Oberlandesgericht Stuttgart:
Urteil vom 13. Juni 2013
Aktenzeichen: 2 U 193/12; 2 W 2/13

(OLG Stuttgart: Urteil v. 13.06.2013, Az.: 2 U 193/12; 2 W 2/13)

Gegen das Urteil wurde Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt.Das Aktenzeichen des Bundesgerichtshofs lautet: I ZR 123/13.

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 7. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Ravensburg vom 15.11.2012

g e ä n d e r t .

2. Die Klage wird unter gleichzeitiger Zurückweisung der Anschlussberufung des Klägers abgewiesen.

3. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gegenstandswert des Berufungsverfahrens: bis 35.000,00 EUR

Gründe

I.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, sie hat der Sache nach auch Erfolg.A

Jede der Parteien betreibt eine Apotheke in A... Bereits im Oktober 2010 hatten die Parteien Gespräche über die Einhaltung der Vorschriften über die Abgabe verschreibungspflichtiger Medikamente geführt. Am Samstag, dem 26.02.2011 gegen 12.00 Uhr, begab sich die Zeugin E..., die in ärztlicher Behandlung wegen Bluthochdrucks stand und der seit Jahren das blutdrucksenkende, verschreibungspflichtige Medikament T... N... 25 verordnet worden war, welches sie beim Kläger einzulösen pflegte, in dessen Apotheke, da ihr dieses Medikament ausgegangen war, und sie verabsäumt hatte, rechtzeitig bei ihrem Arzt eine neue Verordnung zu holen. Die Mitarbeiterin des Klägers lehnte eine Abgabe des verschreibungspflichtigen Medikaments ohne ärztliche Verordnung ab und verwies die Zeugin auf den 15 km entfernt bestehenden ärztlichen Notdienst in B... S... Die Zeugin suchte daraufhin nun die Apotheke der Beklagten auf, von welcher sie letztlich ohne ärztliche Verordnung dieses Arzneimittel als 100er-Verpackung ausgehändigt erhielt. Am Montag, dem 28.02.2011, reichte die Zeugin E... entsprechendes ärztliches Rezept nach, das allerdings nicht von ihrem behandelnden Arzt Dr. S... ausgestellt war, sondern von dessen Vertreter.

Der Kläger hat in diesem Verhalten einen Verstoß gegen § 4 Nr. 11 UWG i.V.m. § 48 Abs. 1 AMG gesehen, der nach den Umständen, insbesondere einer behaupteten Notlage der Patientin E..., auch nicht rechtfertigend aufgehoben gewesen sei.

Das Landgericht vernahm die Patientin E... als Zeugin sowie eine in St... ansässige Ärztin, die Zeugin Dr. F..., welche die Beklagte telefonisch kontaktiert hatte. Das Landgericht hielt nach dem unstreitigen Sachstand dafür, dass ein Verstoß gegen § 4 Nr. 11 UWG i.V.m. § 48 Abs. 1 AMG vorliege. Die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte habe ferner das Eingreifen von Ausnahmetatbeständen nicht zu beweisen vermocht. § 4 Abs. 1 AMVV sei der Beklagten vorliegend schon deshalb nicht behilflich, da eine insbesondere fernmündliche Unterrichtung durch den verschreibenden Arzt gerade nicht stattgefunden habe. Der Rezeptausstellung durch ohnehin die Urlaubsvertretung des Hausarztes der Zeugin E... sei ebenso wenig eine telefonische Unterrichtung gerade durch diesen Arzt vorausgegangen. Dass letztlich eine ärztliche Verordnung vorgelegen habe, fülle § 4 Abs. 1 AMVV nicht aus. Diese Vorschrift halte an einer klaren Trennung von einerseits Arzneimittelabgabe des Apothekers und andererseits Diagnose- und Therapieentscheidung des Arztes fest. Die Verantwortung des letzteren müsse sich auch in diesem Ausnahmetatbestand widerspiegeln. Angesichts des Rechtsgutes verbiete sich ein ausdehnendes Verständnis des Anwendungsbereiches dieser Sondernorm. Dass die vernommene Ärztin Dr. F... das verabreichte Medikament T... N... 25 verordnet und die Übersendung eines entsprechenden Rezeptes zugesagt habe, könne der Vernehmung der als wenig überzeugend wirkenden, weil auch widersprüchlich bekundenden Zeugin nicht verlässlich entnommen werden. Zwar mag es eine Vereinbarung zwischen dem Hausarzt der Patientin, Herrn Dr. S..., und der Beklagten geben, dass sie berechtigt sei, in Notfällen ein verschreibungspflichtiges Medikament auszuhändigen. Mit dieser pauschalen Abrede könne aber kein Freibrief verbunden sein, der § 48 AMG aufhebe. Die Abgabe des Medikamentes ohne ärztliche Verordnung sei auch nicht aufgrund einer Notstandslage gemäß § 34 StGB gerechtfertigt gewesen. Die Beklagte habe schon nicht die Überzeugung zu vermitteln vermocht, dass ein akuter Notfall vorgelegen habe. Ausfallerscheinungen bei der Patientin seien weder dieser noch für die Beklagte erkennbar gewesen. Am Nachmittag des 26.02.2011 habe der Zeugin E... ohne weiteres zugemutet werden können, den ärztlichen Notdienst im 15 km entfernten B... S... aufzusuchen. Zudem habe kein Anlass bestanden, in einem Notfall die Patientin mit einer Packung von 100 Tabletten auszustatten, weil damit der gerade von § 48 AMG verfolgte Zweck, auch den Umfang der Medikamentenverordnung durch einen Arzt nach dem aktuellen Krankheitsbild auszurichten, unterlaufen würde, weil die Patientin verführt sein könnte, ohne ärztliche Verordnung, sprich ohne Kontrolle und Verantwortung eines Arztes, diese Packung vollständig aufzubrauchen und sich einem Arzt erst nach diesem Zeitraum wieder zu stellen. Auch habe die Beklagte nicht über einen gleichwertigen Wissensstand oder gar Wissensvorsprung gegenüber einem anderen als dem nicht erreichbaren Hausarzt verfügt, da die Patientin dieses Medikament in den letzten 2-3 Jahren nicht bei der Beklagten, sondern beim Kläger bezogen hatte. Selbst nach ihren eigenen Angaben habe die eigene Medikamentenabgabe ein Jahr zurückgelegen, was ihr keine eigene Einschätzung über den aktuellen, tatsächlichen Gesundheitszustand der Zeugin erlaubt und sie einzig darauf verwiesen habe, nur deren Angaben ihrer telefonischen Schilderung und Rückversicherung bei der Zeugin Dr. F... und ihrer eigenen Entschließung zur Medikamentenabgabe zu Grunde zu legen. Der Wettbewerbsverstoß sei erheblich. Den verschuldensabhängigen Folgeansprüchen sei ebenfalls zu entsprechen. Fahrlässigkeit genüge, wobei ein strenger Maßstab gelte. Schon eine Befassung im Oktober 2010 mit diesem Thema hätte bei der Beklagten ein entsprechendes Problembewusstsein schaffen und sie daran hindern müssen, allein aufgrund eines telefonischen Kontaktes mit der Zeugin Dr. F..., dem keine valide Information über die Krankengeschichte der Patientin zu Grunde gelegen habe, von der zumutbaren Einschaltung des Notdienstes abzusehen und der Zeugin E... ohne ärztliche Verordnung ein verschreibungspflichtiges Medikament auszuhändigen. Der Hilfsanspruch zur Vorbereitung eines Schadensersatzanspruches sei jedenfalls begründet. Die Erklärung der Beklagten zu Protokoll des Landgerichts, sie habe in keinem weiteren vergleichbaren Fall Medikamente abgegeben, werde dem Zweck der Auskunftserteilung nicht gerecht. Erklärungen im Prozess stellten keine Erfüllung dar. Der geltend gemachte Anspruch auf Abmahnkosten sei im Hinblick auf die dort wie hier erfolgte überhöhte Streitwertangabe von 50.000,00 EUR zurückzuführen auf einen angemessenen Wertansatz von 5.000,00 EUR für den Unterlassungs- und weitere insgesamt 2.000,00 EUR für den geltend gemachten Auskunfts- und Schadensersatzfeststellungsantrag, was statt der geltend gemachten 1.379,80 EUR einen Anspruch auf Abmahnkosten in Höhe von 507,70 EUR samt Zinsen ergebe. Darin liegt die Teilabweisung der Klage.

