Bundespatentgericht:
Beschluss vom 18. Mai 2000
Aktenzeichen: 13 W (pat) 58/98
(BPatG: Beschluss v. 18.05.2000, Az.: 13 W (pat) 58/98)
Tenor
Auf die Beschwerde wird der angefochtene Beschluß aufgehoben und das Patent in vollem Umfang aufrechterhalten.
Gründe
I.
Mit Beschluß vom 26. August 1998 hat die Patentabteilung 45 des Deutschen Patentamts nach Prüfung zweier Einsprüche und einer Eingabe eines Dritten das am 17. Juli 1992 angemeldete Patent 42 23 494, dessen Erteilung am 20. Juni 1996 veröffentlicht wurde, gemäß § 61 Absatz 1 Satz 1 PatG widerrufen.
Die Bezeichnung des Patents lautet:
"Schnellerhärtendes, hydraulisches Bindemittel"
Der erteilte, dem Widerrufsbeschluß zugrunde liegende Patentanspruch 1 lautet:
1. Schnellerhärtendes, hydraulisches Bindemittel, bestehend aus Portlandzement, Tonerdezement sowie an sich bekannten Zusatzstoffen, gekennzeichnet durch einen Gehalt an 95 - 5 Masse-% an einem Bindemittel der Zusammensetzunga)
98,1 - 99,1 Masse-% Portlandzement, 0,8 - 1,5 Masse-% Alkalicarbonat, 0,1 - 0,4 Masse-% organischer, die Hydratation der Calciumsilikate hemmender Erstarrungsverzögererund 5 - 95 Masse-% an einem Bindemittel der Zusammensetzungb)
92,45 Masse-% Portlandzement 4,7 Masse-% Tonerdezement 0,5 Masse-% Alkalicarbonat 0,3 Masse-% Alkalisulfat 1,6 Masse-% Ca(OH)2 0,05 Masse-% anorganischer Erstarrungsbeschleuniger für Calciumaluminathydrate 0,20 Masse-% organischer, die Hydratation der Calciumaluminatsulfate hemmender Erstarrungsverzögerer 0,20 Masse-% organischer, die Hydratation der Calciumsilicatehemmender und verflüssigungsfördernder Erstarrungsverzögerer.
Die rückbezogenen Ansprüche 2 bis 6 betreffen Ausbildungen des Bindemittels nach Anspruch 1.
Als maßgebliche Entgegenhaltungen liegen dem Widerrufsbeschluß zugrunde die:
(1) EP 0 228 595 B1 und die
(2) US 43 57 167 Im Widerrufsbeschluß ist unter anderem ausgeführt, daß die Einsprüche und die geltenden Ansprüche zulässig und der Gegenstand des Anspruchs 1 neu seien. Eine unzulässige Änderung des Patentgegenstandes liege nicht vor. Der Patentgegenstand beruhe jedoch gegenüber den Entgegenhaltungen (1) und (2) sowie fachmännischem Können nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde der Patentinhaberin.
Zur Begründung ihrer Beschwerde führt die Patentinhaberin insbesondere aus, daß nach dem nächstkommenden Stand der Technik gemäß der EP 0 228 595 B1 (1) als Mindestanteil von Tonerdezement in solchen schnellerhärtenden Mischungen 5 % vorgesehen seien und die Tonerdezementgehalte nach den Ausführungsbeispielen üblicherweise deutlich höher, beispielsweise bei 8 % lägen. Demgegenüber sei es mit der beanspruchten Erfindung gelungen, mit deutlich geringerem Tonerdezementanteil auszukommen, dessen obere Grenze wesentlich unter 5 % liege. Auch die weitere beanspruchte Mischungszusammensetzung sei dem Stand der Technik so nicht zu entnehmen. Das beanspruchte Bindemittel zeichne sich durch technischen Fortschritt aus.
Die Patentinhaberin beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent aufrechtzuerhalten.
Die beiden Einsprechenden haben ihre jeweiligen Einsprüche im Beschwerdeverfahren mit den Schriftsätzen vom 15. bzw 18. Mai 2000 zurückgenommen.
Die nicht am Verfahren beteiligte Dritte hat auch im Beschwerdeverfahren eine unzulässige Änderung in Form eines Aliuds des Patentgegenstandes gegenüber dem ursprünglichen Anmeldungsgegenstand geltend gemacht.
