Oberlandesgericht München:
Beschluss vom 9. Juli 2009
Aktenzeichen: 33 Wx 164/09
(OLG München: Beschluss v. 09.07.2009, Az.: 33 Wx 164/09)
Tenor
I. Der Beschluss des Landgerichts München I vom 11. Mai 2009 wird aufgehoben.
II. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.
III. Der Geschäftswert für das Verfahren der weiteren und sofortigen weiteren Beschwerde wird auf 3.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Nach vorangegangener vorläufiger Betreuung bestellte das Amtsgericht am 26.3.2009 für die Betroffene eine Rechtsanwältin als berufsmäßige Betreuerin für vorwiegend vermögensbezogene Aufgaben und eine weitere - ehrenamtliche - Betreuerin, der die Betroffene auch mehrere Vollmachten ausgestellt hatte, für eher personenbezogene Aufgaben und ordnete einen Einwilligungsvorbehalt für den Aufgabenkreis Vermögenssorge an.
Hiergegen hat die Betroffene am 14. 4. 2009 durch ihren Verfahrensbevollmächtigten, der im vorangegangenen Beschwerdeverfahren wegen der vorläufigen Betreuung die weitere Betreuerin vertreten hatte, Beschwerde eingelegt, die vom Landgericht am 11.5.2009 verworfen wurde.
Mit ihrer weiteren und sofortigen weiteren Beschwerde verfolgt die Betroffene ihr Ziel der Aufhebung der Betreuung weiter.
II.
Das zulässige Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg und führt zur Zurückverweisung der Angelegenheit an das Landgericht.
51. Das Landgericht hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass eine wirksame Beschwerdeeinlegung nicht vorliege, weil die Prozessvollmacht des Verfahrenbevollmächtigten wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot gemäß § 134 BGB iVm § 43a Abs. 4 BRAO nichtig sei. Der Verfahrensbevollmächtigte habe das Beschwerdeverfahren gegen die vorläufige Betreuung noch im Namen der Bevollmächtigten geführt und die vorliegende Beschwerde im Namen der Betroffenen eingelegt. Die Beschwerde werde unverändert darauf gestützt, dass eine Betreuung entbehrlich sei, weil die Betroffene jedenfalls bei Vollmachtserteilung geschäftsfähig gewesen sei. Dies möge zwar im Interesse der Bevollmächtigten liegen, die ohne Betreuung und Einwilligungsvorbehalt unkontrollierten Zugriff auf das Vermögen der Betroffenen hätte, nicht jedoch im wohlverstandenen Vermögensinteresse der Betroffenen. Dies gelte umso mehr angesichts ungeklärter Positionen im Haushaltsbuch und eines Fehlbetrags von rund 40.000 €, der aus der Zeit nach Vollmachtserteilung herrühre und dessen Verbleib trotz intensiver Bemühungen der Vermögensbetreuerin bislang nicht habe geklärt werden können. Das objektive Vermögensinteresse der Betroffenen erachte die Kammer als maßgeblich, da die Betroffene zu einer freien Willensbestimmung nach dem Gutachten Dr. S. vom 29.1.2009 nicht in der Lage sei und sie nach dem Akteninhalt zu dieser Frage keinen natürlichen Willen geäußert habe.
Die effektive Durchsetzung des Verbots der Wahrnehmung widerstreitender Interessen gebiete es, die Nichtigkeit nicht generell auf den anwaltlichen Geschäftsbesorgungsvertrag zu beschränken und die Prozessvollmacht hiervon auszunehmen. Ein überwiegendes Interesse der Rechtssicherheit oder der Rechtsbeständigkeit von Prozesshandlungen, mit dem die Beschränkung der Nichtigkeit auf den Anwaltsvertrag begründet werde, sei vorliegend nicht einschlägig. Das vorliegende Verfahren sei keine echte Streitsache der freiwilligen Gerichtsbarkeit, die Beteiligten stünden sich nicht als Prozessgegner gegenüber. Zudem gelte der Amtsermittlungsgrundsatz des § 12 FGG. Neue Umstände seien zu berücksichtigen, sodass die Entscheidungen im Verfahren auch nicht in materielle Rechtskraft erwüchsen. Anders als im Zivilprozess sei das Verfahrensrecht hier gerade nicht darauf angewiesen, dass die von den Parteien und ihren Vertretern abgegebenen Erklärungen und die von ihnen vorgenommen Prozesshandlungen grundsätzlich Geltung behielten.
2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO) nicht stand.
8a) Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht festgestellt, dass wegen der Vertretung widerstreitender Interessen der Verfahrenbevollmächtigte gegen § 43a Abs. 4 BRAO verstoßen hat.
Diese Tatsachenwürdigung kann vom Rechtsbeschwerdegericht nur daraufhin überprüft werden, ob sie von irrigen Grundlagen ausgeht oder gegen Denkgesetze verstößt oder ob objektive Schlüsse gezogen werden, die mit einer feststehenden Auslegungsregel oder mit der allgemeinen Lebenserfahrung unvereinbar sind. Für eine einwandfreie Würdigung der Sachlage genügt es, wenn der vom Tatsachengericht gezogene Schluss möglich, wenn auch nicht gerade zwingend ist, mag selbst eine andere Schlussfolgerung ebenso nahe oder noch näher gelegen haben. Mit der weiteren Beschwerde kann also nicht geltend gemacht werden, die tatsächlichen Folgerungen des Tatrichters seien nicht die einzig möglichen, nicht schlechthin zwingend (vgl. BayObLG FamRZ 1994, 1617/1618).
