Landgericht Bonn:
Urteil vom 4. Mai 2012
Aktenzeichen: 9 O 60/12
(LG Bonn: Urteil v. 04.05.2012, Az.: 9 O 60/12)
Tenor
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Seit 1997/1998 leitete der Antragsteller als alleiniger Geschäftsführer die E GmbH, deren Betrieb sich mit der Installation von Heizungs- und Lüftungsanlagen befasst. Die Geschäftsräume befinden sich in dem Wohnhaus des Antragstellers. Zum 01.11.1997 schloss der Antragsteller bei der Antragsgegnerin eine fondsgebundene Lebensversicherung mit einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung bei einer Laufzeit von 29 Jahren ab. Am 03.05.2003 erlitt der Antragsteller einen Motorradunfall mit schweren Verletzungsfolgen. Daraufhin machte er gegenüber der Antragsgegnerin Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung geltend, die sie ab dem 01.06.2003 bewilligte. In den Jahren 2006, 2008, 2011 führte sie bedingungsgemäße Nachprüfungsverfahren durch, indem sie vom Antragsteller Selbstauskünfte und Einkommensnachweise einholte. In diesem Rahmen gab der Antragsteller an, dass er zwei Stunden täglich an 2-3 Tagen die Woche bei maximal drei Wochen im Monat arbeite. Eine medizinische Begutachtung des Antragstellers führte die Antragsgegnerin nicht durch. Stattdessen ließ sie ihn zunächst durch ihren Mitarbeiter, Herrn F, und anschließend durch einen externen Ermittler observieren. Zum 01.01.2011 berief der Antragsteller seine Ehefrau zur zweiten Geschäftsführerin der GmbH und trat am 01.01.2012 als Geschäftsführer zurück. Bis zu diesem Zeitpunkt waren im Internetauftritt der GmbH nur die Kontaktdaten des Antragstellers, nicht jedoch seiner Ehefrau, aufgeführt. Mit Schreiben vom 11.01.2012 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass sie aufgrund der von ihr durchgeführten Observierung festgestellt habe, dass er nicht mehr berufsunfähig sei, was sie durch zahlreiche Bilder belegen könne. Sie erklärte die außerordentliche Kündigung des Vertrages und stellte die Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung ein. Daraufhin forderte der Antragsteller die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 26.01.2012 auf, die Observierung zu unterlassen, die gefertigten Bilder herauszugeben und die Berufsunfähigkeitsrente weiter zu zahlen. Die Antragsgegnerin reagierte darauf nicht.
Der Antragsteller ist der Ansicht, die Observierung sowie das Anfertigen der Bilder durch die Antragsgegnerin seien unzulässig.
Er beantragt,
1. der Antragsgegnerin zu gebieten, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 €, ersatzwiese ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an ihren Vorständen, zu unterlassen, den Antragsteller unter rechtswidriger Verletzung seiner Grundrechte zu observieren oder durch Dritte observieren zu lassen sowie Foto- und Filmaufnahmen von ihm zu fertigen oder fertigen zu lassen und ohne dessen Wissen personenbezogene Daten zu sammeln;
2. der Antragsgegnerin zu gebieten, den vollständigen im Zusammenhang mit der erfolgten Observierung geführten Schriftwechsel einschließlich der von den observierenden Ermittlern überlassenen Unterlagen (Observierungsberichte, Observierungsprotokolle, Fotos etc.) an den Antragsteller im Original herauszugeben, sämtliche im Rahmen der Observierung gewonnen Daten zu löschen bzw. bei Dritten deren Löschung zu veranlassen sowie dem Antragsteller die Löschung sämtlicher Daten schriftlich zu bestätigen;
hilfsweise: der Antragsgegnerin zu gebieten, den vollständigen im Zusammenhang mit der erfolgten Observierung geführten Schriftwechsel einschließlich der von den observierenden Ermittlern überlassenen Unterlagen (Observierungsberichte, Observierungsprotokolle, Fotos etc.) an den Antragsteller in Kopie herauszugeben, die Originale bis zur endgültigen Entscheidung über die Hauptsache gerichtlich zu hinterlegen und alle sonstigen im Rahmen der Observierung gewonnenen Daten zu löschen bzw. bei Dritten deren Löschung zu veranlassen sowie dem Antragsteller die Löschung sämtlicher Daten schriftlich zu bestätigen;
3. der Antragsgegnerin die Kosten des Antragsverfahrens und der außergerichtlichen Rechtsverfolgung aufzuerlegen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
Sie behauptet, dass während der Observierung keine Bilder angefertigt worden seien. Auf telefonische Nachfrage bei der E GmbH habe eine Mitarbeiterin bekundet, der Antragsteller sei gerade bei einem Außentermin, ansonsten aber während der regulären Geschäftszeiten durchgängig erreichbar. Im Übrigen nehme der Antragsteller inzwischen wieder an Motorradrennen teil.
Gründe
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist unbegründet.
