werden; hierin läge allenfalls eine Verwertung zum Zwecke der einvernehmlichen Beilegung des Rechtsstreits.

Nach alledem ist die Beschwerde mit der sich aus § 154 Abs. 2 VwGO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen. Danach fallen die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 14 Abs. 1 GKG i.V.m. § 13 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 S. 1 VwGO, § 25 Abs. 2 S. 2 GKG).






Hessischer VGH:
Beschluss v. 21.01.1988
Az: 2 TI 2628/87


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