Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 19. Juli 2010
Aktenzeichen: II ZB 18/09
(BGH: Beschluss v. 19.07.2010, Az.: II ZB 18/09)
Tenor
Die Sache wird an das Oberlandesgericht zur eigenen Sachentscheidung nach weiterer Sachaufklärung zurückgegeben.
Gründe
I.
Die Antragsgegnerin, die Hauptaktionärin der Stollwerck AG (künftig: Gesellschaft), erlangte am 5. August 2002 die Mehrheit der Aktien. Am 17. September 2002 unterbreitete sie gem. § 35 Abs. 2 Satz 1 WpÜG den übrigen Aktionären das öffentliche Pflichtangebot auf Übernahme ihrer Aktien gegen Zahlung von 295 € je Aktie und gab ihre Absicht bekannt, die Übertragung der Aktien der Gesellschaft auf sich zu verlangen (§§ 327a ff. AktG). Die Hauptversammlung der Gesellschaft fasste am 30. April 2003 den Beschluss, die Aktien der Minderheitsaktionäre gegen die angebotene Barabfindung von 295 € zu übertragen. Diesem Angebot der Antragsgegnerin lag das Pflichtangebot nach § 35 Abs. 2 Satz 1 WpÜG zugrunde. Der nach dem Ertragswertverfahren ermittelte Wert je Aktie lag nach dem eingeholten Bewertungsgutachten bei 93,65 €.
Das gegen den Übertragungsbeschluss eingeleitete Beschlussmängelstreitverfahren wurde in zweiter Instanz am 5. April 2005 durch einen gerichtlichen Vergleich beendet, in dem sich die Antragsgegnerin verpflichtete, Minderheitsaktionären, die innerhalb einer bestimmten Frist auf die Durchführung eines Spruchverfahrens verzichteten, eine Barabfindung von 395 € zu gewähren. Der Übertragungsbeschluss wurde am 6. April 2005 in das Handelsregister eingetragen.
Die Antragsteller haben ein Spruchverfahren beantragt. Das Landgericht hat die Anträge mit der Begründung zurückgewiesen, den Antragstellern fehle das Rechtsschutzbedürfnis, weil sie das Vergleichsangebot der Antragsgegnerin auf Zahlung von 395 € hätten annehmen können. Gegen den Beschluss des Landgerichts haben die Antragsteller zu 4 bis 7 sofortige Beschwerde eingelegt, die die Antragstellerin zu 4 zurückgenommen hat. Das Oberlandesgericht (ZIP 2009, 2055) hat den gewichteten Durchschnittskurs der Aktien für den Zeitraum von drei Monaten vor dem 17. September 2002 mit 275,09 €, für den Zeitraum von drei Monaten vor der Hauptversammlung mit 308,86 € ermittelt. Es will die Beschwerden zurückweisen, weil für den Börsenwert der Aktien auf den gewichteten Durchschnittskurs in einem Referenzzeitraum von drei Monaten vor der Bekanntmachung der Maßnahme abzustellen sei, und hat das Verfahren wegen der Abweichung von der Entscheidung des Senats vom 12. März 2001 (BGHZ 147, 108) nach § 28 FGG vorgelegt.
II.
Die Vorlage ist zulässig.
1. Die Vorlage ist nach § 28 FGG i.V.m. 12 Abs. 2 Satz 2 SpruchG aF statthaft. Das Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und das Spruchverfahrensgesetz finden in der bis zum 1. September 2009 geltenden Fassung weiter Anwendung. Ist ein Verfahren in erster Instanz vor Inkrafttreten des FamFG am 1. September 2009 eingeleitet worden, findet auf das gesamte Verfahren bis zu seinem rechtskräftigen Abschluss nach Art. 111 Abs. 1 FGG-RG das seinerzeit geltende Verfahrensrecht Anwendung (BGH, Beschluss vom 1. März 2010 - II ZB 1/10, ZIP 2010, 446 Rn. 6 ff.). Das Spruchverfahren wurde bereits im Jahr 2005 eingeleitet.