Das Landgericht sprach deshalb aus:

1. Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr verschreibungspflichtige Arzneimittel an Verbraucher ohne ärztliche Verschreibung abzugeben, wenn dies geschieht wie im Fall Frau H... E..., der am 26.02.2011 von der Beklagten das Arzneimittel T... in einer Verpackungsgröße von 100 Stück ohne Vorliegen einer ärztlichen Verordnung verkauft wurde.

Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen Ziff. 1 wird der Beklagten ein Ordnungsgeld bis zu 250.000,-- EUR und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft angedroht oder Ordnungshaft von im Einzelfall höchstens sechs Monaten, insgesamt höchstens zwei Jahren angedroht.

2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Auskunft darüber zu erteilen, seit wann und in welchem Umfang Handlungen gemäß Ziff. 1 begangen wurden, unter genauer Angabe der Bezeichnung und Menge des Arzneimittels und der Vor- und Nachnamen der Kunden, aufgeschlüsselt nach Monaten.

3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger allen Schaden zu ersetzen, der ihm durch die in Ziff. 1 beschriebene Handlung bisher entstanden ist und/oder noch entstehen wird.

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 507,50 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 27.08.2011 zu zahlen.

5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Dagegen wendet sich die fristgerechte Berufung der Beklagten,welche gelten lässt, dass § 48 Abs. 1 S. 1 AMG eine Verbotsnorm im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG darstelle, und grundsätzlich auch, dass § 4 Abs. 1 AMVV eine Identität zwischen dem telefonisch anordnenden und dem nachträglich das Rezept ausstellenden Arzt gebiete. Der Unlauterkeitsvorwurf müsse aber auf den Handlungszeitpunkt abstellen. Die Beklagte habe nach telefonischer Kontaktaufnahme mit der Zeugin Dr. F... von dieser die ärztliche Anordnung bekommen und hätte, falls nicht der tatsächlich behandelnde Arzt der Patientin das Rezept nachträglich ausgestellt hätte, eine entsprechende Verordnung nachgereicht. Dies habe die Beweisaufnahme als sicher anzunehmenden alternativen Ablauf erbracht. Diese Identität zwischen ordnendem und später rezeptausstellendem Arzt genüge § 4 Abs. 1 AMVV. Dass später der behandelnde Hausarzt das Rezept nachreicht, werde in noch höherem Maße der in dieser Norm zum Ausdruck kommenden Kompetenzteilung und der geforderten durchgängigen Verantwortung eines Arztes für die Medikation gerecht. Die Beklagte habe nach der Anweisung der Ärztin Dr. F..., wie auch tatsächlich, die subjektive Überzeugung vom Vorliegen einer Notlage besitzen dürfen. Die Beklagte habe in der telefonischen Verlautbarung der Ärztin Dr. F... auch bereits eine Verschreibung und nicht lediglich die Äußerung eines medizinischen Rates sehen dürfen. Da die Beklagte gewusst habe, dass pro Tag eine Tablette des streitgegenständlichen entwässernden Medikaments einzunehmen sei, sich der Blutdruck ohne eine solche Tablettengabe relativ schnell erhöhen werde und so rasch eine gefährliche Situation eintreten könne, habe aus der subjektiven Sicht der Beklagten, aber auch objektiv eine Gefahrenlage für Leben und Gesundheit der Zeugin E... bestanden. Soweit das Landgericht eine solche mit der Erwägung verneint habe, bei der Zeugin hätten noch keine Ausfallerscheinungen vorgelegen, wäre dies in einem solchen Falle aber bereits zu spät gewesen. Im Übrigen habe die Zeugin E... bekundet, dass sich das letzte Mal Herzrhythmusstörungen eingestellt hätten, als die Medikamenteneinnahme eineinhalb Tage zurückgelegen habe. Mit der Einnahme am Morgen des vorausgegangen Freitag und dem Feststellen am Nachmittag des Samstag, dass ihr das Arzneimittel ausgegangen sei, sei bereits die erfahrungsgemäß kritische Zeit eingetreten gewesen. Den in der Klageerwiderung dafür angebotenen Beweis des sachverständigen Zeugen Dr. S... sowie eines Sachverständigengutachtens habe das Landgericht übergangen. Im Übrigen seien die in der Beweiswürdigung angemeldeten Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugin Dr. F... unbegründet. So sei schon durch das Protokoll widerlegt, dass