Landgericht Wuppertal:
Beschluss vom 6. November 2003
Aktenzeichen: 12 O 119/03

(LG Wuppertal: Beschluss v. 06.11.2003, Az.: 12 O 119/03)

Tenor

Der Antrag der Antragstellerin auf Feststellung, daß die Erhebung der Klagen der Antragsgegner zu 1. bis 7. (LG Wuppertal, Aktenzeichen 12 O 76/03) gegen die Wirksamkeit des Beschlusses der außerordentlichen Hauptversammlung der Antragstellerin vom 23. Mai 2003 über die Óbertragung der Aktien der Min-derheitsaktionäre auf die Hauptaktionärin gegen Gewährung einer angemesse-nen Barabfindung (Ausschluß von Minderheitsaktionären) der Eintragung des Óbertragungsbeschlusses nicht entgegensteht, wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens einschließlich der durch die Nebeninterventionen verursachten Kosten werden der Antragstellerin auferlegt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin (F AG) ist ein Unternehmen der Automobil-Zulieferindustrie und gilt als weltweit führender Spezialist für Cabriodach- und Scharniersysteme. Das früher in Familienbesitz befindliche Unternehmen wurde im Jahr 1997 im Rahmen eines sog. Management-Buy-Out von Finanzinvestoren und dem Vorstand übernommen, von denen dann im Jahr 1999 etwas weniger als 30 % des Grundkapitals an die Börse gebracht wurden. Die Aktie wurde in den amtlichen Börsenhandel an der Börse in Frankfurt/Main eingeführt.

Gegen Ende des Jahres 2002 waren verschiedene Finanzinvestoren mit zusammen etwas unter 50 % des Grundkapitals von über 18,7 Mio Euro, eingeteilt in 9.360.893 Stückaktien, bei der Antragstellerin beteiligt. Der Vorsitzende des Vorstands (I2 Kuschetzki) verfügte über 23,31 % und die anderen Vorstandsmitglieder verfügten zusammen über weitere 0,14 % der Aktien.

Die Beteiligten gewannen dann The Carlyle Group, Washington D.C., als einen der weltweit bedeutendsten sog. Private-Equity-Investor, als neuen Finanzinvestor.

Das Grundkapital der Antragstellerin wird überwiegend von der C2 GmbH & Co KG gehalten. Über diese haben zum Jahresende 2002 der Vorstand der Antragstellerin und vier zur Carlyle Group gehörende Private-Equity-Fonds die vorstehend genannten Beteiligungen an der Antragstellerin von insgesamt rund 72 % übernommen, und zwar durch einen mit den bisherigen Großaktionären am 11.11.2002 vereinbarten und am 19./20.12.2002 vollzogenen sog. Paketerwerb. Unmittelbar danach kündigte die C2 GmbH & Co KG die Abgabe eines freiwilligen Übernahmeangebots an sämtliche Aktionäre der Antragstellerin an, das sie dann auch am 07.12.2002 abgab, und zwar zu einem Kaufpreis von 26,50 Euro je Aktie. Auf diesem Wege erwarb sie - nach dem Auslaufen der Annahmefrist am 07.02.2003 und nach der am 14.02.2003 erfolgten banktechnischen Abwicklung dieses Übernahmeangebots - weitere 26,2 % der ausgegebenen Aktien, so daß sie nunmehr mit insgesamt 9.207.054 Inhaber-Stückaktien oder 98,36 % des Grundkapitals an der Antragstellerin beteiligt war.

Am 17.02.2003 richtete die C2 GmbH & Co KG an den Vorstand der Antragstellerin das Verlangen, alle erforderlichen Schritte zur Durchführung eines sog. Squeeze-Out-Verfahrens einzuleiten.

Am 23.05.2003 faßte die Hauptversammlung der Antragstellerin mit Mehrheit den folgenden Beschluß:

"Die auf den Inhaber lautenden Stückaktien der übrigen Aktionäre (Minderheitsaktionäre) der F AG werden gemäß dem Verfahren zum Ausschluß von Minderheitsaktionären (§§ 327 a ff. Aktiengesetz) gegen Gewährung einer Barabfindung in Höhe von Euro 32,50 je Stückaktie auf die C2 GmbH & Co KG (AG München, HRA ....1) als Hauptaktionär übertragen".