2. Die Vorlage ist auch im Übrigen zulässig, weil das Oberlandesgericht in einer für seine Entscheidung maßgeblichen Frage von der Entscheidung des Senats vom 12. März 2001 (BGHZ 147, 108 ff.) abweichen will. Dabei steht einer zulässigen Vorlage nicht entgegen, dass diese Entscheidung des Senats die Bemessung der Abfindung bei Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags betraf, während in dem hier zu entscheidenden Fall eine Barabfindung nach § 327b AktG in Rede steht. Eine beabsichtigte Abweichung im Sinne von § 28 Abs. 2 Satz 1 FGG liegt auch vor, wenn die Entscheidung, von der abgewichen werden soll, nicht zu demselben gesetzlichen Tatbestand ergangen ist, aber die gleiche Rechtsfrage zu beurteilen ist (BGH, Beschluss vom 25. Juni 2008 - II ZB 39/07, BGHZ 177, 131 Rn. 5; vom 13. März 2006 - II ZB 26/04, BGHZ 166, 329 Rn. 6). Sowohl für die Barabfindung bei Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags (§ 305 Abs. 3 Satz 2 AktG) als auch bei Ausschließung (§ 327b Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz AktG) sind die Verhältnisse der Gesellschaft im Zeitpunkt der Beschlussfassung der Hauptversammlung zu berücksichtigen. Dementsprechend ist auch der für die Bemessung der Abfindung maßgebliche Börsenwert in beiden Fällen nach den gleichen Regeln zu bestimmen.
III.
Die Sache ist zur weiteren Sachaufklärung an das Oberlandesgericht zurückzugeben. Grundsätzlich ist der der Abfindung zugrunde zu legende Börsenwert der Aktie aus dem gewichteten Durchschnittskurs innerhalb eines Referenzzeitraums von drei Monaten vor der Bekanntgabe einer Strukturmaßnahme zu errechnen. Wenn - wie hier - zwischen der Bekanntgabe der Übertragungsabsicht und dem Beschluss der Hauptversammlung über die Maßnahme ein längerer Zeitraum liegt, ist dieser Wert aber unter Umständen entsprechend der allgemeinen oder branchentypischen Börsenwertentwicklung auf den Beschlusszeitpunkt hochzurechnen. Damit das Oberlandesgericht die dazu erforderlichen Feststellungen treffen kann, ist die Sache an das Beschwerdegericht zur Entscheidung in eigener Zuständigkeit zurückzugeben.
1. Die Anträge sind zulässig. Ihnen fehlt nicht mit Rücksicht auf das Vergleichsangebot der Antragsgegnerin das Rechtsschutzbedürfnis. Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann ein Antragsteller die Angemessenheit einer angebotenen Barabfindung im Spruchverfahren auch dann überprüfen lassen, wenn das ursprüngliche Angebot durch einen Vergleich zugunsten aller außenstehenden Aktionäre erhöht worden ist. Die im Wege eines Vertrags zugunsten Dritter angebotene Erhöhung nimmt den Minderheitsaktionären nicht das Recht, die Angemessenheit der angebotenen Abfindung überprüfen zu lassen (§ 327f Satz 2 AktG). Andernfalls könnte der Antragsgegner durch eine Erhöhung des Angebots auch unter den angemessenen Betrag verhindern, dass die Anteilsinhaber "angemessen" im Sinn des Gesetzes entschädigt werden. Erst recht muss das gelten, wenn - wie hier - das im Vergleichswege unterbreitete Angebot für die Antragsteller des Spruchverfahrens nicht gilt. Das Angebot einer Abfindungszahlung von 395 € je Aktie stand unter der Bedingung, dass der annehmende Aktionär kein Spruchverfahren einleitet, und war befristet. Die Antragsteller haben es nicht angenommen.
