Bundespatentgericht:
Urteil vom 20. November 2007
Aktenzeichen: 3 Ni 41/05
(BPatG: Urteil v. 20.11.2007, Az.: 3 Ni 41/05)
Tenor
I. Das europäische Patent 0 452 862 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt, soweit es über folgende Fassung hinausgeht:
1. Pharmakologisch inaktiver sphärischer Tablettenkern, umfassend wenigstens 50 Gew.- % mikrokristalline Cellulose mit einem durchschnittlichen Polymerisationsgrad von 60 bis 375, wobei der sphärische Tablettenkern eine durchschnittliche Teilchengröße (50 Gew.- % des Gesamtgewichts) von 100 bis 550 µm, eine gerüttelte Schüttdichte von wenigstens 0,80 g/ml, ein Aspekt-Verhältnis von wenigstens 0,70, eine Wasserabsorptions-Kapazität von 0,75 bis 1,50 ml/g und eine Bröckligkeit von nicht mehr als 0,5 % aufweist.
2. Tablettenkern nach Anspruch 1, wobei der Tablettenkern eine durchschnittliche Teilchengröße von 150 bis 550 µm aufweist.
3. Tablettenkern nach Anspruch 1, wobei der Tablettenkern eine durchschnittliche Teilchengröße von 200 bis 550 µm aufweist.
4. Tablettenkern nach Anspruch 1, wobei der Tablettenkern ein Aspekt-Verhältnis von wenigstens 0,80 aufweist.
5. Tablettenkern nach Anspruch 1, wobei der Tablettenkern einen Gehalt an mikrokristalliner Cellulose von wenigstens 80 Gew.- % aufweist.
6. Tablettenkern nach Anspruch 1, wobei der Tablettenkern einen Gehalt an mikrokristalliner Cellulose von 100 Gew.-% aufweist.
7. Tablettenkern nach Anspruch 1, wobei die mikrokristalline Cellulose einen durchschnittlichen Polymerisationsgrad von 60 bis 300 aufweist.
8. Tablettenkern nach Anspruch 1 wobei die mikrokristalline Cellulose eine Kristallinität von wenigstens 10 % aufweist, bestimmt durch Röntgen-Diffraktometrie.
9. Tablettenkern nach Anspruch 8, wobei die Kristallinität wenigstens 40 % beträgt.
10. Tablettenkern nach Anspruch 1, wobei die mikrokristalline Cellulose eine Wasserabsorptions-Kapazität von 1,0 bis 2,8 ml/g aufweist.
11. Tablettenkern nach Anspruch 1, weiterhin umfassend Zucker, Stärke, eine anorganische Substanz oder eine Mischung davon.
12. Sphärisches Korn, umfassend einen sphärischen Tablettenkern nach Anspruch 1, beschichtet mit einer pulvrigen Schicht, umfassend einen aktiven Bestandteil, und eine äußere Schicht einer Beschichtung, angebracht an der pulvrigen Schicht.
13. Sphärisches Korn nach Anspruch 12, wobei das Korn 5 bis 300 Gew.- % der pulvrigen Schicht, bezogen auf das Gewicht des Tablettenkernes, umfasst.
14. Sphärisches Korn nach Anspruch 12, weiterhin umfassend ein Bindemittel, ausgewählt aus Hydroxypropylcellulose, Hydroxypropylmethylcellulose, Methylcellulose, Stärkepaste, vorgelatinierter Stärke, Polyvinylpyrrolidon, Gummi Arabicum, Zuckersirup und Natriumcarboxymethylcellulose.
15. Sphärisches Korn nach Anspruch 12, weiterhin umfassend ein Bindemittel, ausgewählt aus Lactose, Maisstärke, mikrokristalliner Cellulose, Saccharose, D-Mannit, vorgelatinierter Stärke und teilweise vorgelatinierter Stärke.
16. Verfahren zur Herstellung von sphärischen Körnern, umfassend die Schritte des Beschichtens eines sphärischen Tablettenkerns nach Anspruch 1 mit einem Pulver, umfassend einen aktiven Bestandteil, durch Verwendung einer wässrigen Bindemittel-Lösung, das Sprühen einer wässrigen Lösung oder Suspension eines Beschichtungsmittels darauf und das Trocknen der entstandenen beschichteten Körner.
17. Verfahren nach Anspruch 16, wobei die Körner 5 bis 300 Gew.- % der pulvrigen Schicht umfassen, bezogen auf das Gewicht des Tablettenkerns.
18. Verfahren nach Anspruch 16, wobei die Körner weiterhin ein Bindemittel umfassen, ausgewählt aus Hydroxypropylcellulose, Hydroxypropylmethylcellulose, Methylcellulose, Stärkepaste, vorgelatinierter Stärke, Polyvinylpyrrolidon, Gummi Arabicum, Zuckersirup und Natriumcarboxymethylcellulose.
19. Verfahren nach Anspruch 16, wobei die Körner weiterhin ein aus Lactose, Maisstärke, mikrokristalliner Cellulose, Saccharose, D-Mannit, vorgelatinierter Stärke und teilweise vorgelatinierter Stärke ausgewähltes Bindemittel umfassen.