Gegen diesen Beschluß haben die Antragsgegner Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsklagen erhoben (Aktenzeichen 12 O 76/03 LG Wuppertal). Hier steht Termin zur mündlichen Verhandlung am 11.03.2004 an.

Mit dem vorliegenden Freigabeverfahren erstrebt die Antragstellerin die Aufhebung der Registersperre.

Die Antragstellerin vertritt die Auffassung, daß die Klage der Antragsgegner zu 4. bereits wegen fehlender Anfechtungsbefugnis unzulässig sei, weil diese auf der Hauptversammlung vom 23.05.2003 nicht anwesend oder vertreten gewesen seien und daher auch nicht für ihre Aktien Widerspruch zur Niederschrift gegen den angefochtenen Hauptversammlungsbeschluß eingelegt worden sei; vielmehr sei lediglich die Penquitt + E2 GbR, X2, als Aktionärin vertreten gewesen, die als Außengesellschaft bürgerlichen Rechts rechtsfähig und damit in den vorliegenden Verfahren selbst aktiv und passiv parteifähig sei.

Im übrigen hält die Antragstellerin sämtliche von den Antragsgegnern gegen die Wirksamkeit des Übertragungsbeschlusses der Hauptversammlung vom 23.05.2003 erhobenen Klagen für offensichtlich unbegründet, weil weder die gesetzliche Regelung über den Ausschluß von Minderheitsaktionären verfassungswidrig sei, noch Gründe für eine wirksame Anfechtung vorgelegen hätten.

Die Antragstellerin beantragt,

festzustellen, daß die Erhebung der Klagen der Antragsgegner zu 1.-7.

(LG Wuppertal, Aktenzeichen 12 O 76/03) gegen die Wirksamkeit des Beschlusses der außerordentlichen Hauptversammlung der Antragstellerin vom

23. Mai 2003 über die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre auf die Hauptaktionärin gegen Gewährung einer angemessenen Barabfindung (Ausschluß von Minderheitsaktionären) der Eintragung des Übertragungsbeschlusses in das Handelsregister nicht entgegenstehen.

Die Antragsgegner beantragen,

diesen Feststellungsantrag zurückzuweisen.

Die Nebenintervenienten der Antragsgegner schließen sich diesen Anträgen an.

Die Antragsgegner halten die gesetzliche Regelung über den Ausschluß von Minderheitsaktionären, jedenfalls aber das vorliegende Freigabeverfahren wegen seines vorzeitigen Besitzeinweisungscharakters für verfassungswidrig.

Im übrigen werfen sie dem Vorstand der Antragstellerin ein kollusives Zusammenwirken mit dem Private-Equity-Investor zum Nachteil der Minderheitsaktionäre vor. Sie bestreiten, daß die C2 GmbH & Co KG im Zeitpunkt der Beschlußfassung tatsächlich als Hauptaktionärin über mehr als 95 % des Grundkapitals der Antragstellerin verfügt habe, und behaupten, daß die Mehrheit nur zu dem vorübergehenden Zweck gebildet worden sei, das Squeeze-Out-Verfahren betreiben zu können. Darüberhinaus werfen sie der Antragstellerin eine Reihe von Rechtsverletzungen, insbesondere ihres Auskunftsrechts, vor. Endlich ziehen sie auch ein angebliches vorrangiges Vollzugsinteresse der Antragstellerin in Zweifel.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und deren Anlagen sowie auf die gerichtliche Sitzungsniederschrift Bezug genommen. Die Akten 12 O 76/03 LG Wuppertal waren zu Informationszwecken Gegenstand der mündlichen Verhandlung

II.

Der Antrag der Antragstellerin auf Freigabe (Aufhebung der Registersperre) ist unbegründet, weil die von den Antragsgegnern erhobenen Anfechtungsklagen weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet sind und auch ein vorrangiges Interesse der Antragstellerin am alsbaldigen Wirksamwerden der Übertragung (Squeeze-Out) nicht gegeben ist (§§ 327 e Abs. 2, 319 Abs. 5 und 6 AktG).

1.