diese erst auf Vorhalt des Beklagtenvertreters ihre Aussage korrigiert habe; vielmehr habe diese von sich aus klargestellt, wer ihre schriftliche Erklärung vom 22.09.2011 vorgefertigt habe. Zudem werde die sehr kritische Herangehensweise des Landgerichtes dem menschlichen Erinnerungsvermögen über einen eineinhalb Jahre zurückliegenden Vorgang nicht gerecht. Die Zeugin habe aus dem Gedächtnis die Verordnung erstellen wollen, nach der Mitteilung der Beklagten am Montag, es liege ein Rezept des behandelnden Arztes vor, nicht nur von einer Rezeptierung abgesehen, sondern auch von einer entsprechenden Dokumentation der maßgeblichen Einzelheiten des Vorgangs. Dies könne der Zeugin nicht zum Nachteil gereichen. Dass die Beklagte vor der Vernehmung dieser Zeugin nichts dazu vorgebracht hatte, dass eine schriftliche Nachreichung des Rezepts vereinbart gewesen sei, liege daran, dass das Landgericht auf die Entscheidungserheblichkeit dieses Aspektes nicht hingewiesen habe. Nur hilfsweise sei angeführt, dass das Landgericht eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob ein bloßer Bagatellfall im Sinne des § 3 Abs. 1 UWG vorliege, habe vermissen lassen, was zu bejahen sei, wenn nur ein einmaliger, entschuldbarer und geringfügiger Gesetzesverstoß vorliege. Bei der Beklagten habe ein entschuldigender Notstand gemäß § 34 StGB, jedenfalls ein Erlaubnistatbestandsirrtum, vorgelegen. Die Beklagte habe von ihrer früheren, langjährigen Kundin E... gewusst, dass diese seit mehr als 30 Jahren unter gravierendem Bluthochdruck leide, deshalb in hausärztlicher Behandlung und auf die ständige Einnahme blutdrucksenkender Medizin angewiesen sei. Ihr sei auch bekannt gewesen, dass die Nichteinnahme solcher Arzneimittel zu lebensgefährlichen Situationen wie einem Schlaganfall oder einer Hirnblutung führen könne, die - wie auch massive Einblutungen im Auge - schon einmal gehabt zu haben, die Patientin mit dem Hinweis vorgebracht habe, sie dürfe das Medikament nicht absetzen. Nachdem die Beklagte den vergeblichen Versuch unternommen habe, den behandelnden Hausarzt zu erreichen, habe sie die ihr bekannte Ärztin eingeschaltet, von dieser die ärztliche Einschätzung einer gegenwärtigen Notlage bestätigt gesehen und sei deren Rat gefolgt, eine Packung T... N... auszuhändigen. Der weitere Vorwurf des Landgerichts, die Beklagte habe mit der Aushändigung einer Packungseinheit 100 im Übermaß gehandelt und hätte sich auf die Aushändigung einzelner Tabletten beschränken müssen, gehe fehl, da eine kleinere Packungseinheit nicht verfügbar, am Samstag gegen 12:00 Uhr über den Großhandel nicht mehr beschaffbar gewesen sei und eine Vereinzelung von Fertigarzneimitteln gemäß § 6 Abs. 1 S. 3 des Rahmenvertrages über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Abs. 2 SGB V nur auf ausdrückliche ärztliche Anordnung geschehen dürfe. Eine Gefahr der Überdosierung durch die Zeugin habe angesichts deren jahrzehntelangen Erfahrung im Umgang mit diesem Medikament nicht bestanden. Die Patientin habe auch nicht auf den ärztlichen Notdienst in B... S... verwiesen werden können, da diese nach deren Bekunden dazu gar keine Zeit mehr gehabt habe, da sie schon am Samstagnachmittag, und zwar vor dem Mittagessen, in die Schweiz habe fahren wollen. Zudem sei eine Wiederholungsgefahr zu verneinen, da die Beklagte im Laufe des Rechtsstreits sich bereit erklärt habe, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben; dazu sei sie immer noch bereit. Diese Erklärung sei nur im Hinblick darauf, dass der Kläger dann eine für die Beklagte sehr nachteilige Kostenquote verlangt habe, unterblieben. Nachdem die Beklagte auch durch den Rechtsstreit noch einmal über die Voraussetzungen einer in Notfällen zulässigen Aushändigung rezeptpflichtiger Medikamente ohne schriftliche Verordnung hinreichend informiert sei, scheide eine Fortsetzung eines etwaigen objektiv rechtswidrigen Verhaltens aus. Die Verurteilung zur Auskunft sei unverhältnismäßig und daher unzumutbar nach der Schwere des Verstoßes, dem für die Beklagte damit verbundenen Aufwand sowie der Beeinträchtigung ihres Geheimhaltungsinteresses (§ 19 ApBetrO).

