Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 4. Dezember 2009
Aktenzeichen: 6 W 117/09
(OLG Köln: Urteil v. 04.12.2009, Az.: 6 W 117/09)
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landgerichts Köln vom 22.09.2009 - 81 O 174/09 - wird zurückgewiesen. Er hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Die Antragsgegnerin vertreibt seit 2003 das Produkt "U Zink + Histidin Depot"; auf Umverpackung und Gebrauchsinformation wird es als "diätetisches Lebensmittel zur Ernährung und zur Stärkung des Immunsystems bei Zinkmangel" ausgelobt. Am 21.09.2005 untersagte das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) vorläufig das Inverkehrbringen des Produkts als diätetisches Lebensmittel. Widerspruch und Anfechtungsklage der Antragsgegnerin blieben erfolglos; über ihren Antrag vom 12.03.2009 auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 18.12.2008 - 13 K 2474/06 - und auf Anordnung der Fortdauer der aufschiebenden Wirkung hat das Oberverwaltungsgericht Münster noch nicht entschieden.
Der Antragsteller, ein Wettbewerbsverband, mahnte die Antragsgegnerin unter dem 14.08.2009 ab; er hat am 10.09.2009 den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt. Das Landgericht hat den Antrag durch Beschluss vom 22.09.2009 zurückgewiesen. Mit seiner sofortigen Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein (nach seinem Schriftsatz vom 05.11.2009 [S. 5/6] und entgegen dem nachgereichten Schriftsatz vom 03.12.2009 [S. 2] allein auf das in der Aufmachung Anlage ASt 6 angebotene Produkt mit 15 mg Zink und 70 mg Histidin bezogenes) Begehren weiter, es der Antragsgegnerin unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verbieten,
das Produkt U Zink + Histidin Depot Tabletten zur Ernährung bei Zinkmangelerscheinungen und zur Stärkung des Immunsystems bei Zinkmangel als diätetisches Lebensmittel in Verkehr zu bringen und/oder bringen zu lassen und/oder zu bewerben und/oder bewerben zu lassen.
Die Antragsgegnerin verteidigt den angefochtenen Beschluss, indem sie sich unter anderem auf zwei bereits im Verwaltungsstreitverfahren vorgelegte Gutachten zur wissenschaftlichen Bewertung ihres Produkts stützt.
II.
Die zulässige sofortige Beschwerde erweist sich in der Sache als nicht begründet. Es kann dahin stehen, ob die Vermutung des Verfügungsgrundes aus § 12 Abs. 2 UWG durch den mündlichen Vortrag der Antragsgegnerin erschüttert ist, dass der Antragsteller insbesondere von dem unveröffentlichten Urteil des Verwaltungsgerichts Köln nur durch einen Wettbewerber erfahren haben könne, in dessen Person die für den Eilantrag erforderliche Dringlichkeit schon vor der Abmahnung entfallen war (vgl. Senat, MD 1993, 402 = GRUR 1993, 698 [Ls.]). Denn angesichts des widerstreitenden Vorbringens der Parteien kann jedenfalls das Bestehen eines Verfügungsanspruchs des Antragstellers mit den im Eilverfahren gegebenen Erkenntnismöglichkeiten (§§ 936, 920 Abs. 2, 294 ZPO) nicht hinreichend sicher festgestellt werden.
Der allein in Betracht kommende Anspruch aus §§ 3, 4 Nr. 11, 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 UWG i.V.m. § 11 Abs. 1 LFGB und §§ 1 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 bis 3, 2 Abs. 1 Nr. 1 DiätVO setzt voraus, dass das Produkt der Antragsgegnerin nicht als diätetisches Lebensmittel bezeichnet werden darf. Weil ein diätetisches Lebensmittel
besonderen Ernährungserfordernissen bestimmter Verbrauchergruppen - vor allem Personen mit Stoffwechselstörungen oder Personen in besonderen physiologischen Umständen - entsprechen,
sich für den angegebenen Ernährungszweck eignen und
sich auf Grund ihrer besonderen Zusammensetzung oder ihres Herstellungsverfahrens deutlich von den Lebensmitteln des allgemeinen Verkehrs unterscheiden
muss, würde dafür zwar schon das Fehlen einer dieser Voraussetzungen genügen. Die entsprechenden tatsächlichen Umstände sind jedoch nach allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen vom Antragsteller glaubhaft zu machen. Dies ist ihm nach Lage der Dinge nicht gelungen.
