Bundesgerichtshof:
Urteil vom 14. Juni 2016
Aktenzeichen: II ZR 77/15
(BGH: Urteil v. 14.06.2016, Az.: II ZR 77/15)
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 11. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg vom 6. März 2015 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung des Klägers gegen die Beklagten zu 1 und 2 zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisions- und Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, soweit über sie noch nicht entschieden ist, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Die Beklagten zu 1 und 2 waren Vorstände der S. AG (im Folgenden: Schuldnerin), über deren Vermögen auf den Antrag vom 10. August 2007 mit Beschluss vom 13. September 2007 unter Bestellung des Klägers zum Insolvenzverwalter das Insolvenzverfahren eröffnet wurde.
Die Schuldnerin hatte Konten bei der H. Sparkasse und der Volks- und Raiffeisenbank N. eG (im Folgenden: Volksbank N. ). Der Volksbank N. hatte die Schuldnerin zuletzt mit Vereinbarung vom 26. Mai 2005 sämtliche gegenwärtigen und künftigen Ansprüche aus dem Geschäftsverkehr abgetreten.
Zwischen dem 1. Februar und dem 9. August 2007 gingen auf dem durchgehend debitorisch geführten Konto der Schuldnerin bei der H. Sparkasse insgesamt 346.631,06 € ein. Auf dem ebenfalls durchgehend debitorisch geführten Konto der Schuldnerin bei der Volksbank N. gingen in der Zeit vom 1. Februar bis zum 12. September 2007 Zahlungen in Höhe von insgesamt 988.477,99 € ein.
Der Kläger hat, soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung, mit der Behauptung, die Schuldnerin sei bereits seit dem Jahr 2006, jedenfalls seit dem 1. Februar 2007 zahlungsunfähig und überschuldet gewesen, von den Beklagten zu 1 und 2 als Gesamtschuldnern Zahlung von 1.335.109,05 € nebst Zinsen verlangt. Das Landgericht hat die Beklagten zu 1 und 2 als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 346.631,06 € nebst Zinsen zu bezahlen, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die dagegen eingelegte Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die vom erkennenden Senat zugelassene Revision des Klägers.
Gründe
Über die Revision ist, da die Beklagten zu 1 und 2 trotz ordnungsgemäßer Ladung im Revisionsverhandlungstermin nicht vertreten waren, durch Versäumnisurteil zu entscheiden, das aber inhaltlich nicht auf der Säumnis, sondern auf einer sachlichen Prüfung des Antrags beruht (BGH, Urteil vom 4. April 1962 - V ZR 110/60, BGHZ 37, 79, 81).
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils, soweit die Berufung des Klägers gegen die Beklagten zu 1 und 2 zurückgewiesen worden ist, und zur Zurückverweisung.
I. Das Berufungsgericht (OLG Hamburg, ZIP 2015, 867) hat ausgeführt, ein Anspruch auf Ersatz der in der Zeit vom 1. Februar bis zum 12. September 2007 auf die Konten der Schuldnerin bei der Volksbank N. erfolgten Einzahlungen bestehe nicht. Sämtliche Forderungen gegenüber Drittschuldnern seien bereits durch die Globalabtretungsvereinbarung an die Volksbank N. abgetreten gewesen, hätten der Schuldnerin hiernach nicht rechtlich und mit Rücksicht auf deren gegenüber der Volksbank N. bestehende Verbindlichkeiten auch nicht mehr wirtschaftlich zugestanden. Sie hätten deshalb schon vor den jeweiligen Zahlungsvorgängen nicht mehr Bestandteil des der Verpflichtung zum Masseerhalt unterliegenden Vermögens der Schuldnerin sein können. Da die Forderungen nicht Teil des geschützten Aktivvermögens der Schuldnerin gewesen seien, seien die Beklagten zur Vermeidung einer Inanspruchnahme aus § 92 Abs. 3 Satz 1, § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG aF auch nicht gehalten gewesen, die Globalabtretung zugunsten der Volksbank N. dadurch zu unterlaufen, dass sie die dieser zustehenden Forderungen auf ein neu eröffnetes, kreditorisch geführtes Bankkonto der Schuldnerin einzogen. Dies gelte hier schon deshalb, weil bei einem Einzug von Forderungen auf einem kreditorisch geführten Bankkonto der Auszahlungsanspruch wiederum unter die Globalzession gefallen wäre.