20. Verfahren nach Anspruch 16, wobei das Beschichtungsmittel aus Ethylcellulose, acyclischen Polymeren, Hydroxypropylmethlethylcellulosephthalat, Celluloseacetatphthalat, Carboxymethylcellulose, Celluloseacetat, Hydroxypropylmethylcelluloseacetatsuccinat, Schellack und einem Siliconpolymer ausgewählt ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin und die Beklagte je zur Hälfte.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Beklagte war die eingetragene Inhaberin des mittlerweile auf die A... in T..., übertragenen, am 16. April 1991 angemeldeten und auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 452 862 (NiK 1; Streitpatent), für das die japanische Priorität JP 100 251/90 vom 18. April 1990 in Anspruch genommen wird. Das Streitpatent wird vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer 691 11 287 geführt und betrifft nach der deutschen Übersetzung der europäischen Patentschrift (NiK1 T; DE 691 11 287 T2) "Kugelförmige Keimkerne, kugelförmige Granulate sowie Verfahren zu deren Herstellung". Es umfasst 20 Patentansprüche, von denen die unabhängigen, nicht rückbezogenen Patentansprüche 1, 12 und 16 in ihrer erteilten Fassung in der deutschen Übersetzung lauten:
1. Pharmakologisch inaktiver sphärischer Tablettenkern, umfassend wenigstens 50 Gew.- % mikrokristalline Cellulose mit einem durchschnittlichen Polymerisationsgrad von 60 bis 375, wobei der sphärische Tablettenkern eine durchschnittliche Teilchengröße von 100 bis 1000 m, eine gerüttelte Schüttdichte von wenigstens 0,65 g/ml, ein Aspekt-Verhältnis von wenigstens 0,7, eine Wasserabsorptions-Kapazität von 0,5 bis 1,5 ml/g und eine Bröckligkeit von nicht mehr als 1 % aufweist.
12. Sphärisches Korn, umfassend einen sphärischen Tablettenkern nach Anspruch 1, beschichtet mit einer pulvrigen Schicht, umfassend einen aktiven Bestandteil, und eine äußere Schicht einer Beschichtung, angebracht an der pulvrigen Schicht.
16. Verfahren zur Herstellung von sphärischen Körnern, umfassend die Schritte des Beschichtens eines sphärischen Tablettenkerns nach Anspruch 1 mit einem Pulver, umfassend einen aktiven Bestandteil, durch Verwendung einer wässrigen Bindemittel-Lösung, das Sprühen einer wässrigen Lösung oder Suspension eines Beschichtungsmittels darauf und das Trocknen der entstandenen beschichteten Körner.
Die Patentansprüche 2 bis 11, 13 bis 15 und 17 bis 20 betreffen besondere Ausgestaltungen des Tablettenkerns nach Patentanspruch 1, des sphärischen Korns nach Anspruch 12 bzw. des Verfahrens nach Patentanspruch 16.
Die Klägerin macht geltend, das Streitpatent sei nicht patentfähig, weil sein Gegenstand gegenüber den Entgegenhaltungen NiK 5: Y. Miyake et al, Yakuzaigaku 33/4, S. 167 - 171 (1973)
NiK 5T: Übersetzung von NiK 5 NiK 6: JP 61-213201 NiK 6T: Übersetzung von NiK 6 nicht neu sei. Jedenfalls beruhe er nicht auf einer erfinderischer Tätigkeit. Hierzu stützt sich die Klägerin zusätzlich auf folgende weitere Druckschriften:
NiK 2 : US 3 146 168 NiK 3: E, Nürnberg in K. Hartke u. E. Mutschler (Hrsg.), DAB 9-Kommentar, Bd. 2, Monographien A-L, S. 1121 - 1124 (1986)
NiK 4: H. Sucker et al, Pharmazeutische Technologie, S. 453 (1978)
NiK 7: H.C.M. Yu et al, J. Pharm. Pharmacol. 40, 669-673 (1988)
NiK 8: H.J. Malinowski et al, J. Pharm. Sci. 63, 285-288 (1974)
Nik 9: EP 0 277 741 A1 NiK 10: Datenblatt "Pellets, Spheres, Beads" der Firma Selectchemie AG (Jan. 2005)
NiK 11: US 4 886 669 Des Weiteren bezieht sie sich auf die Ergebnisse einer von ihr durchgeführten Messung über die Wasserabsorptionskapazität einer MCC-Pellet-Probe (NiK 12) sowie einen Versuchsbericht über die Herstellung pharmakologisch inaktiver sphärischer Starterkerne aus mikrokristalliner Cellulose (NiK 13).
Die Klägerin beantragt, das Europäische Patent EP 0 452 862 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland in vollem Umfang für nichtig zu erklären.
Die Beklagte verteidigt das Streitpatent in eingeschränktem Umfang in erster Linie mit den aus dem Tenor ersichtlichen Ansprüchen sowie hilfsweise mit zwei weiter eingeschränkten Fassungen, bezüglich derer auf die Anlagen 2 und 3 zum Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 20. November 2007 Bezug genommen wird, und beantragt, die weitergehende Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, dass die Einschränkungen entgegen der Auffassung der Klägerin zulässig seien und der Gegenstand des Patents in seinen beschränkt verteidigten Fassungen gegenüber dem Stand der Technik neu sei und auch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. In ihrer Begründung nimmt sie Bezug auf folgende Unterlagen:
NiB1a: Y. Osako et al, The Summary of 8th Symposium in Pharmaceutical Preparations and Particle Design, Society of Powder Technology, Japan, October, 1991, S. 136 - 140 NiB1aT: Übersetzung von NiB1a NiB1b: M. Nakayama, The Summary of 9th Symposium in Pharmaceutical Preparations and Particle Design, Society of Powder Technology, Japan, October, 1992, S. 55 - 58 NIiK1bT: Übersetzung von NiB1b NiB2: Wasserabsorptionskapazität und Polymerisationsgrad (DP) von kommerziellen mikrokristallinen Cellulosen NiB3: Versuchsbericht über Vergleichsversuche des Streitpatents mit NiK6, NiB4: Experimente zur Nacharbeitung von Beispiel 2 der NiK6 NiB5: Y. Miyake et al, Yakuzaigaku 33/4, S. 161 - 166 (1973)
NiB5T: Übersetzung von NiB5 NiB6: Versuchsergebnisse zum Layering von Starterkernen des Streitpatents im Vergleich zu Starterkernen gemäß Beispiel 2 von NiK6 Mit Schriftsatz vom 11. Mai 2007 hat die Klägerin erklärt, dass sie einer Umschreibung des Streitpatents gem. § 265 Abs. 2 ZPO derzeit nicht zustimme.
