Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Urteil vom 9. Februar 2012
Aktenzeichen: 6 U 130/11

(OLG Frankfurt am Main: Urteil v. 09.02.2012, Az.: 6 U 130/11)

Bedient sich ein "Call-by-Call"-Anbieter zur Weiterleitung von Telefongesprächen in fremde Netze sog. Transit-Carrier, die im eigenen Nahmen und auf eigene Kosten die Weiterleitung übernehmen, ist der Transit-Carrier kein Beauftragter des Anbieters im Sinne von § 8 II UWG.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 9.6.2011 verkündete Urteil der 11. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt a. M. wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Gründe

I.

Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen (§ 540 I, 1 ZPO). Mit der Berufung verfolgt die Klägerin das abgewiesene Unterlassungsbegehren weiter. Im Berufungsverfahren wiederholen und vertiefen beide Parteien ihr erstinstanzliches Vorbringen; wegen der Einzelheiten wird auf die nachfolgenden Ausführungen unter II. sowie die gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen verwiesen.

Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagten zu verurteilen, es bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu unterlassen, zu Zwecken des Wettbewerbs im geschäftlichen Verkehr Mobil-funkendkundenkarten (SIM-Karten) in GSM-Gateways unmittelbar oder mittelbar zu nutzen, um Verbindungen eines Dritten aus einem fremden Telekommunikationsnetz in das Mobilfunknetz der Klägerin (X-Netz) ein- oder weiterzuleiten.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Der Klägerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht zu.

Es kann dahinstehen, ob die von der Klägerin unter den Call-by-Call-Nummern der Beklagten zu 1) bis 3) durchgeführten Testanrufe in das eigene Netz der Klägerin mit Hilfe einer SIM-Karte der Klägerin über ein GSM-Gateway ein- oder weitergeleitet worden sind und ob in einer derartigen Weiterleitung eine gezielte Behinderung der Klägerin (§ 4 Nr. 10 UWG) gesehen werden könnte. Denn jedenfalls können die Beklagten € wie das Landgericht mit Recht angenommen hat € für den darin möglicherweise liegenden Wettbewerbsverstoß unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt verantwortlich gemacht werden.

Die Klägerin hat auch mit der Berufungsbegründung keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass die Beklagten selbst eine Ein- oder Weiterleitung der Anrufe mit Hilfe einer SIM-Karte der Klägerin über ein GSM-Gateway veranlasst haben.

Soweit die Weiterleitung der Anrufe auf die von der Klägerin beanstandete Weise von einem nachgeschalteten sog. Transit-Carrier erfolgt ist, haben die Beklagten zu 1) bis 3) € ebenso wie der Beklagte zu 4) als Geschäftsführer der Beklagten zu 1) bis 3) € hierfür wettbewerbsrechtlich nicht einzustehen, da die Transit-Carrier nicht als Beauftragte (§ 8 II UWG) der Beklagten zu 1) bis 3) eingestuft werden können.

Soweit sich ein Unternehmen beim Absatz der von ihm vertriebenen Waren oder Dienstleistungen weiterer Personen oder Unternehmen bedient, hängt die Frage, ob diese Dritte als Beauftragte im Sinne von § 8 II UWG angesehen werden können, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH GRUR 2011, 543 € Änderung der Voreinstellung III, Tz. 13 ff. m.w.N.) entscheidend davon ab, ob dem Betriebsinhaber ein bestimmender und durchsetzbarer Einfluss jedenfalls auf diejenige Tätigkeit des Dritten eingeräumt ist, in deren Bereich das fragliche Verhalten fällt, oder ob es sich bei dem Dritten nach seiner wirtschaftlichen Funktion um einen selbstständigen Absatzmittler handelt. Maßgebliches Abgrenzungskriterium ist dabei insbesondere, ob der Absatzmittler die Leistung dem anderen Unternehmen selbst abkauft und dann im eigenen Namen und zu seinen eigenen Konditionen weiterverkauft (Eigenhändler bzw. €Reseller€, vgl. BGH a.a.O., Tz. 14), oder ob er nur als Vertreter des Betriebsinhabers in dessen Namen und auf dessen Rechnung die Leistungen vermittelt.

Während im letztgenannten Fall eine Beauftragtenstellung zu bejahen ist (vgl. hierzu auch € für ein von einer Versicherung eingeschaltetes Call-Center € Senat, Urteil vom 11.8.2011 € 6 U 182/10), ist der Eigenhändler in der Regel als selbstständiger Absatzmittler einzustufen, der die Tatbestandsvoraussetzungen des § 8 II UWG nicht erfüllt; etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn der Eigenhändler € etwa auf Grund eines Vertragshändlervertrages € in besonderer Weise in die Vertriebsorganisation des Unternehmens eingegliedert ist, dem das Verhalten des Händlers zugerechnet werden soll (vgl. hierzu BGH a.a.O., Tz. 15 m.w.N.).