Zu Unrecht wendet sich die Antragstellerin gegen die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklagen.

a)

Diese Klagen sind zulässig.

aa)

Daß die Anfechtungsklagen innerhalb der Ein-Monatsfrist des § 246 Abs.. 1 AktG erhoben und gegen die - in diesem Fall durch den Vorstand und den Aufsichtsrat vertretene-Gesellschaft (§ 246 Abs. 2Satz 2 AktG) gerichtet worden sind, steht außer Streit. Das angerufene Gericht ist auch ausschließlich zuständig (§ 246 Abs. 3 Satz 1 AktG).

bb)

Entgegen der Ansicht der Antragstellerin bestehen auch keine Bedenken zur Zulässigkeit der Klage der Antragsgegner zu 4., weil diese auf der streitgegenständlichen Hauptversammlung anwesend waren und für ihre Aktien auch Widerspruch zur Niederschrift gegen den angegriffenen Hauptversammlungsbeschluß eingelegt haben, so daß sie gemäß § 245 Nr. 1 AktG zur Anfechtung befugt sind.

Zwar ist unstreitig, daß auf der Hauptversammlung mit den Stimmrechtskarten

Nr. ....2 und ....3 die Penquitt + E2 GbR als Aktionär vermerkt worden ist und daß auch der Widerspruch zur Niederschrift für diese zu Protokoll gegeben worden ist (vgl. Anl. AS 4 und 1 zur Antragsschrift). Daraus folgt aber nicht, daß damit

- entsprechend der inzwischen gefestigten Rechtsprechung (vgl. BGH NJW 2001, 1056) - nur diese Gesellschaft bürgerlichen Rechts als rechtsfähige Gesellschaft (§ 14 Abs. 2 BGB) im Zivilprozeß selbst aktiv und passiv parteifähig wäre. Im vorliegenden Fall ist nämlich nicht erkennbar, daß es sich bei der Penquitt + E2 GbR um eine durch ein Gesamthandsprinzip gekennzeichnete "Außengesellschaft" handelte. Die Antragsgegner haben sich nämlich - insoweit unwidersprochen - darauf berufen, daß ihre Anmeldung als Gesellschaft bürgerlichen Rechts nur auf der formalen Anforderung der C AG beruht habe, bei der sie einen Großteil ihrer Wertpapiertransaktionen durchführten und auch die F-Aktien in einem gemeinsamen Depot verwahrten. Nach §§ 1 und 2 des von den Antragsgegnern zu 4. (als Anlage zu ihrem Schriftsatz vom 15.10.2003) vorgelegten Gesellschaftsvertrags der Penquitt + E2 GbR vom 24.05.2002 ist die Gesellschaft nur zum Zwecke der "gemeinsamen Depotverwaltung" bei der Consors gegründet worden; sie endet mit der Auflösung des Gemeinschaftsdepots bei dieser, dessen alleinige Inhaber die Antragsgegner zu 4. sind. Ihre Behauptung, wonach die auf diesem Depot befindlichen Wertpapiere nach ihrem Willen kein Gesamthandsvermögen darstellten, sondern ihnen direkt zuzurechnen seien, so daß jeder Gesellschafter jederzeit Zugriff auf die seinem Anteil entsprechenden Aktien habe, ohne daß es der Zustimmung des jeweils anderen Gesellschafters bedürfe, ist nicht mit erheblichen Gründen in Zweifel gezogen worden. Bei dieser Sachlage stehen aber die Rechte aus den Aktien, mithin auch das Anfechtungsrecht, den beiden Gesellschaftern unmittelbar zu, so daß keine Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit Außenwirkung vorliegt.

Unabhängig davon ist auch bei einer äußerlich (in diesem Fall sogar von den Antragsgegnern zu 4. selbst veranlaßter) unrichtigen Bezeichnung des Rechtssubjekts derjenige als Partei anzusehen, der durch die fehlerhafte Bezeichnung nach deren objektiven Sinn betroffen werden soll (vgl. BGH, NJW 1988, 1585, 1587).

cc)

Im übrigen würde dem Freigabeantrag der Erfolg selbst dann versagt bleiben, wenn die Unzulässigkeit der Klage der Antragsgegner zu 4. festgestellt würde, weil die -zweifelsfrei zulässigen - Klagen der übrigen Antragsgegner nicht offensichtlich unbegründet sind, wie noch auszuführen sein wird. Die Feststellung hätte auch für das Schicksal der Klage der Antragsgegner zu 4. im Hauptsacheverfahren keine verbindliche Wirkung.

b)

Die damit zulässigen Anfechtungsklagen sind auch nicht "offensichtlich" unbegründet.

aa)

Das gilt zum einen, soweit die Antragsgegner die Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen des sog. Squeeze-Out-Verfahrens in Zweifel ziehen.

Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des in Art. 7 des am 01.01.2002 in Kraft getretenen Gesetzes zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen - WpÜG - vom 20.12.2001 BGBl. I, 3822 ff.) geregelten Ausschlußverfahrens für Minderheitsaktionäre gemäß §§ 327 a bis f AktG (sog. Squeeze-Out oder auch Freeze-Out) steht - soweit erkennbar - noch aus. Daß auch das in der Aktie verkörperte Anteilseigentum in den Schutzbereich des das Eigentum gewährleistenden Art. 14 GG gehört, steht außer Frage (vgl. BVerfG, ZIP 2000,1670, 1671). Dabei erstreckt sich der Schutz sowohl auf die mitgliedschaftliche Stellung des Aktieninhabers, als auch auf die vermögensrechtlichen Ansprüche, die das Aktieneigentum vermittelt. Eine Enteignung im Sinne von Art. 14 Abs. 3 GG liegt allerdings nicht vor, weil eine solche stets vom Staat oder von einem mit staatlichen Zwangsrechten beliehenen Unternehmen ausgehen muß. Aber auch bei der Setzung und Anwendung von Normen für den Rechtsverkehr unmittelbar zwischen privaten Grundrechtsträgern kommt den Grundrechten eine besondere Bedeutung zu (vgl. Stumpf, Grundrechtsschutz im Aktienrecht, NJW 2003, 9 ff. - sog. Drittwirkung der Grundrechte). Wenn der Gesetzgeber - wie hier - der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft generell die Befugnis gibt, eine Übertragung zu beschließen, so verleiht er ihr damit nicht die Befugnis zur Enteignung. Vielmehr ermächtigt er sie zu einer Umgestaltung der privatrechtlichen Beziehungen zwischen den Aktionären, die damit begründet wird, daß Minderheitsaktionäre die Durchsetzung unternehmerischer Entscheidungen gegen die Stimmenmehrheit des Hauptaktionärs im Regelfall zwar nicht verhindern können, daß aber schon ihre Existenz für den Großaktionär erheblichen Aufwand, potentielle Schwierigkeiten und unter Umständen die Verzögerung der von ihm als sinnvoll erachteten unternehmerischen Maßnahmen mit sich bringt (BVerfG, ZIP 2000, 1670, 1671). Im Unterschied zu den vom BVerfG demgemäß bisher als verfassungsgemäß anerkannten Regelungen bei der die Gesellschaftsform wechselnden Umwandlung bzw. Verschmelzung oder bei der Eingliederung einer Aktiengesellschaft in eine andere inländische Aktiengesellschaft besteht allerdings beim sog Squeeze-Out die Besonderheit, daß es nicht zu einem grundsätzlichen Erhalt des Beteiligungsrechts des Aktionärs, sondern zu einem völligen Entzug seines Aktieneigentums führt. Nach alledem steht völlig außer Frage, daß auch die Zulässigkeit des gesetzlich geregelten Hinauswurfs der Minderheitsaktionäre von der Wahrung der berechtigten Interessen der zum Ausscheiden gezwungenen Minderheit abhängt, nämlich durch einen wirksamen Rechtsbehelf gegen einen etwaigen Mißbrauch der wirtschaftlichen Macht (hier: die Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsklage) und die Vorsorge einer wirtschaftlich vollen Entschädigung für den Verlust der Rechtsposition (hier: die - neuerdings im Gesetz über das gesellschaftsrechtliche Spruchverfahren - SpruchG - geregelte Barabfindung - vgl. § 1 Nr. 3 SpruchG (vgl. BVerfGE 14, 263 ff.).

Unter Berücksichtigung dieser Umstände erscheinen zumindest die Bestimmungen über das Eilverfahren nach §§ 327 e Abs. 2, 319 Abs. 6 AktG als verfassungsmäßig problematisch, weil hierdurch dem Hauptaktionär die Möglichkeit einer Art "vorzeitiger Besitzeinweisung" eingeräumt wird, ohne daß diese an eine den im öffentlichrechtlichen Enteignungsverfahren erforderlichen Gründen des Allgemeinwohls vergleichbare besondere Bedingung geknüpft wäre.