Gründe
Die zulässige Klage ist nur insoweit begründet, als die Beklagte das Streitpatent nicht mehr verteidigt. Die geltend gemachten Nichtigkeitsgründe der mangelnden Patentfähigkeit und der unzulässigen Erweiterung stehen dem Streitpatent in seiner in zulässiger Weise beschränkt verteidigten Fassung nicht entgegen (Art. II § 6 Abs. 1, Nr. 1, Nr. 3, IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1, lit a, lit c EPÜ).
Soweit das Streitpatent nicht mehr verteidigt wird, ist es ohne Sachprüfung für nichtig zu erklären.
Beklagte des Rechtsstreits ist trotz der mittlerweile erfolgten Übertragung und Umschreibung des deutschen Anteils des Streitpatents auf die A... in T..., weiterhin die ursprünglich eingetragene Patentinhaberin A1... in O.... Denn eine derartige Übertragung hat auf den Prozess keinen Einfluss (§§ 99 Abs. 1 PatG, 265 Abs. 2 S. 1 ZPO). Die Erklärung der Klägerin vom 11. Mai 2007, einer "Umschreibung" des Streitpatents nicht zuzustimmen, ist dahingehend auszulegen, dass sie einer Übernahme des Rechtsstreits durch die Rechtsnachfolgerin nicht zustimmt (§§ 99 Abs. 1 PatG, 265 Abs. 2 S. 2 ZPO).
I.
1. Das Streitpatent betrifft pharmakologisch inaktive, sphärische Tablettenkerne, sowie sphärische Körner, bei denen diese Tablettenkerne mit einer pulvrigen Schicht umfassend einen aktiven Bestandteil beschichtet sind, und Verfahren zur Herstellung der sphärischen Körner (NiK1T S. 1 i. V. m. Ansprüchen 1, 12 und 16).
Wie im einleitenden Teil des Streitpatents ausgeführt, würden pharmazeutische Präparate in vielen Fällen aus mehreren Gründen, insbesondere zur genauen Steuerung der Auflösungsgeschwindigkeit eines aktiven Bestandteils, mit einem Film beschichtet. Hierzu würden oft sphärische Starterkerne bzw. Keimkerne - hier als sphärische Tablettenkerne bezeichnet - mit einer einheitlichen Teilchengröße verwendet, um die Ausbeute der Filmbeschichtung zu erhöhen und die Reproduzierbarkeit der Beschichtung zu verbessern. Die Beschichtung mit einem aktive Bestandteile enthaltenden Pulver erfolge dabei mit einer organischen oder wässrigen Lösung eines Bindemittels. Die Verwendung eines organischen Lösungsmittels bringe aber Probleme bezüglich Umweltverschmutzung, Kosten und Rückständen mit sich, so dass diese nach und nach durch wässrige Lösungen oder Suspensionen ersetzt würden. Bei der Beschichtung von Starterkernen mit einer wässrigen Bindemittellösung träten Probleme durch die Löslichkeit von Bestandteilen der Starterkerne, wie bei der häufig eingesetzten Saccharose, der Teilchenagglomeration, der Anhaftung an der Wand der Beschichtungsvorrichtung, der Bröckligkeit der Starterkerne und der schlechten Ausbeute an beschichteten Teilchen auf. Für Starterkerne auf Basis von mikrokristalliner Cellulose gäbe es keine Daten über deren Wasserabsorptionskapazität und Bröckligkeit sowie der Beschichtung unter Verwendung eines wässrigen Lösungsmittels (vgl. Streitpatent NiK1T S. 1 Abs. 2, S. 3 Abs. 2 bis S. 4 Abs. 1).
2. Davon ausgehend liegt dem Streitpatent die Aufgabe zugrunde, pharmakologisch inaktive sphärische Starterkerne zur Verfügung zu stellen, die hinsichtlich der Agglomeration bei der Beschichtung mit aktiven Bestandteilen und/oder Filmbeschichtungen unter Verwendung von wässrigen Systemen diese Nachteile nicht aufweisen.
3. Gelöst wird diese Aufgabe durch die pharmakologisch inaktiven sphärischen Tablettenkerne nach verteidigtem Patentanspruch 1, die sphärischen Körner, umfassend diese Tablettenkerne, nach Patentanspruch 12 und das Verfahren nach Patentanspruch 16 zur Herstellung der sphärischen Körner mit folgenden Merkmalen.
Patentanspruch 1:
1.1: Pharmakologisch inaktiver, 1.2: sphärischer 1.3: Tablettenkern, 2.1: umfassend mindestens 50 Gew.- % mikrokristalline Cellulose 2.2: mit einem mittleren Polymerisationsgrad von 60 bis 375, der 3.1: eine durchschnittliche Teilchengröße (50 Gew.- % des Gesamtgewichts) von 100 bis 550 m, 3.2: eine gerüttelte Schüttdichte von wenigstens 0,80 g/ml, 3.3: ein Aspekt-Verhältnis von mindestens 0,70, 3.4: eine Wasserabsorptionskapazität von 0,75 bis 1,50 ml/g und 3.5: eine Bröckligkeit von nicht mehr als 0,5 % aufweist.