Die Beklagte beantragt:

Das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 15.11.2012, Aktenzeichen 7 O 76/11 KfH 1, wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Der Kläger trägt neu vor, die Beklagte habe ihre persönliche Unzuverlässigkeit und mangelnde Redlichkeit auch in ihrer Funktion als Arbeitgeberin gezeigt. Ihr nachlässiger Umgang mit dem Gebot, verschreibungspflichtige Arzneimittel nur gegen Rezept abzugeben, sei schon im Juni 2010 von einem Arzt an den Kläger herangetragen worden, zudem habe sie am 06.11.2012 einem namentlich benannten Zeugen trotz dessen ungültigen Rezeptes das Medikament V... ausgehändigt. Die Zeugin F... habe sich der Homöopathie verschrieben mit Behandlungsmethoden, die aus wissenschaftlicher Sicht keine positive Bewertung finden könnten; so sei denn auch nicht glaubhaft, dass sie sich für die Abgabe eines Mittels der Schulmedizin gegenüber der Beklagten eingesetzt habe. Im Übrigen verteidigt der Kläger die angefochtene Entscheidung als richtig. Er beanstandet allerdings deren Wertungsansatz, dass trotz des im Beklagtenverhalten liegenden Gefährdungspotenzials, des geschützten Rechtsgutes und der auch zu berücksichtigenden generalpräventiven Abschreckung nur ein Streitwert von 7.000,00 EUR angenommen worden sei. Vielmehr sei eine Wertbemessung von 50.000,00 EUR zutreffend.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen,

und beantragt ferner am letzten Tag der verlängerten Frist zur Berufungserwiderung,

die Beklagte auf die Anschlussberufung zu verurteilen, dem Kläger über den vom Landgericht Ravensburg zuerkannten Betrag hinaus weitere 872,30 EUR nebst 5 % Zinsen seit 27.8.2011 zu zahlen.

Seine Anschlussberufung begründet er damit, dass der landgerichtliche Streitwert zu gering bemessen sei, weshalb der Klägervertreter im eigenen Namen bereits Streitwertbeschwerde eingelegt hat (Bl. 143 a - 2 W 2/13) mit dem Ziel, diesen mit jenen 50.000,00 EUR anzusetzen, woraus sich die erstinstanzlich schon beantragten Abmahnkosten ergäben.

Die Beklagte bestreitet die nun vorgebrachten Vorwürfe, hält an ihren Wertungen fest und bemerkt, €abschließend ..., dass die Beklagte bereit ist eine Unterlassungserklärung abzugeben, wenn der Kläger im Gegenzug ebenfalls eine solche abgibt€ (Bl. 218).

Hinsichtlich des weiteren Parteivorbringens wird auf die Schriftsätze sowie die Verhandlungsniederschriften verwiesen (§ 313 Abs. 2 S. 2 ZPO).B1.

Dass die Beklagte im Ausgangspunkt gegen § 4 Nr. 11 UWG i.V.m. § 48 AMG verstoßen hat, stellt auch die Beklagte nicht in Abrede.a)

Denn auch sie hält zu Recht dafür, dass § 48 AMG eine Marktverhaltensregel im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG ist (so auch Götting in Fezer, UWG, 2. Aufl. [2011], § 4-11, 137; Cyran/Rotta, ApoBetrO, § 17 [2012], 703; Pfeil/Pieck/Blume, ApoBetrO, § 17 [2012], 50; Rehmann, AMG, 3. Aufl. [2008], § 48, 15). Da insoweit das Gesundheitsrecht betroffen ist, bedarf es auch im Hinblick auf das Gebot der Vollharmonisierung der Richtlinie 2005/29/EG, soweit auch Verbraucherbelange berührt sind (vgl. BGH GRUR 2012, 1056 [Tz. 12] - GOOD NEWS), keiner sonst notwendigen Prüfung, ob § 48 AMG eine Grundlage im Unionsrecht hat (vgl. BGH GRUR 2012, 407 [Tz. 30] - Delan; 2012, 1056 [Tz. 12] - GOOD NEWS).b)

§ 48 Abs. 1 verbietet, verschreibungspflichtige Arzneimittel ohne das Vorliegen einer ärztlichen Verschreibung abzugeben (vgl. allg. Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, § 48 AMG [2011], 13; Rehmann a.a.O. § 48, 2; Freund, MK-StGB, Bd. 6, 2. Aufl. [2013], § 48 AMG, 24; Pelchen/Anders in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche NebenGe, § 48 AMG [2011], 1; und zur Strafbarkeit eines Verstoßes: Kloesel/Cyran a.a.O. § 48, 119; Freund a.a.O. 24; Rehmann a.a.O. 15; Pelchen/Anders a.a.O. § 48, 6; Pfeil/Pieck/ Blume, ApoBetrO, § 17 [2012], 40 und 44; Cyran/Rotta, ApoBetrO, § 17 [2012], 694).c)

Die Verschreibungspflicht hat den Zweck, die fehlerhafte oder missbräuchliche Anwendung von Medikamenten zu verhindern (BayObLG NJW 1996, 1606 [juris Tz. 14]).d)

Die Beklagte hat das verschreibungspflichtige Medikament ohne Vorliegen einer Verschreibung abgegeben. Damit ist der Tatbestand im Ausgangspunkt erfüllt.

