Bundespatentgericht:
Beschluss vom 5. August 2004
Aktenzeichen: 11 W (pat) 339/02

(BPatG: Beschluss v. 05.08.2004, Az.: 11 W (pat) 339/02)

Tenor

Auf den Einspruch wird das Patent 44 44 755 widerrufen.

Gründe

I.

Auf die am 15. Dezember 1994 beim Deutschen Patentamt eingereichte Patentanmeldung, für welche die Priorität der Voranmeldung in Deutschland vom 27. Januar 1994 (AZ P 44 02 339.1) in Anspruch genommen wird, ist das Patent 44 44 755 mit der Bezeichnung "Vorrichtung zum Fördern von Bogen im Anlegerbereich einer bogenverarbeitenden Maschine" erteilt und die Erteilung am 13. Juni 2002 veröffentlicht worden. Gegen das Patent hat die M... AG Einspruch erhoben.

Die Einsprechende führt zur Begründung aus, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Sie stützt ihr Vorbringen auf folgende Druckschriften:

(1) DE-PS 905 138 (2) DE 41 02 472 A1 (3) DE 41 39 888 A1 (4) DE 31 38 540 A1, von denen die letztgenannte bereits im Patenterteilungsverfahren berücksichtigt wurde.

Die Einsprechende stellt den Antrag, das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin stellt den Antrag, das Patent aufrechtzuerhalten, hilfsweise mit dem Patentanspruch 1 vom 5. August 2004 sowie im übrigen gemäß Patentschrift beschränkt aufrechtzuerhalten.

Die Patentinhaberin hat in der mündlichen Verhandlung hilfsweise die Teilung des Patents erklärt.

Der erteilte Anspruch 1 lautet:

"Vorrichtung zum Fördern von Einzelbogen oder zum Fördern eines geschuppten Bogenstroms im Anlegerbereich einer bogenverarbeitenden Maschine mittels eines Fördertisches, der mit zumindest einem endlosen, über mindestens zwei drehbar gelagerte Umlenkrollen geführten Transportband ausgestattet ist, wobei das Transportband die Bogen im Bereich zwischen einem Bogenstapel und den Vorderanschlägen, von wo die Bogen in die bogenverarbeitende Maschine übernommen werden, fördert, wobei ein Motor vorgesehen ist, der das Transportband, von der bogenverarbeitenden Maschine entkoppelt, antreibt, dadurch gekennzeichnet, dass eine Rechen/Regeleinrichtung (11) vorgesehen ist, die den Motor (10) mit einem vorgegebenen Geschwindigkeitsprofil, das durch eine Geschwindigkeitsänderung in Abhängigkeit von der Winkeleinstellung der bogenverarbeitenden Maschine bestimmt ist, ansteuert, wobei in einer Speichereinrichtung (13) der Rechen/Regeleinrichtung (11) mindestens ein Geschwindigkeitsprofil gespeichert ist."

Auf diesen Anspruch sind die Ansprüche 2 bis 11 rückbezogen, die Ausgestaltungen der Vorrichtung betreffen.

Der nebengeordnete Anspruch 12 lautet:

"Bogenanlegereinheit mit einer Saugkopfeinheit, durch die Bogen vereinzelt einem Bogenstapel entnehmbar und einem Bändertisch zuführbar sowie von dem Bändertisch einer bogenverarbeitenden Maschine zuförderbar sind, wobei Saugkopfeinheit und Bändertisch im Takt der bogenverarbeitenden Maschine antreibbar sind und die Transportgeschwindigkeit des Bändertisches über einen Antrieb während eines Taktes erhöhbar und anschließend zum Taktende hin wieder verringerbar ist und wobei das Maß der Geschwindigkeitserhöhung und der Geschwindigkeitsverringerung variabel einstellbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass das Maß der Geschwindigkeitserhöhung unterschiedlich vom Maß der Geschwindigkeitsverringerung variabel einstellbar ist."

Der weitere nebengeordnete Anspruch 13 lautet:

"Bogenanlegereinheit nach dem Oberbegriff des Anspruchs 12, dadurch gekennzeichnet, dass das Maß der Geschwindigkeitsverringerung unterschiedlich vom Maß der Geschwindigkeitserhöhung variabel einstellbar ist."

