Oberlandesgericht München:
Urteil vom 21. Januar 2010
Aktenzeichen: 29 U 3012/09
(OLG München: Urteil v. 21.01.2010, Az.: 29 U 3012/09)
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 10. März 2009 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
A.
Die Beklagte vertreibt über das Internet aus Pilzen hergestellte Nahrungsergänzungsmittel, darunter die aus der Schmetterlingstramete (botanische Bezeichnung: Coriolus oder Trametes versicolor; im Folgenden: Coriolus) hergestellten Produkte Coriolus Pulver und Coriolus Tabletten sowie die aus dem - auch Reishi oder Ling Zhi genannten - Glänzenden Lackporling (botanische Bezeichnung: Ganoderma lucidum; im Folgenden: Reishi) hergestellten Produkte Reishi Extrakt, Ling Zhi Tabletten und Lackporling Pulver lose.
Der Kläger, der Verband Sozialer Wettbewerb e. V., hat das als unlauter angesehen, weil damit sowohl gegen § 11 LFGB als auch gegen die Verordnung (EG) Nr. 258/97 vom 27. Januar 1997 über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten (ABl. Nr. L 43 S. 1; im Folgenden: Novel-Food-Verordnung) verstoßen werde, und beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung näher bestimmter Ordnungsmittel zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr nachstehend wiedergegebene Mittel als Lebensmittel zu bewerben und/oder zu vertreiben:
1. Coriolus Pulver, 4. Ling Zhi Tabletten, 2. Coriolus Tabletten, 5. Lackporling Pulver lose. 3. Reishi Extrakt, Die Beklagte ist dem entgegengetreten und hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nach Erholung eines Sachverständigengutachtens hat das Landgericht mit Urteil vom 10. März 2009, auf dessen tatsächliche Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, nach den Feststellungen des Sachverständigen seien die von der Beklagten verwendeten Pilze für den menschlichen Verzehr ungeeignet; sie dürften deshalb gemäß § 11 Abs. 2 Nr. 1 LFGB nicht gewerbsmäßig in den Verkehr gebracht werden. Die streitgegenständlichen Zubereitungen fielen auch unter die Novel-Food-Verordnung, weil sie nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Inkrafttreten dieser Verordnung am 15. Mai 1997 nicht in nennenswertem Umfang in der Europäischen Gemeinschaft verzehrt worden seien.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Sie rügt insbesondere, das Landgericht habe ihren Sachvortrag nicht hinreichend berücksichtigt und Fehler bei der Beweisaufnahme gemacht, und beantragt,
das landgerichtliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger verteidigt das landgerichtliche Urteil und beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Im Übrigen wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 21. Januar 2010 Bezug genommen.
B.
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
I. Auf den in die Zukunft gerichteten Unterlassungsanspruch sind die Bestimmungen des am 30. Dezember 2008 in Kraft getretenen Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 22. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2949) anzuwenden, mit dem die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken umgesetzt worden ist. Der im Streitfall auf Wiederholungsgefahr gestützte Unterlassungsanspruch besteht allerdings nur, wenn die beanstandete Verhaltensweise auch schon zum Zeitpunkt ihrer Begehung wettbewerbswidrig war (vgl. BGH, Urt. v. 9. Juli 2009, - I ZR 64/07 - FIFA-WM-Gewinnspiel Tz. 9 m. w. N). Eine für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Änderung der Rechtslage ist indes durch die Gesetzesänderung nicht eingetreten, so dass es nicht erforderlich ist, im Folgenden zwischen altem und neuem Recht zu unterscheiden.
II. Dem Kläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nur aus § 8 Abs. 3 Nr. 2, Abs. 1, § 4 Nr. 11 UWG i. V. m. Art. 3 Abs. 2, Art. 4 Novel-Food-Verordnung zu.
1. Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die angegriffenen Handlungen unlauter sind, weil für den Vertrieb der Produkte eine Genehmigung nach der Novel-Food-Verordnung erforderlich wäre, über die die Beklagte nicht verfügt.
a) Diese Verordnung findet nach ihrem Art. 1 Abs. 2 auf das Inverkehrbringen von Lebensmitteln in der Gemeinschaft Anwendung, die dort bis zum 15. Mai 1997 (vgl. BGH GRUR 2009, 413 - Erfokol-Kapseln Tz. 29 m. w. N.) noch nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurden und in eine der in Art. 1 Abs. 2 lit. a) bis f) aufgeführten Gruppen von Erzeugnissen fallen.
