Oberlandesgericht Hamm:
Urteil vom 14. Januar 2010
Aktenzeichen: 4 U 199/09

(OLG Hamm: Urteil v. 14.01.2010, Az.: 4 U 199/09)

Tenor

Die Berufung des Antragstellers gegen das am 18. August 2009 verkündete Urteil der 5. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Münster wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass es im ersten Satz des Tenors des angefochtenen Urteils wie folgt heißt:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten der Berufung.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Der Antragsteller betreibt in N eine Abitur- und Studiennachhilfe. Er bietet Kurse in Biologie, Chemie, Physik und Physiologie insbesondere für Medizinstudierende an. Seine Geschäftsstelle befindet sich in einem Gebäudekomplex auf einem Eckgrundstück an der Kreuzung I-Straße/L-Straße in N. Auf der gegenüberliegenden Seite der Kreuzung befinden sich Gebäude der medizinischen Fakultät der Universität.

Der Antragsteller hat behauptet, die Antragsgegnerin biete über den sog. N2-Club, der einen unselbständiger Betriebsteil bzw. Vertriebsweg der Antragsgegnerin darstelle, bundesweit Seminare zur effektiven Examensvorbereitung für Mediziner an.

Am 24. Juni 2009 bauten mehrere Personen an der Kreuzung I-Straße/L-Straße einen Werbestand auf. Von dort verteilten die in blaue T-Shirts mit Werbeaufschriften gekleideten Personen Flyer mit Werbung und Anmeldeformulare für Kurse des N2-Clubs an Passanten, insbesondere Studierende. Bereits früher einmal hatten Personen einen entsprechenden Stand in Höhe des Eingangs zum gegenüberliegenden Innenhof an der I-Straße in Höhe des Ladenlokals der Buchhandlung L aufgebaut. Zu dem damaligen Zeitpunkt und am 24.6.2009 forderte der Antragsteller vergeblich zu Beendigung der Werbemaßnahme auf.

Mit Schreiben vom 3.7.2009 mahnte der Antragsteller die Antragsgegnerin diesbezüglich vergeblich ab, mit der am 24.7.2009 eingegangenen Antragsschrift vom selben Tage nahm der Antragsteller die Antragsgegnerin auf Unterlassung in Anspruch.

Der Antragsteller hat behauptet, die Antragsgegnerin habe die Werbeaktion verantwortet. Diese habe unmittelbar vor der Eingangstür zur Geschäftsstelle des Antragsstellers, nämlich etwa 6 Schritte davon entfernt, stattgefunden. Er hat gemeint, die Antragsgegnerin habe damit potentielle Kunden des Antragsstellers gezielt abgefangen und Passanten unzumutbar belästigt.

Der Antragsteller hat beantragt,

der Antragsgegnerin aufzugeben, es (beim Meidung von Ordnungsmitteln) ab sofort zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zum Zwecke des Wettbewerbs in einem Umkreis von 25 m vor den Eingangstüren der Geschäftsstelle der Nachhilfe N, I-Straße, N, gezielt potentielle Kunden abzufangen bzw. abfangen zu lassen und ihnen durch Flyer, Anmeldeformulare und sonstiges Informationsmaterial Werbung der N2 GbR über deren Angebote und deren Kurse aufzudrängen bzw. aufdrängen zu lassen.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung abzuweisen.

Sie hat behauptet, es fehle im Hinblick auf die frühere und ihrer Ansicht nach identische Werbemaßnahme bereits am Verfügungsgrund. Im Übrigen seien die Parteien keine Wettbewerber, weil die Antragsgegnerin zwar Trägerin des N2 Clubs sei, dieser jedoch neben einer Zeitung lediglich einen Studienplatztausch und Seminare zur Studienfinanzierung sowie Bewerberworkshops anbiete. An Medizinstudierende gerichtete Repetitorien seien nicht angeboten worden.

