Landgericht Düsseldorf:
Urteil vom 24. August 2011
Aktenzeichen: 12 O 177/10

(LG Düsseldorf: Urteil v. 24.08.2011, Az.: 12 O 177/10)

Tenor

I. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt,

1. an die Klägerin zu 2) 1.200,00 €, an die Klägerin zu 3) 600,00 € und an die Klägerin zu 4) 1.200,00 €;

2. an die Klägerinnen zur gesamten Hand einen Betrag in Höhe von 2.380,80 €,

jeweils nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.05.2010 zu zahlen.

II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

III. Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits gesamtschuldnerisch.

IV. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Mit der vorliegenden Klage begehren die Klägerinnen von den Beklagten Schadensersatz und die Erstattung von Abmahnkosten wegen des unberechtigten Zugänglichmachens verschiedener Musiktitel.

Die Klägerinnen gehören zu den führenden deutschen Tonträgerherstellern und sind Inhaberinnen der ausschließlichen Nutzungsrechte sowohl der ausübenden Künstler als auch der Tonträgerhersteller an ca. 80 % der 265 Audio-Dateien, die im vorliegenden Fall zum Download verfügbar gemacht wurden und an den auf Seite 5-6 der Anspruchsbegründung vom 31.05.2010 aufgeführten 80 Audio-Dateien.

Die Klägerinnen lassen regelmäßig umfangreiche Ermittlungen auf Leistungsschutzrechtsverletzungen durch unautorisierte Internetangebote durchführen. Ein entsprechender Dienstleister ist die A. Die A. ermittelte im Auftrag der Klägerinnen hinsichtlich des unautorisierten Verwertens von Tonaufnahmen auch in diesem Fall.

Die A. stellte fest, dass am 15.11.2006 um 15:31:01 Uhr unter der IP-Adresse B. mittels einer Filesharing-Software, die auf dem Gnutella-Protokoll basiert, 265 Audio-Dateien zum Download verfügbar gemacht wurden.

Nach Protokollierung der einzelnen Ermittlungsschritte wurde seitens der Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen mit Datum vom 05.12.2006 Strafantrag gegen Unbekannt bei der Staatsanwaltschaft Hannover gestellt.

Die im Rahmen der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Hannover vom Internet-Serviceprovider C. erhaltene Auskunft nach Namen und Anschrift des Inhabers der streitgegenständlichen IP-Adresse B. ergab, dass die fragliche IP-Adresse zum Tatzeitpunkt dem Internetanschluss der Beklagten zu 1) zugeordnet war.

Durch Akteneinsicht bei der Staatsanwaltschaft Hannover erhielten die Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen Kenntnis von der Person und Anschrift der Beklagten zu 1). Mit Schreiben vom 15.02.2007 forderten die Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen die Beklagte zu 1) namens und in Vollmacht der Klägerinnen zur Unterlassung der rechtsverletzenden Handlungen sowie zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung bis zum 26.02.2007 auf.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 26.02.2007 gab der Beklagte zu 2) eine entsprechende strafbewehrte Unterlassungserklärung ab. Zudem überreichten die Beklagten jeweils eine eidesstattliche Versicherung mit dem Inhalt, dass nicht die Beklagte zu 1), sondern der Beklagte zu 2) die Tauschbörse genutzt habe.

Am 30.12.2009 haben die Klägerinnen einen Mahnbescheid gegen die Beklagten bei dem Amtsgericht Hamburg beantragt, der am 05.01.2010 erlassen und am 09.01.2010 zugestellt wurde. Am 14.01.2010 haben die Beklagten Widerspruch eingelegt. Am selben Tag wurden die Kosten für das streitige Verfahren angefordert. Am 03.05.2010 ist die vollständige Zahlung erfolgt. Am 10.05.2010 sind die Akten bei Gericht eingegangen.

Die Klägerinnen beantragen,

die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an die Klägerin zu 2) 1.200,00 €, an die Klägerin zu 3) 600,00 € und an die Klägerin zu 4) 1.200,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an die Klägerinnen zur gesamten Hand einen Betrag in Höhe von 2.925,60 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte zu 2) behauptet, er habe nicht gewusst, dass die Dateien auch zum Download durch Dritte bereitstehen.