Art. 1 Abs. 2 lit. d) nennt Lebensmittel, die aus Mikroorganismen, Pilzen oder Algen bestehen oder aus diesen isoliert worden sind, so dass die streitgegenständlichen Produkte in den sachlichen Anwendungsbereich der Novel-Food-Verordnung fallen. Die von der Beklagten vertretene Auffassung, erfasst würden nur Pilze als Mikroorganismen, steht im Widerspruch zu dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift, die Mikroorganismen nicht zur Einschränkung des Begriffs der Pilze, sondern unabhängig davon aufzählt.
b) Nach dem Parteivorbringen ist im Streitfall davon auszugehen, dass die angegriffenen Produkte bis zum 15. Mai 1997 noch nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurden.
aa) Die Voraussetzung, dass das Lebensmittel bisher noch nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet worden ist, bezieht sich auf die Verwendung für den Verzehr im Sinne der Aufnahme durch den Menschen. Sie ist erfüllt, wenn das betreffende Lebensmittel vor dem Bezugszeitpunkt von Menschen nicht in erheblicher Menge verzehrt worden ist. Bei der Beurteilung, ob ein so geringer menschlicher Verzehr vorliegt, sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang ist der Umstand, dass das betreffende Lebensmittel vor dem Bezugszeitpunkt auf dem Markt eines Mitgliedstaats oder mehrerer Mitgliedstaaten vertrieben worden ist, (lediglich mit) von Bedeutung (vgl. EuGH WRP 2005, 863 - HLH Warenvertrieb und Orthica Tz. 83 - 85; BGH, a.a.O., - Erfokol-Kapseln Tz. 30). Die berücksichtigten Umstände müssen das Lebensmittel selbst, auf das sich die Prüfung erstreckt, betreffen und nicht ein ähnliches oder vergleichbares Lebensmittel. Auf dem Gebiet der neuartigen Lebensmittel lässt sich nämlich nicht ausschließen, dass selbst gering erscheinende Abweichungen ernst zu nehmende Folgen für die Gesundheit der Bevölkerung nach sich ziehen können, zumindest solange nicht die Unschädlichkeit des fraglichen Lebensmittels durch angemessene Verfahren nachgewiesen wurde (vgl. EuGH, a.a.O., - HLH Warenvertrieb und Orthica Tz. 86; BGH GRUR 2008, 625 - Fruchtsaftextrakt Tz. 16).
bb) Im Streitfall ist vom Vorliegen dieser Voraussetzung für die Anwendung der Novel-Food-Verordnung auszugehen.
22(1) Die Darlegungs- und Beweislast dafür, ob die genannte Voraussetzung der Verwendung für den menschlichen Verzehr in nicht nennenswertem Umfang i. S. d. Art. 1 Abs. 2 Novel-Food-Verordnung erfüllt ist, trägt in einem wettbewerbsrechtlichen Klageverfahren der Kläger (vgl. BGH, a.a.O., - Fruchtsaftextrakt Tz. 18). Jedoch trifft den Beklagten, soweit die Beweislast für die Neuartigkeit der beanstandeten Produkte beim Kläger liegt, in dieser Hinsicht eine sekundäre Darlegungslast; auf einen substantiierten Vortrag des Beklagten muss der Kläger seinerseits sein Vorbringen konkretisieren und darauf - gegebenenfalls unter Beweisantritt - eingehen (vgl. BGH, a.a.O., - Fruchtsaftextrakt Tz. 19). Kommt dagegen der Beklagte seiner prozessualen Obliegenheit nicht nach, so gilt die Behauptung des Klägers als zugestanden (vgl. Greger in: Zöller , ZPO, 28. Aufl. 2010, vor § 284 Rz. 34c; Bornkamm in: Köhler/Bornkamm , UWG, 28. Aufl. 2010, § 5 UWG Rz. 3.23 a. E.).