II. Das Berufungsurteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Trotz der Globalzession können die auf dem Konto der Volksbank N. eingegangenen Zahlungen masseschmälernde Zahlungen im Sinne von § 92 Abs. 3 Satz 1, § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG aF sein.
1. Der Einzug von Forderungen einer insolvenzreifen Aktiengesellschaft auf ein debitorisches Konto ist, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, grundsätzlich eine masseschmälernde Zahlung im Sinne von § 92 Abs. 3 Satz 1, § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG aF, weil dadurch das Aktivvermögen der Gesellschaft zu Gunsten der Bank geschmälert wird (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juni 2015 - II ZR 366/13, BGHZ 206, 52 Rn. 11 mwN).
2. Der zwischen der Schuldnerin und der Volksbank N. abgeschlossene Globalabtretungsvertrag kann die Annahme masseschmälernder Zahlungen durch die Einziehung von Forderungen auf das debitorisch geführte Konto jedoch ausschließen, wie das Berufungsgericht ebenfalls zutreffend gesehen hat.
Wie der Senat mit Urteil vom 23. Juni 2015 (II ZR 366/13, BGHZ 206, 52 Rn. 12 ff.; ebenso BGH, Urteil vom 8. Dezember 2015 - II ZR 68/14, ZIP 2016, 364 Rn. 13 ff.; Urteil vom 26. Januar 2016 - II ZR 394/13, WM 2016, 974 Rn. 40 ff., jeweils zu § 64 Satz 1 GmbHG) entschieden hat, stellen der Einzug von Forderungen, die an die Bank zur Sicherheit abgetreten waren, auf einem debitorischen Konto der Aktiengesellschaft und die anschließende Verrechnung mit dem Sollsaldo keine vom Vorstand veranlasste masseschmälernde Zahlung dar, wenn vor Insolvenzreife die Sicherungsabtretung vereinbart und die Forderungen der Gesellschaft entstanden und werthaltig geworden sind.
Der Vorstand muss in solchen Fällen die sicherungsabgetretenen Forderungen ungeachtet der bestehenden Einziehungsermächtigung nicht durch Einziehung auf ein neu eröffnetes, kreditorisch geführtes Konto bei einer anderen Bank der Einziehung und Verrechnung auf dem debitorischen Konto entziehen, da eine solche Umleitung der Zahlungen auf ein anderes Konto nicht einem ordentlichen Geschäftsgebaren entspräche (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juni 2015 - II ZR 366/13, BGHZ 206, 52 Rn. 16 ff.; Urteil vom 8. Dezember 2015 - II ZR 68/14, ZIP 2016, 364 Rn. 16; Urteil vom 26. Januar 2016 - II ZR 394/13, WM 2016, 974 Rn. 41). Da die eingezogenen Forderungen infolge der Sicherungsabtretung nicht mehr als freie Masse den Gläubigern zur gleichmäßigen Befriedigung zur Verfügung standen, verlangt auch der Zweck des Zahlungsverbots, die vorhandene Masse zu sichern, nicht, die Zahlung einzubehalten. Die Masse würde durch den Einzug von sicherungsabgetretenen Forderungen ohne Weiterleitung nicht nur erhalten, sondern vergrößert (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juni 2015 - II ZR 366/13, BGHZ 206, 52 Rn. 18; Urteil vom 8. Dezember 2015 - II ZR 68/14, ZIP 2016, 364 Rn. 16; Urteil vom 26. Januar 2016 - II ZR 394/13, WM 2016, 974 Rn. 41).
3. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, liegt eine masseschmälernde Leistung durch die der Bank zugutekommende Zahlung aber grundsätzlich dann vor, wenn die vor Insolvenzreife zur Sicherheit abgetretene zukünftige Forderung erst nach Eintritt der Insolvenzreife entstanden ist oder wenn sie zwar vor Eintritt der Insolvenzreife entstanden, aber erst danach werthaltig geworden ist und der Vorstand die Entstehung der Forderung oder deren Werthaltigwerden hätte verhindern können. Der Vorstand kann zwar nicht verhindern, dass der Zessionar die ihm zur Sicherheit abgetretene Forderung nach Insolvenzreife verwertet. Er darf aber nicht bewirken, dass der Zessionar zu Lasten der Masse nach Insolvenzreife noch eine werthaltige Forderung erwirbt, § 92 Abs. 3 Satz 1 AktG aF (vgl. zu § 64 Satz 1 GmbHG BGH, Urteil vom 23. Juni 2015 - II ZR 366/13, BGHZ 206, 52 Rn. 19; Urteil vom 8. Dezember 2015 - II ZR 68/14, ZIP 2016, 364 Rn. 17; Urteil vom 26. Januar 2016 - II ZR 394/13, WM 2016, 974 Rn. 42).
