Oberlandesgericht Celle:
Urteil vom 16. Juni 2004
Aktenzeichen: 3 U 38/04

(OLG Celle: Urteil v. 16.06.2004, Az.: 3 U 38/04)

Ein Kontoauszug, der ohne jeden weiteren Hinweis als "neuen Kontostand" einen Betrag ausweist, in dem zwar bereits gebuchte, aber noch nicht wertgestellte Zahlungseingänge enthalten sind, ist irreführend; denn er lässt nicht erkennen, dass der Kunde über den noch nicht wertgestellten Zahlungseingang nicht zinsfrei verfügen kann.

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 22. Dezember 2003 verkündete Urteil der 18. Zivilkammer des Landgerichts Hannover wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird gestattet, die Vollstreckung des Klägers gegen Sicherheitsleistung in Höhe eines die vollstreckbare Forderung um 10 % übersteigenden Betrages abzuwenden, soweit nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet, die die jeweils zu vollstreckende Forderung von 10 % übersteigt.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

A.

Der Kläger ist der Dachverband der 16 Verbraucherzentralen und weiterer verbraucherorientierter Organisationen in Deutschland. Er verlangt von der Beklagten die Unterlassung der Verwendung von - seiner Auffassung nach - irreführenden Kontoauszugsvordrucken, die auf der Vorderseite links die Spalten €Buchungstag€ und €Tag der Wertstellung€ enthalten und in denen rechts unten in einem optisch hervorgehobenen Feld der €neue Kontostand€ wiedergegeben wird. Der in jenem Feld ausgewiesene Betrag enthält auch solche Gutschriften, die im Zeitpunkt des Kontoausdrucks zwar gebucht, aber noch nicht wertgestellt sind.

Der Kläger hält die verwendeten Formulare für irreführend, da den Kunden der Beklagten Guthaben mitgeteilt würden, über die sie im Zeitpunkt des Kontoausdrucks gegebenenfalls nicht zinsfrei verfügen könnten. Die Differenzierung zwischen Buchungs- und Wertstellungstag sei nicht ausreichend, um eine Irreführung zu verhindern.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils, in dem die von der Beklagten verwendeten Kontoauszugsvordrucke abgedruckt sind, verwiesen.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, die Gestaltung der Kontoauszüge mache die Diskrepanz zwischen dem Kontoguthaben und dem zinsfrei verfügbaren Betrag nicht hinreichend deutlich.

Mit ihrer Berufung erstrebt die Beklagte die Abänderung der landgerichtlichen Entscheidung und die Abweisung der Klage. Sie vertritt die Auffassung, sie erfülle mit dem Kontoauszug in der vorliegenden Form in plausibler und nicht zu beanstandender Weise ihre Auskunftspflicht gegenüber ihren Kunden. Durch die Wiedergabe von Wertstellungsdatum und Buchungstag werde klar und eindeutig auf die spätere Wertstellung hingewiesen; die im Kontoauszug enthaltenen Angaben seien klar und eindeutig und versetzten den Kunden in die Lage, den Betrag, über den er jeweils zinsfrei verfügen könne, zu ermitteln. Vorsorglich weist die Beklagte darauf hin, dass die - bei richtigen Angaben notwendigerweise erhöhte - Quote irregeführter Kunden jedenfalls ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht festzustellen sei. Schließlich handele sie nicht in Wettbewerbsabsicht: Die von ihr verwendete Form der Kontoauszüge entspreche derjenigen anderer konkurrierender Bankunternehmen.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens.

B.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig; sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

I.

Der Kläger ist, wie in der Berufungsinstanz von der Beklagten nicht mehr in Zweifel gezogen wird, gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 3 UWG klagebefugt. Der Kläger ist in die Liste der klagebefugten qualifizierten Einrichtungen gemäß § 4 UKlag entsprechend der Bescheinigung vom 16. Juli 2002 eingetragen und aus dieser auch nicht gelöscht.

II.

Zu Recht beanstandet der Kläger die Gestaltung der Kontoauszüge, wie sie von der Beklagten verwendet werden.