Die Tatbestandsverwirklichung des § 48 AMG ist allenfalls unter den Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 AMVV und - in engen Grenzen - unter dem Gesichtspunkt des rechtfertigenden Notstandes gemäß § 34 StGB zulässig (Cyran/Rotta a.a.O. § 17, 707).2.

Die Abgabe ohne Rezept war auch nicht ausnahmsweise gemäß § 4 AMVV gerechtfertigt, denn dessen Voraussetzungen lagen nicht vor.a)

§ 4 Abs. 1 AMVV ist davon geleitet, dass Erfahrungen aus der Praxis gezeigt haben, dass Notsituationen auftreten können, in denen die rasche Anwendung eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels angezeigt ist und eine entsprechende Verschreibung in der Apotheke noch nicht vorliegt. In diesen Fällen soll die verschreibende Person berechtigt sei, der Apotheke die Verschreibung auch fernmündlich und auf andere, geeignete Weise zu übermitteln. Die Apotheke hat sich über die Identität der verschreibenden Person Gewissheit zu verschaffen (BR-Drs. 322/06 v. 05.05.2006 [S. 8]; allg. Kloesel/Cyran a.a.O. § 48 AMG, 21).b)

Mit dem Landgericht ist davon auszugehen, dass die Darlegungs- und Beweislast für diesen Ausnahmetatbestand die Beklagte trifft (vgl. BGH GRUR 2010, 160 [Tz. 15] - Quizalofop; Ebert-Weidenfeller in Götting/Nordemann, UWG, 2. Aufl. [2013], § 4 Nr. 11, 11.93).c)

Die Voraussetzungen dieses Sondertatbestands sind schon nicht erfüllt.aa)

Voraussetzung ist das Vorliegen eines dringenden Falles, dass der Apotheker - hier - durch einen Arzt vorher über die Rechtmäßigkeit der Abgabe fernmündlich unterrichtet worden sein muss und er sich über die Person des anrufenden Arztes Gewissheit verschafft hat (Kloesel/Cyran a.a.O. § 4 AMVV [2012], 2). Ein dringender Fall ist aber nicht nur bei einer lebensbedrohlichen Situation gegeben, sondern auch dann, wenn allgemein eine Lebens- oder Gesundheitsgefährdung des Kunden besteht (Kloesel/Cyran a.a.O. § 4 AMVV, 3; Pfeil/Pieck/Blume, ApoBetrO, § 17 [2012], 41). Die Verschreibung wird insoweit durch die überprüfte fernmündliche Unterrichtung des Apothekers ersetzt (Kloesel/Cyran a.a.O. 3). § 4 Abs. 1 AMVV geht offenkundig von dem Fall aus, dass die verschreibende Person die Verschreibung schon ausgestellt hat, die Verschreibung sich aber körperlich noch nicht beim Verbraucher oder in der abgebenden Apotheke befindet (Cyran/Rotta a.a.O. § 17, 712).bb)

Zu entscheiden, ob es sich tatsächlich um einen dringlichen Fall handelt, kann nicht Aufgabe des Apothekers sein. Er muss sich insoweit auf die Auffassung des Arztes verlassen können (BayObLG NJW 1996, 1606 [juris Tz. 11]; Kloesel/Cyran a.a.O. § 4, 3; dieselben zu § 1 AMVV, 25; Cyran/Rotta a.a.O. § 17 ApoBetrO, 713).cc)

Dass nach § 4 Abs. 1 S. 3 AMVV die verschreibende Person die Verschreibung in schriftlicher oder elektronischer Form unverzüglich nachzureichen hat, dient der Beweissicherung, der Rechtfertigung und der Dokumentation des Vorgangs (Kloesel/Cyran a.a.O. § 4 AMVV, 5).d)

Die Situation des § 4 Abs. 1 AMVV lag vorliegend nach Sinn und Zweck der Regelung und des damit nur eröffneten Anwendungsbereiches nicht vor.

Die Norm will förmliche Hindernisse aufgrund einer Gefahrenlage überbrücken, nicht aber die Grundlage der Norm, dass nämlich vorher eine ärztliche Verschreibung aufgrund einer eigenen ärztlichen Diagnose- und Therapieentscheidung vorgelegen hat, aufheben. Die ärztliche Entscheidung kann nach den dringlichen Umständen nicht mehr verkörpert schnell genug die Apotheke erreichen, sie muss aber - auch für den Apotheker ersichtlich - der ärztlichen Anweisung vorausgegangen sein und feststehen. Dies wäre zweifelsfrei der Fall gewesen, wenn der behandelnde Arzt der Patientin, Herr Dr. S..., hätte erreicht werden können und die (Wiederholungs-)Verschreibung telefonisch ausgesprochen hätte. Solches mag noch vergleichbar vorgelegen haben, wenn die Beklagte den Notdienst angerufen hätte und dieser - was höchst spekulativ bleibt - nach bloßer Ferndiagnose die Beklagte zur Abgabe des erfragten Medikamentes aufgefordert hätte. Ein solcher Fall liegt aber nicht vor. Die Beklagte wusste, dass es eine ärztliche Anweisung nach Diagnose und Therapieentscheidung auf der Grundlage eigener Untersuchung oder als Ergebnis von einer solchen Vorbefassung mit der Patientin dann im Sinne einer bloßen Fortschreibung der Behandlung durch den behandelnden Arzt gar nicht gegeben hat. Sie hat vielmehr eine Ärztin ihres Vertrauens angerufen, ihr eigenes Vorwissen über die Patientin und gewisse Angaben der dringlich um diese Medikamentengabe nachsuchenden Kundin der Ärztin telefonisch durchgegeben und eine Ferndiagnose abgefragt und eine darauf aufbauende Therapie gelten lassen. Zwar lag in der Erklärung der Ärztin, die Beklagte könne das nachgefragte Medikament abgeben, selbst eine Verschreibung im Sinne des § 4 Abs. 1 AMVV. Allerdings war der Anwendungsbereich dieser Ausnahmenorm nicht eröffnet, da sie nur den kurzen Weg der Verschreibung schaffen will, nicht aber die Grundlage, die ärztlich verantwortete Diagnose- und Therapieentscheidung ersetzen soll. Ob sich der behandelnde Arzt oder der dafür eingerichtete und telefonisch angegangene ärztliche Notdienst aus ärztlicher Sicht sorgfaltswidrig verhalten und eine Untersuchung nicht oder nur unzulänglich durchgeführt hätte, hinderte die Apothekerin nicht, einer Abgabeermächtigung durch diese Personen Folge zu leisten. Etwas anderes würde insoweit nur gelten, wenn deren Anweisung greifbar falsch wäre (vgl. etwa Kloesel/Cyran a.a.O. § 4, 25: Zahnarzt verschreibt Ovulationshemmer). Sorgt die Beklagte aber selbst für die Aufhebung dieses Regelsystems (erwartbar fundierte ärztliche Entscheidung, darauf aufbauend eigene Umsetzung der Abgabeermächtigung), so greift § 4 Abs. 1 AMVV nicht ein, selbst wenn - wie hier - die von der Beklagten willkürlich eingeschaltete Ärztin (erkennbar ohne eine ärztliche Vorleistung/regelgerechte eigene Diagnose) eine Therapieentschließung, welche die Zeugin Dr. F... möglicherweise letztlich auch verantworten müsste, verlautbart.