(2) Im Streitfall ist der Entscheidung die Behauptung des Klägers, die angegriffenen Produkte seien bis zum 15. Mai 1997 noch nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet worden, zu Grunde zu legen, weil die Beklagte diese hinreichend substantiierte Behauptung ihrerseits nicht hinreichend substantiiert bestritten hat; sie gilt deshalb als zugestanden. Auf die von den Parteien erörterten Fragen im Zusammenhang mit dem Sachverständigenbeweis kommt es nicht an, weil über nicht (hinreichend) bestrittene Behauptungen kein Beweis zu erheben ist; etwaige Mängel der landgerichtlichen Beweisaufnahme sind deshalb unerheblich.
aaa) Ein Sachvortrag ist dann schlüssig und damit erheblich, wenn der Darlegungspflichtige Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht oder die geltend gemachte Einwendung entstanden erscheinen zu lassen. Das Gericht muss in der Lage sein, auf Grund des tatsächlichen Vorbringens zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Anspruchs vorliegen; die An gäbe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind (vgl. BGH NJW 2009, 502 Tz. 32; Greger in: Zöller , ZPO, 27. Aufl. 2009, § 138 Rz. 7b; jeweils m. w. N.). Unzureichend ist dagegen ein Vortrag, wenn er die Tatsachen so ungenau bezeichnet, dass deren Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann, so dass er nicht dem Beweis vorgetragener Tatsachen zu dienen bestimmt ist, sondern stattdessen die Ausforschung von Tatsachen zum Inhalt hat (vgl. BVerfG NJW 2009, 1585 Tz. 26; BGH NJW 2005, 2710 [2711]).
25bbb) Der Kläger hat vorgetragen, dass die Pilze - in welcher Darreichungsform auch immer -bis zum 15. Mai 1997 nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet worden seien (vgl. S. 1 d. klägerischen Schriftsatzes v. 16. August 2006 = Bl. 58 d. A.). Damit hat er seiner Darlegungslast genügt (vgl. BGH, a.a.O., - Fruchtsaftextrakt Tz. 20), weil damit die entsprechende Voraussetzung für die Anwendung der Novel-Food-Verordnung behauptet worden ist. Näherer Darlegungen des Klägers dazu, auf Grund welcher Indizien er davon ausgehe, dass kein hinreichender Verzehr stattgefunden habe, bedurfte es zur Substantiierung nicht.
Zum Ausmaß der Verwendung für den menschlichen Verzehr hat die Beklagte auf Seite 7 f. ihrer Klageerwiderung vom 31. Mai 2006 (= Bl. 21 f. d. A.) ausgeführt, bei den streitgegenständlichen Produkten handele es sich um Nahrungsergänzungsmittel, die bereits seit mehr als zwanzig Jahren in Deutschland in Verkehr gebracht würden; die dazu benannten Zeugen kultivierten und vertrieben die beanstandeten Pilze/Pilzprodukte als Lebensmittel bereits seit Anfang der Neunziger Jahre. Coriolus und Reishi würden seit Anfang der Neunziger Jahre umfangreich in Deutschland als Lebensmittel in Verkehr gebracht.
Auf Seite 4 ihres Schriftsatzes vom 7. August 2006 (= Bl. 46 d. A.) hat sie zum Beweis ihrer Behauptung, die genannten Pilze seien bereits vor dem Stichtag in Deutschland umfangreich als Lebensmittel in Verkehr gebracht worden, diverse Zeugen angeboten.
Auf Seite 4 f. ihres Schriftsatzes vom 22. August 2006 (= Bl. 63 f. d. A.) hat sie unter Beweisantritt weiter Folgendes vorgetragen: Der Zeuge W. habe seit 1994 mindestens 100 Bestellungen im Jahr über Reishi ausgeliefert. Ein belgisches Unternehmen biete die Pilze seit 1994 an und vertriebe sie europaweit. Ein amerikanisch-englisches Unternehmen biete in acht Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft ein Nahrungsergänzungsmittel an, das Reishi enthalte; das Unternehmen habe Reishi-Produkte bereits vor 1997 umfangreich auf dem europäischen Markt vertrieben. Weiterhin würden Produkte aus Reishi und Coriolus seit 1994 als Lebensmittel umfangreich von österreichischen Unternehmen vertrieben. Auch ein in Limeshain ansässiges Unternehmen vertreibe Reishi-Produkte bereits seit vor 1997. Ein in Amsterdam ansässiges Unternehmen verkaufe seit 1996 Reishi. Ein in Königswinter und Köln ansässiger Einzelhändler habe Reishi nachhaltig angeboten und vertrieben. Auch ein in Naumburg ansässiges Unternehmen habe Reishi für Wiederverkäufer angeboten; eine vorgelegte Preisliste stamme vom 15. Oktober 1996.
