Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen:
Urteil vom 26. Juni 2003
Aktenzeichen: L 2 KN 75/01 KR
(LSG Nordrhein-Westfalen: Urteil v. 26.06.2003, Az.: L 2 KN 75/01 KR)
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 16.03.2001 geändert. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin weitere 2.937,49 Euro nebst Zinsen hierauf in Höhe von 2% über dem Basiszinssatz ab 01.05.1999 zu zahlen. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten aus beiden Rechtszügen zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist im Rahmen der Vergütung von Krankenhausleistungen, ob die Klägerin neben tagesgleichen Pflegesätzen das Sonderentgelt (SE) 12.01 beanspruchen kann.
Die Klägerin ist Trägerin des St. B ... Hospitals in G ... und Mitglied der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (NRW). Das St. B ... Hospital ist in den Krankenhausplan des Landes NRW aufgenommen. Für die Vergütung von Krankenhausleistungen bestehen zwischen den Beteiligten auf Landesebene (jedenfalls im hier maßgeblichen Kontext) keine vom Bundesrecht abweichenden vertraglichen Regelungen.
Auf Verordnung der Urologin Dr. E ... aus G ... (Diagnose "ausgedehntes Plattenepithelcarcinom der Harnblase pT1 G2") wurde die bei der Beklagten versicherte ... B ... (im Folgenden: Versicherte) am 20.04.1998 in der Urologischen Klinik des St. B ... Hospitals aufgenommen und am folgenden Tage operiert. Bei der langwierigen, etwa 7 ½ Stunden dauernden Operation wurden eine radikale Zystektomie (Entfernung der Harnblase) mit Hysterektomie und Adnektomie bds. (Entfernung von Gebärmutter und Anhängen) sowie ein pelvines Lymphknotenstaging vorgenommen und ein sog. "Ileum-Conduit" (Bildung einer Ersatzblase aus einem Dünndarmsegment) angelegt. Nach Folgekomplikationen wurde die Versicherte am 22.05.1998 aus der stationären Behandlung entlassen (Entlassungsdiagnose: (188.2) Bösartige Neubildung der seitlichen Wand der Harnblase).
Die Klägerin stellte für die Behandlung nach Abzug der Selbstbeteiligung der Versicherten DM 19.458,67 in Rechnung ( 32 Basispflegesätze, 12 Abteilungspflegesätze Urologie zu 80% und 20 Abteilungspflegesätze Urologie zu 100% zuzüglich des SE 15.02 "Hysterektomie", Rechnung vom 23.07.1998). Folgende Verschlüsselungen waren angegeben: OPS-301: 5-576.7; 5-683.0; 5-550.1; ICD(=Internationale Klassifikation der Krankheiten, Verletzungen und Todesursachen)-9: 188.2; 591.
Die Beklagte meinte, sie schulde nur DM 13.104,42, weil die Abrechung nach der Fallpauschale (FP) 15.02 "Hysterektomie" zu erfolgen habe. Diesen Betrag wies sie an. Die Klägerin hielt die Abrechnung einer FP für unzulässig und bezog sich zur Begründung auf eine Stellungnahme des Oberarztes Dr. L ... der Urologischen Klinik im St. B ... Hospital: Hauptleistung sei eindeutig die radikale Zystektomie gewesen, die an erster Stelle als leitender Eingriff über die ICPM (= Internationale Klassifikation der Prozeduren in der Medizin) 5-576.7 verschlüsselt wurde. Hysterektomie und Adnektomie bds. seien als Leistungen im vollen Umfang des im Entgeltkatalog ausgewiesenen Leistungskomplexes erbracht worden. Versehentlich sei die Adnektomie bds. (ICPM 5-653.11) nicht verschlüsselt worden. Die Fallpauschale sei weder über den leitenden Eingriff noch über die Diagnose begründet. Der Sozialmedizinische Dienst (SMD) der Beklagten meinte nun, es habe sich um einen aufwändigen Eingriff gehandelt, bei dem tagesgleiche Pflegesätze abzurechnen seien. Deshalb akzeptierte die Beklagte einen Rechungsbetrag von 18.675,24 DM (jeweils 32 Basis- und Abteilungspflegesätze Urologie zu 100%) und überwies der Klägerin weitere 5570,82 DM.