Patentanspruch 12:
1. Sphärisches Korn, umfassend 2. einen sphärischen Tablettenkern nach Anspruch 1, 3. beschichtet mit einer pulvrigen Schicht, umfassend 4. einen aktiven Bestandteil und 5. eine äußere Schicht einer Beschichtung, 5.1 angebracht an der pulvrigen Schicht.
Patentanspruch 16:
1. Verfahren zur Herstellung von sphärischen Körnern, umfassend 2. die Schritte des Beschichtens eines sphärischen Tablettenkerns nach Anspruch 1 mit einem Pulver, umfassend 3. einen aktiven Bestandteil, 4. durch Verwendung einer wässrigen Bindemittel-Lösung, 5. das Sprühen einer wässrigen Lösung oder Suspension eines Beschichtungsmittels darauf und 6. das Trocknen der entstandenen beschichteten Körner.
4. Zuständiger Fachmann ist ein Chemiker oder Pharmazeut mit Universitätsabschluss, guten Kenntnissen in pharmazeutischer Technologie und langjähriger Erfahrung in der Entwicklung von galenischen Zubereitungen.
II.
Das Streitpatent in der nach Hauptantrag verteidigten Fassung erweist sich als bestandsfähig. Die von der Beklagten vorgenommenen Beschränkungen sind zulässig. Der Gegenstand des Patents in seiner beschränkten Fassung ist neu und ergibt sich für den Fachmann auch nicht in naheliegender Weise aus dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik.
1. Unzulässige Erweiterung Die Nichtigkeitsklägerin begründet ihren Vorwurf, der Gegenstand des verteidigten Patentanspruchs 1 sei gegenüber dem vom europäischen Patentamt erteilten Patent unzulässig erweitert, damit, dass beim verteidigten Patentanspruch 1 die in der erteilten Fassung des Streitpatents enthaltenen weiteren Bereichs- bzw. Größenangaben für die durchschnittliche Teilchengröße, die gerüttelte Schüttdichte, das Aspekt-Verhältnis, die Wasser-Absorptions-Kapazität sowie die Bröckligkeit in unzulässiger Weise auf engere Werte eingeschränkt seien.
Beim verteidigten Patentanspruch 1 sind gegenüber dem erteilten Patentanspruch 1 die durchschnittliche Teilchengröße der sphärischen Tablettenkerne von 100 bis 1000 m auf 100 bis 550 m bezogen auf 50 Gew.- % des Gesamtgewichts, die gerüttelte Schüttdichte von wenigstens 0,65 g/ml auf wenigstens 0,80 g/ml, das Aspekt-Verhältnis von wenigstens 0,7 auf wenigstens 0,70, die Wasserabsorptions-Kapazität von 0,5 bis 1,5 ml/g auf 0,75 bis 1,50 ml/g und die Bröckligkeit von nicht mehr als 1 % auf nicht mehr als 0,5 % eingeschränkt. Die Maßgabe, dass sich die durchschnittliche Teilchengröße auf 50 Gew.- % des Gesamtgewichts der Teilchen bezieht, ist sowohl aus der veröffentlichten Patentschrift als auch aus den Erstunterlagen ableitbar (NiK 1T S. 12 le. Abs.; Erstunterlagen S. 11 Abs. 2). Die Einschränkungen der Bereichsangaben der die beanspruchten Tablettenkerne charakterisierenden Parameter bewegen sich damit innerhalb der im erteilten Patentanspruch 1 angegebenen Bereiche, die auch im ursprünglich beim europäischen Patentamt eingereichten Patentanspruch 1 ihre Entsprechung finden. Die die Beschränkung ermöglichende Offenbarung findet ihre Stütze in einer dem Gesamtinhalt der maßgeblichen Unterlagen entnehmbaren bestimmten Ausgestaltung. Der Fachmann versteht nämlich die ursprünglich offenbarten durch Grenzwerte definierten Bereiche als vereinfachte Schreibweise auch für die Zwischenwerte (vgl. BGH GRUR 90, 510 (III3d) - Crackkatalysator I; 92, 842 - Chrom-Nickel-Legierung; 00, 591 (IV1b) - Inkrustierungsinhibitoren).
Der Auffassung der Klägerin, dass dies hier nicht der Fall wäre, da es sich um Einschränkungen einer Kombination von funktionellen Merkmalen und nicht um Beschränkungen von Mengenangaben handle, kann nicht gefolgt werden. Denn durch Grenzwerte definierte Bereiche offenbaren die Zwischenwerte nicht nur bei Mengenbereichen sondern auch bei anderen numerisch definierten Bereichen (BGH Inkrustierungsinhibitoren, a. a. O.; Rogge, GRUR 1996, 931, 939 bb)). Der Fachmann musste zur Festlegung der Bereiche der den Gegenstand des Patentanspruchs 1 charakterisierenden Parameter auch keine durch die Beschreibung nicht vermittelten Informationen mit seinem Fachwissen ergänzen, die die Zulässigkeit der Beschränkungen im Hinblick auf BGH GRUR 04, 407 (VI2) - Fahrzeugleitsystem nach dem Vortrag der Klägerin infrage stellen würden. Im vorliegenden Fall hat sich nämlich die Beklagte auf besondere Ausgestaltungen des Patentgegenstandes zurückgezogen, die durch die in der Patentschrift beschriebenen Beispiele besonders hervorgehoben sind. So fallen sämtliche in der Patentschrift angegebenen Beispiele unter die nunmehr beschränkten Bereiche der charakterisierenden Parameter. Insbesondere der Bereich der Wasserabsorptionskapazität der Tablettenkerne mit 0,75 bis 1,50 ml/g gemäß dem geltenden Patentanspruch 1 geht nur geringfügig über den aus den Beispielen ableitbaren Bereich von 0,75 bis 1,40 ml/g hinaus, vgl. die Tabellen 2 und 5 der Streitpatentschrift. Bei den Änderungen im Patentanspruch 1 und entsprechend den Ansprüchen 2 und 3 handelt es sich also um zulässige Beschränkungen der Bereiche einzelner Parameter, die zur Charakterisierung der Tablettenkerne herangezogen werden. Die weiteren Patentansprüche der verteidigten Fassung der Patentansprüche entsprechen jeweils den erteilten Patentansprüchen, die aus den entsprechenden ursprünglichen Patentansprüchen hervorgehen.