Die daher gebotene verfassungskonforme Auslegung der Eilverfahrensregelung, die auch dem Zivilgericht bei der Anwendung zivilrechtlicher Normen die Verpflichtung auferlegt, dem durch diese eingeschränkten Grundrecht Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 100, 289, 304), führt aber dazu, daß eine Aufhebung der Registersperre mit der Folge des Verlusts des Aktieneigentums (§ 327 e Abs. 3 AktG) nur dann in Betracht kommen kann, wenn die Erfolglosigkeit der Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsklage bei unstreitigem entscheidungserheblichen Sachverhalt evident ist und auf der Hand liegt, weil es dann eines besonderen Rechtsschutzes nicht bedarf. Dieser ist aber geboten, wenn der entscheidungserhebliche Sachverhalt noch einer Aufklärung bedarf. Dabei ist nicht zu übersehen, daß im Freigabeverfahren zugunsten der Antragstellerin die bloße Glaubhaftmachung genügen soll, während die Antragsgegner im Hauptsacheverfahren den Vollbeweis für die behaupteten Anfechtungsgründe führen müssen. Bezeichnenderweise sind auch die Bestimmungen des § 319 Abs. 5 und 6 AktG, die die Registersperre und das Freigabeverfahren bei der Eingliederung regeln, nach

§ 327 e Abs. 2 AktG beim Queeze-Out nur "sinngemäß", also in verfassungskonformer Auslegung, anzuwenden.

Daß die Gesellschaft, die den Freigabebeschluß erwirkt hat, verpflichtet ist, den Antragsgegnern Schadensersatz zu leisten, wenn sich deren Klagen später doch als begründet erweisen (§ 319 Abs. 6 Satz 6 AktG), stellt schon deshalb keinen ausreichenden Schutz des Minderheitsaktionärs dar, weil nicht ersichtlich ist, wie dieser Anspruch abgesichert wäre.

Nach alledem kann der Freigabeantrag nur Erfolg haben, wenn ein anderes Ergebnis als die Klageabweisung im Hauptsacheverfahren nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand nicht denkbar ist.

bb)

Von einer derartigen evidenten Erfolglosigkeit der Anfechtungsklagen kann aber keine Rede sein.

aaa)

So erscheint schon als zumindest fraglich und daher im Hauptsacheverfahren aufklärungsbedürftig, ob der als Hauptaktionärin im Sinne von § 327 AktG in der Hauptversammlung aufgetretenen C2 GmbH & Co KG (EdCar) tatsächlich Aktien der Gesellschaft in Höhe von 95 % des Grundkapitals gehörten, was die Antragsgegner bezweifeln.

Die Antragstellerin hat zwar unter Bezugnahme auf das (auf Seite 67 der Antragsschrift, Bl. 67 d.A., dargestellte) Schema der Beteiligungsstruktur darauf abgestellt, daß der maßgebliche Beteiligungserwerb der EdCar "in Höhe von rund 70,52 % des Grundkapitals durch einen mit den bisherigen Großaktionären ... vereinbarten und ... vollzogenen Paketerwerb" erfolgt sei. Nach ihrem Vorbringen (auf Seite 13 ihres Schriftsatzes vom 02.11.2003, Bl. 329 d.A.) sind neben den Vorstandsmitgliedern (nicht die Carlyle-Group, sondern) die Carlyle Europe Partners LP beteiligt, die ihrerseits wiederum die Anteile an der I GmbH - zum Teil treuhänderisch für (vier) andere Private Equity Fonds - halten. Damit sei die EdCar in der maßgeblichen Zeit Inhaberin von 9.207.054 Inhaber-Stückaktien gewesen, was rund 98,36 % des Grundkapitals entspräche, welches insgesamt in 9.360.839 Inhaber-Stückaktien mit einem auf die einzelne Aktie entfallenden Anteil am Grundkapital von 2,-- Euro eingeteilt sei.