Ob die Beklagte erkennen konnte und erkannt hat, dass damit der Anwendungsbereich der Norm objektiv nicht erfüllt war, ist für den verschuldensunabhängigen Unterlassungsanspruch schon ohne Belang.e)

Doch wie sogleich in anderem Zusammenhang auszuführen sein wird (§ 34 StGB), war auch eine weitere Voraussetzung des § 4 AMVV, nämlich die keinen Aufschub duldende Gesundheitsgefährdung der Patientin, nicht gegeben.3.

Zwar kann eine Apothekerin in einem Unglücksfall oder einem Fall gemeiner Gefahr oder Not von den Erfordernissen des § 48 AMG befreit sein (Kloesel/Cyran a.a.O. § 1 AMVV, 24) wie unter den nicht minder sehr strengen Voraussetzungen eines rechtfertigenden Notstandes nach § 34 StGB (vgl. hierzu Kloesel/Cyran a.a.O. § 4 AMVV, 4; Pfeil/Pieck/Blume, ApoBetrO, § 17 [2012], 45; Cyran/Rotta, ApoBetrO, § 17 [2012], 717); es muss die ultima ratio sein (Cyran/Rotta a.a.O. 718).a)

Voraussetzung ist hier u.a. aber, dass eine verschreibungsberechtigte Person nicht erreichbar ist (Cyran/Rotta a.a.O. § 17, 718; Kloesel/Cyran a.a.O. § 4 AMVV, 4); die gegenwärtige Gefahr für Leib oder Leben darf nicht anders abwendbar sein (Pfeil/Pieck/Blume a.a.O. § 17, 45), was zu verneinen ist, wenn ein Arzt erreichbar ist (Pfeil/Pieck/Blume a.a.O. § 17, 45); zudem muss die abgegebene Menge vertretbar gewesen sein und sich an dem mutmaßlichen Bedarf der nächsten Tage orientiert haben (Kloesel/Cyran a.a.O. § 4 AMVV, 4).b)

Die auch insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte hat das Vorliegen dieser engen und streng zu bewertenden Ausnahmevoraussetzungen nicht darzulegen vermocht.

Die Zeugin/Patientin hat unstreitig unter irgendwelchen Ausfallerscheinungen (noch) nicht gelitten (vgl. auch Bl. 90, 113). Allerdings hätte dies wohl eher ein Zeichen dafür sein können, dass es für die Abgabe des Medikamentes ohne Verschreibung schon zu spät gewesen wäre. Bei der Zeugin ging es aber um einen jahrzehntelangen Bluthochdruck, durch den sie nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme schon eine Hirnblutung erlitten hatte (was diese der Beklagten auch mitgeteilt hatte), weshalb sie dieses Medikament auch schon seit Jahren verordnet erhalten hatte. Zudem hatte die Zeugin durch diese Vorerkrankung einen €perfundierten Zentralvenenverschlu߀ am linken Auge erlitten (B 1 - Anl.). Dass es angesichts der bei der Patientin ebenfalls vorliegenden Nierenschädigung kontraindiziert gewesen sei (so Kläger), dieses Medikament zu verabreichen, brauchte, hätte es der behandelnde Arzt - wie ersichtlich stets - verschrieben, die Beklagte medizinisch nicht selbst in Frage zu stellen. Die Beklagte hat aber unter Sachverständigenbeweis gestellt, dass die entwässernde Wirkung des Medikamentes den Blutdruck senke (Bl. 70) und in das Wissen des als (sachverständigen) Zeugen benannten behandelnden Hausarztes, €dass noch am Wochenende ein lebensbedrohlicher Zustand eintreten kann€ (Bl. 51) und - allgemein -, wenn die Zeugin dieses Medikament nicht bekommen würde, könne es zu lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen kommen€ (Bl. 82; vgl. auch Äußerung des Dr. S... [B 8]). Damit wird aber eine zeitnahe, unmittelbar bevorstehende auch nur gesundheitliche Gefährdung nicht überliefert. Im Übrigen hat die Beklagte selbst vorgebracht: €Im Übrigen hätte der ärztliche Notdienst in B... S... den gravierenden Bluthochdruck der Patientin E... bei einer Untersuchung nicht sicher feststellen können, weil das blutdrucksenkende T... N... nach der letzten Einnahme noch fortgewirkt hatte€ (Bl. 21). Danach ging sie aufgrund der eigenen Fachkunde von der pharmakologischen Wirkung und noch Fortwirkung des Medikamentes aus. Auch hat die Beklagte nicht vorgetragen, was nahegelegen hätte und in einer Apotheke unschwer selbst hätte vorgenommen werden können, dass sie den Blutdruck der Zeugin einmal gemessen hat.c)