2. Die Gegenstände der verteidigten Patentansprüche gemäß Streitpatent sind neu. In keiner der in das Verfahren eingeführten Druckschriften sind sie vollständig vorbeschrieben.
Die japanische Offenlegungsschrift NiK6, in deutscher Übersetzung NiK6T, kommt neben der japanischen Veröffentlichung NiK5, in englischer Übersetzung NiK5T, dem Gegenstand des verteidigten Patentanspruchs 1 am nächsten.
Aus NiK6/NiK6T sind pharmakologisch inaktive sphärische Tablettenkerne umfassend 20 bis 100 Gew.- % mikrokristalline Cellulose bekannt (Anspruch 1 i. V. m. S. 6 Z. 15 bis 19). Für diese Tablettenkerne sind die den Gegenstand des verteidigten Patentanspruchs 1 charakterisierenden Parameter Teilchengröße, Schüttdichte und Sphärizität bzw. Aspektverhältnis angegeben, wogegen Angaben zum mittleren Polymerisationsgrad der mikrokristallinen Cellulose sowie zur der Wasseradsorptionsfähigkeit und Bröckligkeit der Tablettenkerne fehlen. Die Teilchengröße der nach Beispiel 2 der NiK6 erhaltenen Tablettenkerne fällt, soweit es den Angaben der NiK6 zu entnehmen ist, mit 91,6 % Teilchen von 32 bis 60 mesh, was nach der Taylor-Siebreihe lichten Maschenweiten von 0,5 bis 0,246 mm entspricht, in den Bereich für die durchschnittliche Teilchengröße gemäß Merkmal 3.1 des verteidigten Patentanspruchs 1 (vgl. Beispiel 2). Auch die Sphärizität mit mindestens 0,8 bzw. in den Beispielen mit 0,9 bis 0,97 fällt unter das Aspektverhältnis des Merkmals 3.3 des Patentanspruchs 1. Die aus NiK6 bekannten Tablettenkerne weisen allgemein eine Schüttdichte von mindestens 0,65 g/ml, im Besonderen bei den Beispielen von bis zu 0,78 g/ml auf, was die Schüttdichte der beanspruchten Tablettenkerne von wenigstens 0,8 g/ml erfasst. Von der Beklagten wird nicht bestritten, dass auch die aus NiK6 bekannten Tablettenkerne mikrokristalline Cellulose mit einem Polymerisationsgrad entsprechend den Angaben des verteidigten Patentanspruchs 1 enthalten, nachdem der im Patenanspruch 1 angegebene Polymerisationsgrad für mikrokristalline Cellulosen üblich ist, wie aus NiK3 hervorgeht. Somit sind jedenfalls die Merkmale 1.1 bis 3.3 des Gegenstandes des Patentanspruchs 1 aus NiK6 bekannt. Das Merkmal 3.4, die Wasserabsorptionskapazität, ist ein unabhängiger Parameter der Tablettenkerne, der sich im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin nicht zwangsläufig aus dem Polymerisationsgrad der eingesetzten mikrokristallinen Cellulose ergibt. Die Beklagte konnte nämlich belegen, dass kommerzielle mikrokristalline Cellulosen fast identischer Polymerisationsgrade deutliche Unterschiede in ihrer Wasseradsorptionskapazität aufweisen, vgl. NiB2.