Auf Seite 7 f. ihres Schriftsatzes vom 12. September 2006 (= Bl. 86 f. d. A.) hat sie vorgetragen, ein weiteres Unternehmen habe vor 1997 in Deutschland, Österreich und der Schweiz Produkte des Reishi-Pilzes als Lebensmittel vertrieben, wobei es etwa 100 Kunden gehabt habe, von denen 15 % Wiederverkäufer gewesen seien. Ein belgisches Unternehmen habe Reishi-Produkte zumindest seit 1988 europaweit umfangreich als Lebensmittel vertrieben. Ein weiteres belgisches Unternehmen handele seit ca. 1990 mit Reishi-Pulver, hauptsächlich als Tee. Ein weiteres Unternehmen habe schon vor 1997 mit Reishi gehandelt, zuerst in Belgien, heute in den Niederlanden.
30ccc) Dieses Vorbringen der Beklagten ist nicht hinreichend substantiiert, weil auf seiner Grundlage nicht beurteilt werden kann, ob eine Verwendung für den menschlichen Verzehr in nennenswertem Umfang i. S. d. Art. 1 Abs. 2 Novel-Food-Verordnung erfolgt ist.
31a-1) Mit dieser Voraussetzung sind, wie sich aus der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften HLH Warenvertrieb und Orthica ergibt, die durch in diesem Sinne neuartige Lebensmittel und Zutaten begründeten Gefahren für die Gesundheit der Bevölkerung angesprochen. Danach ist davon auszugehen, dass ein zur Annahme der Neuartigkeit des betreffenden Lebensmittels oder der betreffenden Zutat führender Verzehr durch Menschen in einer nicht erheblichen Menge dann anzunehmen ist, wenn das betreffende Lebensmittel oder die Zutat in einem so geringen Umfang verzehrt worden ist, dass durch sein Inverkehrbringen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ernst zu nehmende Folgen für die Gesundheit der Bevölkerung nicht auszuschließen sind. Eine in diesem Sinne erhebliche Menge der Verwendung für den menschlichen Verzehr ist dementsprechend gegeben, wenn es nach dem Umfang, in dem das betreffende Mittel von Menschen verzehrt worden ist, zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung nicht (mehr) erforderlich erscheint, das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft erst nach einer Sicherheitsprüfung nach den Bestimmungen der Novel-Food-Verordnung zuzulassen (vgl. BGH, a. a. O., - Fruchtsaftextrakt Tz. 22).
a-2) Die von der Beklagten vorgetragenen Tatsachen lassen einen solchen Schluss nicht zu.
Sie betreffen lediglich den Vertrieb von Reishi- und Coriolus-Produkten, also nur einen der in die Gesamtbeurteilung einzubeziehenden Umstände.
Zudem ist der Umfang des Vertriebs der jeweiligen Produkte durch die benannten Unternehmen nicht näher dargelegt, so dass es nicht möglich ist, auch nur abzuschätzen, ob auf eine Sicherheitsprüfung nach den Bestimmungen der Novel-Food-Verordnung ohne Gefährdung der Gesundheit der Bevölkerung verzichtet werden könnte.
Fehl geht die Auffassung der Beklagten, dass es genügt hätte, wenn die von ihr benannten Zeugen bei der Vernehmung nähere Angaben zum Umfang ihrer jeweiligen Vertriebstätigkeiten gemacht hätten. Dabei handelt es sich um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis, weil die Beklagte insoweit darauf abzielt, erst bei Gelegenheit der beantragten Beweisaufnahme Tatsachen in Erfahrung zu bringen, die genaueres Vorbringen ermöglichen (vgl. BGH NJW 2009, 502 Tz. 37 m. w. N.). Denn selbst wenn die konkreten Beweisbehauptungen der Beklagten als wahr unterstellt würden, die sich im Wesentlichen darin erschöpfen, entsprechende Produkte seien "umfangreich" vertrieben worden, könnte schon mangels Unklarheit des Begriffs "umfangreich" gleichwohl nicht entschieden werden, ob der Vertrieb so erheblich war, dass ernst zu nehmende Folgen für die Gesundheit der Bevölkerung ausgeschlossen werden können. Dazu bedürfte es zumindest konkreter Angaben zu den Vertriebsvolumina, die die Beklagte erst bei Gelegenheit der beantragten Beweisaufnahme erlangen möchte.
Schließlich kann der pauschalen Angabe, es handele sich bei den vertriebenen um Reishi- und Coriolus-Produkte, nicht ohne weiteres entnommen werden, inwieweit die Produkte, die von den von der Beklagten benannten Unternehmen importiert oder geführt worden sind, hinsichtlich der für die Beurteilung möglicher Gesundheitsgefahren maßgeblichen Bestandteile mit den beanstandeten Erzeugnissen der Beklagten übereinstimmen.