Die Beklagten sind der Ansicht, der geltend gemachte Schadensersatz sei überhöht. Allenfalls angemessen sei es, auf die Vergütung für Streaminginhalte bei "D." Rückgriff zu nehmen.

Hinsichtlich der näheren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die wechselseitig zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

Den Klägerinnen steht gegen die Beklagten ein Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von insgesamt 3.000,00 €, wobei 1.200,00 € auf die Klägerin zu 2) für die Titel "E." von "F.", "G." von "H.", "I." von "J.", "K." von "J.", 600,00 € auf die Klägerin zu 3) für die Titel "L." und "M." von "N." und 1.200,00 € auf die Klägerin zu 4) für die Titel "O." von "P.", "Q.", "R." und "S." von "T." entfallen, gemäß § 97 Abs. 2 UrhG bzw. § 832 BGB zu.

Die Klägerinnen sind Inhaberinnen der ausschließlichen Nutzungsrechte an den streitgegenständlichen Musikaufnahmen im Sinne der §§ 16, 17, 19a UrhG. Dies haben die Beklagten nicht bestritten. Bei diesen Musikdateien handelt es sich um geschützte Werke im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 UrhG.

Diese Rechte, insbesondere aus § 19a UrhG, sind widerrechtlich verletzt worden, indem die streitgegenständlichen Musikaufnahmen am 15.11.2006 um 15:31:01 Uhr mittels einer Filesharing-Software von dem Anschluss der Beklagten zu 1) mit der IP-Adresse B. zum Herunterladen verfügbar gemacht wurden, ohne dass dazu eine Rechteeinräumung durch die Klägerinnen vorlag.

Die Beklagte zu 1) hat zwar die streitgegenständlichen Musikaufnahmen nicht selbst zum Download angeboten. Vielmehr hat ihr Sohn, der damals 17-jährige Beklagte zu 2), die Musikaufnahmen angeboten. Die Beklagte zu 1) haftet hier dennoch nach § 832 BGB. Dabei ist davon auszugehen, dass sich bei Kindern das Maß der gebotenen Aufsicht nach Alter, Eigenart und Charakter, aber auch nach der Voraussehbarkeit schädigenden Verhaltens richtet (vgl. Sprau in: Palandt, BGB, 70. Auflage 2011, § 832 Rn. 8 mwN). Insbesondere in Situationen mit erhöhtem Gefährdungspotential besteht eine gesteigerte Aufsichtspflicht (vgl. Palandt, aaO). Die darlegungs- und beweisbelastete Beklagte zu 1) hat vorliegend nicht ausreichend dargelegt, dass sie diesen Aufsichtspflichten nachgekommen ist. Vielmehr zeigen die Darlegungen der Beklagten zu 1) gerade, dass sie keine hinreichenden Maßnahmen getroffen hat, um die Rechtsverletzungen ihres Sohnes zu verhindern. So hatte dieser die Möglichkeit, entsprechende Downloadportale zu benutzen. Des Weiteren zeigt der Vortrag des Beklagten zu 2), er habe nicht gewusst, dass durch das Herunterladen der streitgegenständlichen Musikaufnahmen auch unberechtigte Dritte möglicherweise hätten Zugriff nehmen können, dass die Beklagte zu 1) ihren Sohn nicht in ausreichendem Maße über mögliche Gefahren des Internets aufgeklärt hat. Damit ist sie ihrer nach § 832 BGB bestehenden Aufsichtspflicht nicht nachgekommen (vgl. insoweit auch LG Köln, Urt. v. 22.12.2010, Az: 28 O 585/10).

