Bundespatentgericht:
Beschluss vom 16. Juli 2003
Aktenzeichen: 19 W (pat) 314/02

(BPatG: Beschluss v. 16.07.2003, Az.: 19 W (pat) 314/02)

Tenor

Das Patent 100 59 173 wird mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechterhalten:

Patentansprüche 1 bis 8, sowie Beschreibung, Seiten 1, 2, 3, 4 mit Einfügung, und 5, sämtlich überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juli 2003, ferner Beschreibung ab Spalte 3 Zeile 60 und Zeichnungen gemäß Patentschrift.

Gründe

I Für die am 29. November 2000 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingegangene Anmeldung ist die Erteilung des Patents am 7. März 2002, veröffentlicht worden. Das Patent hat die Bezeichnung "Antriebssteuerung für einen Drehstrommotor über einen Wechselrichter in sicherer Technik".

Gegen das Patent hat die Fa. Z... AG am 7. Juni 2002 Einspruch eingelegt. Zur Begründung hat sie auf § 1, 3 und 4 PatG verwiesen und behauptet, der Gegenstand des Patents sei unter Berücksichtigung des Standes der Technik nicht neu bzw. beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Der geltende, in der mündlichen Verhandlung übergebene Patentanspruch 1 lautet:

"1. Antriebseinrichtung (A) für einen Drehstrommotor (M) über einen Wechselrichter (W), wobei der Wechselrichter (W) Stromventile (T1....T6) in Brückenschaltung aufweist, mit - einem ersten Mittel (I1) zur Impulssperre des oberen Brückenzweiges (T1, T3, T5) von Stromventilen und - einem zweiten Mittel (I2) zur Impulssperre des unteren Brückenzweiges (T2, T4, T6) von Stromventilen, wobei - die durch das erste (11) und das zweite Mittel (I2) zur Impulssperre die jeweiligen Stromventile (T1...T6) bei Anwahl oder im Fehlerfall sperrbar sind, indem eine jeweilige Versorgungsspannung (SV1, SV2) für eine Ansteuerung der Stromventile des oberen (T1, T3, T5) und die des unteren Brückenzweiges (T2, T4, T6) unterbrechbar (IL1, S1, IL2, S2) ist, und mit - einem Mittel zur Ankerkurzschlussbremsung, durch das bei Anwahl oder im Fehlerfall die Ständerwicklung eines Drehstrommotors (M) kurzschließbar ist, indem alle Stromventile (T2, T4, T6) eines Brückenzweiges einschaltbar sind, wobei - eine Spannung SV2') zum Einschalten dieser Stromventile (T2, T4, T6) über eine Verknüpfungslogik (N1, N2, V1...V3, L1...L4) bereitstellbar ist, sobald die jeweilige Versorgungsspannung (SV1, SV2) für eine Ansteuerung der Stromventile (T2, T4, T6) dieses Brückenzweiges und/oder die (T1, T3, T5) des anderen Brückenzweiges durch ein Mittel (I1, I2) zur Impulssperre unterbrochen wird, wobei - jedes Mittel (I1, I2) zur Impulssperre ein jeweiliges Signal (AK1, AK2) zur Ansteuerung der Verknüpfungslogik (N1, N2, V1...V3, L1...L4 liefert, welche derart ausgestaltet ist, das aus diesen Signalen (AK1, AK2) im Fehlerfall die Spannung (SV2') zum Einschalten aller Stromventile (T2, T4, T6) eines Brückenzweiges generierbar ist, wobei - durch die Verknüpfungslogik (N1, N2, V1...V3; L1...L4) im Fehlerfall unabhängig von den Signalen (TAS2, TAS4, TAS6) eines Steuersatzes (ST) der Antriebssteuerung (A) ein jeweiliges Ansteuersignal für die Sromventile (T2, T4, T6) das zum Ankerkurzschluss dienenden Brückenzweiges bereitstellbar ist, wobei - jedes Stromventil (T1...T6) durch ein zugehöriges Ansteuersignal (TAS1...TAS6) eines Steuersatzes (ST) der Antriebssteuerung (A) mit Low-Pegel durchschaltbar ist und wobei - die Verknüpfungslogik (N1, N2, V1...V3, L1...L4) die beiden Signale (AK1, AK2) zu deren Ansteuerung über ein logisches UND-Gatter (L4) verknüpft, wobei dieses Verknüpfungssignal (AK12) jeweils zur weiteren Verknüpfung über jeweilige weitere UND-Gatter (L1, L2, L3) mit den jeweiligen Ansteuersignalen (TAS2, TAS4, TAS6) für die Stromventile (T2, T2, T6) des zum Ankerkurzschluss dienenden Brückenzweiges dient."