Das Landgericht hat den Verfügungsantrag zurückgewiesen mit der Begründung, es fehle an einem Verfügungsanspruch. An einem Unterlassungsanspruch aus § 7 Abs. 1 fehle es, weil der Antragsteller nicht vorgetragen habe, in welcher Weise die Passanten angesprochen worden seien und inwiefern die Form der Ansprache eine unzumutbare Belästigung dargestellt habe. An einer gezielten Behinderung im Sinne von §§ 3, 4 Nr. 10 UWG fehle es, weil sich die Antragsgegnerin nicht zwischen den Antragssteller und seine potentiellen Kunden gestellt habe. Denn die Angesprochenen seien nicht auf ihrem Weg in die Geschäftsräume des Antragstellers abgefangen worden, ihnen sei lediglich ein zusätzliches Leistungsangebot im räumlichen Umfeld des Geschäfts des Antragstellers unterbreitet worden. Dadurch aber würden noch nicht bereits zum Vertragsschluss mit dem Antragsteller entschlossene Passanten umgeleitet oder abgefangen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Antragstellers, mit der er seinen erstinstanzlichen Antrag weiterverfolgt. Er wiederholt und vertieft seinen erstinstanzlichen Vortrag und behauptet zudem, dass mehrere Werbetische auf dem Durchgang zum Geschäftsstelleneingang des Antragstellers postiert worden seien. Er rügt, dass das Landgericht hierzu keine weiteren tatsächlichen Feststellungen getroffen habe. Der Zugang zum Büro des Antragstellers sei insoweit blockiert worden. Hierdurch hätte die Antragsgegnerin auch Besitzbefugnisse des Antragstellers verletzt. Das Landgericht habe zu Unrecht das Verteilen von Handzetteln in der unmittelbaren Nähe des Geschäftslokals des Mitbewerbers nicht als gezielte Behinderung, das gezielte Ansprechen von potentiellen Kunden in unmittelbarer Nähe des Geschäftslokals des Mitbewerbers nicht als unlauter angesehen. Das Verteilen von Handzetteln sei von den Gerichten nur ausnahmsweise als zulässig angesehen worden, nämlich wenn es - anders als hier - in der geschäftsreichen Straße einer Großstadt erfolge. In dem gezielten Ansprechen von Passanten habe zudem eine unsachliche Beeinflussung gelegen, weil den Adressaten kostenlose Leistungen, wie unstreitig überreichte giveaways, angeboten worden seien. Die Antragsteller hätten keineswegs den effektivsten Ort für ihre Werbeaktion gewählt. Dieser habe nämlich auf der gegenüberliegenden Straßenseite in unmittelbarer Nähe zu den Universitätsgebäuden gelegen. Die davon abweichende Standortwahl zeige, dass es der Antragsgegnerin darauf angekommen sei, den Antragsteller gezielt zu behindern. Schließlich liege auch eine Belästigung der Passanten vor, weil diese gezielt angesprochen und dadurch in ihrer Freiheit zur Fortbewegung behindert worden seien.

Der Antragsteller beantragt,

das Urteil des Landgerichts Münster vom 18.08.2009, Az. 25 O 149/09 abzuändern und

den Beklagten zu verurteilen, es (unter Meidung von Ordnungsmitteln) ab sofort zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zum Zwecke des Wettbewerbs in einem Umkreis von 25 m vor den Eingangstüren der Geschäftsstelle des Klägers, der Nachhilfe N, I-Straße, N, gezielt potentielle Kunden abzufangen bzw. abfangen zu lassen und ihnen durch Flyer, Anmeldeformulare und sonstiges Informationsmaterial Werbung der Beklagten über deren Angebote und deren Kurse aufzudrängen bzw. aufdrängen zu lassen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag. Den zusätzlichen tatsächlichen Vortrag dahingehend, dass der Werbestand den Zugang zum Büro des Antragstellers blockiert habe, rügt sie als verspätet nach § 531 Abs. 2 ZPO.

II.

Die zulässige Berufung des Antragstellers ist nicht begründet, weil dem Antragsteller weder ein Unterlassungsanspruch nach § 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 1 mit § 7 Abs. 1 UWG noch ein solcher nach § 3, 4 Nr. 10 UWG zusteht.

1. Da es am Verfügungsanspruch fehlt, können die weiteren Fragen, ob der Unterlassungsanspruch trotz der Verwendung unbestimmter Begriffe noch hinreichend bestimmt ist, ob die Antragsgegnerin passivlegitimiert ist und ob ein Verfügungsgrund besteht, dahingestellt bleiben.