1. Gemäß § 3 UWG kann derjenige, der im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs über geschäftliche Verhältnisse irreführende Angaben macht, auf Unterlassung dieser Angaben in Anspruch genommen werden, wobei eine Angabe auch dann irreführend sein kann, wenn sie objektiv richtig ist. Dies ist dann der Fall, wenn ein nicht völlig unerheblicher Teil der erworbenen Verkehrskreise mit einer objektiv richtigen Angabe eine unrichtige Vorstellung verbindet (grundlegend BGHZ 13, 244, 253; vgl. Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., § 3 UWG Rn. 25 m. zahlreichen w. N.). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben: die von der Beklagten verwendeten Kontoauszüge sind irreführend.

2. Die Angaben auf den von der Beklagten verwendeten Kontoauszüge sind, was die Beklagte hervorhebt und auch zutrifft, allerdings objektiv richtig. Durch die differenzierte Darstellung von Buchungs- und Wertstellungstag wird der Zeitpunkt angegeben, ab dem über den jeweils gutzuschreibenden Betrag zinsfrei verfügt werden kann. Dieser Zeitpunkt kann, muss sich aber nicht mit dem Datum der Gutschrift decken, Tagesguthaben und zu verzinsender Betrag können unterschiedlich sein (vgl. Schimansky, Irreführung des Bankkunden durch Kontostandsauskunft am Geldautomaten€, BKR 2003, 179 ff.). Der Wertstellungstag ist mithin für die Verzinsung maßgeblich, nicht hingegen für die Entstehung des Anspruchs aus der Gutschrift oder des Auszahlungsanspruchs aus dem Tagessaldo. Im Unterschied zur Wertstellung gibt der Buchungstag lediglich an, wann die technische Kontobewegung erfolgt, aus der sich der Tagessaldo ergibt. Buchung und Wertstellung können um mehrere Tage auseinander fallen. Verfügt ein Kunde nach Buchung, aber vor Valutierung und entsteht hieraus ein debitorischer Saldo, begründet dies die Verzinsungspflicht. Banktechnisch ist für jeden Umsatz, d. h. für jede Soll- oder Habenbuchung der Zeitpunkt festzulegen, zu dem die Kontobewegung für die Zinsberechnung in den zu bildenden Zwischensaldo eingeht. Das ist der Zeitpunkt der sogenannten Wertstellung bzw. Valutierung; er ist unabhängig vom Tag der Buchung als Dokumentation der Kontobewegung (Schimansky, a. a. O., S. 182; derselbe in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechtshandbuch 1997, Bd. I, § 47 Rn. 33). Die Wertstellung als solche hat mit der Verfügungsberechtigung des Kunden nichts zu tun. Maßgeblich für den Umfang der Verfügungsberechtigung ist nicht die Wertstellung, sondern allein das Tagesguthaben, welches von den Zwischensalden zur Zinsberechnung zu unterscheiden ist (BGHZ 84, 325, 330 f.; 371, 377).

3. Diese objektive Richtigkeit des Kontoauszugs schließt jedoch eine Irreführung i. S. v. § 3 UWG nicht aus. Irreführend kann, wie ausgeführt, auch eine objektiv richtige Angabe sein. Dies ist dann der Fall, wenn ein nicht völlig unerheblicher Teil der umworbenen Verkehrskreise mit einer objektiv richtigen Angabe eine unrichtige Vorstellung verbindet. Dies ist vorliegend der Fall. Zutreffend hat das Landgericht im angefochtenen Urteil insoweit darauf abgestellt, dass der €aktuelle€ Kontostand jeweils mit einer konkreten Datumsangabe optisch hervorgehoben am Ende des Auszugs steht. Unter dem Begriff des Kontostandes werde aber nach allgemeinem Verständnis das am jeweiligen Tag verfügbare Guthaben verstanden. Der Auszug selbst lasse nicht unmittelbar erkennen, ob der als Kontostand ausgewiesene Saldo sich als Summe der gebuchten oder der bereits wertgestellten Beträge errechnet. Dies lasse sich nur durch eine die Differenzierung zwischen Buchungstag und Wertstellungstag berücksichtigende Rückrechnung der Einzelbuchungen erschließen.