Dem stehen aber die von den Antragsgegnern, insbesondere von der Antragsgegnerin zu 7. (auf Seite 3 f. ihres Schriftsatzes vom 06.10.2003, Bl. 206 f.d.A.) geäußerten Bedenken gegenüber, wonach die Antragstellerin von Private Equity Investoren übernommen worden sein soll und es sich bei der Carlyle Europe Partners LP um diejenigen Fonds in der Carlyle-Gruppe handeln soll, in denen die europäischen "Buy-Out-Aktivitäten" der Gruppe zusammengefaßt seien.

Bei der komplexen Beteiligungsstruktur ist es durchaus zulässig, daß die Antragsgegner das wirksame Zustandekommen der erforderlichen Mehrheit für den Hauptaktionär mit Nichtwissen bestreiten. Ob die von der Antragstellerin zur Glaubhaftmachung ihres Vortrags vorgelegten Unterlagen, insbesondere die Anlagen AS 39 und 40 (in englischer Sprache - vgl. Bl. 340, 343 d.A.) ausreichen, kann angesichts des oben über die unterschiedliche Ausgestaltung des Freigabeverfahrens einerseits und des Hauptsacheverfahrens andererseits Ausgeführten dahinstehen, weil nur eine Vollbeweisführung den erforderlichen Rechtsschutz gewährleisten kann.

bbb)

Entsprechendes gilt hinsichtlich der insbesondere von der Antragsgegnerin zu 7. im Termin zur mündlichen Verhandlung problematisierten Frage des Bestehenbleibens dieser Mehrheit über den eigentlichen Ausschluß hinaus und des damit von den Antragsgegnern erhobenen Vorwurfs einer nur zum Zwecke des Squezze-Out gebildeten Mehrheit und damit eines mißbräuchlichen Ausschlusses und einer treuwidrigen Stimmrechtsausübung.

ccc)

Aber auch die Umstände der Bewertung der Aktie sind so komplex, daß sie im Eilverfahren nicht sicher aufgeklärt werden können, zumal eine bloße Glaubhaftmachung entgegen dem Wortlaut des § 319 Abs. 6 Satz 4 AktG nicht ausreichen dürfte. Das gilt insbesondere bezüglich des Vorwurfs der Antragsgegner, daß dem Vorstand und dem Aufsichtsrat der Antragstellerin bewußt gewesen sei, daß die Aktien der Antragstellerin zum damaligen Zeitpunkt an den Kapitalmärkten unterbewertet gewesen seien, und daß sie trotz Kenntnis von dem deutlich höheren "inneren" Wert der Aktien ihr Übernahmeangebot als fair bezeichnet hätten.

ddd)

Ferner ist nach dem bisherigen Sach- und Streitstand nicht sicher auszuschließen, daß das Auskunftsrecht der Minderheitsaktionäre gemäß § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG in der Hauptversammlung verletzt worden ist, was sie zur Anfechtung des Übertragungsbeschlusses berechtigen könnte.

Die Kammer hält trotz der von der Antragstellerin dagegen geltend gemachten Bedenken dafür, daß die Verletzung abfindungswertbezogener Auskunftsrechte einen Anfechtungsgrund bilden kann und daher auch schon im Anfechtungsverfahren zu prüfen und nicht in das Spruchverfahren über die Angemessenheit der Barabfindung zu verweisen ist. Das gilt schon deshalb, weil beim Squeeze-Out - anders z.B. als bei der Umwandlung - die Festsetzung der Abfindung einen zentralen Beschlußgegenstand bildet. Das angemessene Abfindungsangebot ist Voraussetzung für die Wirksamkeit des Beschlusses. Daß wegen des im Hinblick auf das Quorum von 95 % bereits fest- stehenden Ergebnisses der Beschlußfassung die Minderheitsaktionäre die Möglichkeit haben müssen, auch zur Barabfindung Fragen zu stellen, wird von der Antragstellerin selbst eingeräumt. Ihrer Auffassung, daß bei Nichtbefolgung dieser Verpflichtung durch die Aktiengesellschaft, die sich zur Erfüllung des Auskunftsanspruchs des Vorstands bedient (vgl. Grunewald, Die neue Squezze-Out-Regelung, ZIP 2002, 18, 19), ein Anfechtungsgrund nicht in Betracht komme, sondern der Auskunftsberechtigte auf das Spruchverfahren zu verweisen sei, kann aber nicht gefolgt werden. Da der Aktionär im neu geregelten Spruchverfahren nach dem Beibringungsgrundsatz seine Einwendungen gegen die Bewertung selbst vorbringen muß und gegebenenfalls beweispflichtig ist, kann ihm nicht zugemutet werden, auf das Spruchverfahren zu warten, bis die Bewertungsfragen geklärt werden. Vielmehr muß er sich die für die erfolgreiche Durchführung seines Spruchverfahrensantrags erforderlichen Informationen schon vorher besorgen können (vgl. auch Grunewald, a.a.O., S. 21).