Im Februar 1999 übersandte die Klägerin eine neue Abrechnung: Zwar habe im Vordergrund der Behandlung nicht die Hysterektomie, jedoch zweifelsfrei die Bildung eines Ileum-Konduits gestanden. Deshalb sei das SE 12.01 abrechnungsfähig. Die gesamte operative Leistung sei über 5-576.1 und 5-567.71 zu verschlüsseln (Schreiben vom 04.02.1999). Sie stellte deshalb neben den (nach § 14 Abs 2 Satz 3 der Verordnung zur Regelung der Krankenhauspflegesätze -Bundespflegesatzverordung- (BPflV) gekürzten) allgemeinen Pflegesätzen das SE 12.01 "Operative Bildung eines Kolon- oder Ileum-Konduits" (DM 6890,81; jetzt: 2.937,45 Euro) in Rechnung und bat um Begleichung des Differenzbetrages von DM 5826,65. Arzt für Allgemeinmedizin Dr. Schade, SMD Krankenhauswerkstatt Recklinghausen, meinte, unter Berücksichtigung des Operationsberichtes habe die Bildung eines Ileum-Konduits operativ nicht im Vordergrund gestanden, sondern sei Teil des ausgedehnten abdominellen Eingriffs gewesen. Daraufhin erklärte die Beklagte, dass sie keine weitergehende Vergütung zahle (Schreiben vom 20.04.1999).
Deshalb hat die Klägerin Zahlungsklage erhoben. Sie hat darauf hingewiesen, dass unter der Hauptdiagnose ICD 188.2 eine etwa 7 ½ -stündige Operation stattgefunden habe, bei der Hauptleistung die radikale Zystektomie (ICPM 5-576.7) gewesen sei, außerdem seien eine Hysterektomie und eine Adnektomie erfolgt (ICPM 5-653.11). Wegen der erbrachten Hauptleistung sei zusätzlich das Sonderentgelt 12.01 abzurechnen. Bei der Operation sei aus Darmteilen eine neue Harnblase gefertigt worden. Daher rühre auch der erhebliche zeitliche Mehraufwand.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihr 5.826,65 DM zuzüglich 5,5% Zinsen seit dem 08.08.1998 zu zahlen.
Die Beklage hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist weiter der Auffassung gewesen, eine Abrechnung könne ausschließlich nach tagesgleichen Pflegesätzen erfolgen. Daneben sei die Abrechung eines SE nicht möglich. Ein SE vergüte ein Leistungsgeschehen im Operationssaal, sofern der Leistungskomplex voll erbracht werde. Hier sei der größte Teil der Leistung bereits im Rahmen der operativen Hauptleistung angefallen. Deshalb lägen die Voraussetzungen für die Abrechnung eines SE nach den Abrechnungsbestimmungen nicht vor. Außerdem habe die Anlegung des Ileum-Konduits dem Zweck gedient, die Zielsetzung des Haupteingriffs zu sichern. Dementsprechend habe die Klägerin zutreffend nicht nach ICPM 5-565.0, sondern nur nach 5.576.7 verschlüsselt; ersterer Eingriff sei in letzterem enthalten. Wegen der Gleichzeitigkeit der Maßnahmen handele es sich um einen einheitlichen operativen Eingriff.
Das Sozialgericht (SG) hat sich der Auffassung der Beklagten angeschlossen und die Klage abgewiesen (Urteil vom 16.03.01).
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihren Zahlungsanspruch weiter. Da mit erheblichem Aufwand die Harnblase komplett ersetzt worden sei, könne es sich insoweit nur um einen selbständigen und deshalb als SE zusätzlich abrechnungsfähigen Eingriff gehandelt haben.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 16.03.2001 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin weitere 2937,49 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 2 % über dem Basiszinssatz hierauf ab 01.05.1999 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Sie betont, dass es sich nicht um einen selbständigen Eingriff gehandelt habe.
Gründe
Die Berufung ist begründet.
Die Klage ist als Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) zulässig, da es sich um einen Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis handelt, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt (Bundessozialgericht (BSG)E 86, 166, 167f = SozR 3-2500 § 112 Nr 1). Deshalb ist auch ein Vorverfahren nicht erforderlich (BSGE 90, 1 = SozR 3-2500 § 112 Nr 3; zuletzt BSG Urteil vom 28.05.2003, Aktenzeichen (Az) B 3 KR 10/02 R).