Die Beklagte hat zur Überprüfung, ob die aus NiK6 bekannten Tablettenkerne den Tablettenkernen gemäß verteidigtem Patentanspruch 1 entsprechen und damit gleichzeitig alle Merkmale des Gegenstandes des Patentanspruchs 1 aufweisen, Nacharbeitungsexperimente NiB3 und NiB4 auf Basis des Beispiels 2 der NiK6 durchgeführt. Dieses Beispiel der NiK6 kommt auf Grund der Zusammensetzung der Kerne (100 % mikrokristalline Cellulose), deren erhaltener Teilchengröße (91,6 % der Teilchen mit 32 bis 60 mesh), ihrer Schüttdichte von 0,76 g/ml und Sphärizität von 0,97 den Tablettenkernen gemäß verteidigtem Patentanspruch 1 am nächsten. Die gemäß den weiteren Beispielen 1, 3, 4 und 5 hergestellten Kerne weisen gegenüber dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 eine größere Teilchengröße (z. B. Beispiel 1: 97,1 % der Teilchen mit 24 bis 48 mesh (lichte Maschenweite von 0,70 bis 0,295 mm)) auf, was die Aussagekraft der Nacharbeitungsexperimente in Frage stellen würde. Die Nacharbeitungsexperimente der Beklagten wurden in einer der NiK6 sehr ähnlichen Granuliervorrichtung, nämlich einem Wirbelschichtgranulator mit Drehteller durchgeführt (NiK6T Fig. 1 bis 3 und NiB3 Anlage 1), wobei die in NiK6 beschriebene Verfahrensdurchführung, soweit möglich nachgearbeitet wurde, und bei den Tests 1 bis 6 die Erhöhung der Strömungsgeschwindigkeit der bei der Granulation zugeführten Luft variiert wurde (Test 1 bis 4), zum Angleich der Granulierzeit an die Vorgaben von Beispiel 2 der NiK6 die Geschwindigkeit der Wasserzugabe gesenkt wurde (Test 5), sowie die Geschwindigkeit der Wasserzugabe gleich Beispiel 2 der NiK6 durchgeführt wurde, vgl. NiB3 S. 3 bis 8 Punkt 4 und 5. Sämtliche Nacharbeitungsexperimente führen zu Tablettenkernen, bei denen zumindest ein Merkmal des Gegenstandes des verteidigten Anspruchs 1 nicht erfüllt ist (Test 2 bis 6: Bröckligkeit; Test 1, 2, 3, 5 und 6: Wasseradsorptionskapazität). Dies gilt insbesondere auch für das Nacharbeitungsexperiment, Test 1 der NiB4, das sich nur in der Wasseradsorptionskapazität von 0,46 ml/g von den Tablettenkernen des verteidigten Anspruchs mit 0,75 bis 1,50 ml/g unterscheidet. Bei diesem deutlichen Unterschied von 0,29 ml/g spielt es keine Rolle, ob die Messgenauigkeit der im Streitpatent angegebenen Bestimmungsmethode der Wasseradsorptionskapazität mit einer Standardabweichung von 28 % des Messwerts so schlecht ist, wie die Klägerin durch Vorlage von NiK12 zu belegen versucht, oder ob der Beklagten zu folgen ist, dass die Standardabweichung bei einem Mittelwert von 0,462 ml/g nur bei 0,015 liegt, vgl. Schriftsatz der Beklagten vom 15. November 2007.
Der Gegenstand des verteidigten Patentanspruchs 1 ist damit gegenüber NiK6/NiK6T neu. Dies ist auch gegenüber NiK5/NiK5T der Fall.
Aus NiK5/NiK5T sind pharmakologisch inaktive sphärische Tablettenkerne aus mikrokristalliner Cellulose bekannt (vgl. Titel, S. 1 Abs. 1, Fig. 1). Ein mittlerer Polymerisationsgrad für die mikrokristalline Cellulose wird nicht angegeben. Er liegt aber auch bei den bekannten Kernen im Hinblick auf NiK3 (S. 1123 Abs. 3) - von der Beklagten unbestritten - zwangsläufig innerhalb des im Anspruch 1 genannten Bereichs. Des Weiteren lassen sich aus NiK5/NiK5T dem Gegenstand des Anspruchs 1 entsprechende Werte (Merkmale 3.2 und 3.3) für die gerüttelte Schüttdichte mit 0,9 g/ml (Fig. 2) und das Aspekt-Verhältnis (Länge der kurzen Achse/Länge der langen Achse) von 0,9 (reziproker Wert aus der Angabe des Verhältnisses von Länge zu Breite) entnehmen. Die mittlere Teilchengröße liegt bei NiK5 Fig. 1, 2 aber oberhalb des im Patentanspruch 1 angegebenen Bereichs (Merkmal 3.1). Für die Teilchengröße der Kerne wird zwar allgemein ein Bereich von 500 bis 1000 m angegeben (NiK5T S. 2 Punkt 7, S. 3, II Abs. 1 i. V. m. NiK5 Fig. 1). Dabei handelt es sich aber um keine durchschnittliche Teilchengröße, sondern um einen mittels der 16 bzw. 32 Mesh-Siebe herausgesiebten Teilchengrößenbereich. Der Figur 1 lässt sich lediglich ein unterer Wert der mittleren Teilchengröße von etwa 600 m für Starterkerne aus mikrokristalliner Cellulose entnehmen, der sich aber nicht auf 50 Gew.- % des Gesamtgewichts der Teilchen gemäß Merkmal 3.1 des Patentanspruchs 1 bezieht, sondern auf lediglich 36,8 Gew.- %, vgl. den in NiK5T S. 1 Abs. 2 und "Experiment Section" in Bezug genommenen ersten Report NiB5T S. 3 Z. 7 bis 9 von unten. Dies führt nach der von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung dargestellten Gauss«schen Verteilungskurve des Teilchengrößenbereichs von 500 bis 1000 µm umgerechnet auf die mittlere Teilchengröße bei insgesamt 50 Gew.- % (D50 Teilchengröße) zu deutlich über 600 µm liegenden Werten für die durchschnittliche Teilchengröße. Die in NiK5 beschrieben Starterkerne unterscheiden sich also bereits in der durchschnittlichen Teilchengröße vom Gegenstand des verteidigten Patentanspruchs 1. Die Wasserabsorptionskapazität und die Bröckligkeit sind in NiK5 nicht angegeben. Der in NiK5 angegebene Wert von 1,3 ml/g betrifft lediglich die Menge an Wasser als Bindemittel für die Herstellung der Kerne und nicht die Wasseradsorptionskapazität der fertigen Tablettenkerne (S. 1 Abs. 1, S. 3, III Abs. 2).
