Bundespatentgericht:
Beschluss vom 11. Oktober 2001
Aktenzeichen: 25 W (pat) 91/00

(BPatG: Beschluss v. 11.10.2001, Az.: 25 W (pat) 91/00)

Tenor

1) Auf die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke wird der Beschluß der Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 1. März 2000 aufgehoben, soweit die Löschung der angegriffenen Marke wegen des Widerspruchs aus der Marke 735 964 angeordnet worden ist.

2) Der Widerspruch aus der Marke 735 964 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Bezeichnung SOTAL ist gemäß § 6a WZG am 26. August 1992 in das Markenregister eingetragen worden und nach einer zuletzt im Beschwerdeverfahren erklärten Einschränkung des Warenverzeichnisses noch geschützt für

"Arzneimittel, nämlich verschreibungspflichtige Herz-Kreislauf-Mittel".

Widerspruch erhoben hat ua die Inhaberin der älteren, am 26. April 1960 ua für

"Arzneimittel"

eingetragenen Marke 735 964 TOGAL, deren Benutzung nicht bestritten ist.

Die Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamts hat mit Beschluß vom 1. März 2000 durch eine Beamtin des höheren Dienstes die Verwechslungsgefahr zwischen der angegriffenen Marke und der Widerspruchsmarke "TOGAL" bejaht und die Löschung der angegriffenen Marke angeordnet. In amtsbekannter Weise werde jedenfalls auf dem Gebiet der Schmerzmittel von einer erhöhten Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke "TOGAL" ausgegangen. Nach der Registerlage sei Warenidentität möglich. Bei Berücksichtigung der erhöhten Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke "TOGAL" nur für Schmerzmittel sei von enger Ähnlichkeit der Herz-Kreislauf-Präparate mit Schmerzmitteln auszugehen. Mangels einer Rezeptpflicht kämen auch Laien als Verkehrskreise in Frage. Es sei in relevantem Ausmaß mit klanglichen Verwechslungen der Marken zu rechnen.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke mit dem Antrag, den Beschluß der Markenstelle vom 1. März 2000 aufzuheben und den Widerspruch aus der Marke 735 964 zurückzuweisen.

Sie hat im Beschwerdeverfahren das Warenverzeichnis durch Aufnahme der Verschreibungspflicht beschränkt und ausgeführt, daß von einer erhöhten Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke ohne einen entsprechenden Vortrag nicht ausgegangen werden könne. Darüber hinaus hat sie zur Verwechslungsgefahr nicht Stellung genommen.

Die Widersprechende beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Auch nach Einschränkung der Waren der angegriffenen Marke auf verschreibungspflichtige Präparate sei von enger markenrechtlicher Warenähnlichkeit auszugehen. Beim Umgang mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln dürften nicht akademische Hilfskräfte nicht vernachlässigt werden. Bei der Widerspruchsmarke handele es sich um eine seit Jahrzehnten am Markt für rezeptfreie Schmerzmittel eingeführte Marke, die seit jeher einen Spitzenplatz gegenüber Konkurrenzprodukten eingenommen habe. So sei auch im Senatsbeschluß vom 9. Juli 1992 betreffend das Verfahren 25 W (pat) 149/90 "Boval / Togal" der Marke "Togal" ein erhöhter Schutzumfang für "Schmerzmittel" und verwandte Waren des Arzneimittelbereichs zugebilligt worden. Nach der vorgelegten Kopie aus "Markenprofile 8", Ausgabe 2000 der "Stern Bibliothek" werde die Marke "Togal" in ihrem Bekanntheitsgrad unter Berücksichtigung von dreißig Konkurrenzprodukten auf dem Gebiet der Schmerzmittel nur von den Arzneimitteln "Aspirin" und "Spalt" übertroffen. Die jüngere Marke lehne sich in ihrer Grundstruktur, nämlich in der Silbenzahl, Betonung und Vokalfolge sowie weiteren Übereinstimmungen eng an die Widerspruchsmarke an, so daß selbst bei normaler Kennzeichnungskraft der älteren Marke eine Verwechslungsgefahr bestehe, zumal beide Wörter keine begrifflichen Unterscheidungshilfen aufwiesen.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

Nach Auffassung des Senats besteht keine Gefahr von Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG, der hier nach §§ 152, 158 Abs 2 Satz 2, 42 Abs 2 Nr 1 MarkenG Anwendung findet, so daß der nach § 42 Abs 2 Nr 1 MarkenG erhobene Widerspruch gemäß § 43 Abs 2 Satz 2 MarkenG zurückzuweisen ist.