Danach war, auch das Ergebnis der vom Landgericht nicht aufgegriffenen Beweisangebote als wahr unterstellt und im Verbund mit dem weiteren Vorbringen der Beklagten, nicht davon auszugehen, dass die gesundheitliche Befindlichkeit der Zeugin keinen Aufschub mehr erlaubt hätte, eine ärztliche Kontrolle durch den dafür vorgesehenen Notdienst und erst eine darauf aufbauende Verschreibung abzuwarten. Der Notdienst war in B... S... nur 15 km entfernt, konnte also recht rasch erreicht werden. Die bloße Spekulation der Beklagten, €ob [die Zeugin] diesen in B... S... antrifft€ (Bl. 21), wird der sie treffenden Darlegungs- und Beweislast nicht gerecht. Für die Zeugin war eine Fahrt dorthin auch aus sonstigen Gründen nicht unmöglich. Sie wollte ihren Mann in die Schweiz zu dessen Termin bei einem Patentanwalt nur begleiten. Im Hinblick auf das am Montag nachzureichende Rezept hat dieser bezüglich der Geschäftsreise dann €den Termin Montag früh einfach auf den Nachmittags verlegen lassen€ (Zeugen Bl. 88). Dies zeigt, welch geringer Handlungsdruck auch jenseits medizinischer Erwägungen tatsächlich bestanden hatte. Die ersichtlich vorgeschaltete Ausflugsreise hätte ohne nennenswerte Umwege am Samstag auch vom Ort des Geschehens (A...) über B... S... genommen werden können. Dass ein solcher geringfügiger Zeitversatz nicht mehr hinnehmbar oder als Risiko nicht mehr eingehungsfähig gewesen sei, ergibt sich weder aus dem als wahr unterstellten Vorbringen der Beklagten noch aus dem Beweisergebnis, was auch unter diesem Gesichtspunkt die Anwendbarkeit des § 4 AMVV ausschließt und erst recht die den Voraussetzungen nach noch weit strengeren Norm des § 34 StGB.d)

Dies eröffnet nach dem objektiven Sachstand grundsätzlich die Zuerkennung des verschuldensunabhängigen (etwa Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 31. Aufl. [2013], § 4, 11.54) Unterlassungsanspruchs.4.

Seiner Geltendmachung steht jedoch § 3 UWG entgegen.a)

Die Einmaligkeit eines Verstoßes hebt allerdings dessen Beachtlichkeit im Rahmen des § 3 UWG grundsätzlich nicht auf (BGH GRUR 2011, 842 [Tz. 21] - RC-Netz-mittel). Ist zudem ein Verstoß gegen eine Vorschrift, welche die Gesundheit des Verbrauchers schützt, betroffen, so ist der begangene Rechtsverstoß auch geeignet, die Interessen der Verbraucher im Sinn des § 3 Abs. 1 UWG spürbar zu beeinträchtigen (BGH GRUR 2011, 633 [Tz. 36] - BIO TABAK; Köhler in Köhler/Bornkamm a.a.O. § 3, 149; Fezer in Fezer a.a.O. § 3, 114).b)

Gleichwohl gilt: Liegt etwa ein nur einmaliger, versehentlicher oder gar entschuldbarer und geringer Gesetzesverstoß vor, so kann es an der Eignung der Handlung, die Interessen von Marktteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen, fehlen (Köhler in Köhler/Bornkamm a.a.O. § 4, 11.45 und § 3, 123 f; Dittmer in Büscher/Dittmer/Schiwy, Gewerblicher Rechtsschutz/Urheberrecht/Medienrecht, 2. Aufl. [2011], § 4 Nr. 11 UWG, 43; vgl. auch Wirtz in Götting/Nordemann a.a.O. § 3, 126; vgl. dort aber auch Rdn. 128; Schünemann in Harte/Henning, UWG, 2. Aufl. [2009], § 3, 393, 395, 402 f und 415; Link in Ullmann, jurisPK-UWG, 3. Aufl. [2013], § 4 Nr. 11, 64; so nur gelten lassen in Bezug auf § 3 UWG 2004: Fezer a.a.O. § 3, 94; ebenfalls restriktiv Ullmann in Ullmann a.a.O. § 3, 68 f).c)aa)

Bedenkt man, dass die Beklagte nicht einfach dem Drängen der Patientin/Zeugin nachgegeben hat, sondern, ihrem eigenen Vorbringen nach, den behandelnden Arzt zunächst über dessen Privatnummer zu erreichen versucht hatte, was über den Praxisanschluss zuvor schon die Zeugin selbst in Angriff genommen hatte (Bl. 88 oben), dass die Patientin bekundet hat, dass die Beklagte ihr gegenüber erklärt hatte, sie müsse zuvor einen Arzt befragen, dass sie mit der Zeugin und Ärztin Dr. F... Kontakt aufgenommen und ein ausführliches Gespräch geführt hat, dass die Patientin auf das Medikament aufgrund ihrer gravierenden Krankheitsgeschichte angewiesen war, dass dieser seit Jahren immer nur dieses Präparat verordnet worden war, das diese auch - wenngleich zuletzt ein Jahr zurückliegend - zuvor bei der Beklagten immer wieder erworben hatte, dass die Ärztin Dr. F... schlussendlich der Beklagten erklärte, diese könne das Medikament an die Patientin abgeben, was aus juristischer Laiensicht der Beklagten schon als Verschreibung durch diese Ärztin selbst verstanden werden konnte, und dass letztlich der tatsächlich behandelnde Arzt - dass es sich um dessen Vertreter handelte, ist insoweit unbeachtlich - ein entsprechendes Rezept nachreichte, was die Abgabe des Medikamentes auf einer praktischen Ebene deckte, dass sich nach allem die Beklagte auch aus der Sicht der Patientin in einem außergewöhnlichen Entscheidungskonflikt sah, in der Drucksituation auch kurz vor Schließung aller Apotheken, die nicht einen Notdienst zu verrichten hatten, dem Vorrang ärztlicher Entscheidung Rechnung zu tragen bemüht war und das Rezept des behandelnden Arztes eine gewisse innere Rechtfertigung für ihre Sondermaßnahme abgab, erlaubt unter den obwaltenden Umständen, insbesondere dem geringen Verschulden der Beklagten, die Spürbarkeit zu verneinen.bb)