2. Eine Belästigung nach § 7 Abs. 1 liegt nicht vor. Anders als der Antragsteller meint, ist das Ansprechen von Passanten in der Öffentlichkeit zulässig, wenn der Werbende sich - wie hier unstreitig geschehen - einerseits klar als solcher zu erkennen ergibt (BGH GRUR 2005, 443, 445 - Ansprechen in der Öffentlichkeit II), andererseits keine Methoden einsetzt, die sich als aufdringlich oder grob belästigend darstellen. Keine Belästigung kann darin gesehen werden, dass der Werbende in der Öffentlichkeit seinerseits auf Kunden zugeht, weil "die beteiligten Verkehrskreise heute stärker als früher auf die Wahrung eigener Interessen und weniger auf die Einhaltung bestimmter Umgangsformen bedacht sind" (BGH GRUR 2004, 699, 701 - Ansprechen in der Öffentlichkeit I). Mit der lediglich abstrakten Gefahr einer Verstrickung oder Überrumpelung des Verbrauchers lässt sich die Unlauterkeit der Ansprache in der Öffentlichkeit nicht begründen. Für den mündigen Verbraucher besteht nämlich "in der Regel nicht die Gefahr, dass er sich hierdurch zu einem ihm an sich unerwünschten Vertragsschluss bewegen lässt" (aaO. S. 700). Dass der Werbende einen erkennbar der Ansprache entgegenstehenden Willen des Angesprochenen missachtet, etwa indem er diesen am Weitergehen hindert oder ihm folgt (BGH GRUR 2005, 443, 445 - Ansprechen in der Öffentlichkeit II), wurde nicht vorgetragen. Zwar wurde erstmals im Berufungsverfahren vorgetragen, dass die Werbetische so aufgestellt waren, dass Passanten den Werbenden nicht mehr ohne weiteres ausweichen konnten. Diesbezüglich fehlt es allerdings an der erforderlichen Glaubhaftmachung. Weder den Bl. 11 vorgelegten Fotografien noch den vorgelegten eidessstattlichen Versicherungen (Bl. 6, 12) ist Entsprechendes zu entnehmen. Auch im Berufungsverfahren wurde eine ergänzende Versicherung nicht vorgelegt. Allein den vorgelegten Fotos war nicht zu entnehmen, dass die Antragsgegnerin Passanten den Weg derart versperrt hat, dass diese eine unerwünschte Ansprache über sich ergehen lassen mussten. Gegen eine solche Situation spricht überdies, dass sich der Werbestand unstreitig auf dem Gelände einer Eisdiele, also nicht auf dem öffentlichen Gehweg, befand.

3. Eine gezielte Behinderung nach §§ 3, 4 Nr. 10 UWG liegt ebenfalls nicht vor. Denn die Absatztätigkeit des Konkurrenten wurde nicht durch ein unlauteres Abfangen von Kunden beeinträchtigt. Da nicht glaubhaft gemacht wurde, dass konkret Kunden des Antragstellers abgefangen wurden, muss der Antragsteller die Werbung in der Universitätsnähe, die auch er selbst nutzt, um seine Leistungen anzubieten, dulden.

Unbestrittenermaßen hat kein Kaufmann das Recht auf Erhaltung seines bisherigen Kundenstammes. Der Versuch von Konkurrenten, Kunden ihrer Mitbewerber für sich zu gewinnen, ist wettbewerbsimmanent (BGH GRUR 1963, 197, 200 - Zahnprothesen-Pflegemittel; GRUR 1986, 547, 548 - Handzettelwerbung, WRP 2005, 874, 875 - Kündigungshilfe). Ebenso wenig kann angenommen werden, dass ein Wettbewerber, der sich in einer günstigen Lage zu seiner typischen Kundenzielgruppe befindet, ein Recht auf eine konkurrentenfreie und nur von ihm allein nutzbare Werbezone hat. Die Werbung in räumlicher Nähe zum Geschäftslokal des Antragstellers genügt für sich genommen nicht, um von einem unlauteren Abfangen von Kunden zu sprechen. Eine unlautere Absatzbehinderung setzt zusätzliche, die Unlauterkeit begründende Merkmale voraus (vgl. BGH GRUR 1963, 197, 201 - Zahnprothesen-Pflegemittel).