Da Benutzungsfragen im vorliegenden Verfahren nicht aufgeworfen sind, ist bei den Waren von der Registerlage auszugehen. Danach stehen den Waren "Arzneimittel", für die die Widerspruchsmarke ua eingetragen ist, auf Seiten der angegriffenen Marke nach Einschränkung des Warenverzeichnisses "Arzneimittel, nämlich verschreibungspflichtige Herz-Kreislauf-Mittel" gegenüber. Somit können sich die Marken im Bereich der "Herz-Kreislauf-Mittel" weiterhin auf identischen Waren begegnen, da diese speziellen Mittel von dem weiten Oberbegriff "Arzneimittel" im Warenverzeichnis der Widerspruchsmarke umfaßt werden. Verwechslungsmindernd wirkt sich dabei die nunmehr im Warenverzeichnis der angegriffenen Marke verankerte Verschreibungspflicht aus. Denn bei rezeptpflichtigen Präparaten ist jedenfalls überwiegend auf die Verwechslungsgefahr in den Fachkreisen von Ärzten und Apothekern abzustellen (vgl hierzu BGH GRUR 1995, 50, 52 "Indorektal/Indohexal"; MarkenR 1999, 154, 156 "Cefallone"; MarkenR 2000, 138, 139 "Ketof/ETOP"; BPatG Pharma Recht 2000, 217, 219 "Taxanil"), was in gewissem Umfang auch bei nur einseitiger Rezeptpflicht gelten muß (vgl hierzu BGH "Cefallone" und "Ketof/ETOP" jeweils aaO). Wenngleich mündliche Markenbenennungen dadurch nicht ausgeschlossen sind, führt die Rezeptpflicht dazu, daß verminderte Anforderungen an den Markenabstand zu stellen sind, weil Fachleute aufgrund ihrer beruflichen Praxis und Erfahrung im Umgang mit Arzneimitteln regelmäßig sehr sorgfältig sind und deshalb Markenverwechslungen weniger unterliegen als Endverbraucher. Auch bei Endverbrauchern ist allerdings davon auszugehen, daß grundsätzlich nicht auf einen sich nur flüchtig mit der Ware befassenden, sondern durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher abzustellen ist, dessen Aufmerksamkeit je nach Art der Ware oder Dienstleistung unterschiedlich hoch sein kann (vgl BGH MarkenR 2000, 140, 144 ATTACHÉ / TISSERAND; BGH GRUR 1998, 942, 943 li Spalte - ALKA-SELTZER; EuGH MarkenR 1999, 236, 239 unter 24. - Lloyd / Loints) und der insbesondere allem, was mit der Gesundheit zusammenhängt, eine gesteigerte Aufmerksamkeit beizumessen pflegt (vgl BGH GRUR 1995, 50, 53 - Indorektal/Indohexal; HABM MarkenR 2000, 451, 453 f - R 303/1999-2 "PONALAR/BONOLAT").

Mit diesem von der Rechtsprechung entwickelten Verbraucherleitbild ist im übrigen die von der Widersprechenden bei nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln befürwortete deutliche Minderung des bei allgemeinen Verkehrskreisen insoweit anzusetzenden Aufmerksamkeitsgrades nicht zu vereinbaren. Die Annahme, daß auch Endverbraucher Kennzeichnungen auf medizinischem oder allgemein die Gesundheit betreffendem Gebiet mit erhöhter Aufmerksamkeit begegnen, bezieht sich nämlich auf die Art der entsprechenden Waren, nicht aber auf die jeweilige Vertriebs- oder Verkaufsstätte. Es ist daher entgegen der Ansicht der Widersprechenden weder zu erwarten noch liegen konkrete Anhaltspunkte dafür vor, daß Endverbraucher bei der Auswahl und dem Erwerb von nicht apothekenpflichtigen Arzneimitteln nur deshalb eine geringere Aufmerksamkeit und Sorgfalt aufwendeten, weil einige dieser Waren nach ihrem Vortrag nunmehr auch in Verkaufsstätten außerhalb von Apotheken, wie Drogeriemärkten oder gar Tankstellen und Discountläden angeboten werden.