2. Der quotale Anteil je Aktie am Unternehmenswert übersteigt die von der Antragsgegnerin angebotene Barabfindung nicht. Aus dem vom Gutachter der Gesellschaft nach dem Ertragswertverfahren ermittelten und vom sachverständigen Prüfer bestätigten Unternehmenswert errechnet sich ein anteiliger Wert je Aktie von 93,65 €. Die Einwände der Antragsteller gegen die Berechnungen sind - wie das Oberlandesgericht zutreffend festgestellt hat - unbegründet.
3. Die angemessene Abfindung ist nach dem höheren Börsenwert der Aktie zu bestimmen, da dieser über dem nach dem Ertragswertverfahren ermittelten Schätzwert liegt und keine Marktenge bestand. Der Börsenwert ist grundsätzlich aufgrund eines nach Umsatz gewichteten Durchschnittskurses innerhalb einer dreimonatigen Referenzperiode vor der Bekanntmachung der Maßnahme zu ermitteln. Soweit der Senat bisher vertreten hat, der Referenzzeitraum sei auf den Tag der Hauptversammlung als dem Stichtag, an dem die Maßnahme beschlossen wird, zu beziehen (BGH, Beschluss vom 12. März 2001 - II ZB 15/00, BGHZ 147, 108 ff.), gibt er seine Auffassung auf.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 100, 289 ff.; BVerfG, ZIP 2007, 175 ff.), der sich der Senat angeschlossen hat (BGH, Beschluss vom 12. März 2001 - II ZB 15/00, BGHZ 147, 108 ff.), ist bei der Bemessung einer Barabfindung nicht nur der nach betriebswirtschaftlichen Methoden zu berechnende Wert der quotalen Unternehmensbeteiligung, sondern unter Umständen auch der Börsenwert zu berücksichtigen.
b) Soweit es danach auf den Börsenwert ankommt, ist im Regelfall auf den nach Umsatz gewichteten Durchschnittskurs in einem dreimonatigen Zeitraum vor der Bekanntmachung der Maßnahme abzustellen. Der Senat hält an der Ansicht nicht fest, der Tag der Hauptversammlung sei maßgeblich, weil die Maßnahme an diesem Tag beschlossen wird. Zwar bezieht sich die Wertermittlung auf dieses Datum. Zur Ermittlung des Börsenwerts taugt der Stichtagswert auch unter Einbeziehung eines Referenzzeitraums aber nicht, weil mit der Ankündigung einer Strukturmaßnahme an die Stelle der Markterwartung hinsichtlich der Entwicklung des Unternehmenswertes und damit des der Aktie innewohnenden Verkehrswertes die Markterwartung an die Abfindungshöhe tritt.
aa) Weder das Grundgesetz noch das Aktiengesetz verlangen, den Referenzzeitraum auf den Tag der Hauptversammlung zu beziehen.
(1) Den Stichtag für die Bewertung gibt Artikel 14 Abs. 1 Satz 1 GG nicht vor. Von Verfassungs wegen kann auch auf einen Durchschnittskurs im "Vorfeld der Bekanntgabe der Maßnahme" zurückgegriffen werden (BVerfGE 100, 289, 309 f.; BVerfG, ZIP 2007, 175 Rn. 18). Entscheidend ist allein, dass durch die Wahl des entsprechenden Referenzkurses einem Missbrauch beider Seiten begegnet wird.
(2) § 327b Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz AktG, nach dem die angemessene Barabfindung die Verhältnisse der Gesellschaft im Zeitpunkt der Beschlussfassung ihrer Hauptversammlung berücksichtigen muss, verlangt nur, dass auch beim Börsenwert der Aktie, den der Aktionär bei einer freien Deinvestitionsentscheidung erhalten könnte, dieser Zeitpunkt Berücksichtigung findet. Er gibt aber keinen Stichtag für den Referenzzeitraum der Wertermittlung vor.