Der Antrag zu 1) ist unbegründet, weil der Antragsteller einen Verfügungsanspruch nicht glaubhaft gemacht hat.
Dem Antragsteller steht gegen die Antragsgegnerin kein Anspruch auf Unterlassung der Observierung zu. Die Voraussetzungen der §§ 1004 I i. V. m. 823 I BGB sind nicht erfüllt. Es fehlt bereits ein Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Antragstellers. Ein allgemeiner Schutz davor, an frei zugänglichen und für jedermann einsehbaren Orten durch andere beobachtet zu werden, besteht nicht (vgl. BGH Urteil vom 25.04.1995, Az. VI ZR 272/94). Das gilt für die Observierung des Antragstellers sowohl außerhalb als auch in seinen Geschäftsräumen, sofern diese von außen einsehbar sind. Der besonders geschützte Bereich der Privatsphäre ist nicht betroffen, solange die Observierung auf die berufliche Tätigkeit des Antragstellers abzielt (vgl. Fricke, VersR 2010, 308, 310 m. w. N.). Zwar sind die Büroräume der GmbH und das Wohnhaus des Antragstellers unter einer Adresse zu finden. Jedoch sind die Geschäftsräume - wie auf den vom Antragsteller vorgelegten Bildern erkennbar - von seinen Wohnräumen getrennt. Objektive Anhaltspunkte dafür, dass eine Observierung (zumindest auch) im privaten Bereich erfolgte, liegen nicht vor und sind ausgehend von der Zielrichtung der Überwachung auch nicht naheliegend.
Dem Antragsteller steht auch kein Anspruch auf Unterlassung im Hinblick auf die angefertigten Bildaufnahmen zu.
Die Kammer geht davon aus, dass entsprechende Bildaufnahmen im Rahmen der Observierung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gemacht worden sind, § 294 ZPO. Dafür spricht das Schreiben der Antragsgegnerin vom 11.01.2012, indem sie dem Antragsteller mitteilt, dass sie die von ihr getroffenen Ermittlungen durch "umfangreiches Fotomaterial" belegen könne.
Die Anfertigung von Bildern ohne Einwilligung des Antragstellers begründet auch einen Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht (BGH Urteil vom 25.04.1995, Az. VI ZR 272/94).
Dieser Eingriff ist jedoch nicht rechtswidrig, weil die Antragsgegnerin die Bilder aufgrund eines begründeten Anfangsverdachtes angefertigt hat (vgl. BGH Urteil vom 18.07.2007, Az. IV ZR 129/06; BGH Urteil vom 20.05.2009, Az. IV ZR 274/06). Aus einer umfassenden Interessen- und Güterabwägung im konkreten Einzelfall ergibt sich, dass das Vermögens- und Informationsinteresse des Versicherers das Recht des Versicherungsnehmers am eigenen Bild überwiegt, weil ein auf tatsächlichen Anhaltspunkten beruhender Anfangsverdacht für eine fehlende Berufsunfähigkeit des Versicherungsnehmers gegeben ist.
Sofern die Antragsgegnerin ihren Anfangsverdacht auf ein Telefonat mit einer Mitarbeiterin der GmbH stützt, ist dem nicht zu folgen, weil entsprechendes Telefonat vom Antragsteller zulässig bestritten, von der Antragsgegnerin aber nicht glaubhaft gemacht wurde. Gleiches gilt auch für die von der Antragsgegnerin ohne Glaubhaftmachung behauptete Mitarbeiterbefragung. Auch die von der Antragsgegnerin in Bezug genommenen Observierungsergebnisse ihres Mitarbeiters, Herrn F, sind nicht geeignet, um einen Anfangsverdacht zu begründen, weil er seine Tätigkeit erst aufgenommen hat, nachdem die Antragsgegnerin den Entschluss zur Überwachung gefasst hatte.
Die Antragsgegnerin hat jedoch zwei weitere Anhaltspunkte dargelegt, die in ihrer Zusammenschau objektiv nachvollziehbar im Zeitpunkt der Entscheidung für die Durchführung der Überwachung einen hinreichenden Anfangsverdacht für die fehlende Berufsunfähigkeit des Antragstellers begründeten.