a) Im Falle der Abtretung einer künftigen Forderung ist der Verfügungstatbestand mit dem Zustandekommen des Abtretungsvertrages abgeschlossen. Der Rechtsübergang auf den Gläubiger vollzieht sich jedoch erst mit dem Entstehen der Forderung. Wenn die Abtretung bereits vor der Insolvenzreife für künftige Forderungen vereinbart wurde, kann gleichwohl eine Masseschmälerung eintreten, deren Ursache nicht in der Abtretungsvereinbarung, sondern darin liegt, dass die sicherungsabgetretene Forderung nicht mehr zugunsten des Vermögens der Aktiengesellschaft, sondern zugunsten des Zessionars entsteht. Wenn der Vorstand die Zession - etwa durch die Kündigung des Kontokorrentvertrages - oder das Entstehen der Forderung nach Eintritt der Insolvenzreife verhindern kann, liegt daher im Ergebnis eine von ihm veranlasste Leistung an die Bank vor, wenn die Forderung nach der vor Insolvenzreife vereinbarten Sicherungsabtretung an die Bank entsteht und von ihr verwertet wird. Das betrifft vor allem Verträge, die die Schuldnerin nach Eintritt der Insolvenzreife eingeht und bei denen der Anspruch auf die Gegenleistung für eine Leistung der Schuldnerin aufgrund der Sicherungsabtretung der Bank zusteht (BGH, Urteil vom 23. Juni 2015 - II ZR 366/13, BGHZ 206, 52 Rn. 22 mwN; Urteil vom 8. Dezember 2015 - II ZR 68/14, ZIP 2016, 364 Rn. 18; Urteil vom 26. Januar 2016 - II ZR 394/13, WM 2016, 974 Rn. 43).
b) Das gleiche gilt, wenn der Anspruch auf die Gegenleistung rechtlich zwar bereits entstanden ist, zulasten des Vermögens der Schuldnerin aber erst nach Eintritt der Insolvenzreife werthaltig gemacht wird, etwa indem die Schuldnerin die von ihr vertraglich zugesagte Leistung erbringt. Die Masseschmälerung liegt in diesen Fällen darin, dass die abgetretene Forderung zugunsten des Gläubigers werthaltig gemacht worden ist. Die Wertschöpfung geschieht dann zu Lasten der Gläubigergesamtheit bzw. der Masse und zugunsten des gesicherten Gläubigers (BGH, Urteil vom 23. Juni 2015 - II ZR 366/13, BGHZ 206, 52 Rn. 23; Urteil vom 8. Dezember 2015 - II ZR 68/14, ZIP 2016, 364 Rn. 17; Urteil vom 26. Januar 2016 - II ZR 394/13, WM 2016, 974 Rn. 44).
III. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil die Sache noch nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Den Beklagten ist Gelegenheit zu geben, zum Zeitpunkt des Entstehens bzw. des Werthaltigwerdens der eingezogenen Forderungen vorzutragen. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die auf das Kontokorrentkonto eingezogenen Forderungen, für die der Kläger Ersatz verlangt, vor dem Eintritt der Insolvenzreife entstanden bzw. werthaltig gemacht worden sind, liegt bei den beklagten Vorstandsmitgliedern (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juni 2015 - II ZR 366/13, BGHZ 206, 52 Rn. 34; Urteil vom 8. Dezember 2015 - II ZR 68/14, ZIP 2016, 364 Rn. 27; Urteil vom 26. Januar 2016 - II ZR 394/13, WM 2016, 974 Rn. 45).
IV. Rechtsbehelfsbelehrung:
Gegen dieses Versäumnisurteil kann die säumige Partei innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen, die mit der Zustellung des Versäumnisurteils beginnt, schriftlich Einspruch durch eine von einer beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwältin oder einem beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnete Einspruchsschrift beim Bundesgerichtshof, Herrenstr. 45a, 76133 Karlsruhe (Postanschrift: 76125 Karlsruhe) einlegen.
Bergmann Caliebe Drescher Born Sunder Vorinstanzen:
LG Hamburg, Entscheidung vom 28.02.2013 - 413 HKO 40/12 -
OLG Hamburg, Entscheidung vom 06.03.2015 - 11 U 222/13 -
BGH:
Urteil v. 14.06.2016
Az: II ZR 77/15
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