Mit der Einführung der § 327b Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz AktG entsprechenden Regelungen in § 305 Abs. 3 Satz 2, § 320 Abs. 5 Satz 5 AktG aF zuerst im Aktiengesetz 1965 sollte allerdings eine Berücksichtigung des Börsenwerts überhaupt ausgeschlossen werden. Mit diesen Vorschriften reagierte der Gesetzgeber auf einen zu § 12 Abs. 1 des Gesetzes über die Umwandlung von Kapitalgesellschaften und bergrechtlichen Gewerkschaften vom 12. November 1956 (BGBl. I S. 844) geführten Meinungsstreit, den er in dem Sinne der Klarstellung zu entscheiden suchte, dass es für die Bemessung der Barabfindung nicht allein auf den Kurswert der Aktien ankomme (Sitzung des Unterausschusses "Aktienrecht" des Rechtsausschusses vom 4. Dezember 1963, Protokoll Nr. 12, S. 9; außerdem Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 4/3296, S. 48). Bei Schaffung der § 305 Abs. 3 Satz 2, § 320 Abs. 5 Satz 5 AktG aF begegnete der Gesetzgeber - wie zur gleichen Zeit der Senat (BGH, Urteil vom 30. März 1967 - II ZR 141/64, WM 1967, 479) - einer Bestimmung der Abfindungshöhe nach dem Börsenwert mit Misstrauen.
Die geringfügige redaktionelle Anpassung der § 305 Abs. 3 Satz 2, § 320b Abs. 1 Satz 5 AktG an den neuen § 30 UmwG (Ersetzung der Worte "Vermögens- und Ertragslage" durch das Wort "Verhältnisse") durch Artikel 6 Nr. 8 Buchst. a und Nr. 12 des Gesetzes zur Bereinigung des Umwandlungsrechts (UmwBerG) vom 28. Oktober 1994 (BGBl. I S. 3210) sollte die Vorgabe bestimmter Bewertungsmethoden beseitigen und nur noch den für die Bemessung der Barabfindung entscheidenden Zeitpunkt - auf der Grundlage des damals geltenden Verständnisses für die Unternehmensbewertung - festlegen (BT-Drucks. 12/6699, S. 94 f. mit S. 179).
Auch bei der Einführung des § 327b Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz AktG durch Artikel 7 Nr. 2 des Gesetzes zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3822), mit dem der Gesetzgeber die Formulierung in § 305 Abs. 3 Satz 2, § 320b Abs. 1 Satz 5 AktG für die Barabfindung bei der Übertragung der Aktien auf den Hauptaktionär übernahm, wurde kein Stichtag vorgegeben. Der Gesetzgeber bezog sich ausdrücklich auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 100, 289) (BT-Drucks. 14/7034, S. 72). Da das Bundesverfassungsgericht einen Durchschnittskurs "im Vorfeld der Bekanntgabe der Maßnahme" ausdrücklich zur Diskussion gestellt hatte, ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber mit dem Verweis auf die Verhältnisse der Gesellschaft im Zeitpunkt des Hauptversammlungsbeschlusses nicht festlegen wollte, dass der Börsenwert am Tag der Hauptversammlung maßgebend sein sollte.
Die Bezugnahme in § 327b Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz AktG auf die Verhältnisse der Gesellschaft im Zeitpunkt der Hauptversammlung bedeutet nicht, dass für die Wertfeststellung auf diesen Stichtag abzustellen ist. Zwischen dem Zeitpunkt, auf den sich die Wertermittlung beziehen muss, und dem Zeitpunkt oder Zeitraum, aus dem die Daten für die Wertermittlung gewonnen werden, ist zu unterscheiden. Der Senat hat bereits wegen der Volatilität des Börsenwertes nicht auf einen Stichtag, sondern auf einen Referenzzeitraum abgestellt (BGH, Beschluss vom 12. März 2001 - II ZB 15/00, BGHZ 147, 108, 118). Auch bei der Ermittlung des quotalen Anteilswertes mit Hilfe fundamentalanalytischer Methoden werden - wie hier - die Werte für den Zeitpunkt der Hauptversammlung aus vergangenen Daten, in der Regel den Werten zum letzten Geschäftsjahreswechsel, auf den Tag der Hauptversammlung durch Aufzinsung hochgerechnet, schon weil bei der Einberufung der Hauptversammlung das Bewertungsgutachten vorliegen und vom sachverständigen Prüfer geprüft sein muss. Auch als Referenzzeitraum kann daher ein anderer Zeitraum als gerade der Zeitraum vor der Hauptversammlung gewählt werden, wenn dieser besser geeignet ist, den Börsenwert der Aktie bei einer fiktiven freien Deinvestitionsentscheidung abzubilden.