Daß einzelne Fragen von Minderheitsaktionären in der Hauptversammlung "nicht bzw. nicht vollständig" beantwortet worden sind, hat die Antragstellerin selbst zugestanden (vgl. S. 97 ihrer Antragsschrift unter lit. c), Bl. 97 d.A.). Insoweit kann auf Ziffer 5. des notariellen Protokolls der Hauptversammlung vom 23.05.2003 und die dort erwähnten Anlagen 5/6 und 7/8 (vgl. Anl. AS 1 zur Antragsschrift) erwiesen werden. Bei diesen Fragen der Antragsgegnerin zu 2 (nämlich Nr. 1-4 und 8-13) sowie der Antragsgegner zu 4. hat es sich um solche nach alternativen Bietern im Auktionsverfahren, zur Bewertungsgrundlage des Übernahmeangebots, zum Ertragswert des Unternehmens zum Wertzuwachs für die Vorstandsmitglieder auf Grund ihrer Beteiligung an der Hauptaktionärin und für die sonstigen Gesellschafter, zur Abstimmung der gemeinsamen Stellungnahme zwischen Vorstand und Aufsichtsrat mit der Hauptaktionärin oder deren Beratern, zur Informationspolitik der Hauptaktionärin vor Unterbreitung des Übernahmeangebots, zur Bewertung des wesentlichen Betriebsvermögens, zu den wirtschaftlichen Interessen der Mitglieder des Vorstands der Antragstellerin und zu der Steigerung des Unternehmenswerts pro Aktie um mehr als 22 % in knapp 5 Monaten gehandelt. Daß bei diesen ein aktueller Bezug zur Angemessenheit des Abfindungsangebots bestand, liegt auf der Hand. Ob die hierzu erteilten Antworten richtig und vollständig waren, kann aus den oben genannten Gründen im vorläufigen Freigabeverfahren nicht beurteilt werden, sondern bedarf der Klärung - gegebenenfalls durch Beweiserhebung - im Hauptsacheverfahren.

eee)

Schließlich ist auch die Entscheidung, ob es Mängel bei der Prüfung der Angemessenheit der angebotenen Barabfindung gegeben hat, im Eilverfahren nicht möglich.

Insoweit geht es um den Vorwurf der Antragsgegner, daß die Prüfung gemäß § 327 c Abs. 2 Satz 2 AktG durch einen unabhängigen sachverständigen Prüfer nicht gewährleistet gewesen sei, weil die gerichtlich bestellten Prüfer Warth & L GmbH in E, die von der Hauptaktionärin benannt worden waren, und die Hauptaktionärin selbst bei der Erstellung ihrer jeweiligen Berichte "Hand in Hand" gearbeitet hätten, was sich schon aus dem zeitlichen Ablauf ergebe. So habe der Prüfbericht des gerichtlich bestellten Prüfers vom 27.03.2003 unter anderem auf den Übertragungsbericht der Hauptaktionärin vom 26.03.2003 (also nur 24 Stunden alt) zurückgegriffen. Das könnte gegen eine neutrale und unabhängige Prüfung sprechen. Der allgemeine Hinweis der Antragstellerin hierzu (auf Seite 118 ihrer Antragsschrift unter lit. b), Bl. 118 d.A.), daß die Prüfer schon von Gesetzes wegen zur gewissenhaften und unparteiischen Prüfung verpflichtet seien (§§ 327 c Abs. 2 Satz 4, 293 d Abs. 2 Satz 1 AktG), vermag den möglichen "bösen Schein" einer bloßen Absegnung eines von einem in privatem Auftrag tätigen Bewerter erzielten Ergebnisses durch den gerichtlich bestellten Prüfer nicht hinreichend auszuräumen. Auch daß die sog. Parallelprüfung "gängiger Praxis" entsprechen soll (vgl. Ziffer 6. auf Seite 16 des Schriftsatzes der Antragstellerin vom 02.11.2003, Bl. 332 d.A.), ist kein schlüssiger Beweis für eine wirklich unabhängige Prüfung.