Soweit die Klägerin vorträgt, dass gleiche Herstellungsverfahren zwangsläufig zu gleichen Produkten führen, ist dies zwar grundsätzlich nachzuvollziehen. Bei NiK5 wird aber für die Formgebung von kugelförmigen Kernen nur ein ähnliches Herstellungsverfahren verwendet wie beim Streitpatent, nämlich die Formgebung in einem "Marumeryzer" (vgl. S. 1 Abs. 1 und NiK1 S. 6 Z. 12 bis 14). Beim Streitpatent werden demgegenüber zuerst aus der mikrokristallinen Cellulose nasse Körner in einem Hochgeschwindigkeitsmischgranulator gebildet, die dann in den Marumeryzer überführt werden (S. 4 Z. 26 bis 32, S. 6 Z. 10 bis 12), wogegen, wie aus NiB5 ersichtlich ist, bei NiK5 mit einem Nassextrusionsgranulator in der ersten Stufe gearbeitet wird (NiK5T S. 1, Experiment Section, Punkt 2, NiB5T S. 3, Punkt 3.(1)). Die Beweislast für die Behauptung, dass das Herstellungsverfahren der NiK5 trotzdem zwangsläufig zu Tablettenkernen gemäß verteidigtem Patentanspruch 1 des Streitpatents führt, liegt bei der Klägerin (vgl. Schulte PatG 7. Aufl. § 81 Rdn. 156, 158). Die Klägerin hat aber keine Nacharbeitungsversuche vorgelegt, um ihre Behauptung zu belegen.
Die weiteren Entgegenhaltungen liegen dem Gegenstand des verteidigten Patentanspruchs 1 ferner und spielten auch bei der Betrachtung der Neuheit in der mündlichen Verhandlung keine Rolle. NiK2 betrifft die Herstellung von pharmazeutischen Präparaten, die kristalline Celluloseaggregate enthalten, deren Polymerisationsgrad unter die Angaben des Streitpatents fällt (Anspruch 2). Starterkerne werden bei NiK2 aber nicht offenbart, sondern feine Pulver mit Teilchengrößen unter 44 µm (Sp. 9, Beispiel 1 Z. 43 bis 45). Aus NiK3 ist lediglich der mittlere Polymerisationsgrad von mikrokristalliner Cellulose mit 220 bis 300 entnehmbar (S. 1123 Abs. 3) und NiK4 beschreibt einen Friabilator zur Messung des Roll- oder Schüttelverschleißes, wie er nach dem Streitpatent für die Bestimmung der Bröckligkeit herangezogen wird. NiK7 betrifft Tabletten aus Mischungen von Paracetamol und mikrokristalliner Cellulose (Titel, Abstract) und NiK8 betrifft den Einfluss von Prozessparametern zur Herstellung von sphärischen Körnern aus 80 % Wirkstoff (Acetaminophen) und 20 % mikrokristalliner Cellulose (Titel, Abstract, Experimental). NiK9 beschreibt allgemein Verfahren zur Beschichtung verschiedenster Starterkerne (Saccharose, Maisstärke, Wirkstoff, kristalline Cellulose), vgl. S. 3 Z. 42 bis 44, Beispiele. Aus Beispiel 6 gehen sphärische Starterkerne aus kristalliner Cellulose einer Teilchengröße von 12 bis 32 mesh (1,4 bis 0,5 mm Taylorreihe) hervor. Weitere Angaben in Bezug auf den verteidigten Anspruch 1 sind NiK9 nicht zu entnehmen.
Der Gegenstand des verteidigten Anspruchs 1 ist damit neu. Die Gegenstände des auf ein sphärisches Korn gerichteten Patentanspruchs 12 und des auf ein Verfahren zur Herstellung von sphärischen Körnern gerichteten Patentanspruchs 16 sind durch ihren jeweiligen Rückbezug auf die sphärischen Tablettenkerne nach Patentanspruch 1 (Patentanspruch 12, Merkmal 2 und Patentanspruch 16, Merkmal 2) ebenfalls neu.
Das gleiche gilt auch für die auf die jeweiligen Patentansprüche 1, 12 und 16 rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 11, 13 bis 15 und 17 bis 20.
3. Die Bereitstellung der Gegenstände der verteidigten Patentansprüche gemäß Streitpatent beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Mit den gemäß verteidigtem Patentanspruch 1 des Streitpatents zur Verfügung gestellten kleinen, pharmakologisch inaktiven sphärischen Tablettenkernen umfassend wenigstens 50 % mikrokristalline Cellulose werden die technischen Probleme gelöst, die bei der Beschichtung von Tablettenkernen unter Verwendung wässriger Bindemittel auftreten, wie das Zusammenklumpen insbesondere bei Tablettenkernen mit kleinen Durchmessern, Anhaften an der Wandung der Beschichtungsvorrichtung, geringe Ausbeute, sowie unerwünschte Bröckligkeit und Löslichkeit der Tablettenkerne bei der wässrigen Beschichtung.
Das dem Streitpatent zugrunde liegende Problem wird beim Stand der Technik nicht angesprochen. Es ist daher nicht ersichtlich, welche Lehre des Standes der Technik den Fachmann hätte dazu anregen können, die aus NiK6 bekannten Tablettenkerne so zu modifizieren, dass das mit NiK6 verbundene Problem der Agglomerationsneigung beim Beschichten der Kerne mit wässrigen Systemen gelöst werde. Dem Fachmann wird daher vom Stand der Technik nicht nahegelegt, die Aufgabe durch die Bereitstellung von Starterkernen gemäß Anspruch 1 zu lösen, bei denen die Eigenschaften der Wasserabsorptionsfähigkeit, der gerüttelten Schüttdichte und der Bröckligkeit gleichzeitig innerhalb bestimmter im Anspruch 1 festgelegter Bereiche liegen müssen. Es ist als überraschend anzusehen, dass gerade solche Starterkerne bei der Beschichtung unter Verwendung von wässrigen Beschichtungssystemen einen deutlich verringerten Aggregationsgrad aufweisen und eine erheblich größere Ausbeute an sphärischen Körnern ergeben.