cc) Der Börsenwert ist nach dem gewichteten durchschnittlichen inländischen Börsenkurs während der letzten drei Monate vor der Bekanntmachung, die nicht notwendig eine Bekanntmachung im Sinne des § 15 WpHG sein muss, zu bestimmen, weil dieser Zeitraum besser geeignet ist, den Verkehrswert der Aktie zu ermitteln, als ein mit dem Tag der Hauptversammlung endender Referenzzeitraum, solange die Kapitalmarktforschung keine noch besser geeigneten Anhaltspunkte entwickelt.
(1) Der Tag der Hauptversammlung liegt zwar besonders nahe an dem nach § 327b AktG für die Bewertung maßgebenden Tag, ist aber als Stichtag des Referenzzeitraums nicht geeignet, weil der Börsenkurs in dem Zeitraum davor regelmäßig von den erwarteten Abfindungswerten wesentlich bestimmt wird und weil mit einer Bemessung nach dieser Referenzperiode nicht mehr der Verkehrswert der Aktie entgolten wird. Den Minderheitsaktionären ist das zu ersetzen, was sie ohne die zur Entschädigung verpflichtende Intervention des Hauptaktionärs oder die Strukturmaßnahme bei einem Verkauf des Papiers erlöst hätten (BVerfGE 100, 289, 308). Abfindungswertspekulationen mögen zwar bei einem Börsenkurs unter dem Ertragswert in einem gewissen Umfang noch ein Abbild von Angebot und Nachfrage darstellen, soweit sie die Erwartung widerspiegeln, dass in einem Spruchverfahren eine höhere Bewertung des Unternehmens erreicht wird (vgl. BGH, Beschluss vom 12. März 2001 - II ZB 15/00, BGHZ 147, 108, 121). Sie beruhen aber auch auf der Erwartung, dass der Zahlungspflichtige sich die Strukturmaßnahme und ihre Durchführung etwas kosten lässt.
Von der Mitteilung der angebotenen Abfindung an, also spätestens mit der Einberufung der Hauptversammlung, die in aller Regel innerhalb des Dreimonatszeitraums liegt, nähert sich der Börsenwert dem angekündigten Abfindungswert. Dabei wird er in der Erwartung eines Aufschlags im Spruchverfahren oder - als Lästigkeitswert - im Anfechtungsprozess häufig leicht überschritten (KG, ZIP 2007, 75, 77; OLG Stuttgart, ZIP 2007, 530, 532; Weber, ZGR 2004, 280, 288). Der angebotene Preis für die Aktie wird sicher erreicht, ungewiss ist lediglich, ob und in welcher Höhe im Spruchverfahren oder schon im Anfechtungsprozess ein Aufschlag durchzusetzen ist. Schon vor der Bekanntgabe des Abfindungsangebots ändert sich mit der Bekanntgabe der Maßnahme die Börsenbewertung von der Erwartung an den künftigen Unternehmenswert hin zur Erwartung an die künftige Abfindung oder den künftigen Umtauschkurs, was nicht selten zu heftigen Kursausschlägen führt, weil der Phantasie in beide Richtungen keine Grenzen gesetzt sind (OLG Stuttgart, ZIP 2007, 530, 532; Weber, ZGR 2004, 280, 283 ff.). Da nur Anfechtungskläger sein kann, wer die Aktien bereits vor der Bekanntmachung der Tagesordnung erworben hat (§ 245 Nr. 1 AktG), die mit der Bekanntmachung der Abfindungshöhe zeitlich häufig zusammenfällt, beginnt auch die Spekulation auf den Lästigkeitswert bereits mit der Bekanntgabe der Maßnahme.