Dem steht die Wertung des Landgerichts nicht entgegen. Denn diese beschränkt sich nur auf einen verneinenden Satz.cc)

Soweit der Kläger die Qualifikation der Beklagten als Arbeitgeberin, die der Zeugin Dr. F... als Ärztin in Zweifel zu ziehen trachtet, verfehlt dies den Streitstoff. Bei der Zeugin Dr. F... ist deren medizinische Ausrichtung gänzlich ohne Belang gerade für eine Klärung der Frage, ob der Patientin ein ganz bestimmtes, dauerhaft verschriebenes Medikament der Pharmawirtschaft ausgehändigt werden kann.dd)

Der Vortrag über Vorgänge im Juni 2010 und die behauptete Abgabe eines Medikamentes an einen Zeugen im November 2012 ist neu und bestritten und damit präkludiert gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO, zumal weder vorgetragen noch ersichtlich ist, warum dieser Vortrag nicht bereits erstinstanzlich gehalten werden konnte. Im Übrigen ist das Vorbringen, die Verschreibung jenes Zeugen sei €nur ein ungültiges Rezept€ gewesen (Bl. 195), unsubstantiiert und trägt zum Streitkern, dass die Beklagte ohne Rezept sehenden Auges verschreibungspflichtige Medikamente abgegeben habe, nichts bei.d)

Dass die Beklagte der Patientin die größtmögliche Packungseinheit gegeben hat, findet seinen Grund darin, was keinen Widerspruch gefunden hat, dass die Beklagte eine andere Packungsgröße gar nicht vorrätig hatte. Dass sie aus dieser Einheit eine Tablettenzahl hätte herausbrechen sollen, welche den Übergangsbedarf der Zeugin/Patientin gedeckt hätte, scheitert möglicherweise nicht an dem Bundesmanteltarifvertrag, der zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung und den Apothekern geschlossen worden ist, wonach - worauf sich die Beklagte beruft - eine Vereinzelung von Packungseinheiten durch den Apotheker nicht geschehen dürfe. Selbst wenn diese nur abrechnungstechnisch wichtige Vorgabe die Beklagte auch in dieser Fallgestaltung nicht gebunden hätte, änderte dieses Moment im Verbund mit den aufgezählten besonderen Umständen nichts daran, dass gleichwohl im vorliegenden Falle die Spürbarkeitsschwelle nicht überschritten ist.e)

Fehlt es aber an der Spürbarkeit, so fehlt es an der Erfüllung eines Tatbestandsmerkmals (Köhler a.a.O. § 3, 133; Ullmann a.a.O. § 3, 72 und 73; Lehmler in Büscher/Dittmer/Schiwy a.a.O. § 3 UWG, 43) und damit an der Tatbestandsverwirklichung überhaupt.5.

Diese Wertung erfasst zugleich die ferner geltend gemachten Folgeansprüche.

Damit ist die Klage insgesamt unbegründet.

Dies gilt auch in Bezug auf die Abmahnkosten. Denn auch diese haben zur Voraussetzung, dass ein begründeter Unterlassungsanspruch vorliegt (BGH GRUR 2011, 163 [Tz. 25] - Flappe).II.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 10, 711, 542, 543 i.V.m. § 3 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Der Senat folgt ausschließlich anerkannten Rechtsgrundsätzen. Die Sachbehandlung erschöpft sich einzig in deren Umsetzung auf den vorliegenden Einzelfall.

Der Streitgegenstand des Berufungsverfahrens erfasst den ganzen erstinstanzlichen Streitstoff. Dem Angriff des Klägers, das Landgericht habe den Streitwert mit insgesamt 7.000,00 EUR zu gering bewertet, kann beigetreten werden. Insbesondere unter Ziff. II seiner Berufungserwiderung hat der Kläger zutreffend die maßgebenden Bewertungsgesichtspunkte hierfür aufgezeigt. Der Senat vermag jedoch der Wertvorgabe in der Klagebegründung mit 50.000,00 EUR nicht beizutreten. Er erachtet vielmehr bezüglich der Antragsgruppen eine Wertfestsetzung für angemessen mit: 25.000,00 EUR + 5.000,00 + 2.000,00 EUR = 32.000,00 EUR. Ob die Anschlussberufung ausnahmsweise den Streitwert, obgleich Abmahnkosten betreffend, erhöht, bedarf vorliegend keiner Entscheidung, da mit deren Wert jedenfalls kein Gebührensprung verbunden wäre.

Damit ist zugleich die Streitwertbeschwerde 2 W 2/13 beschieden.






OLG Stuttgart:
Urteil v. 13.06.2013
Az: 2 U 193/12; 2 W 2/13


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/e3e05443ca77/OLG-Stuttgart_Urteil_vom_13-Juni-2013_Az_2-U-193-12-2-W-2-13




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