Auf diese Ansprüche sind die Ansprüche 14 bis 21 rückbezogen, die Ausgestaltungen der Bogenanlegereinheit betreffen.

Beim Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag ist gegenüber dem Anspruch 1 gemäß Hauptantrag in der letzten Zeile des kennzeichnenden Teils anstelle von "mindestens ein Geschwindigkeitsprofil" "mindestens zwei Geschwindigkeitsprofile" eingefügt.

Es liegt die Aufgabe zugrunde, eine Vorrichtung zur Bogenzuführung so zu optimieren, dass ein Bogen passgenau in die bogenverarbeitende Maschine transportiert wird.

II.

Der zulässige Einspruch ist begründet.

Fachmann ist ein Diplom-Ingenieur des Maschinenbaus mit Schwerpunkt Druckereitechnik mit mindestens Fachhochschulabschluss, der besondere Kenntnisse und Erfahrungen auf dem Gebiet der Steuerung des Bogentransports bei bogenverarbeitenden Maschinen (Druckereimaschinen) besitzt, der bei gegebenem Bedarf einen Fachmann der Antriebstechnik/Steuerung von Motoren hinzuzieht.

1.) Die erteilten Ansprüche 1 bis 21 sind formal zulässig. Die Ansprüche 12 und 13, die eine unabhängige, variable Einstellung der Geschwindigkeitserhöhung bzw. der Geschwindigkeitsverringerung betreffen, sind durch die ursprüngliche Beschreibung gedeckt, in der eine frei wählbare Vorgabe der Geschwindigkeit mehrfach hervorgehoben ist (Offenlegungsschrift Sp 5 Z 56 bis Sp 6 Z 6).

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag mag zwar neu sein, was von der Einsprechenden nicht bestritten wird, ihm liegt jedoch keine erfinderische Tätigkeit zugrunde.

Aus (2), Figuren 4 und 5 mit zugehöriger Beschreibung, ist eine Vorrichtung zum Fördern von Einzelbogen im Anlegerbereich einer Rotationsdruckmaschine 36, und somit einer bogenverarbeitenden Maschine, mittels eines Fördertisches bekannt. Der Fördertisch ist mit einem endlosen zumindest über zwei drehbar gelagerte Umlenkrollen geführten Transportband 45 ausgestattet und fördert die Bogen zwischen einem Bogenstapel 42 und den Vorderanschlägen, von wo die Bogen von der Druckmaschine übernommen werden. Das Transportband wird hierbei von einem eigenen Motor (Zusatzantriebsaggregat 44) angetrieben, also mechanisch entkoppelt vom Antrieb (Antriebsaggregat 13) der Druckmaschine. Damit weist diese Vorrichtung sämtliche im Oberbegriff des Anspruchs 1 aufgeführten Merkmale auf.

Zudem sind Steuerungsmittel vorhanden, die zur Abstimmung der gegenseitigen Phasenlage von Antriebsaggregat 13 der Druckmaschine und dem Zusatzantriebsaggregat 44 des Transportbandes dienen. Diese Steuerungsmittel wirken auf die Geschwindigkeit der jeweiligen Antriebe und sind durch eine Drehzahlregelungseinrichtung, mit der die Steuerspannung für den Stromrichter der Gleichstromantriebsmotoren geregelt wird, realisiert (Sp 3 Z 37-48).

Dem Fachmann ist zudem aus der Druckschrift (4), Anspruch 1 und Beschreibung S 4 Z 4-29, geläufig, dass bei der Geschwindigkeitssteuerung von Antriebsmotoren in bogenverarbeitenden Maschinen, die getrennte Antriebe für die Bogenzufuhr und die Druckmaschine aufweisen, in vorteilhafter Weise eine elektronische Rechen/Regeleinrichtung eingesetzt werden kann. Diese gestattet es, ein vorgegebenes Geschwindigkeitsprofil, das durch eine Geschwindigkeitsänderung in Abhängigkeit von der Winkelstellung der bogenverarbeitenden Maschine bestimmt ist, nach den jeweiligen Erfordernissen vorzugeben. Hierzu ist im Rechner zumindest ein Bewegungsgesetz, dh. ein Geschwindigkeitsprofil, gespeichert, das mit den Werten eines Winkelcodierers verknüpft wird und die Stellgröße für den Antriebsmotor bildet. Der Motor wird dadurch gemäß der Stellung von Bogenzuführvorrichtung und Druckzylinder beschleunigt oder verzögert.