Es soll die Aufgabe gelöst werden, die konträren Funktionen "Sicherer Halt" und "Ankerkurzschlussbremsung" miteinander verknüpft zu realisieren (S 3, Z 5 bis 16 der geltenden Beschreibung).

Die Einsprechende ist der Ansicht, der geltende Anspruch 1 sei unzulässig erweitert, da er den erteilten Anspruch 10 ohne dessen unbedingte Rückbeziehung auf die Ansprüche 8 und 9 aufnehme. Außerdem ergebe sich der Gegenstand des Patentanspruchs 1 für den Fachmann aufgrund seiner - insbesondere in dem BIA-Report 6/98 des Hauptverbands der gewerblichen Berufsgenossenschaften, Seite 135 bis 142 dokumentierten - Fachkenntnis in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik nach der EP 742 637 A1.

Die Einsprechende stellt den Antrag, das Patent 100 59 173 zu widerrufen.

Die Patentinhaberin stellt den Antrag, das Patent 100 59 173 mit folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:

Patentansprüche 1 bis 8, sowie Beschreibung, Seiten 1, 2, 3, 4 mit Einfügung, und 5, sämtlich überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juli 2003, ferner Beschreibung ab Spalte 3 Zeile 60 und Zeichnungen gemäß Patentschrift.

Die Patentinhaberin ist der Meinung, die EP 742 637 A1 zeige keine sichere, zweikanalige Abschaltung der Versorgungsspannung durch erste und zweite Mittel zur Impulssperre. Ein sicherer Halt sei dort also entgegen der dortigen Aussage nicht gegeben. Die in Spalte 7, Zeilen 15 bis 19 angesprochene Impulslöschung für alle 6 Transistoren erfolge vermutlich im Pulsweitenmodulator PWM. Eine Abschaltung der Versorgungsspannung für die untere Wechselrichterbrücke sei nicht entnehmbar.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II Gemäß §147 Abs 3 PatG ist die Entscheidungsbefugnis auf den hierfür zuständigen 19. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts übergegangen.

Dieser hatte - wie in der zur Veröffentlichung vorgesehenen Entscheidung in der Einspruchssache 19 W (pat) 701/02 (mwN) ausführlich dargelegt ist - aufgrund öffentlicher mündlicher Verhandlung zu entscheiden.

Gegenstand des Verfahrens ist das erteilte Patent.

Der Einspruch ist zulässig und hat insoweit Erfolg, als das Patent mit den in der mündlichen Verhandlung überreichten Patentansprüchen 1 bis 8 beschränkt aufrechtzuerhalten war.

1. Offenbarung und Zulässigkeit der geltenden Patentansprüche Die Patentansprüche 1 bis 8 sind zulässig.

Der Patentanspruch 1 setzt sich aus den erteilten Ansprüchen 1, 4 und 10 zusammen, die den ursprünglichen Ansprüchen 1, 4 und 10 entsprechen. Wenn der Patentinhaber nur noch für eine bestimmte Ausführungsform Schutz begehrt (hier nach Fig 2) so ist er nicht genötigt sämtliche Merkmale dieses Ausführungsbeispiels in den Anspruch aufzunehmen. Die Aufnahme eines weiteren Merkmals des Ausführungsbeispiels in dem erteilten Patentanspruch 1 ist nämlich zulässig, wenn dadurch die zunächst weitere Lehre auf eine engere Lehre eingeschränkt wird und wenn das weitere Merkmal als zu der Erfindung gehörend zu erkennen war (vgl. BGH GRUR 2002, 49 - Drehmomentübertragungseinrichtung). Damit ist es hier auch möglich die Merkmale des erteilten Anspruchs 10, die unstreitig auch der Beschreibung des einzigen beanspruchten Ausführungsbeispiels entnehmbar sind ohne Berücksichtigung seiner Rückbeziehung in den Anspruch 1 aufzunehmen. Denn die in den erteilten Ansprüchen 8 und 9 angegebenen schaltungstechnischen Maßnahmen stellen für den Fachmann keine Vorbedingung für den erteilten Anspruch 10 dar.