Wenn diese Zeiten in die Referenzperiode einbezogen werden, spiegelt der ermittelte Börsenkurs nicht mehr - wie geboten - den Preis wider, den der Aktionär ohne die zur Entschädigung verpflichtende Intervention des Hauptaktionärs oder die Strukturmaßnahme erlöst hätte und der sich aus Angebot und Nachfrage unter dem Gesichtspunkt des vom Markt erwarteten Unternehmenswertes bildet, sondern den Preis, der gerade wegen der Strukturmaßnahme erzielt werden kann. Für die Entwicklung eines höheren Börsenkurses sorgt insoweit zwar nicht eine gezielte Kursmanipulation einzelner Minderheitsaktionäre, sondern die durch die Strukturmaßnahme geweckte besondere Nachfrage (OLG Stuttgart, ZIP 2007, 530, 533; ZIP 2010, 274, 278; Koch/Widders, Der Konzern 2007, 351, 353). Diese Nachfrage hat aber mit dem Verkehrswert der Aktie, mit dem der Aktionär für den Verlust der Aktionärsstellung so entschädigt werden soll, als ob es nicht zur Strukturmaßnahme gekommen wäre (BVerfGE 100, 289, 305; BVerfG, ZIP 2007, 175 Rn. 16), nichts zu tun.
Umgekehrt erleichtert die Einbeziehung des Zeitraums ab Bekanntgabe der Abfindung auch Manipulationen des Börsenkurses nach unten z.B. durch Bekanntgabe eines bewusst zu niedrigen Abfindungsangebots. Die Nachteile eines auf den Tag der Hauptversammlung bezogenen Referenzzeitraums werden durch den Vorteil der zeitlichen Nähe nicht ausgeglichen. Verbundeffekte der Strukturmaßnahme, deren Berücksichtigung der Senat beim Unternehmensvertrag für die Kursentwicklung nicht ausschließen wollte (BGH, Beschluss vom 12. März 2001 - II ZB 15/00, BGHZ 147, 108, 120), bestehen bei der Ausschließung nicht. Inwieweit sie und nicht nur Abfindungserwartungen maßgebend sind, ist aber auch beim Unternehmensvertrag oder bei der Verschmelzung nicht zu bestimmen (OLG Stuttgart, ZIP 2007, 530, 532).
(2) Zur Ermittlung des Verkehrswerts der Aktie ist der Referenzzeitraum vor Bekanntwerden der Maßnahme geeigneter (vgl. BVerfG, ZIP 2007, 175, 178). Die Informationspflichten insbesondere nach § 15 WpHG wirken einer verzögerten Bekanntgabe und einer verdeckten Abfindungswertspekulation entgegen. Dieser Zeitpunkt stimmt mit der Einschätzung des Verordnungsgebers in § 5 Abs. 1 WpÜG-AngVO überein, dass ein Referenzzeitraum vor Bekanntgabe des zur Abfindung führenden Vorgangs den Börsenkurs richtig abbildet. In § 5 Abs. 1 WpÜG-AngVO wird ein Referenzzeitraum vor Bekanntwerden der Kontrollerlangung (§ 35 Abs. 1 Satz 1 WpÜG) zugrunde gelegt, nicht der Zeitraum zwischen Kontrollerlangung und Bekanntgabe der Höhe des Pflichtangebots.