fff)

Die endlich von der Antragsgegnerin zu 1. (auf Seite 6 f. ihrer Klageschrift vom 23.06.2003), den Antragsgegnern zu 5 (auf Seite 12 ihrer Klageschrift vom 23.06.2003) und der Antragsgegnerin zu 7. (auf Seite 4 ihrer Klageschrift vom 16.06.2003) aufgeworfene Frage, ob eine Verletzung des gesetzlichen Stimmverbots durch die Großaktionärin vorgelegen habe, weil die Stimmen der Großaktionärsgruppe nicht entsprechend den Vorschriften der §§ 21 ff., 41, WpHG gemeldet gewesen seien, korrespondiert mit den oben erwähnten Fragen zur Beteiligungsstruktur; ihre Beantwortung hängt demgemäß davon ab, wer danach mitteilungspflichtig nach § 21 Abs. 1 WpHG war. Auch das wird erst im Hauptsacheverfahren zu klären sein.

ggg)

Soweit einzelne Antragsgegner auch die Abstimmung über den gestellten Sonderprüfungsantrag beanstanden, ist das im vorliegenden Verfahren zur Beseitigung der Registersperre hinsichtlich des gefaßten Übertragungsbeschlusses ohne Belang.

cc)

Nach alledem steht fest, daß es Streit über eine Reihe von Anfechtungsgründen gibt, deren Stichhaltigkeit erst im Hauptsacheverfahren zu klären ist. Solange aber noch nicht abzusehen ist, ob die Anfechtungsklagen Erfolg haben werden, liegt eine offensichtliche Unbegründetheit nicht vor.

c)

Damit entfällt auch die Voraussetzung für den geltend gemachten Freigabeantrag.

2.

Von Darlegungen zum möglichen vorrangigen Interesse der Antragstellerin am alsbaldigen Wirksamwerden des Übertragungsbeschlusses hat diese bisher bewußt abgesehen (vgl. S. 5. ihres Schriftsatzes vom 02.11.2003, Bl. 321 d.A.). Es sind aber auch keine Anhaltspunkte dafür gegeben, daß bei einer Prüfung der beiderseitigen maßgeb-

lichen Interessen das Interesse der Antragstellerin höher als das der ausgeschlossenen Minderheitsaktionäre am Aufschub des Vollzugs zu bewerten wäre.

a)

Auswirkungen des Aufschubs auf die Körperschaft als solche sind nicht festzustellen, zumal die Hauptaktionärin nach dem insoweit unwidersprochen gebliebenen Vorbringen der Antragsgegnerin zu 2. (auf S. 7 ihres Schriftsatzes vom 20.10.2003, Bl. 293 d.A.) bereits vor dem Ablauf der Anfechtungsfrist die Eintragung des zeitgleich mit dem Squeeze-Out-Beschluß beschlossenen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags zwischen der Antragstellerin (als abhängiger Gesellschaft) und der EdCar (als herrschender Gesellschaft), den die Antragsgegnerin zu 2. ebenfalls angefochten hat (Ausgangsverfahren 12 O 83/03 - jetzt 12 O 76/03 LG Wuppertal), in das Handelsregister erreicht hat, so daß sie schon jetzt die Leitungsmacht gemäß § 308 AktG hat.

b)

Demgegenüber ist der den Minderheitsaktionären drohende Eigentumsverlust eindeutig höher zu bewerten. Außerdem steht auch der Vorwurf der (mit den Anfechtungsklagen geltend gemachten) schweren Rechtsverletzungen im Raum, der bei der Interessenabwägung mitzuberücksichtigen ist.

c)

Mithin erfüllt das Vorbringen der Antragstellerin auch nicht die Voraussetzungen dieses Tatbestandsmerkmals.

3.

Nach alledem bleibt dem Freigabeantrag der Erfolg versagt.

4.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 91, 101 ZPO.

5.

Streitwert: 50.000,-- Euro.

Dr. Reinecke Linder Mertens






LG Wuppertal:
Beschluss v. 06.11.2003
Az: 12 O 119/03


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