Die Klage ist auch begründet. Entgegen der Auffassung des SG steht der Klägerin (bei entsprechender Kürzung der Abteilungspflegesätze) ein zusätzlicher auf das SE 12.01 gerichteter Vergütungsanspruch für die Leistung "Operative Bildung eines Kolon- oder Ileum-Konduits" zu. Alle Voraussetzungen dieses Zahlungsanspruchs sind erfüllt. Ohne Bedeutung ist, dass die Leistung als Teil eines umfassenderen operativen Eingriffs erbracht wurde. Denn es handelt sich um eine abgrenzbare und deshalb gesondert vergütungsfähige Teilleistung.
Rechtsgrundlage des streitigen Anspruchs auf (Rest-) Vergütung ist § 109 Abs 4 Satz 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) iVm mit dem zwischen der Krankenhausgesellschaft NRW und - ua - der Beklagten am 06.12.1996 geschlossenen Sicherstellungsvertrag nach § 112 Abs 2 Nr 1 SGB V - Allgemeine Bedingungen der Krankenhausbehandlung - (Im Folgenden: Vertrag), der zum 01.01.1997 in Kraft getreten ist, § 19 Abs 1 des Vertrags. Dabei entsteht die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Sachleistung durch den Versicherten (§ 27 Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB V iVm § 39 Abs 1 SGB V) als Korrelat zur Behandlungspflicht zugelassener Krankenhäuser aus § 109 Abs 4 Satz 2 SGB V (BSG ebenda; BSG 86, 166, 167f = SozR 3-2500 § 112 Nr 1; BSGE 70, 20ff = SozR 3-2500 § 39 Nr 1; BSG SozR 3-5565 § 15 Nr 1; zuletzt BSG Urteil vom 28.05.2003, Aktenzeichen (Az) B 3 KR 10/02 R; Peters/Hencke Handbuch der Krankenversicherung, SGB V, Band 2, Stand Oktober 2001, § 109 RdNr 10). Die Klägerin betreibt ein Plankrankenhaus im Sinne des § 108 Nr 2 SGB V, für das der Abschluss eines Versorgungsvertrags fingiert wird, § 109 Abs 1 Satz 2 Halbsatz 2 SGB V. Sie ist Mitglied der Landeskrankenhausgesellschaft nach § 108a SGB V. Es bestehen keine abweichenden Vereinbarungen von der Bundespflegesatzverordnung als Satzung auf Landesebene, die unmittelbare Wirkung für sie haben, § 16 BPflV. Die Krankenhausbehandlung war notwendig. Das Behandlungsziel konnte nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden (§ 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V).
Grundlage für Art und Höhe des geltend gemachten Vergütungsanspruchs sind die nach Maßgabe des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG) und der BPflV getroffenen vertraglichen Vereinbarungen. Nach § 16 Satz 1 Nr 1 KHG in der hier maßgeblichen Fassung vom 23. Juni 1997 (BGBl I S 1520) erlässt die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats Vorschriften über die Krankenhauspflegesätze, die grundsätzlich die Vergütung nach der Anzahl der Behandlungstage bemessen und für alle Benutzer einheitlich zu berechnen sind (§ 17 Abs 1 Satz 1, Abs 2 KHG). Nach § 17 Abs 2a Satz 3 KHG sollten die Spitzenverbände der Krankenkassen und der Verband der privaten Krankenversicherung gemeinsam mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft erstmals für den Pflegezeitraum 1998 und bis zur (inzwischen erfolgten, vgl § 17b Abs 3 Satz 4 KHG) Einführung des Vergütungssystems nach § 17b KHG Entgeltkataloge und deren Weiterentwicklung vereinbaren. Die Entgeltkataloge sind für diejenigen Krankenhausträger unmittelbar verbindlich, die Mitglieder einer Landeskrankenhausgesellschaft sind (Satz 6). Die in der Rechtsverordnung bestimmten Fallpauschalen und Sonderentgelte galten ab 1. Januar 1998 als vertraglich vereinbart (Satz 7). Die auf Grund der gesetzlichen Ermächtigung erlassene BPflV hat die gesetzlichen Vorgaben unter teilweiser Wiederholung