Für die vorliegende Entscheidung kann nach Auffassung des Senats im Hinblick auf das Vorbringen der Widersprechenden zur intensiven Benutzung und Marktstellung und die dazu eingereichten Unterlagen eine gesteigerte Kennzeichnungskraft und ein entsprechend erweiterter Schutzumfang der Widerspruchsmarke für "Schmerzmittel", für die die Marke auch in der Roten Liste 2001 (Hauptgruppe 05 "Analgetika/Antirheumatika") eingetragen ist, unterstellt werden. Zwar ist anerkannt, daß die erhöhte Kennzeichnungskraft einer Marke auf eng verwandte Waren ausstrahlen kann, so daß auch insoweit ein erweiterter Schutzumfang in Betracht kommt (vgl Althammer/Ströbele, MarkenG, 6. Aufl, § 9 Rdn 140 mwN). Die speziellen Arzneimittel der angegriffenen Marke, nämlich "Herz-Kreislauf-Mittel", weisen gegenüber "Schmerzmitteln" jedoch eine relativ deutliche Indikationsverschiedenheit auf, wenngleich die markenrechtliche Warenähnlichkeit dieser Arzneimittel ohne Zweifel gegeben ist. Die Unterschiede im Anwendungsbereich und -zweck führen jedenfalls dazu, daß sich die Ausstrahlungswirkung einer für "Schmerzmittel" angenommenen erhöhten Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke nur in vermindertem Umfang auf die "Herz-Kreislauf-Mittel" erstreckt. Demzufolge kann für diesen zuletzt genannten Bereich, in dem allein sich die Marken auf identischen Waren begegnen können, nicht mehr von demselben Schutzumfang der Widerspruchsmarke wie im Bereich der Schmerzmittel, sondern nur von einem demgegenüber verminderten Schutzumfang ausgegangen werden.

Es kann hier letztlich dahinstehen, ob bei Zugrundelegung eines erheblich erweiterten Schutzumfangs der älteren Marke auch für den Bereich identischer Waren und - wie es der Verfahrenslage bei Abfassung des angefochtenen Beschlusses entsprach - bei fehlender Rezeptpflicht eine Verwechslungsgefahr zu bejahen wäre, wofür dann durchaus einiges sprechen würde. Die nunmehr in das Warenverzeichnis der jüngeren Marke aufgenommene Verschreibungspflicht führt jedoch nicht nur - wie dargelegt - zu einer verstärkten Berücksichtigung des Fachverkehrs, sondern auch dazu, daß mündliche Markenbenennungen deutlich reduziert werden und der schriftbildliche Markenvergleich um so mehr in den Vordergrund rückt. In Anbetracht des weiteren Umstands, daß eine erhöhte Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke nur in eingeschränktem Umfang auf die "Herz-Kreislauf-Mittel" der angegriffenen Marke und somit den Bereich möglicher Warenidentität ausstrahlt, reichen die Unterschiede der Marken noch aus, um eine Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG zu verneinen, wenngleich es sich hier bereits um einen Grenzfall handeln mag.

Zunächst ist im schriftbildlichen Vergleich, der aufgrund der Verschreibungspflicht auf Seiten der angegriffenen Marke mehr im Vordergrund steht, ein Auseinanderhalten der zudem relativ kurzen und gut überschaubaren Marken in allen üblichen Wiedergabeformen aufgrund der deutlichen figürlichen Abweichungen zwischen den Buchstaben "S" und "T" am ohnehin regelmäßig aufmerksamer beachteten Wortanfang (vgl hierzu BGH GRUR 1995, 50 ff, 53 - Indorektal/Indohexal) sowie "T" und "G" in der Wortmitte auch angesichts der vorhandenen Übereinstimmungen insgesamt gewährleistet. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß das Schriftbild der Marken erfahrungsgemäß sehr viel besser eine ruhige oder auch wiederholte Wahrnehmung der Bezeichnung gestattet als das schnell verklingende gesprochene Wort. Zudem wirkt sich die aufgrund der Verschreibungspflicht im Warenverzeichnis der angegriffenen Marke verstärkte Einschaltung des Fachverkehrs auch im Rahmen der schriftbildlichen Verwechslungsgefahr deutlich verwechslungsmindernd aus, da die berufliche Praxis, die Fachkenntnisse und die Vertrautheit im Umgang mit Arzneimittelmarken auch die Erfassung schriftlicher Abweichungen sowie etwaiger Sinngehalte der Bezeichnungen (hier: Anlehnung der angegriffenen Marke an den auf dem entsprechenden Warengebiet eingesetzten Wirkstoff/INN "Sotalol") wesentlich erleichtert und die Unterscheidungsfähigkeit fördert. Soweit auf Seiten der Widerspruchsmarke auch von rezeptfreien Waren ausgegangen werden muß, kommt dem schriftbildlichen Markenvergleich ebenfalls erhebliche Bedeutung zu, weil einerseits auch nichtverschreibungspflichtige Arzneimittel allein im Hinblick auf die Kostenerstattung häufig ärztlich verordnet werden und andererseits im Geschäft beim Kauf auf Sicht die auf den angebotenen Produkten angebrachten Marken mit dem Erinnerungsbild der gewünschten Marke verglichen werden.

