Bundespatentgericht:
Urteil vom 2. Dezember 2003
Aktenzeichen: 1 Ni 18/02

(BPatG: Urteil v. 02.12.2003, Az.: 1 Ni 18/02)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Beklagte ist eingetragener Inhaber des am 23. März 1989 angemeldeten deutschen Patents 39 09 567 (Streitpatent).

Das Patent betrifft ein

"Rammbohrgerät"

und umfaßt 10 Patentansprüche.

Mit der Nichtigkeitsklage werden alle Patentansprüche angegriffen.

Patentanspruch 1 lautet:

Rammbohrgerät mit einem in einem Gehäuse (1) axial verschiebbaren Schlagkolben (8), dessen Vor- und Rückbewegung durch eine in einen Zylinderraum (9) des Schlagkolbens (8) eingreifende, an einen Versorgungsschlauch (10) mittels eines Führungsrohrs (2) angeschlossene, axial durch eine Feder (7) beaufschlagte Steuerhülse (3) und eine oder mehrere korrespondierende Steueröffnung (11) im Schlagkolben gesteuert wird, wobei das Führungsrohr (2) zur Umsteuerung von Vorwärtslauf und Rückwärtslauf zwischen zwei in einer am rückwärtigen Ende des Gehäuses angeordneten Führungshülse (5) befindlichen Anschlägen (14, 15) axial verschiebbar und in der Stellung für den Vorwärtslauf durch Drehung verriegelbar geführt ist, dadurch gekennzeichnet, daß die Steuerhülse (3) durch die Feder (7) in Richtung der Stellung für Vorwärtslauf und durch elastische Mittel (7) auch auf Drehung beaufschlagt ist und das Führungsrohr (7) zusätzliche Drehanschläge (18) zum Ver- und Entriegeln in Axialrichtung aufweist.

Wegen des Wortlauts der auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Ansprüche 2 bis 10 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.

Die Klägerin macht die Nichtigkeitsgründe der unzulässigen Erweiterung und der mangelnden Patentfähigkeit geltend.

Hierzu beruft sie sich auf die Druckschriften K5 Schweizer Patentschrift 636 407 K6 deutsche Patentschrift 33 15 132 C2 K7 deutsche Auslegeschrift 27 56 567 B2 K8 US-Patentschrift 4 618 007 K9 US-Patentschrift 4 537 265 K10 US-Patentschrift 4 662 457.

Sie beruft sich ferner auf die schon im Prüfungsverfahren berücksichtigten Druckschriften D1 deutsche Patentschrift 34 20 788 C2 D2 deutsche Patentschrift 23 40 751 D3 deutsches Gebrauchsmuster 76 23 336 D4 deutsche Auslegeschrift 25 37 176 B1.

Die Klägerin ist der Auffassung, daß das Merkmal des Kennzeichens, wonach die Steuerhülse "durch elastische Mittel auch auf Drehung beaufschlagt ist", eine unzulässige Erweiterung darstelle. Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei durch die US 4 662 457 (K10) neuheitsschädlich vorweggenommen. Er ergebe sich für den Fachmann auch in naheliegender Weise aus der Zusammenschau der DE 25 37 176 B1 (D4) mit der US 4 662 457 (K10).

Die Klägerin beantragt, das deutsche Patent 39 09 567 für nichtig zu erklären.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er tritt dem Vorbringen der Klägerin in allen Punkten entgegen.

Wegen Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die Akte verwiesen.

Gründe

I Die in zulässiger Weise erhobene Klage, mit der die Nichtigkeitsgründe der mangelnden Patentfähigkeit und der unzulässigen Erweiterung gemäß § 22 Abs 1 iVm § 21 Abs 1 Nr 1 und Nr 4 PatG geltend gemacht werden, ist nicht begründet.