präzisiert. Sonderentgelte sind nach § 10 Abs 1 iVm § 11 Abs 2 BPflV neben den Fallpauschalen (§ 11 Abs 1 BPflV), dem Gesamtbetrag (Budget, § 12 BPflV) und tagesgleichen Pflegesätzen (§ 13 BPflV) ein Element der Vergütung allgemeiner Krankenhausleistungen iS des § 2 Abs 2 BPflV. Zur Konkretisierung der Fallpauschalen und Sonderentgelte hat die Bundesregierung als Verordnungsgeber zum 1. Januar 1995 gemäß den Anlagen zu § 11 BPflV Entgeltkataloge und differenzierte Punktzahlen festgelegt, die bis zum 31. Dezember 1997 zwingenden Rechtsnormcharakter hatten (vgl Dietz/Bofinger, Krankenhausfinanzierungsgesetz, Bundespflegesatzverordnung und Folgerecht, Stand: Dezember 2000, § 15 BPflV Anm 2.1). Seit dem 1. Januar 1998 gelten die Fallpauschalen und Sonderentgelte nach § 17 Abs 2a Satz 7 KHG idF vom 23. Juni 1997 als zwischen den Trägern der Selbstverwaltung (§ 17 Abs 2a Satz 3 und 6 KHG) vertraglich vereinbart. Beide Komplexe sind der Selbstverwaltung auf Bundesebene zur eigenverantwortlichen Weiterentwicklung übertragen worden (vgl Tuschen, Krankenhaus Umschau 1997, 877, 878 sowie Tuschen/Quaas, BPflV, 5. Aufl 2001, S 337; BSG SozR 3-5565 § 15 Nr 1).
Nach § 11 Abs 2 Satz 1 iVm § 14 Abs 3 Satz 1 BPflV idF der 4. Änderungsverordnung zur BPflV vom 17. April 1996 (BGBl I S 619) wird mit den Sonderentgelten ein Teil der allgemeinen Krankenhausleistungen für einen in der Anlage 2 bestimmten oder auf Landesebene nach § 16 Abs 2 vereinbarten Leistungskomplex eines Behandlungsfalls vergütet. Da Sonderentgelte nur einen Teil der stationären Leistung abgelten, werden zusätzlich Basis- und Abteilungspflegesätze oder entsprechende teilstationäre Pflegesätze berechnet (so: § 14 Abs 3 Satz 2 BPflV 1996). Dies unterscheidet Sonderentgelte von Fallpauschalen, mit denen grundsätzlich die gesamten allgemeinen Krankenhausleistungen für einen bestimmten Behandlungsfall einschließlich der vor- und nachstationären Leistungen vergütet werden (vgl Scheinert ua, Handbuch zur Abrechnung von Krankenhausleistungen, 9. Auflage, Teil I, S 15, 18).
Maßgeblich für die Zuordnung eines Behandlungsfalls zu einem Sonderentgelt und damit für die Abrechenbarkeit des Entgelts als Teil der Vergütung ist der im Entgeltkatalog ausgewiesene Leistungskomplex (Nr 2 Satz 1 der - dem Sonderentgeltkatalog vorangestellten - Abrechnungsbestimmungen). Dabei gilt für die Bestimmung des maßgebenden Sonderentgelts (Spalte 1) folgende Rangfolge der Definitionen: a) der Operationenschlüssel nach dem OPS-301 (Spalte 4); b) der Diagnosenschlüssel nach der ICD (Spalte 3), soweit ein solcher vorgegeben ist, um Sonderentgelte voneinander abzugrenzen, für die in Spalte 4 dieselbe operative Leistung ausgewiesen ist; c) die Textdefinition (Spalte 2); sie ist maßgeblich, soweit eine nähere Definition der Sonderentgelte mit den Schlüsseln nach Spalte 4 und 3 nicht dargestellt werden kann und somit nur aus der Textfassung hervorgeht (Nr 2 Satz 2 der Abrechnungsbestimmungen). Der als Anlage zur BPflV bekannt gemachte "Bundesweite Sonderentgelt-Katalog für Krankenhäuser" in der hier maßgeblichen Fassung der 5. Änderungsverordnung (ÄndVO) zur BPflV vom 9. Dezember 1997, Anhang 1, Anlage 2 zu § 11 Abs 1 BPflV enthält zum Sonderentgelt 12.01 folgende Leistungsbeschreibung: "Operative Bildung eines Kolon- oder Ileum-Konduits". Dabei handelt es sich um eine abgrenzbare Teilleistung, die nach OPS 5.565.0 zu verschlüsseln ist, während ein Diagnoseschlüssel nach der ICD nicht vorgesehen ist. Diese Leistung hat die Klägerin insgesamt erbracht.