Soweit mündliche Markenbenennungen noch zu beachten sind, ist der erforderliche Markenabstand unter den genannten Umständen ebenfalls noch eingehalten, wenngleich die Entscheidung insoweit im Verhältnis zum schriftbildlichen Markenvergleich auch knapper ausfallen mag. Denn durch die klanglichen Abweichungen der Konsonanten an den auch hier erfahrungsgemäß besonders beachteten Wortanfängen und der Eingangslaute der jeweiligen Endsilben heben sich die Bezeichnungen im klanglichen Gesamteindruck trotz der Übereinstimmung in der Silbenzahl, Vokalfolge und der Endung "-al" noch voneinander ab. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, daß im Rahmen der Prüfung der Verwechslungsgefahr insbesondere auf die unterscheidenden und dominierenden Elemente der Zeichen abzustellen ist (EuGH GRUR 1998, 387, 390 Tz 23 "Sabel/Puma"; GRUR Int 1999, 734 "Lloyd/Loint's"; GRUR 1999, 587 "Cefallone"; GRUR 1999, 735 "MONOFLAM/POLYFLAM"). Jedenfalls führt ein rein zahlenmäßiges Übergewicht von übereinstimmenden Buchstaben nicht zwangsläufig dazu, daß die Verwechslungsgefahr stets oder auch nur häufig bejaht werden muß. Bei der Beurteilung der Markenähnlichkeit als einem der wesentlichen Elemente für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr ist vielmehr der Gesamteindruck der Kollisionsmarken das maßgebliche Kriterium (vgl hierzu Althammer/Ströbele MarkenG, 6. Aufl, § 9 Rdn 80). Dieser Gesamteindruck kann vor allem bei verhältnismäßig kurzen und leicht erfaßbaren Bezeichnungen wie den vorliegenden Marken durch quantitativ geringere, aber markante Abweichungen - wie hier insbesondere in den Wortanfängen - bereits ausreichend verschieden ausfallen.

Die Widersprechende kann sich schließlich nicht mit Erfolg auf den Senatsbeschluß vom 9. Juli 1992 betreffend das Verfahren 25 W (pat) 149/90 "Boval / Togal" berufen. Dort war ausgeführt, der Marke "Togal" könne ein erhöhter Schutzumfang für "Schmerzmittel" und eng verwandte Waren des Arzneimittelkernbereichs zugebilligt werden, wozu die Mittel des angemeldeten Zeichens durchaus gehören könnten. Der maßgebliche Unterschied zu dem hier vorliegenden Fall besteht jedoch darin, daß nach dem Warenverzeichnis des dort angemeldeten Zeichens ("Pharmazeutische Erzeugnisse, nämlich verschreibungspflichtige Arzneimittel, ausgenommen Analgetika und Antirheumatika") Waren zu berücksichtigen waren, die den "Schmerzmitteln" wesentlich enger als die hier verfahrensgegenständlichen "Herz-Kreislauf-Mittel" verwandt sind, und auf die sich deshalb der erhöhte Schutzumfang der Widerspruchsmarke erstrecken konnte.

Nach alledem war der angefochtene Beschluß der Markenstelle, soweit die Löschung der angegriffenen Marke wegen des Widerspruchs aus der Marke 735 964 angeordnet worden ist, aufzuheben und der Widerspruch zurückzuweisen.

Zu einer Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen bot der Streitfall keinen Anlaß, § 71 Abs 1 MarkenG).

Kliems Engels Brandt Pü






BPatG:
Beschluss v. 11.10.2001
Az: 25 W (pat) 91/00


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