1. Anspruch 1 läßt sich folgendermaßen in Merkmale gliedern:

Rammbohrgerät mit einem in einem Gehäuse 1 axial verschiebbaren Schlagkolben 8, a dessen Vor- und Rückbewegung durch eine Steuerhülse 3 und eine oder mehrere korrespondierende Steueröffnungen 11 im Schlagkolben gesteuert wird, a1a die Steuerhülse 3 greift in einen Zylinderraum 9 des Schlagkolbens 8 ein, a1b die Steuerhülse 3 ist an einen Versorgungsschlauch 10 mittels eines Führungsrohrs 2 angeschlossen, a1c die Steuerhülse 3 ist (wird) axial durch eine Feder 7 beaufschlagta2 wobei das Führungsrohr 2 a2a zur Umsteuerung von Vorwärtslauf und Rückwärtslauf zwischen zwei Anschlägen 14, 15 axial verschiebbar ista2b die sich in einer am rückwärtigen Ende des Gehäuses angeordneten Führungshülse 5 befindena2c und wobei das Führungsrohr 2 in der Stellung für den Vorwärtslauf durch Drehung verriegelbar geführt ist, dadurch gekennzeichnet, b1 daß die Steuerhülse 3 durch die Feder 7 in Richtung der Stellung für Vorwärtslauf beaufschlagt istb2 und daß die Steuerhülse 3 durch elastische Mittel 7 auch auf Drehung beaufschlagt istc und daß das Führungsrohr 7 (richtig 2) zusätzliche Drehanschläge 18 zum Ver- und Entriegeln in Axialrichtung aufweist.

2. Eine unzulässige Erweiterung liegt nicht vor.

Im ursprünglichen Anspruch 1 ist das Teilmerkmal von b2, daß die Steuerhülse sowohl axial als "auch auf Drehung beaufschlagt ist" enthalten. Es handelt sich dabei um ein funktionelles, durch die Angabe der erzielten Wirkung charakterisiertes Merkmal. Ein derartiges funktionelles Merkmal ist nicht auf die in der Beschreibung genannten Ausführungsbeispiele beschränkt, sondern umfaßt alle Mittel, die die im Anspruch genannte Wirkung erzielen (vgl Schulte, PatG, 6. Aufl, § 34 Rdnr 100; Esslinger, Mitteilungen der Deutschen Patentanwälte 1998, 132). Die vorliegende Wirkungsangabe umfaßt jegliche Mittel, durch die die Steuerhülse axial und/oder auf Drehung beaufschlagt werden kann. Hierbei ist offengelassen, ob durch ein (einziges) Mittel sowohl die axiale Beaufschlagung als auch die Beaufschlagung auf Drehung erfolgt, oder ob die axiale Beaufschlagung und die Beaufschlagung auf Drehung getrennt durch jeweils ein oder mehrere Mittel bewirkt werden.

In der ursprünglichen Beschreibung, siehe Offenlegungsschrift, Anlage K2, Spalte 1 Zeile 68 bis Spalte 2 Zeile 25, ist erläutert, wie die Drehbeaufschlagung realisiert werden kann. Dabei ist in Spalte 1 Zeile 68 die Formulierung "Es empfiehlt sich .." gewählt, womit auf den beispielhaften Charakter der darauffolgend dargestellten Realisierungsmöglichkeit hingewiesen wird, die auch Gegenstand des ursprünglichen (und erteilten) Anspruchs 2 ist.

Im Rahmen der durch die oa Wirkungsangabe offenbarten Lehre, daß die Steuerhülse des Rammbohrgeräts sowohl axial als auch auf Drehung beaufschlagt ist, konnte eine Beschränkung in der Weise vorgenommen werden, daß die Steuerhülse durch die Feder 7 in Richtung der Stellung für Vorwärtslauf "und durch elastische Mittel 7 auch auf Drehung beaufschlagt ist". Denn als Teil der anmeldungsgemäßen Lehre waren für den Fachmann u.a. eine Feder oder Federn (und nicht nur eine Schraubenfeder) als Mittel für die Beaufschlagung auf Drehung erkennbar offenbart. Da eine Feder nach dem Grundwissen des hier angesprochenen Fachmanns, eines Dipl.-Ing. (FH) der Fachrichtung Maschinenbau, ein elastisches Maschinen- bzw Konstruktionselement ist, begegnet die Einfügung der Worte "durch elastische Mittel" keinen Bedenken. Dies gilt auch für die von der Klägerin gerügte Verwendung des Plurals für diese Mittel, da durch die ursprüngliche Offenbarung auch mehrere Mittel gedeckt sind, wie oben schon ausgeführt.

3. Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist neu.

3.1 In keiner der im Verfahren befindlichen Druckschriften ist ein Rammbohrgerät offenbart, bei dem die Steuerhülse durch elastische Mittel auch auf Drehung beaufschlagt ist, vergleiche Merkmal b2.

3.2 Die Klägerin sieht die US 4 662 457 (K10) als neuheitsschädlich an. Der Vortrag, daß bei dem in dieser Schrift offenbarten Rammbohrgerät Merkmal b2 verwirklicht sei, trifft jedoch nicht zu.

Beim Gegenstand der US-Patentschrift K10 sind die Enden der Schraubenfeder 54 gegenüber der Steuerhülse 31 oder der Führungshülse 36 nicht gegen Drehung fixiert. Sie liegen vielmehr frei an der flachen Rückseite der Steuerhülse 31 und dem vorderen flachen Ende der Führungshülse 36 an, siehe Figuren 1 - 5. Die Feder kann also keine Torsionskräfte auf die Steuerhülse 31 oder die Führungshülse 36 aufbringen, wenn man von Reibungseffekten zwischen den Federenden und den Anlageflächen bei der Verdrehung absieht. Die Feder wirkt vielmehr stets allein in axialer Richtung, siehe Spalte 5 Zeilen 30-34.

Die Umschaltung zwischen Vorwärtslauf und Rückwärtslauf des Rammbohrers nach der K10 erfolgt bei drucklosem Gerät durch manuelles Drehen der Steuerhülse 31 mit Hilfe des Versorgungsschlauchs 27, siehe Spalte 6 Absatz 2. Dabei wird der Stift 42 in eine der Positionen 42a oder 42b gebracht, in der er - axial beaufschlagt durch die Feder 54 - an den vertieften Flanken 46 oder 47 der Führungsnut 43 anliegt. Bei Zuschalten des Versorgungsdrucks wird der Stift 42 aus der Position 42a in die Vertiefung 49 für die Position 42c bzw aus der Position 42b in den Nutabschnitt 50 der Führungsnut 43 für die Position 42d bewegt. Im Betrieb wird der Stift 42 durch den auf die Steuerhülse 31 wirkenden Versorgungsdruck der Druckluft in den Positionen 42c oder 42d gehalten, die die Stellungen der Steuerhülse 31 für Vorwärtslauf und Rückwärtslauf definieren, siehe Figur 8 in Verbindung mit Spalte 6 Absatz 2.

Von der Klägerin wurde in der mündlichen Verhandlung die Verdrehung der Steuerhülse 31 mit dem Stift 42 zu dessen Einführung in die Positionen 42c oder 42d hinein hervorgehoben. Eine solche Verdrehung findet nur dann statt, wenn der Stift 42 bei drucklosem Gerät zunächst nicht genau in die Positionen 42a oder 42b, sondern dazwischen zu liegen kommt. Bei Aufschalten des Versorgungsdrucks erfolgt ein Abgleiten des Stifts 42 an den Flanken 52 oder 53 der Führungsnut 43. Dieses Abgleiten mit geringfügiger Verdrehung der Steuerhülse 31 wird durch die axiale Kraft auf die Steuerhülse aufgrund des Versorgungsdrucks bewirkt, nicht aber durch die Feder 54, siehe Spalte 5 Zeilen 59 bis 65. Die Feder 54 wirkt ebenfalls axial, beaufschlagt die Steuerhülse aber in Gegenrichtung, dh von den Flanken 52 oder 53 weg.

4. Das ohne Zweifel gewerblich anwendbare Rammbohrgerät nach Patentanspruch 1 beruht auch auf erfinderischer Tätigkeit.

In der Beschreibungseinleitung in Spalte 1 Absatz 2 und 3 der Streitpatentschrift ist die Druckschrift DE 25 37 176 B1 (D4) gewürdigt.