Zu weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
1. Die erteilten, geltenden Patentansprüche 1 bis 6 sind zulässig.
Der erteilte Anspruch 1 leitet sich her aus dem anmeldungsgemäßen Anspruch 4, der auf den ursprünglichen Anspruch 1 rückbezogen ist und in dem eine Verbindung der Ansprüche 2 und 3 in bestimmten Mengenbereichen festgelegt ist. Diesen Festlegungen entsprechen die Merkmale des geltenden Anspruchs 1, die gleichzeitig auch den Bedingungen des ursprünglichen Anspruchs 1 gehorchen, weil dessen Merkmal a) 0,1 bis 2,0 Masse-% eines organischen und/oder anorganischen Beschleunigers für die Hydration der Calciumsilikate gemäß dem erfindungsgemäßen Beispiel 1, wonach Natriumcarbonat als Silikatbeschleuniger wirkt, zulässig in die beanspruchten Alkalicarbonatgehalte des erteilten Anspruchs 1 überführt wurde, die als solche in den ursprünglichen Ansprüchen 2 und 3 genannt waren. Ein Aliud liegt deshalb nicht vor.
Der geltende Anspruch 2 leitet sich aus dem ursprünglichen Anspruch 7 her mit einer Ergänzung aus dem ursprünglichen Anspruch 2. Der erteilte Anspruch 3 ergibt sich ebenfalls aus dem ursprünglichen Anspruch 7. Die geltenden Ansprüche 4 und 5 leiten sich aus dem ursprünglichen Anspruch 6 her. Der erteilte Anspruch 6 entspricht dem ursprünglichen Anspruch 5.
2. Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist unbestritten neu. Er beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Der hier zuständige Fachmann ist ein diplomierter Baustofftechniker bzw -Chemiker mit langjähriger Erfahrung in der Baustoff-, insbesondere Zement- und Bindemittelentwicklung.
Die Zusammensetzung des Bindemittels nach Anspruch 1 läßt sich aus den beiden Teilmischungen a) und b) unter Zusammenführung gleicher Komponenten wie folgt berechnen:
A) 92,73 - 98,77 Masse-% Portlandzement B) 0,24 - 4,47 Masse-% Tonerdezement C) 0,52 - 1,45 Masse-% Alkalicarbonat D) 0,02 - 0,29 Masse-% Alkalisulfat E) 0,08 - 1,52 Masse-% Ca(OH)2 F) 0,003 - 0,048 Masse-% anorganischer Erstarrungsbe schleuniger für Calciumaluminathydrate G) 0,01 - 0,19 Masse-% organischer, die Hydratation der Calciumaluminatsulfate hemmender Erstarrungsverzögerer H) 0,11 - 0,39 Masse-% organischer, die Hydratation der Calciumsilikate hemmender und verflüssi- gungsfördernder Erstarrungsverzögerer Dabei wurde der organische, die Hydratation der Calciumsilikate hemmende Erstarrungsverzögerer der Teilmischung a) des erteilten Anspruchs 1 mit dem organischen, die Hydratation der Calciumsilikate hemmenden und verflüssigungsfördernden Erstarrungsverzögerer der Teilmischung b) des erteilten Anspruchs 1 zur Komponente H) zusammengefaßt, weil die Formulierung des Anspruchs 1 nicht ausschließt, daß auch der Erstarrungsverzögerer der Teilmischung a) verflüssigungsfördernd wirkt. Auch in den Beispielen 1 bis 3 des Streitpatents erfolgt die Zusammenfassung entsprechend.
Folgende Komponenten der beanspruchten Mischung überdecken sich in ihren Anteilen mit der aus der EP 0 228 595 B1 (1) bekannten Bindemittelmischung:
Komponente Anspruch 1 Streitpatent EP 0 228 595 B1 (1)
A) Portlandzement 92,73 - 98,77 % 75 - 95 % (Sp 1, Z 38, 39)
C) Alkalicarbonat 0,52 - 1,45 % 0,34 - 1,37 % (An- spruch 1,Merkmal e. nach Umrechnung)
G) Hydration der Calcium-
aluminatsulfate 0,01 - 0,19 % 0,1 - 1 % (Anspruch 1 dhemmender Verzögerer iVm Anspruch 6.)
Objektiv liegt dem Streitpatent gemäß Seite 2, Zeilen 45 bis 48 die Aufgabe zugrunde, bei einem schnellerhärtenden, hydraulischen Bindemittel mit zweckmäßiger Verarbeitungszeit die Druckfestigkeitsentwicklung zu verbessern bei nur geringem Einfluß auf die Frühfestigkeit.