Die Rechtsprechung zu § 1 UWG a.F. hat die Werbung in räumlicher Nähe zum Konkurrenten für unlauter gehalten, wenn auf den Kunden in einer Weise eingewirkt wird, die dieser als lästig empfindet oder wenn der Zugang zwischen Mitbewerber und Kunden erschwert oder versperrt wurde, so dass der Kunde in seinem bereits gefassten Kaufentschluss abgefangen und umgeleitet wird (zusammenfassend BGH, GRUR 1960, 431 - Kraftfahrzeugnummernschilder).

An einer Belästigung im Sinne des § 7 Abs. 1 fehlt es ohnehin. Auch im Übrigen fehlt es an einer unangemessenen Einwirkung auf die rationale Entscheidungsfindung. Erforderlich wäre ein Einfluss, der die freie, rationale Entscheidung des durchschnittlich informierten und situationsadäquat handelnden Verbrauchers beeinträchtigt, so dass der Kunde am Ende das eigentlich angestrebte Angebot zugunsten des dazwischengeschobenen Angebotes vermeidet (vgl. BGH GRUR 1960, 431, 433; BGH GRUR 1986, 547, 548 - Handzettelwerbung; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig - Omsels, UWG, 2005, § 4 Nr. 10 Rn 68). Der bloße Umstand, dass kleine Geschenke angeboten wurden, ist für sich genommen keine unzulässige Einwirkung auf die rationale Entscheidungsfindung. Sie sind üblich geworden und kaum geeignet, den verständigen Verbraucher zu einer Veränderung seines Suchverhaltens zu bewegen.

Ein unlauteres Abfangen liegt auch nicht allein darin, dass dem Kunden in räumlicher Nähe zum Konkurrenten ein zusätzliches Leistungsangebot unterbreitet wird. Es ist nämlich nicht ersichtlich, dass die Werbeaktion so konzipiert war, dass der Kunde zwischen sich und dem ursprünglich angezielten Angebot (nämlich dem des Antragstellers) eine nicht ohne Schwierigkeit zu überwindende Hürde empfinden musste, die vom Mitbewerber aufgebaut wurde und die dazu führte, dass der Werbende sich gewissermaßen zwischen Interessenten und Mitbewerber schob, um den Interessenten noch vor dem Betreten der Verkaufsstätte und vor einem beabsichtigten Geschäftsabschluss abzufangen und ihm eine Änderung seines Kaufentschlusses aufzudrängen (BGH GRUR 1986, 547, 548 - Handzettelwerbung; vgl. auch BGH WRP 2005, 874, 875 - Kündigungshilfe; Baumbach/Hefermehl-Köhler, § 4 Rn. 10.29). Das hätte die Darlegung erfordert, dass gezielt diejenigen Passanten "abgefangen" wurden, die sich bereits anschickten, die Räumlichkeiten des Antragstellers zu betreten. Angesprochen wurden jedoch auch nach der Darlegung des Antragstellers Passanten und Studierende, die sich ohnehin in der Nähe der Universität aufhielten und keineswegs auf dem direkten Weg zum Antragsteller waren. Es wurde auch nicht glaubhaft gemacht, dass der Werbende gerade den Zugang zu den Räumlichkeiten des Antragstellers blockiert hat, so dass diejenigen Passanten abgefangen wurden, die zum Antragsteller wollten. Sofern die Verkehrssituation für Passanten an der fraglichen Kreuzung beengt war, wurde diese Enge nicht durch den Werbenden geschaffen, jedenfalls nicht in einer Weise, die dazu führte, dass Passanten in eine Situation gebracht wurden, in der sie einer Ansprache durch die Antragsgegnerin unvermeidbar ausgesetzt waren. Gerichtsbekannt ist die von der Antragsgegnerin benutzte Fläche von Natur aus geeignet, den Passantenverkehr von zwei Seiten aus zu kontaktieren. Unstreitig befand sich der Werbestand auf einem privaten Gelände nämlich dem Außenbereich der Eisdiele. Der öffentliche Gehweg wurde dadurch nicht zusätzlich blockiert. Eine das "Abfangen von Kunden" des Antragstellers bewirkende Situation wurde daher von der Antragsgegnerin nicht in unzulässiger Weise provoziert.

III.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.






OLG Hamm:
Urteil v. 14.01.2010
Az: 4 U 199/09


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