Die Orientierung des Referenzzeitraums am Tag der Bekanntmachung trägt weiter dem Umstand Rechnung, dass der Abfindungsvorschlag nach § 327c Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Nr. 4, § 327b Abs. 3, § 327d AktG vor der Hauptversammlung bekannt zu geben ist (Angerer, BKR 2002, 260, 264; Brandi/Wilhelm, NZG 2009, 1408, 1409; Kocher/Widder, Der Konzern 2007, 351, 355; Krieger, BB 2002, 53, 56; Maier-Reimer/Kolb, Festschrift W. Müller 2001 S.93, 104; Veil in Spindler/Stilz, AktG § 305 Rn. 54; KölnerKommAktG/ Koppensteiner, 3. Aufl. § 305 Rn. 102 a.E.; Widmann/Mayer, UmwG § 30 Rn. 22). Der Wert, der sich bei einem dreimonatigen Referenzzeitraum vor dem Beschluss der Hauptversammlung errechnet, ist zu diesem Zeitpunkt weder bekannt noch vorhersehbar. Er kann weder zur Bestimmung der Höhe des Abfindungsangebots verwendet noch bekannt gegeben werden. Dagegen kann der nach Umsätzen gewichtete Durchschnittskurs für drei Monate vor Bekanntgabe der Maßnahme bis zur Mitteilung des Abfindungsangebots ermittelt und bei der Entscheidung über die Höhe des Angebots berücksichtigt werden.
Der Einwand, der Hauptaktionär habe es durch die Wahl des Zeitpunkts der Bekanntgabe seines Übernahmebegehrens in der Hand, eine ungünstige Kursentwicklung für sich nutzbar zu machen, steht einer Bestimmung der Referenzperiode an die Zeit vor Bekanntmachung der Maßnahme nicht entgegen. Der Ausschluss von Minderheitsaktionären nach §§ 327a ff. AktG knüpft an das Verlangen des Hauptaktionärs an, der von Gesetzes wegen den Zeitpunkt frei bestimmen kann. Auch andere Strukturmaßnahmen im AktG und dem UmwG sind an die freie Entscheidung der Beteiligten und nicht an das Erreichen einer bestimmten Schwelle oder an einen bestimmten Zeitpunkt gebunden. Vor Manipulationsmöglichkeiten durch Auswahl eines besonders günstigen Zeitpunktes sind die Minderheitsaktionäre ohnehin dadurch geschützt, dass die Barabfindung nach § 327b AktG nie geringer sein kann als der Anteil des Minderheitsaktionärs am Unternehmenswert. Außerdem wirken die sanktionsbewehrten kapitalmarktrechtlichen Informationspflichten (§ 15 WpHG) einer Manipulation des Bekanntgabezeitpunkts entgegen. Im Übrigen bleibt den Antragstellern im Spruchverfahren unbenommen, konkrete Anhaltspunkte für eine Einflussnahme auf den Aktienkurs im Referenzzeitraum darzulegen.
Der Verlegung des Referenzzeitraums auf die Zeit vor der Bekanntmachung der Maßnahme steht auch nicht entgegen, dass sich der Stichtag und der Referenzzeitraum vom Bezugspunkt, dem Tag der Hauptversammlung, entfernen. Das ist keine Besonderheit der Ermittlung des Börsenwerts. Auch der Bezugspunkt für die Ermittlung des Werts der quotalen Unternehmensbeteiligung nach fundamentalanalytischen Methoden und die Aktualität der zugrunde liegenden Daten fallen auseinander.
Die Minderheitsaktionäre müssen allerdings davor geschützt werden, dass der mit dem Zeitpunkt der Bekanntgabe ermittelte Börsenwert zugunsten des Hauptaktionärs fixiert wird, ohne dass die angekündigte Maßnahme umgesetzt wird, und sie von einer positiven Börsenentwicklung ausgeschlossen werden. Das kann dadurch verhindert werden, dass der Börsenwert entsprechend der allgemeinen oder branchentypischen Wertentwicklung unter Berücksichtigung der seitherigen Kursentwicklung hochgerechnet wird (vgl. Weber, ZGR 2004, 280, 287), wenn zwischen der Bekanntgabe der Strukturmaßnahme als dem Ende des Referenzzeitraums und dem Tag der Hauptversammlung ein längerer Zeitraum verstreicht und die Entwicklung der Börsenkurse eine Anpassung geboten erscheinen lässt.