Die Antragsgegnerin hat dargelegt, aufgrund eines Zeitungsberichtes im Internet habe sie erfahren, dass der Antragsteller am 24. Oktober 2010 an einem Motorradrennen in N teilgenommen habe. Zur Substantiierung hat sie den Zeitungsbericht vorgelegt, in dem der Antragsteller als teilnehmender Rennfahrer namentlich erwähnt wird. Diesem beigefügt ist eine Rangliste, der zufolge der Antragsteller den dritten Platz bei dem Rennen belegt hat. Zwar hat der Antragsteller die Teilnahme an dem Rennen bestritten und zur Glaubhaftmachung eine Bestätigung des Veranstalters vom 31.01.2012 vorgelegt, wonach es sich bei der namentlichen Erwähnung um ein Versehen gehandelt habe, er bei dem Rennen nicht teilgenommen habe, vielmehr ein N2 E gemeint gewesen sei. Zur Beurteilung der Frage nach einem Anfangsverdacht spielt diese Erklärung jedoch keine Rolle, weil sie der Antragsgegnerin im maßgeblichen Zeitpunkt unstreitig nicht bekannt gewesen ist. Die Annahme einer (erfolgreichen) Teilnahme an einem Motorradrennen begründet aus Sicht der Antragsgegnerin, insbesondere vor dem Hintergrund der vom Antragsteller angegebenen Erkrankung (schwere depressive Episode, generalisierte Angststörung, sonstige Reaktionen auf schwere Belastungen), nachvollziehbare Zweifel im Hinblick auf die fortbestehende Berufsunfähigkeit, weil die Teilnahme an einem Motorradrennen stets höchste Konzentration und geistige Präsenz voraussetzt.
Zudem hat die Antragsgegnerin den Anfangsverdacht darauf gestützt, dass der Antragsteller - was zwischen den Parteien unstreitig ist - im Internetauftritt der GmbH weiterhin als ihr Geschäftsführer mit seinen Kontaktdaten angegeben war, während von der zweiten Geschäftsführerin, seiner Ehefrau, die Kontaktdaten fehlten. Entsprechende Internetpräsenz spricht auf den ersten Blick dafür, dass der Antragsteller weiterhin aktiv die Position des Geschäftsführers wahrnimmt. Die Begründung des Antragstellers, damit sei der Versuch unternommen worden, nach außen die Berufsunfähigkeit des Namensgebers der Firma geheim zu halten, erklärt zwar, warum der Antragsteller weiterhin als Geschäftsführer aufgeführt wurde. Sie erklärt jedoch nicht, warum auch seine Kontaktdaten angegeben wurden, zumal die Kontaktdaten der zweiten (aktiv mitarbeitenden) Geschäftsführerin auf der Homepage nicht zu finden waren. Bei einer geplanten Geschäftsübergabe wäre letzteres sinnvoll gewesen.
Ein Anspruch auf Unterlassung von Bildaufnahmen folgt auch nicht aus §§ 1004 I BGB i. V. m. 823 II BGB i. V. m. 22 KUG. Die Voraussetzungen des § 22 KUG sind nicht erfüllt, weil die vom Antragsteller gemachten Bilder von der Antragsgegnerin nicht verbreitet oder öffentlich zu Schau gestellt worden sind.
Ein Anspruch folgt auch nicht aus §§ 1004 I BGB i. V. m. 823 II BGB i. V. m. 203 I Nr. 6 StGB. Der Antragsteller hat nicht substantiiert dargelegt, dass die Antragsgegnerin gegenüber dem von ihr eingesetzten Ermittler Informationen offenbart habe, die dem Privatgeheimnis unterliegen, sondern nur eine dahingehende Vermutung ohne konkrete Anhaltspunkte geäußert. Zwingend ist das nicht.
Auch der Antrag auf Unterlassung von Filmaufnahmen ist unbegründet. Der Antragsteller hat nicht einmal behauptet, dass die Antragsgegnerin Filmaufnahmen vom Antragsteller gemacht hat oder anfertigen ließ.
Der Antragsteller hat gegen die Antragsgegnerin auch keinen Unterlassungsanspruch darauf, personenbezogene Daten zu sammeln. § 1004 I BGB i. V. m. § 823 I BGB ist nicht einschlägig, weil ein Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht gegeben ist. Das BDSG ist nicht anwendbar. Der Antragsteller hat nicht vorgetragen, dass die Antragsgegnerin die durch die Ermittlung gewonnenen Daten unter Einsatz von Datenverarbeitungsanlagen verarbeitet, § 4 I BDSG.
Der Antrag zu 2) ist unbegründet. Insofern fehlt es sowohl an einem Verfügungsgrund als auch an einem Verfügungsanspruch. Die Anordnung der Herausgabe und/oder Löschung von Ermittlungsergebnissen würde zu einer Vorwegnahme der Hauptsache führen. Ein Anspruch auf Herausgabe der Bilder steht dem Antragsteller nicht zu, weil eine hierfür erforderliche Rechtsgrundlage fehlt. Der Anspruch auf Löschung der Bilder ist unbegründet, weil - wie oben ausgeführt - eine Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht gegeben ist.
Aus gleichen Gründen ist auch der Hilfsantrag unbegründet.
Die mit dem Antrag zu 3) begehrte Erstattung außergerichtlicher Kosten ist im einstweiligen Verfügungsverfahren nicht möglich, weil der erforderliche Verfügungsgrund fehlt. Im Übrigen ist auch der Verfügungsanspruch nicht gegeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 I ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 6 ZPO.
Streitwert: 10.000 €
LG Bonn:
Urteil v. 04.05.2012
Az: 9 O 60/12
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