Der zuständige Fachmann ist ein Fachhochschulingenieur der Fachrichtung Elektrotechnik mit Berufserfahrung in der Konstruktion von Stromrichterantrieben.

2. Neuheit Die Vorrichtung gemäß dem Patentanspruch 1 ist neu, da aus den im Prüfungs- und Einspruchsverfahren entgegengehaltenen Druckschriften eine Anordnung mit allen im Patentanspruch 1 angegebenen Merkmalen nicht bekannt ist.

2a) Der Fachmann entnimmt der EP 742 637 A1, insbesondere der in Spalte 7, Zeilen 15 bis 19 angegebenen, in der Figur nicht dargestellten Ausführungsvariante in Verbindung mit den bei dieser Variante mitgelesenen Merkmalen des Ausführungsbeispiels gemäß der einzigen Figur in Übereinstimmung mit dem Gegenstand des Anspruchs 1 eine Antriebssteuerung für einen Drehstrommotor M über einen Wechselrichter L, wobei der Wechselrichter Stromventile T1 bis T6 in Brückenschaltung aufweist.

Durch ein erstes Mittel IMP zur Impulssperre der oberen - im folgenden, wie im Anspruch 1 "Brückenzweig" genannten - Brückenhälfte ("obere Wechselrichterbrücke - Sp 4 Z 57 bis 59) sind die jeweiligen Stromventile im Fehlerfall durch das Fehlersignal S1 sperrbar, indem die Versorgungsspannung für eine Ansteuerung des oberen Brückenzweigs T1 bis T3 (über eine Schutzspule und ein Relais in IMP) unterbrechbar ist (Sp 5, Z 30 bis 36).

Eine Funktionseinheit IAK dient als Mittel zur Ankerkurzschlussbremsung, durch das im Fehlerfall die Ständerwicklung des Drehstrommotors M kurzschließbar ist, indem alle Stromventile eines Brückenzweigs T4 bis T6 einschaltbar sind (Sp 6, Z 17 bis 23).

Das Mittel IMP zur Impulssperre liefert ein Signal S2 zur Ansteuerung der Funktionseinheit IAK, die dieses Signal zur Taktung der Transistoren mit einem Taktfrequenzsignal f verknüpft, die also als "Verknüpfungslogik" bezeichnet werden kann. Damit ist durch diese Verknüpfungslogik IAK im Fehlerfall auch ein jeweiliges Ansteuersignal für die Stromventile T4 bis T6 des zum Ankerkurzschluss dienenden Brückenzweigs bereitstellbar.

Entgegen der Ansicht der Patentinhaberin geht der Senat davon aus, dass in Spalte 7, Zeilen 15 bis 19, wonach die Aktivierung des Ankerkurzschlusses nur einer Impulslöschung der Transistoren T 1 bis T 6 erfolgt mit der Bezeichnung "Impulslöschung" eine Impulssperre durch Unterbrechen der Versorgungsspannung angesprochen ist und nicht etwa nur ein Fehlen der Impulse im Pulsweitenmodulator PWM. Unmittelbar darauffolgend wird nämlich im Zusammenhang mit der in der einzigen Figur dargestellten Variante ausgeführt, dass (nur) die obere Wechselrichterbrücke "impulsgelöscht" ist und nur deren Optokoppler spannungsfrei sind, während die untere Wechselrichterbrücke aktiv bleibt. Die nicht dargestellte Variante muss also ein zweites Mittel zur Impulssperre aufweisen, mit dem die Versorgungsspannung für den unteren Brückenzweig unterbrechbar ist (zB ein zweites Relais oder ein zweiter Relaiskontakt).

Weiterhin muss dann für den Bremsbetrieb auch wieder eine Versorgungsspannung bereitgestellt werden, sobald die jeweilige Versorgungsspannung für eine Ansteuerung der Stromventile des einen und/oder anderen Brückenzweigs durch ein Mittel zur Impulssperre unterbrochen wird.