c) Die Sache ist dem Oberlandesgericht zur Ermittlung des maßgebenden Börsenwertes zurückzugeben. Das Oberlandesgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der gewichtete Durchschnittskurs drei Monate vor Bekanntgabe der Absicht, die Übertragung zu verlangen, maßgebend ist, und hat mit dem zum Sachverständigen bestellten sachverständigen Prüfer eine Marktenge zutreffend verneint. Der Sachverständige hat nach dem umsatzgewichteten Durchschnittskurs innerhalb von drei Monaten vor Bekanntgabe der Squeezeout-Absicht einen Börsenwert der Aktie von 275,09 € ermittelt, der unter der von der Antragsgegnerin angebotenen Abfindung von 295 € je Aktie liegt. Das Oberlandesgericht hat aber nicht berücksichtigt, dass zwischen der Ankündigung des Squeezeout und dem Tag der Hauptversammlung mit neun Monaten bereits ein längerer Zeitraum liegt. Die Entwicklung der allgemeinen oder branchentypischen Aktienkurse in dieser Zeit ist nicht festgestellt, so dass der Senat nicht abschließend entscheiden kann, ob der ermittelte Börsenwert von 275,09 € zugrunde zu legen oder eine Anpassung notwendig ist.
4. Die Abfindung ist nicht, wie das Oberlandesgericht erwogen hat, aus Rechtsgründen auf den mit dem Pflichtangebot nach § 35 Abs. 2 Satz 1 WpÜG angebotenen Betrag festzusetzen. Das Pflichtangebot errechnet sich nicht ausschließlich nach dem gewichteten inländischen Durchschnittskurs drei Monate vor der Bekanntgabe der Kontrollerlangung (§ 5 Abs. 1 WpÜG-AngVO), sondern hat auch die höchsten Preise zu berücksichtigen, die der Bieter sechs Monate vor Abgabe des Pflichtangebots gezahlt hat (§ 4 Satz 1 WpÜG-AngVO). Die angemessene Abfindung muss sich nicht an den Preisen orientieren, die vom Antragsgegner anderen Aktionären gezahlt werden oder wurden (BVerfGE 100, 289, 306).
5. Das von der Antragsgegnerin im Zuge der Beendigung des Beschlussmängelstreits unterbreitete Vergleichsangebot hat keine Auswirkungen auf die im Spruchverfahren zuzumessende Barabfindung. Zwar kann ein nachträgliches, höheres und allen außenstehenden Aktionären oder Minderheitsaktionären im Wege eines Vertrags zugunsten Dritter unterbreitetes Angebot im Spruchverfahren - unter Zurückweisung der Anträge - als angemessene Abfindung berücksichtigt werden, wenn keine höhere angemessene Abfindung ermittelt wird (vgl. OLG München, NZG 2007, 635). Das Angebot der Hauptaktionärin, 395 € zu bezahlen, stand aber unter der Bedingung, kein Spruchverfahren einzuleiten, und betraf die Antragsteller damit nicht. Darauf, ob mit dem Vergleichsangebot einzelnen Aktionären ein ungerechtfertigter Sondervorteil versprochen wurde, kommt es nicht an. Selbst wenn dies der Fall wäre, hätten die anderen Aktionäre keinen Anspruch darauf, ebenfalls diese ungerechtfertigten Sondervorteile zu erhalten (BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2007 - II ZR 184/06, ZIP 2008, 218 Rn. 3).
Goette Reichart Drescher Löffler Born Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 10.03.2006 - 82 O 126/05 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 09.09.2009 - I-26 W 13/06 AktE -
BGH:
Beschluss v. 19.07.2010
Az: II ZB 18/09
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