Der Fachmann gelangt somit durch Anwendung der Lehren aus (4) auf die in (2) beschriebene Vorrichtung zum Fördern von Bögen ohne erfinderisch tätig werden zu müssen auf den Gegenstand des Patentanspruchs 1. Der Anspruch 1 hat somit keinen Bestand. Die übrigen Ansprüche teilen ohne weitere Prüfung das Rechtschicksal des Anspruchs 1, da sie Teil des selben Antrags sind.

In den nebengeordneten Ansprüchen 12 und 13 ist im übrigen auch kein erfinderischer Gehalt zu sehen, da es bei variabel einstellbaren Steuerungen für zeitliche Abläufe eine Selbstverständlichkeit ist, die einzelnen Bereiche unabhängig voneinander einzustellen, da dies schon durch den Begriff "variabel einstellbar" impliziert ist. Mehr als dieser Sachverhalt ist der Anspruchsformulierung nicht zu entnehmen.

2.) Der Patentanspruch 1 nach dem Hilfsantrag unterscheidet sich vom Anspruch 1 nach dem Hauptantrag lediglich dadurch, dass er in der letzten Zeile des kennzeichnenden Teils anstelle von "mindestens ein Geschwindigkeitsprofil" "mindestens zwei Geschwindigkeitsprofile" lautet.

Ansonsten ist der Anspruch unverändert geblieben. Die einschränkende Änderung ist zulässig, da der ursprüngliche Wortlaut den neuen umfasst.

Bezüglich der mit dem Patentanspruchs nach Hauptantrag übereinstimmenden Merkmale wird auf die Ausführungen hierzu unter 1.) verwiesen. Die Speicherung von mindestens zwei Geschwindigkeitsprofilen anstelle von mindestens einem kann jedoch die Patentfähigkeit nicht begründen. Denn es liegt im Belieben des Fachmannes wie viele Geschwindigkeitsprofile er speichert. Dabei ist es ihm schon vor dem Anmeldetag des Patents geläufig, dass elektronische Rechenanlagen üblicherweise mit Speichern großen Aufnahmevermögens ausgerüstet sind, die ein Speichern auch von umfangreichen Datenmengen ohne weiteres erlauben. Der Bedarf für Speicherung von mehreren Geschwindigkeitsprofilen ergibt sich aus der Praxis, nämlich die Geschwindigkeiten jeweils dem zu verarbeitenden Material und dessen mechanischen Eigenschaften anzupassen. Dieses Bedürfnis ist bspw schon in der DE-PS 905 138, S 1 Z 15-32 angesprochen und damit dem Fachmann ohnehin bekannt.

Der Anspruch 1 nach dem Hilfsantrag hat keinen Bestand, da seinem Gegenstand keine erfinderische Tätigkeit zugrunde liegt. Die zugehörigen Ansprüche 2 bis 21 fallen schon aus formalen Gründen mit dem Anspruch 1.

Die Teilungserklärung steht der Entscheidung des Senats über das Patent nicht entgegen (vgl. BGH GRUR 2003, 47 ff - Sammelhefter, BGH GRUR 2003, 781 ff - Basisstation). Das weitere Verfahren hinsichtlich eines in Folge der Teilungserklärung gegebenenfalls vom Patent abgetrennten Teils, der gemäß § 60 PatG als Anmeldung gilt, obliegt dem Deutschen Patent- und Markenamt.

Dellingerv. Zglinitzki Skribanowitz Richter Harrer ist wegen Urlaubs an der Unterschrift verhindert.

Dellinger Ko






BPatG:
Beschluss v. 05.08.2004
Az: 11 W (pat) 339/02


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