Schließlich entnimmt der Fachmann im Zusammenhang mit dem in der Figur dargestellten Schaltplan aufgrund der Polung der Dioden im Eingang jedes Optokopplers auch, dass jedes Stromventil der bekannten Antriebssteuerung durch ein zugehöriges Ansteuersignal eines Steuersatzes der Antriebssteuerung mit Low-Pegel durchschaltbar ist.

Im Unterschied zum Gegenstand des Anspruchs 1 ist aber nicht entnehmbar, wie die "Spannung zum Einschalten aller Stromventile" bereitgestellt bzw von der Verküpfungslogik generierbar ist. Entgegen der Auffassung der Einsprechenden können nach Überzeugung des Senats auch die von der Verknüpfungslogik IAK gelieferten Signale nicht die anspruchsgemäße "Spannung zum Einschalten aller Ventile" sein, denn die entsprechenden Signale sind im Anspruch 1 klar identifizierbar als "Ansteuersignale für die Stromventile" bezeichnet.

Weiterhin sind keine Und-Gatter zur weiteren Verknüpfung des Signals der Verknüpfungslogik IAK mit den jeweiligen Ansteuersignalen (vom Steuersatz /Pulsweitenmodulator) vorgesehen. Denn die Bremssignale von der Verknüpfungslogik IAK werden gemeinsam mit den Signalen vom Pulsweitenmodulator den Sperrdioden zugeführt. Ein im Fehlerfall von den Signalen eines Steuersatzes unabhängiges Ansteuersignal ist damit nicht realisierbar.

2b) Der BIA-Report a.a.O. wurde nur zum Beleg des Fachwissens herangezogen und zeigt im Hinblick auf den Anspruchsgegenstand, dass die zweikanalige Signalverarbeitung bei sicheren Antriebsteuerungen üblich ist. Weitere Merkmale des Anspruchs 1, insbesondere der Kurzschluss eines Brückenzweigs, sind dort nicht angesprochen.

2c) Die weitere noch im Verfahren befindliche EP 935 336 A2 wurde in der mündlichen Verhandlung weder vom Senat noch von den Beteiligten aufgegriffen. Sie bringt auch keine neuen Gesichtspunkte, so dass auf sie nicht eingegangen zu werden braucht.

3. Erfinderische Tätigkeit Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Ausgehend von der Anordnung nach der EP 742 637 A1 stellt sich für den Fachmann das Problem, wie er die nicht dargestellte Variante im schaltungstechnischen Detail realisieren kann, in der Praxis aus Sicherheitsgründen von selbst, denn diese Variante weist eine Impulslöschung aller Signale auf, bevor die Kurzschlussbremsung eingeleitet wird. Dabei mag es naheliegend sein, ein weiteres Relais vorzusehen um damit auch die Versorgungsspannung des unteren Brückenzweigs abschalten zu können. Nach dem Vorbild des ersten Relais mag er dabei auch einen Optokoppler zur Überwachung vorsehen, der ein zweites Signal S2 liefert, wobei dann diese beiden Signale S2 auch vor oder in der Funktionseinheit IAK verknüpft werden müssen um die Ankerkurzschlussbremsung auszulösen, sobald die jeweilige Versorgungsspannung beider Brückenzweige unterbrochen wird. Für eine Generierung der Spannung zum Einschalten dieser Stromventile aus der Verknüpfungslogik, die ja nur die Signale S2 und f) verknüpft, gibt es keinerlei Anregung oder Anlass. Naheliegend wäre vielmehr, das bereits vorhandene, abgeschaltete Relais des für die Ankerkurzschlussbremsung vorgesehenen Brückenzweiges wieder einzuschalten. Ebenso wenig Anlass gibt es, von der dort realisierten Zusammenführung der Ansteuersignale aus der Funktionseinheit IAK und aus dem Pulsweitenmodulator PWM abzugehen, und dafür Und-Gatter einzusetzen.

Um zur Vorrichtung nach Anspruch 1 zu kommen, bedurfte es somit erfinderischer Überlegungen.

4. Die Vorrichtung nach Anspruch 1 ist somit patentfähig.

Damit ist auch die Vorrichtung nach Anspruch 2 bis 8 patentfähig.

Dr. Kellerer Schmöger Dr.-Ing Kaminski Dr.-Ing. Scholz Pr






BPatG:
Beschluss v. 16.07.2003
Az: 19 W (pat) 314/02


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