Bei dem in dieser Druckschrift gezeigten Rammbohrgerät ist die Steuerhülse 5 mit einem vielkantigen Abschnitt 5c versehen, siehe Figur 6, der bei Rückwärtslauf in einer dazu komplementären Durchbrechung einer Hülse (Lochscheibe 7) geführt und gehalten ist, siehe Figur 8. Zur Umschaltung von Rückwärtslauf auf Vorwärtslauf wird bei abgeschaltetem Druck die Steuerhülse in Richtung auf die Schlagspitze geschoben, bis der vielkantige Abschnitt 5c die Lochscheibe 7 verlassen hat. Im Übergangsbereich vom vielkantigen Abschnitt 5c der Steuerhülse zu einem im Durchmesser verringerten kreiszylindrischen Abschnitt 5d, siehe Figur 6, sind vorspringende Ecken mit Schrägflächen 5e ausgebildet. Diese vorspringenden Ecken liegen nach Verdrehung der Steuerhülse und bei wieder aufgeschaltetem Druck an der Lochscheibe an, die auf ihrer Stirnfläche den vorspringenden Ecken 5e entsprechende Vertiefungen aufweist, siehe Spalte 4 Zeilen 48 ff. Durch das Zusammenwirken der vorspringenden Ecken mit den Vertiefungen ist die Lage der Steuerhülse für Vorwärtslauf festgelegt. Eine axial wirkende Druckfeder 9 sorgt dabei für eine sichere Anlage der vorspringenden Ecken an der Lochscheibe 7, siehe Spalte 4 Zeilen 60-66.

Von dem Stand der Technik nach der DE 25 37 176 B1 (D4) ausgehend ist dem Streitpatent die Aufgabe zugrunde gelegt, das daraus bekannte Rammbohrgerät so zu verbessern, daß ein Umsteuern unter Druck ohne zusätzliche Fernbetätigung von Arretierungen möglich ist, siehe Streitpatentschrift Spalte 1 Absatz 4.

Die Lösung erfolgt durch die Merkmale des Kennzeichens des Anspruchs 1.

Die Druckschrift DE 25 37 176 B1 (D4) gab dem Fachmann aus sich heraus keinen Hinweis, die Maßnahmen des Kennzeichens vorzusehen. Insbesondere gab sie keine Anregung, die Steuerhülse entsprechend Merkmal b2 durch elastische Mittel auch auf Drehung zu beaufschlagen.

Die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung diskutierte Kombination der DE 25 37 176 B1 (D4) mit der US 4 662 457 (K10) führt nicht zum beanspruchten Gegenstand, da die Druckschrift K10 das Merkmal b2 ebenfalls nicht aufweist, vergleiche vorstehenden Abschnitt 3.2.

Der Fachmann konnte die gefundene Lösung auch aus einer Zusammenschau mit dem weiteren Stand der Technik nicht ohne erfinderische Tätigkeit gewinnen.

Die Druckschrift DE-GM 76 23 336 (D3) zeigt ein gattungsähnliches Rammbohrgerät, bei dem ein elastischer Schlauch (nachgiebiges Rohr 13) die Steuerhülse (Stutzen 10) fixiert, und zwar primär in axialer Richtung. Es erfolgt gleichzeitig auch eine Fixierung in Bezug auf Drehung, siehe Seite 15 Absatz 2 und Seite 17 Absatz 4. In der Fixierung gegen Drehung liegt jedoch keine Beaufschlagung auf Drehung. Die Druckschrift konnte daher genausowenig dazu Anregung geben, Merkmal b2 vorzusehen.

Für Merkmal b2 findet sich in den weiteren von der Klägerin in das Verfahren eingeführten Entgegenhaltungen ebenfalls kein Vorbild. Dies gilt auch für die im Prüfungsverfahren neben den Entgegenhaltungen D3 und D4 berücksichtigten und auf dem Deckblatt der Streitpatentschrift verzeichneten weiteren Druckschriften. Alle diese Schriften wurden von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung deshalb zu Recht nicht aufgegriffen.

5. Die Unteransprüche werden von Anspruch 1 getragen.

II Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG in Verbindung mit § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG in Verbindung mit § 709 Satz 1 ZPO.

Dr. Landfermann Dr. Barton Dr. Frowein Ihsen Rauch Be






BPatG:
Urteil v. 02.12.2003
Az: 1 Ni 18/02


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