Fallpauschalen- und Sonderentgeltkataloge sind streng nach ihrem Wortlaut anzuwenden (BSG SozR 3-5565 § 14 Nr 2; BSG, Urteil vom 23. Januar 2003 - B 3 KR 18/02 R -). Denn eine Vergütungsregelung, die für eine routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, kann ihren Zweck nur erfüllen, wenn sie allgemein strikt nach ihrem Wortlaut sowie den dazu vereinbarten Anwendungsregeln gehandhabt wird und keinen Spielraum für weitere Bewertungen oder Abwägungen belässt. Insbesondere ist für vom Wortlaut abweichende medizinische Bewertungen kein Raum. Ob diese Form der Vergütung leistungsgerecht ist, ist nicht entscheidungserheblich. Sofern sich in der Praxis erweist, dass es bei der wortgetreuen Auslegung zu Ungereimtheiten kommt, ist es Aufgabe der Vertragspartner, die nunmehr dafür zuständig sind, dies durch Weiterentwicklung der Fallpauschalen- bzw Sonderentgeltkataloge und der Abrechnungsbestimmungen zu beheben (§ 15 Abs 1 Satz 1 Nr 1 BPflV). Kommt es dabei zu keiner Einigung, ist zunächst die Schiedsstelle nach § 18a Abs 6 KHG anzurufen (§§ 18 Abs 4 KHG und 15 Abs 4 BPflV), bevor sich die Gerichte mit Fragen der Angemessenheit von Vergütungen befassen können (BSG SozR 3-5565 § 15 Nr 1, S 6). Dabei sind die Entscheidungen der Schiedsstelle nur beschränkt überprüfbar (vgl BSGE 20, 73, 76 ff = SozR Nr 1 zu § 368h RVO; BSGE 87, 199, 202 = SozR 3-3300 § 85 Nr 1). Dies entspricht auch der Zurückhaltung der Rechtsprechung bei der Auslegung von Abrechnungsbestimmungen im vertragsärztlichen Bereich (vgl BSG SozR 3-5533 Nr 7103 Nr 1).
Die Voraussetzungen für die Abrechnung eines Sonderentgelts sind erfüllt, wenn es sich um eine abgrenzbare Leistung im Rahmen einer umfassenden Behandlung handelt, die nicht durch eine Fallpauschale abgedeckt wird (BSG, Urteil vom 23.01.2003, aaO). So liegt es hier.
Da es sich bei der durch das SE 12.01 umschriebenen Leistung um einen abgrenzbaren Teil der Gesamtleistung handelt, ist dieser auch entsprechend vergütungsfähig. Eine zusätzlich Einschränkung dahingehend, dass es sich um die zentrale Leistung eines Gesamtgeschehens im Operationssaal handeln muss, ist weder dem Gesetz noch den zwischen den Beteiligten bestehenden Vereinbarungen, insbesondere den Abrechnungsbestimmungen, zu entnehmen. Die Klägerin hat den im Wortlaut der Leistungsbeschreibung zum SE 12.01 bezeichneten und unter OPS 5.565.0 zu verschlüsselnden Leistungskomplex vollständig erbracht: Sie hat bei der Versicherten ein Ileum-Konduit angelegt und alle mit einer derartigen Operation verbundenen zusätzlichen Vor- und Nachleistungen wie Personalvorbereitung, Rüstzeiten und Anäesthesie ebenfalls erbracht. Das kann nicht ernstlich zweifelhaft sein. Die Beklagte bestreitet dies in Wahrheit auch nicht. Sie meint lediglich, dass ein SE gleichwohl nicht abrechnungsfähig sei, weil es sich um ein Leistungsgeschehen gehandelt habe, das einem anderen, komplexeren Leistungsgeschehen untergeordnet ist und in seiner Bedeutung (weit) dahinter zurücktrete. Diese Einordnung mag im Tatsächlichen zutreffen; sie rechtfertigt jedoch nach dem allein maßgeblichen Wortlaut des Sonderentgelt-Katalogs die von der Beklagten angenommene Leistungsbeschränkung nicht.