Das Verwaltungsgericht Köln ist in seinem Urteil vom 18.12.2008 auf Grund seiner - für das vorliegende Verfahren indes nicht maßgeblichen - Einschätzung der materiellen Beweislast bei der Anfechtung der in Rede stehenden behördlichen Untersagungsverfügung davon ausgegangen, dass die Antragsgegnerin keinen wissenschaftlichen Nachweis für ein besonderes Ernährungserfordernis der von dem Produkt angesprochenen Verbrauchergruppen im Umfang der angegebenen Dosierung erbracht habe. Auch dem Senat erscheint die Frage, ob dem Produkt der Antragsgegnerin die Eigenschaften eines diätetischen Lebensmittels beizulegen sind, nach derzeitigem Sach- und Streitstand nicht hinreichend geklärt:
Einerseits geht die Stellungnahme des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) vom 16.03.2006 im Widerspruchsverfahren (zu Nr. 7) dahin, dass besondere physiologische Umstände, die die Notwendigkeit einer Zinksupplementierung mit 15 mg pro Tag rechtfertigen, nicht explizit genannt werden könnten; allerdings spricht die Stellungnahme anschließend (zu Nr. 8 und 9) durchaus konkrete Lebensumstände sowie Störungen des Stoffwechsels an, bei denen ein signifikanter Zinkmangel auftreten könne.
Andererseits zählt der Gutachter Dr. S in seiner Stellungnahme vom 21.02.2005 unter umfangreichen Hinweisen auf eigene Erkenntnisse und Berichte in der Fachliteratur zahlreiche diätetische Faktoren eines Zinkmangelzustandes auf, der insbesondere bei Personen mit gestörter Nahrungsaufnahme (z.B. infolge entzündlicher Darmerkrankungen wie Morbus Crohn) und erhöhtem Zinkverlust (z.B. bei Diabetes mellitus) auftreten und auch Auslöser von Immunschwächereaktionen (z.B. bei Personen in höherem Alter) sein könne. Diese Zinkmangelerscheinungen könnten - wie auch der Gutachter Dr. T unter dem 20.11.2006 betont hat - nur schwer laboranalytisch diagnostiziert, in symptomatischretrospektiver Betrachtungsweise aber sehr wohl bestimmten Personengruppen zugeordnet und mit erhöhten Zinkgaben ausgeglichen werden. Die Gutachter stimmen darin überein, dass der Nutzen einer Zinkgabe von 15 mg pro Tag im Rahmen eines Diätplans nachvollziehbar sei.
Angesichts dieses uneinheitlichen Ergebnisses der von beiden Parteien vorgelegten wissenschaftlichen Bewertungen sieht sich der über keine eigene Sachkunde verfügende Senat außerstande, die fehlende Eignung des Produkts der Antragsgegnerin für den angegebenen Zweck "zur Ernährung bei Zinkmangelerscheinungen und zur Stärkung des Immunsystems bei Zinkmangel" als glaubhaft gemacht anzusehen. Ebenso wenig kann angesichts der Ausführungen der Gutachter Dr. S und Dr. T mit einer für den Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung hinreichenden prozessualen Gewissheit angenommen werden, dass eine klare Abgrenzung der als Verwender des Produkts angesprochenen Verbrauchergruppen unmöglich ist.
Die vom Verwaltungsgericht offen gelassene Frage, ob das Produkt der Antragsgegnerin sich auf Grund seiner Zusammensetzung deutlich von Lebensmitteln des allgemeinen Verkehrs unterscheidet, hängt gleichfalls entscheidend von wissenschaftlichen Befunden und Bewertungen ab, die der Senat im vorliegenden Eilverfahren ohne unabhängige sachverständige Hilfe nicht vorzunehmen vermag. Dies gilt unabhängig von der zwischen den Parteien umstrittenen Rechtsfrage, ob die deutliche Unterscheidbarkeit diätetischer Lebensmittel von den Lebensmitteln des allgemeinen Verkehrs im Sinne von § 1 Abs. 2 Nr. 3 DiätVO auch eine deutliche Unterscheidbarkeit von Nahrungsergänzungsmitteln impliziert (zu deren üblicher Zusammensetzung und Dosierung in Abgrenzung zum Produkt der Antragsgegnerin sich die von ihr vorgelegten Gutachten ebenfalls verhalten).
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Das Urteil ist gemäß § 542 Abs. 2 ZPO mit seiner Verkündung rechtskräftig.
OLG Köln:
Urteil v. 04.12.2009
Az: 6 W 117/09
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