Der Beklagte zu 2) hat unstreitig die streitgegenständlichen Musikaufnahmen selbst zum Download angeboten und haftet daher als Täter, so dass sich der begehrte Schadensersatzanspruch der Klägerinnen gegen den Beklagten zu 2) aus § 97 Abs. 2 UrhG ergibt. Der Beklagte zu 2) handelte auch schuldhaft. Im Urheberrecht gelten generell hohe Sorgfaltsanforderungen und daher begründet bereits leichte Fahrlässigkeit den Vorwurf einer Sorgfaltspflichtverletzung (vgl. BGH, GRUR 1993, 34, 36 - Bedienungsanweisung). Dies gilt erst recht, wenn - wie hier - Musikdateien unberechtigt zum Herunterladen im Internet verfügbar gemacht werden. Eine solche Verhaltensweise führt zu einer hochgradigen Gefährdung der Verwertungsrechte des Urhebers. Ein Nutzer von Filesharing-Programmen hat sich daher umfassend über die technische Ausgestaltung dieser Programme zu informieren. Dies hat der Beklagte zu 2) unterlassen. Die Einsichtsfähigkeit des Beklagten zu 2) wird gemäß § 828 Abs. 3 BGB vermutet. Entgegenstehende Anhaltspunkte sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist nicht nachzuvollziehen, dass der Beklagte zu 2) die Funktion einer Tauschbörse nicht kannte, jedoch wusste, auf welche Weise er diese Tauschbörse nutzen kann.

Die Klägerinnen können den Schadensersatzanspruch nach den Grundsätzen der Lizenzanalogie berechnen. Hiernach steht den Klägerinnen eine angemessene Lizenzgebühr in der Höhe zu, die vernünftige Parteien bei Abschluss eines fiktiven Lizenzvertrages in Kenntnis der wahren Rechtslage und der konkreten Umstände des Einzelfalls als angemessene Lizenzgebühr vereinbart hätten.

Die Höhe des Schadensersatzanspruchs kann anhand der Angaben der Klägerinnen auf den geforderten Betrag von insgesamt 3.000,00 € geschätzt werden (§ 287 ZPO). Der von den Klägerinnen herangezogene GEMA-Tarif VR-W I, der für bis zu 10.000 Streams eine Mindestvergütung von 100,00 € vorsieht, erscheint der Kammer als Ausgangspunkt für die Schätzung geeignet (vgl. bereits Landgericht Düsseldorf, Urt. v. 24.11.2010, Az: 12 O 521/09). Denn zum einen ist die Anzahl der Downloads weder bekannt, noch sind die Filesharing-Programme auf eine Erfassung der Anzahl der Downloads angelegt. Zum anderen führt die Möglichkeit, dass sich die Abrufe zahlenmäßig im unteren Bereich halten, nicht zur Untauglichkeit des Tarifs als Schätzungsgrundlage, denn der Verletzer trägt das Risiko der wirtschaftlichen Verwertung einer Pauschallizenz (vgl. Dreier/Schulze, 3. Aufl. 2008, § 97 UrhG Rn. 62). Da Streams im Gegensatz zu den von den Beklagten ermöglichten Downloads nicht auf eine dauerhafte Speicherung ausgerichtet sind und eine Speicherung beispielsweise gemäß § 6 der Nutzungsbedingungen von D. nicht erlaubt ist, ist zunächst ein Aufschlag von 50 % gerechtfertigt. Die unkontrollierbare Zahl möglicher Tauschbörsenteilnehmer und Downloads und der Umstand, dass die Ermöglichung eines Downloads in einem Filesharing-Netzwerk mittelbar zu einer Vervielfachung der Verbreitung führt, da die Filesharing-Programme in ihren Grundeinstellungen vorsehen, dass eine heruntergeladene Datei ihrerseits wieder zum Abruf bereitgehalten wird, lässt eine Verdoppelung dieses Betrages auf den Betrag von 300,00 € pro Titel als angemessen erscheinen. Für die streitgegenständlichen zehn Musikdateien ergibt sich somit ein Betrag von 3.000,00 €, wobei 1.200,00 € auf die Klägerin zu 2), 600,00 € auf die Klägerin zu 3) und 1.200,00 € auf die Klägerin zu 4) entfallen.