Es kann offen bleiben, ob die Kodierung der komplett erbrachten Leistung 5-565.0 (Ureteroileokutaneostomie [Ileum-Conduit]) nach den Kodierrichtlinien zum OPS-301 entbehrlich ist, wenn die Operation im Rahmen eines größeren Eingriffs erfolgt, für den eine eigenständige Kodierung (5-567.7) vorgesehen ist, oder ob dies erfordert, dass die mit den Ziffern 5.565.0 kodierte Leistung nicht notwendiger Bestandteil der mit 5-567.7 kodierten Leistung ist. Ein Ausschluss der Kodierung 5.565.0 bei gleichzeitiger radikaler Zystektomie ist jedenfalls nicht vorgesehen. Der Einwand der Beklagten, bei fehlenden Hinweisen für die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit kombinierter Kodierungen dürfe für einen Eingriff nur eine Kodierung (hier: 5-567.7) verwendet werden, führt auch zu keinem Ergebnis. Denn die Abrechnung des Sonderentgelts hängt nicht davon ab, wie die Kodierrichtlinien anzuwenden sind und ob die Klägerin sie zutreffend angewandt hat. Entscheidend ist vielmehr, dass die Voraussetzungen für die Abrechnung eines Sonderentgelts erfüllt sind, wenn es sich um eine abgrenzbare Leistung im Rahmen einer umfassenderen Behandlung handelt, die nicht durch eine Fallpauschale abgedeckt wird. Das ist hier der Fall. Die abgrenzbare Teilleistung wird durch 5.565.0 zutreffend bezeichnet. Die Möglichkeit einer anderen Kodierung, die den gesamten Behandlungsfall erfasst, ist nicht relevant, weil die Abrechnung einer Fallpauschale nicht in Betracht kommt.
Dies entspricht auch dem Gesamtregelungszusammenhang der in § 10 Abs 1 BPflV bezeichneten Vergütungselemente. Denn in §§ 14 Abs 1 Satz 3; Abs 2 Satz 3,
Abs 3 Satz 2 und Abs 6 BPflV sowie den Abrechnungsbestimmungen des Sonderentgelt-Katalogs ist zum einen geregelt, wann bzw. unter welchen Voraussetzungen ein SE zusätzlich zu einer FP oder einem anderen SE berechnet werden darf, zum anderen, dass ein SE regelmäßig neben den - dann nach § 14 Abs 2 Satz 3 zu kürzenden - tagesgleichen Pflegsätzen zu berechnen ist. Bestimmungen dazu, unter welchen Voraussetzungen ein SE neben tagesgleichen Pflegesätzen nicht abgerechnet werden darf, fehlen hingegen. Dies macht deutlich, dass nach geltendem Recht neben tagesgleichen Pflegesätzen jedenfalls ein SE abgerechnet werden darf, sofern der darin umschrieben Leistungskomplex - und sei es auch nur als abgrenzbare Teilleistung im Rahmen eines komplexeren Eingriffs - vollständig erbracht worden ist (vgl. Scheinert ua, aaO, Teil III "Abrechnung von Sonderentgelten", Erläuterungen zu Teil III, 8. Folgelieferung/Dezember 1999 Punkt a).
Die Behauptung der Beklagten, es habe sich hier bei der Anlegung des Ileum- Konduits um eine dem nach OPS 5.576.1 verschlüsselten Haupteingriff untergeordnete Leistung gehandelt, die bestimmt gewesen sei, die Zielsetzung des Haupteingriffs zu sichern, mag zutreffen. Sie besagt indes nichts für den streitigen Vergütungsanspruch. Sofern die Beklagte mit ihrem Hinweis zum Ausdruck bringen möchte, dass angesichts dessen die zusätzliche Abrechnung des SE 12.01 nicht angemessen sei, kann sie dieses Ziel nach dem zuvor Gesagten nur auf dem dafür im Gesetz vorgesehenen Wege, nämlich entweder durch eine vertragliche Vereinbarung oder durch Einschaltung der Schiedsstelle erreichen. Erst nach - erfolglosem - Durchlaufen dieser vorprozessualen Verfahren sind die Gerichte befugt, über die Angemessenheit einer Vergütung zu befinden (BSG SozR 3-5565 § 15 Nr 1). Ob eine Einschränkung für den Fall zu machen ist, dass die im Sonderentgelt-Katalog umschriebene Leistung zwingender, integraler Bestandteil des Gesamteingriffs ist, bedarf keiner Entscheidung. Denn hier war die Anlage eines Ileum-Konduits nach den Regeln der ärztlichen Kunst nur eine Möglichkeit, die Harnableitung nach der Entfernung der Harnblase sicherzustellen. Alternativ wäre z.B. auch die Ableitung über einen künstlichen Ausgang bei Anlage eines Stomabeutels in Betracht gekommen (s wegen der Alternativen auch die OPS-Kodierungen 5.564, 5-566, 5-567 und 5-568). Wählt das Krankenhaus unter mehreren in Betracht kommenden Möglichkeiten eine Alternative, die im SE-Katalog enthalten ist, ist sie auch befugt, das dafür vorgesehene Entgelt abzurechnen.