Rechtsfehler bei der tatsächlichen Würdigung sind in den Ausführungen des Landgerichts nicht erkennbar. Ergänzend ist zu bemerken, dass das Vorbringen der weiteren Betreuerin wenig glaubhaft ist, sie habe die Beträge von rund 150.000 € auf Wunsch der Betroffenen von deren Konten abgehoben und in ihre eigene Wohnung verbracht, weil die Betroffenen angesichts der Bankenkrise ihr Vermögen habe schützen wollen. Wäre dies der Fall gewesen, hätte eine einmalige Abhebung des Betrags nahegelegen. Vorliegend hat die Bevollmächtigte jedoch das Geld in zahlreichen Stückelungen abgehoben, beispielsweise in der Zeit vom 22.11.2008 bis 30.12.2008 sechsmal je 5.000 € und in der Zeit vom 3.1.2009 bis 17.1.2009 dreimal 5.000 € und je einmal 10.000, 15.000 und 50.000 €. Diese Vorgehensweise legt den Schluss nahe, dass damit vermieden werden sollte, dass etwa die Bank Verdacht schöpfen könnte und die Abhebungen bekannt würden. Es liegt daher nach derzeitiger Aktenlage nicht fern, von einem unredlichen eigennützigen Verhalten der weiteren Betreuerin und damaligen Bevollmächtigten auszugehen.
b) Der Senat schließt sich auch der Auffassung der Kammer an, dass der Verstoß gegen § 43a Abs. 4 BRAO in Betreuungssachen zur Nichtigkeit des anwaltlichen Dienstleistungsvertrags gemäß § 134 BGB führt (MüKo/Armbrüster BGB 5. Aufl. § 134 Rn 100).
12c) Jedoch umfasst die Nichtigkeit des Anwaltsvertrags nicht die von der Betroffenen erteilte Verfahrensvollmacht.
13Ein Verstoß des Rechtsanwalts gegen § 43a Abs. 4 BRAO berührt nicht die Wirksamkeit der ihm erteilten Prozessvollmacht und der von ihm namens der Partei vorgenommenen Prozesshandlungen (ständige Rechtsprechung des BGH, zuletzt Urteil vom 14.05.2009 - IX ZR 60/08 - WM 2009, 1296). Entgegen der Rechtsauffassung des Landgerichts ist dies auch in Betreuungssachen nicht abweichend zu beurteilen. Dies käme nur in Betracht, wenn der Schutz des Mandanten in Betreuungssachen eine Erstreckung der Nichtigkeit auch auf die Vollmacht gebieten würde.
Dies ist jedoch nicht der Fall. Dem Interesse des Mandanten ist dadurch Genüge getan, dass er wegen der Nichtigkeit des Anwaltsvertrags keine Anwaltsvergütung schuldet. Prozesshandlungen des Anwalts vermögen die Rechtspositionen und Interessen der Betroffenen nicht zu beeinträchtigen, da, wie die Kammer richtig erkannt hat, das Verfahren in Betreuungssachen nach dem Amtsermittlungsgrundsatz (§ 12 FGG) geführt wird und unabhängig von dem Vorbringen des Anwalts die Gerichte das Wohl des Betroffenen zu wahren haben. Dabei ist besonders zu beachten, dass in Betreuungssachen auch der geschäftsunfähige Betroffene als verfahrensfähig angesehen wird (§ 66 FGG), das Prozessrecht also zu seinem Schutz von einer möglichst weitgehenden Geltung seines natürlichen Willens und seiner Handlungen im Prozess ausgeht, da auch materiell das gesamte Betreuungsverfahren am Wohle des Betroffenen ausgerichtet ist. Gerade der behinderte, geschäftsunfähige Mandant wird kaum erkennen können, dass die für ihn vorgenommen Prozesshandlungen seines Verfahrensbevollmächtigten gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen und deswegen unwirksam sein könnten. Würde man sie als unwirksam ansehen, wäre der Betroffene nur selten in der Lage, sie gegebenenfalls wirksam nachzuholen. Dies gilt noch in besonderem Maße für die fristgebundene sofortige Beschwerde gegen die Anordnung des Einwilligungsvorbehalts (§ 69g Abs. 4 Nr. 1 FGG), die nur unter den engen Voraussetzungen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 22 Abs. 2 FGG) nachgeholt werden könnte.
Da die Kammer die (sofortige) Beschwerde zu Unrecht als unzulässig verworfen hat, ist die Angelegenheit an das Landgericht zur Entscheidung in der Sache zurückzuverweisen.
III.
Die Festsetzung des Geschäftswertes beruht auf § 131 Abs. 2, § 30 Abs. 2 und Abs. 3 KostO.
OLG München:
Beschluss v. 09.07.2009
Az: 33 Wx 164/09
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