Diesen zutreffenden Feststellungen vermag die Berufungsbegründung der Beklagten nichts Substantielles entgegenzusetzen. Deren Hinweise, die Beklagte sei nach § 676 g Abs. 1 BGB verpflichtet, zwischen dem Buchungstag und dem Tag der Wertstellung zu differenzieren; sie verwende mithin die gesetzlich vorgeschriebenen Begriffe; der von ihr verwendete Kontoauszug sei objektiv richtig, treffen als solche zu, besagen jedoch nichts über die Form, in der die Beklagte ihre Kunden unterrichtet. Diese wird hier durch die optische Hervorhebung des Kontostandes geprägt, der als solcher weder erkennen lässt, dass in ihm auch die noch nicht wertgestellten Buchungen enthalten sind noch den Betrag wieder gibt, über den der jeweilige Kunde zinsfrei verfügen kann.

4. Der Vortrag der Beklagten, der Kunde könne, worauf am linken Rand des Kontoauszugs hingewiesen wird, bei Unklarheiten bei der Beklagten nachfragen, ist eine Selbstverständlichkeit, jedoch nicht geeignet, die in der Darstellung des Kontoauszuges liegende Irreführung zu beseitigen: Denn eine Nachfrage bei der Beklagten setzt voraus, dass der jeweilige Kunde zunächst die Unterscheidung zwischen verfügbarem Kontostand und zinsfrei verfügbarem Guthaben erkennt. Dieser Unterschied wird ihm jedoch durch die Kontoauszugsgestaltung nicht bewusst und ist auch nicht unmittelbar, sondern allenfalls durch Rückrechnung erkennbar.

5. Die in der mündlichen Verhandlung vom Bevollmächtigten der Beklagten aufgestellte Behauptung, die Abweichung zwischen Buchungstag und Datum der Wertstellung, die zu der vom Kläger erhobenen Beanstandung führt, trete nur, zumindest vorrangig bei Rentenbeziehern auf, die aufgrund der ständig in gleicher Höhe wiederkehrenden Beträge jeweils wüssten, dass eine zinsfreie Verfügung erst ab Wertstellungstag möglich sei, trifft schon in tatsächlicher Hinsicht nicht zu. Buchungs- und Wertstellungstag unterscheiden sich auch bei Gehaltsempfängern des öffentlichen Dienstes, bei allen weiteren Empfängern öffentlicher Leistungen und können darüber hinaus aus banktechnischen Gegebenheiten heraus auch bei sonstigen Überweisungen zu Differenzen jeweils dann führen, wenn der Zahlende sein Kreditinstitut entsprechend anweist.

III.

Der Senat ist selbst und ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens in der Lage, die für die Feststellung der Irreführungsgefahr maßgebliche Verkehrsauffassung festzustellen.

Maßgeblich für die Frage, ob eine Irreführung vorliegt, ist die Bedeutung, die ein nicht völlig unbeachtlicher Teil der Verkehrskreise, an die sich die Ankündigung richtet, dieser in ungezwungener Auffassung beilegt (Baumbach/Hefermehl, a. a. O., § 3 Rn. 27 m. w. N.). Keineswegs muss der überwiegende Teil oder gar die Gesamtheit der Verkehrsteilnehmer irregeführt werden. Allerdings lässt sich kein allgemeiner Prozentsatz festlegen, bei dessen Überschreitung eine Irreführung anzunehmen ist. Dies richtet sich vielmehr nach den besonderen Umständen des Einzelfalles, wobei bei nur auf unrichtigem Verständnis beruhenden irreführenden, jedoch objektiv richtigen Angaben wegen des geringeren Schutzbedürfnisses des Verkehrs in der Regel eine höhere Irreführungsquote als bei objektiv unrichtigen Angaben erforderlich ist (Baumbach/Hefermehl, a. a. O., Rn. 28 m. w. N.). Ob eine Angabe über geschäftliche Verhältnisse irreführend ist oder nicht, hat dabei das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen nach freier Überzeugung zu entscheiden. Dabei wird in den Fällen, in denen der Richter dem Verbraucherkreis angehört, der von der beanstandeten wettbewerbsrechtlich relevanten Handlung betroffen ist, dessen eigene Lebenserfahrung und Sachkunde im Allgemeinen ausreichen, um zu beurteilen, ob eine Irreführung eines nicht ganz unerheblichen Teils des Verkehrs zu besorgen ist. Reicht das Wissen des Tatrichters weiter als das Wissen des angesprochenen Verkehrskreises im Allgemeinen und ist er selbst für seine Person nicht der Gefahr einer Irreführung ausgesetzt, so schließt dies gewöhnlich nicht aus, dass der Richter den Standpunkt des unbefangenen Durchschnittsbetrachters einnimmt und beurteilen kann, ob eine Irreführungsgefahr besteht (Baumbach/Hefermehl, a. a. O., Rn. 113 m. w. N.).