Der weitere, in der Streitpatentschrift angegebene Aufgabenteil nach Seite 2, Zeile 47, wonach das Bindemittel einen gegenüber dem Stand der Technik niedrigeren Anteil an Tonerdezement aufweisen soll, betrifft bereits den Lösungsgedanken für die gestellte Aufgabe.
Die Patentinhaberin hat nämlich überzeugend dargelegt, daß bei schnellerhärtenden hydraulischen Bindemitteln Gehalte von mehr als 5 % Tonerdezement (TZ) üblich sind, wie das auch aus der EP 0 228 595 B1 (1), Anspruch 1, Merkmal b. mit 5 bis 25 % sowie den Beispielen Spalte 4, Zeilen 5 und 55 mit 8 % TZ hervorgeht.
Demgegenüber beansprucht das Streitpatent Gehalte an Tonerdezement von weniger als 4,47 %, wofür der Stand der Technik kein Vorbild und keine Anregung vermittelt.
Auch nach einer rechnerischen Normierung der Massegehalte gemäß der EP 0 228 595 B1 (1) bleibt ein entsprechender Abstand der Massenanteile von Tonerdezement zwischen dem Stand der Technik (TZ = 4,7 - 23,5 Masse-%) und dem Bindemittel nach Anspruch 1 (s. Komponente B: TZ = 0,24 - 4,47 Masse-%).
Neben diesem Unterschied im Tonerdezementgehalt gehen aus der EP 0 228 595 B1 (1) Spalte 4, Zeilen 31, 32 mit Natrium- und Kaliumsulfat zwar Alkalisulfatbestandteile hervor, jedoch ohne eine entsprechende Gehaltsbegrenzung gemäß Anspruch 1 (s. Komponente D). Entsprechendes gilt auch für den beanspruchten Ca(OH)2-Gehalt von maximal 1,52 Masse-% (s. Komponente E), während nach der EP 0 228 595 B1 (1) in Spalte 3, Zeile 49 zwar Kalkhydrat genannt ist, jedoch ohne Mengenangabe bzw -begrenzung.
Weiterhin enthält das aus der EP 0 228 595 B1 (1) bekannte Bindemittel nach Anspruch 1 c. 2,5 bis 4 % reaktives Calciumsulfat als Zusatz in dem aus Portlandzementklinker gemahlenen Portlandzement (Spalte 2, Zeilen 39 bis 45), was dem Streitpatent nicht entsprechend zu entnehmen ist.
Das beanspruchte Bindemittel enthält auch maximal 0,048 Masse-% anorganische Erstarrungsbeschleuniger für Calciumaluminathydrate (s. Komponente F), was weder als solches noch in der beanspruchten Masse-Begrenzung aus der EP 0 228 595 B1 (1) hervorgeht. Eine einfache Subsumierung dieser Komponente unter den Alkalicarbonatgehalt erscheint nicht gerechtfertigt.
Schließlich beansprucht das Streitpatent 0,11 bis 0,39 Masse-% organischer, die Hydratation der Calciumsilikate hemmender Erstarrungsverzögerer (s. Komponente H). Nach dem Streitpatent Seite 4, Vergleichsbeispiel enthalten handelsübliche Schnellzemente dagegen 0,10 Masse-% Ca-Ligninsulfonat, also weniger. Auch die US-PS 43 57 167 (2) nennt in Spalte 2, Zeilen 58, 59 calcium lignosulphonate als oberflächenaktive Komponente, jedoch ohne jede Mengenangabe.
Somit läßt sich die Lehre des Anspruchs 1 gemäß Streitpatent nicht in naheliegender Weise aus der EP 0 228 595 B1 (1) und auch nicht aus einer Zusammenschau mit der US-PS 43 57 167 (2) herleiten.
Die übrigen im Patenterteilungs- und Einspruchsverfahren zum Stand der Technik noch bekanntgewordenen Schriften liegen dem Streitpatentgegenstand wesentlich ferner und können zu dessen Lehre weder einzeln noch in Kombination untereinander etwas beitragen. Das beanspruchte, zweifellos gewerblich anwendbare Bindemittel ist somit neu und beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Der Patentanspruch 1 hat daher Bestand und mit ihm die darauf rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 6.
Bei dieser Sachlage war der angefochtene Beschluß aufzuheben und das Patent in vollem Umfang aufrechtzuerhalten.
Ch. Ulrich Heyne Dr. Henkel Dr. W. Maier Bb
BPatG:
Beschluss v. 18.05.2000
Az: 13 W (pat) 58/98
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