Im veröffentlichten Streitpatent betreffen nur die Beispiele 1 bis 3 und 7 bis 9 erfindungsgemäße sphärische Tablettenkerne. Alle diese Beispiele fallen auch unter den nunmehr verteidigten Patentanspruch 1. Die unter Hinweis auf BGH GRUR 2004, 47 - blasenfreie Gummibahn I vertretene Auffassung der Klägerin, dass die beim verteidigten Patentanspruch 1 vorgenommene Beschränkung der Parameter hier nicht zu einer erfinderischen Tätigkeit führen könne und die beim verteidigten Patentanspruch 1 getroffene Auswahl eines engeren Bereichs aus dem größeren Bereich beim veröffentlichten Patentanspruch 1 hier beliebig sei, kann daher nicht durchgreifen.
Die Beklagte hat bereits durch im Streitpatent beschriebene Beispiele belegt, dass die Tablettenkerne gemäß verteidigtem Patentanspruch 1 gegenüber Tablettenkernen, die nicht alle Merkmale des verteidigten Patentanspruchs 1 aufweisen, bei der Beschichtung mit wässrigen Beschichtungslösungen in einer Zentrifugal-Wirbelbett-Beschichtungsmaschine einen signifikant geringeren Aggregationsgrad und höhere Ausbeute an beschichteten Kernen aufweisen (vgl. u. a. Beispiele 4 bis 6 und 10 bis 12 mit den Vergleichsbeispielen 3, 4, 8, 9 und 10 i. V. m. Tab. 3, 6). Dem Vorwurf der Klägerin, dass die Beklagte den geltend gemachten technischen Effekt nicht belegt habe, kann daher nicht gefolgt werden.
Die Beklagte hat den geltend gemachten technischen Effekt auch gegenüber der dem Gegenstand des Streitpatents in seiner verteidigten Fassung am nächsten kommenden Druckschrift NiK6 belegt. Die dort beschriebenen pharmakologisch inaktiven sphärischen Starterkerne aus mikrokristalliner Cellulose sind zwar auch für die Beschichtung mit Wirkstoffen vorgesehen, wobei aber nicht dargelegt wird auf welche Weise dies zu geschehen hat (NiK6T S. 19 Z. 27 bis 29). Die Nacharbeitung der Patentinhaberin der NiK6 zeigt hingegen, dass die sich daraus unmittelbar und zwangsläufig ergebenden Starterkerne bei der Beschichtung unter Verwendung von wässrigen Beschichtungssystemen zur Agglomeration neigen (NiB6 Test 7-1 bis 7-4,). Die Auffassung der Klägerin, dass bei den Versuchen die Bedingungen der Beschichtung im Hinblick auf die erfindungsgemäße Ausführungsform optimiert worden wären und dies auch für die Ausführungsformen gemäß der NiK6 erforderlich gewesen sei, kann nicht durchgreifen, da dann die Vergleichbarkeit nicht gegeben wäre. Außerdem hat es die Klägerin versäumt, ebenfalls entsprechende Vergleichsversuche vorzulegen.
Der Gegenstand des verteidigten Patentanspruchs 1 beruht daher auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Die Patentfähigkeit der unabhängigen Patentansprüche 12 und 16 wird durch die jeweilige Verwendung der sphärischen Tablettenkerne nach Patentanspruch 1 getragen. Die Bereitstellung des sphärischen Korns nach Patentanspruch 12 und des Verfahrens zur Herstellung sphärischer Körner nach Patentanspruch 16 wird auch nicht durch die Kombination der Lehren der Druckschriften NiK5 bzw NiK6 mit NiK9 nahegelegt. In NiK9 wird zwar die wässrige Beschichtung von Starterkernen aus kristalliner Cellulose mit aktiven Bestandteilen beschrieben (vgl. Anspruch 6 und Beispiel 6). Die Starterkerne der NiK9, von denen lediglich die Teilchengröße mit 20 bis 32 mesh angegeben ist, sowie die aus NiK5 und NiK6 bekannten Starterkerne sind aber von den nach den Patentansprüchen 12 und 16 verwendeten Starterkernen verschieden. Einen Hinweis, gerade die Tablettenkerne gemäß dem verteidigten Patentanspruch 1 zu verwenden, erhält der Fachmann nicht.
4. Die Patentansprüche 1, 12 und 16 gemäß der verteidigten Fassung der Patentansprüche haben daher Bestand. Mit ihnen haben die darauf rückbezogenen, vorteilhafte Ausführungsformen der Patentansprüche 1, 12 und 16 betreffenden Patentansprüche 2 bis 11, 13 bis 15 und 17 bis 20 ebenfalls Bestand.
III.
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 92 Abs. 1 ZPO, da die Klägerin aufgrund der durch die Beklagte vorgenommenen erheblichen Einschränkung des Patents bezogen auf den erteilten Umfang in etwa zur Hälfte obsiegt hat. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
Dr. Schermer Baumgärtner Dr. Proksch-Ledig Dr. Gerster Dr. Schuster Be
BPatG:
Urteil v. 20.11.2007
Az: 3 Ni 41/05
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