Zudem steht den Klägerinnen gegen die Beklagten ein Anspruch auf Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten gemäß §§ 670, 677, 683 BGB zu, jedoch lediglich in Höhe von 2.380,80 € zu. Die Abmahnung war aufgrund der vorstehenden Erwägungen berechtigt. Die Einschaltung eines Rechtsanwaltes war grundsätzlich erforderlich im Sinne von § 670 BGB. Es entspricht einem allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, dass derjenige, der zur Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen aufgrund einer Urheberrechtsverletzung berechtigt ist, die notwendigen Kosten einer berechtigten Abmahnung nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag ersetzt verlangen kann, ohne dass es darauf ankommt, ob den Abgemahnten an der Urheberrechtsverletzung ein Verschulden trifft. Weil die Abmahnung einer Beseitigung der rechtswidrigen Störung dient, zu welcher der Störer nach § 1004 BGB verpflichtet ist, führt der Abmahnende insoweit ein objektiv fremdes Geschäft. Hierbei handelt er in der Regel auch mit dem Willen, für den Störer tätig zu sein, nämlich im Einklang mit dem Interesse und dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Abgemahnten, eine kostspielige Unterlassungsklage zu vermeiden. Eine explizite Abmahnung gegenüber dem Beklagten zu 2) war nicht erforderlich, da ihm die Abmahnung gegenüber der Beklagten zu 1) zur Kenntnis gelangt ist und er daraufhin eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben hat.

Der Höhe nach steht den Klägerinnen neben der Auslagenpauschale in Höhe von 20,00 € jedoch nur eine 1,3 Gebühr nach VV 2300 zum RVG zu. Die Berechnung eines Gegenstandswertes von 50.000,00 € für jede der vier Klägerinnen, mithin insgesamt 200.000,00 €, ist der Höhe nach nicht zu beanstanden. Die Abmahnung diente dem Ziel, ein weiteres Anbieten von zugunsten der jeweiligen Klägerin geschützten Musikaufnahmen im Internet zum Download zu verhindern. Dieses Interesse ist als erheblich anzusehen, da bei einer Fortsetzung der Teilnahme an der Tauschbörse ein erneutes Einstellen von Titeln in nicht vorhersehbarer Anzahl drohte. Dieses Interesse war noch dadurch gesteigert, dass von dem Internetanschluss der Beklagten zu 1) bereits in erheblichem Umfang Rechtsverletzungen vorgenommen worden waren. So sind am 15.11.2006 insgesamt 265 Audio-Dateien zum Download angeboten worden. Entgegen der Auffassung der Klägerinnen steht ihnen die Gebühr gemäß VV 2300 zum RVG nicht in einer den Satz von 1,3 übersteigenden Höhe zu, weil die Tätigkeit im Abmahnverfahren weder schwierig noch umfangreich war. Es ist davon auszugehen, dass die Erarbeitung der Abmahnung für ihre auf die Materie spezialisierten Rechtsanwälte keinen überdurchschnittlichen Aufwand erfordert hat. Insbesondere brachte es auch keinen Mehraufwand mit sich, die Abmahnung statt nur für einen Mandanten für die vier Klägerinnen auszusprechen (vgl. insoweit auch OLG Köln, Urt. v. 23.12.2009, Az: 6 U 101/09). Zudem erscheint die Ansetzung einer 1,6 Gebühr unbillig. Unbilligkeit ist nach Auffassung der Kammer anzunehmen, wenn eine Abweichung von mehr als 20 % über dem Mittelwert, einer 1,3 Gebühr, vorliegt. Dies ist vorliegend der Fall.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 288, 291 BGB. Rechtshängigkeit trat gemäß § 696 ZPO mit Eingang der Akten am 10.05.2010 ein. § 696 Abs. 3 ZPO greift nicht ein, da die Sache nicht alsbald nach Widerspruchseinlegung abgegeben wurde. Der Widerspruch wurde am 14.01.2010 eingelegt. Am selben Tag wurden die Kosten für das streitige Verfahren angefordert. Die Zahlung der Kosten für das streitige Verfahren erfolgte jedoch erst am 03.05.2010.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 100 Abs. 4 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1, S. 2 ZPO.

S t r e i t w e r t: 5.925,60 €

von Gregory

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LG Düsseldorf:
Urteil v. 24.08.2011
Az: 12 O 177/10


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