Sowohl die mit der Entscheidung befassten Richter des Landgerichts als auch die Mitglieder des erkennenden Senats gehören - wie praktisch jedermann - dem betroffenen Verkehrskreis an, sind nämlich Bankkunden und Inhaber eines Girokontos. Nach ihrer eigenen Erfahrung gilt das vornehmliche Interesse des Kunden bei Durchsicht der Kontounterlagen dem dort ausgewiesenen Kontostand. Nicht ohne Grund wird dieser auf den Kontoauszügen durch die Beklagte optisch hervorgehoben. Aufgrund dieser objektiven, im einzelnen bereits unter II. 3. dargelegten Gründe steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Gestaltung der Kontoauszüge zur Irreführung geeignet ist und tatsächlich auch ein hoher Prozentsatz des hier betroffenen Verbraucherkreises durch die Gestaltung der Kontoauszüge darüber irregeführt wird, dass der als Kontostand ausgewiesene Betrag zwar verfügbar ist, also abgehoben, über diesen jedoch nicht zinsfrei verfügt werden kann.

IV.

Das Handeln der Beklagten erfolgt auch im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken.

1. Dass die Beklagte im geschäftlichen Verkehr tätig wird, wird von dieser selbst nicht bezweifelt. Zum geschäftlichen Verkehr gehört jede Tätigkeit, die in irgendeiner Form der Förderung eines beliebigen Geschäftszwecks dient; nur das, was rein amtlich oder rein privat ist, hat keinen geschäftlichen Charakter.

2. Die Beklagte handelt auch zu Zwecken des Wettbewerbs. Wie der Bundesgerichtshof in seiner die Kontostandsauskunft am Geldautomaten betreffenden Entscheidung (WM 2002, 1967 ff.) ausgeführt hat, kann auch die Nicht- oder Schlechterfüllung vertraglicher Pflichten eine Wettbewerbshandlung sein, wenn der Kaufmann seinen Vorteil dadurch sucht, dass er eine Irreführung seiner Kunden zum Mittel des Wettbewerbs macht. Ein Handeln im Wettbewerb ist gegeben, wenn ein objektiv als Wettbewerbshandlung zu beurteilendes Verhalten in der Absicht erfolgt, den eigenen oder fremden Wettbewerb zum Nachteil eines anderen zu fördern, sofern diese Absicht nicht völlig hinter anderen Beweggründen zurücktritt. Bei einer objektiv auf den Wettbewerb bezogenen Handlung eines Wirtschaftsunternehmens gilt eine tatsächliche Vermutung für ein Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs. Dies ist auch im vorliegenden Fall anzunehmen, da das Handeln der Beklagten geeignet ist, Kunden durch die Vermittlung von unrichtigen Vorstellungen über das zinsfrei verfügbare Guthaben zu Abhebungen zu bewegen, die letztlich der Beklagten in Form von Zinszahlungen zugute kommen. Ob eine solche Vorgehensweise in der Branche verbreitet oder gar üblich ist, ist unerheblich, da das Vorgehen der Beklagten jedenfalls die Lauterkeit des Wettbewerbs dadurch beeinträchtigt, dass es Mitbewerber in ihrem Verhalten verstärken oder diese veranlassen kann, ebenso zu verfahren, um nicht im Wettbewerb zurückzufallen (BGH, a.a.O.).

V.

Der Senat hat die Revision zugelassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die weiteren Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.






OLG Celle:
Urteil v. 16.06.2004
Az: 3 U 38/04


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/e12dd9577b01/OLG-Celle_Urteil_vom_16-Juni-2004_Az_3-U-38-04




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share