Der geltend gemachte Zinsanspruch folgt aus § 15 Abs 1 des Vertrags. Nach § 15 Abs 1 Satz 1 des Vertrags sind Rechnungen innerhalb von 15 Tagen nach Rechnungslegung zu begleichen. Bei Überschreitung des Zahlungsziels kann das Krankenhaus nach Maßgabe der §§ 284, 285, 288 Abs 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches Verzugszinsen in Höhe von 2% über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bundesbank ab dem auf den Fälligkeitstag folgenden Tag verlangen (§ 15 Abs 1 Satz 4). Ab 1. Januar 1999 ist diese Vertragsbestimmung aufgrund der geänderten währungsrechtlichen Rechtslage in modifizierter Weise anzuwenden. Seit dem 1. Januar 1999 gibt es keinen Diskontsatz der Deutschen Bundesbank mehr. Der Diskontsatz ist durch § 1 Diskontsatz-Überleitungs- Gesetz (DÜG = Art 1 Euro-Einführungsgesetz (EuroEG) vom 9. Juni 1998, vgl BGBl 1998 I S 1242 und BGBl 2000 I S 901) zum 1. Januar 1999 durch den sog Basiszinssatz ersetzt worden, der von der Deutschen Bundesbank - ebenso wie bis dahin der Diskontsatz - jeweils im Bundesanzeiger veröffentlicht wird (§ 1 Abs 1 Satz 6 DÜG). Jede Bezugnahme auf den Diskontsatz der Deutschen Bundesbank im Rahmen von Regelungen über Zinsen oder andere Leistungen wird ab 1. Januar 1999 von Gesetzes wegen (§ 1 Abs 1 Satz 1 DÜG) durch eine Bezugnahme auf den Basiszinssatz ersetzt. Bezugsgröße für den Basiszinssatz ist nach der Basiszinssatz-Bezugsgrößen-Verordnung vom 10. Februar 1999 (BGBl I 139) der Zinssatz für längerfristige Refinanzierungsgeschäfte der Europäischen Zentralbank (LRG-Satz); vgl hierzu Palandt/Heinrichs, BGB, 59. Aufl 2000, § 245 RdNr 9; BSG SozR 3-5565 § 14 Nr 1).
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 Abs 1, 4 Satz 2 SGG iVm 116 Abs 2 Nr 1 der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) in der bis zum Inkrafttreten des 6. SGG Änderungsgesetzes (6. SGGÄndG vom 17.07.2001, BGBl I S. 2144) am 02.01.2002 maßgeblichen alten Fassung. Diese ist anzuwenden, da es sich um ein Verfahren nach § 197 a SGG nF handelt, das vor dem Inkrafttreten des 6. SGGÄndG rechtshängig geworden ist (Art 17 Abs 1 Satz 2 6. SGGÄndG; BSG, Urteil vom 30.01.2002, Az B 6 KA 12/01 R = SozR 3-2500 § 116 Nr 24 S 115ff). Diese Normen regeln die Geltung des alten, bis zum Ablauf des 01.01.2002 maßgeblichen Rechts nicht nur hinsichtlich der Gerichtskosten, sondern auch hinsichtlich der Kostentragungspflicht der Beteiligten (vgl. BSG, ebenda; Zeihe, Das SGG und seine Anwendung, § 197 a SGG Nr 1 c, mwN).
Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht, § 160 Abs 2 SGG. Insbesondere hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung, da der Senat sich mit seiner Entscheidung in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung (insbesondere BSG Urteil vom 23.01.2003, Az B 3 KR 18/02 R) befindet, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG.
LSG Nordrhein-Westfalen:
Urteil v. 26.06.2003
Az: L 2 KN 75/01 KR
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