Von der Fallgestaltung, die der Entscheidung €Änderung der Voreinstellung III€ (a.a.O.) zugrunde lag, unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt allerdings insoweit, als es hier nicht um die Einschaltung Dritter in die €Absatzkette€, sondern in die €Beschaffungskette€ geht. Die Beklagten zu 1) bis 3) sind dem Anrufer gegenüber, der über die von ihnen angebotene Call-by-Call-Nummer eine Nummer des Mobilfunknetzes der Klägerin angewählt hat, zur Herstellung der gewünschten Verbindung verpflichtet. Sie müssen daher € bereits im Vorhinein € die zur Ein- bzw. Weiterleitung des Anrufs in das Netz der Klägerin erforderlichen Maßnahmen treffen. Hierzu schalten sie einen Transit-Carrier ein, der sich zur Herstellung der Verbindung möglicherweise eines oder mehrerer weiterer Transit-Carrier bedient. Für die Frage, wann unter diesen Umständen der als €Beschaffungsmittler€ eingeschaltete Transit-Carrier als Beauftragter im Sinne von § 8 II UWG angesehen werden können, kann jedoch auf die gleichen Grundsätze zurückgegriffen werden, die der Bundesgerichtshof € wie ausgeführt - für den €Absatzmittler€ entwickelt hat. Es sind jedenfalls keine Gründe ersichtlich, warum für die Beurteilung der Beauftragtenhaftung in der €Beschaffungskette€ andere Maßstäbe gelten sollten als in der €Absatzkette€.

Danach sind im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für eine Beauftragtenhaftung nach § 8 II UWG nicht erfüllt. Die Beklagten zu 1) bis 3) beauftragen die Transit-Carrier nicht damit, in ihrem Namen und auf ihre Rechnung die für die Weiterleitung in das Netz der Klägerin erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, insbesondere in ihrem Namen Verträge zu schließen. Die Beklagten zu 1) bis 3) bestellen vielmehr bei dem Transit-Carrier die Weiterleitung der Anrufe und zahlen ihm hierfür den vereinbarten Betrag.

Wie der Transit-Carrier die von ihm übernommene Weiterleitungsleistung erbringt, liegt allein in seiner € wirtschaftlichen und technischen - Verantwortung. Letztlich kaufen die Beklagten zu 1) bis 3) bei dem Transit-Carrier die Weiterleitungsleistung ein, mit der dieser sich wiederum anderweitig eindecken muss. Der Transit-Carrier ist sozusagen €umgekehrter Reseller€ im Sinne der Entscheidung €Änderung der Voreinstellung III€ (a.a.O.). Da der Transit-Carrier auch nicht durch besondere vertragliche Vereinbarung in die Betriebsorganisation der Beklagten zu 1) bis 3) eingegliedert ist, ist er daher nicht deren Beauftragter im Sinne von § 8 II UWG.

Die Klägerin kann ihr Unterlassungsbegehren auch nicht mit Erfolg auf den Vorwurf stützen, dass die Beklagten um die Gefahr des Missbrauchs von SIM-Karten zur Weiterleitung von Anrufen über GSM-Gateways wüssten und daher in ihren Verträgen besondere Vorkehrungen dagegen treffen müssten, dass es zu einem solchen Missbrauch kommt. Nachdem die Grundsätze der Störerhaftung im Wettbewerbsrecht keine Anwendung (mehr) finden (vgl. BGH GRUR 2011, 152 € Kinderhochstühle im Internet, Tz. 48), kämen als Grundlage für eine Verantwortlichkeit der Beklagten unter diesem Gesichtspunkt allenfalls die Grundsätze über die wettbewerbsrechtliche Verkehrspflicht (vgl. BGH GRUR 2007, 890 € Jugendgefährdende Schriften bei eBay) in Betracht. Diese Grundsätze können hier aber schon deshalb keine Anwendung finden, weil die Beklagten mit ihrem Verhalten keine €Gefahrenquelle€ für die Begehung von Wettbewerbsverstößen im Sinne der genannten Rechtsprechung eröffnen. Aber selbst wenn man dies bejahen wollte, könnte die Klägerin von den Beklagten nur verlangen, durch geeignete und zumutbare Maßnahmen die Gefahr der Begehung von Wettbewerbsverstößen Dritter zu begrenzen, was sich auch im Unterlassungsantrag niederschlagen muss (vgl. hierzu Senat GRUR-RR 2009, 315, Tz. 7). Darauf ist der Klageantrag, der den Beklagten einschränkungslos die Weiterleitung von Anrufen mit Hilfe einer SIM-Karte der Klägerin über ein GSM-Gateway verbieten will, nicht zugeschnitten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 I ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 543 II ZPO) sind nicht erfüllt, da die zur Beurteilung maßgeblichen Fragen der Auslegung von § 8 II UWG durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hinreichend geklärt sind.






OLG Frankfurt am Main:
Urteil v. 09.02.2012
Az: 6 U 130/11


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