37a-3) Angesichts des insoweit nicht hinreichend substantiierten Sachvortrags der Beklagten durfte sich der Kläger auf das Bestreiten der von der Beklagten vorgetragenen Tatsachen beschränken (vgl BGH, a.a.O., - Fruchtsaftextrakt Tz. 22).
Soweit die Beklagte im Berufungsverfahren neuen Sachvortrag einführt, ist dieser gemäß § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht zuzulassen; dass er im ersten Rechtszug nicht vorgebracht worden ist, beruht auf einer Nachlässigkeit der Beklagten (vgl. § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO). Das Landgericht hat der Beklagten mit Verfügung vom 17. August 2006 (Bl. 56 d. A.) - einer Rüge des Klägers entsprechend - Gelegenheit gegeben, ihren Vortrag zu substantiieren, ohne dass diese daraufhin ihr Vorbringen detailliert hätte. Die Beklagte hat auch nicht erkennen lassen, dass ihr die Reichweite der Substantiierungsobliegenheit nicht klar gewesen sei. Im Übrigen enthält auch das neue Vorbringen im Berufungsverfahren keinen Sachvortrag, der den dargelegten Anforderungen an die Substantiiertheit entspräche.
c) Ob für die Produkte der Beklagten Genehmigungen gemäß der Novel-Food-Verordnung erteilt werden könnten, ist für den Streitfall ohne Belang, da die Beklagte weder in dem Zeitpunkt, in dem die angegriffenen Handlungen vorgenommen wurden, noch bei Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat im Besitz derartiger Genehmigungen war.
Ein Unterlassungstitel ergeht auf der Grundlage der zum Zeitpunkt der Entscheidung festgestellten Umstände. Führen nach Erlass des Urteils eintretende Veränderungen dieser Umstände dazu, dass die Rechtsgrundlage des Titels wegfallt, kann das im Wege der Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO geltend gemacht werden (vgl. BGH GRUR 2008, 726 - Duftvergleich mit Markenparfüm Tz. 14 m. w. N.). Es besteht keine Veranlassung, alle künftig möglichen Umstände, die den Unterlassungsanspruch zum Wegfall bringen könnten, bereits in den Tenor eines Unterlassungstitels aufzunehmen.
Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch ist deshalb ohne Einschränkungen aus § 8 Abs. 3 Nr. 2, Abs. 1, § 4 Nr. 11 UWG i. V. m. Art. 3 Abs, 2, Art. 4 Novel-Food-Verordnung begründet.
2. Dagegen kann nicht von der Unlauterkeit der angegriffenen Handlungen gemäß § 4 Nr. 11 UWG i. V. m. § 11 Abs. 2 Nr. 1 LFGB ausgegangen werden.
Gemäß § 11 Abs. 2 Nr. 1 LFGB ist verboten, andere als dem Verbot des Art. 14 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 lit. b) der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 vom 28. Januar 2002 (ABl. EG L 31, S. 1) unterliegende Lebensmittel, die für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet sind, in den Verkehr zu bringen. Erforderlich ist deshalb, dass die von der Beklagten in Verkehr gebrachten Zubereitungen für den Verzehr ungeeignet sind. Ob die Pilze, die als Ausgangsstoffe dienen, ihrerseits für den Verzehr geeignet sind, ist entgegen der Auffassung des Landgerichts ohne Belang.
Da die Eigenschaften, aus denen das Landgericht unter Berufung auf den Sachverständigen die Verzehr-Ungeeignetheit der Pilze - leder- bzw. korkartige Konsistenz - hergeleitet hat, bei den von der Beklagten angebotenen Zubereitungen nicht gegeben sind, können sie deren Verkehrsunfähigkeit nicht begründen.
Andere Gründe, die die Verkehrsunfähigkeit der Waren der Beklagten gemäß § 11 Abs. 2 Nr. 1 LFGB begründen könnten, hat der dafür darlegungs- und beweisbelastete Kläger nicht vorgebracht.
C.
1. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 713 ZPO.
3. Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und auch die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO liegen nicht vor (vgl. dazu BGH NJW 2003, 65 ff.). Die Rechtssache erfordert, wie die Ausführungen unter B. zeigen, lediglich die Anwendung gesicherter Rechtsprechungsgrundsätze auf den Einzelfall.
OLG München:
Urteil v. 21.01.2010
Az: 29 U 3012/09
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