Oberlandesgericht Köln:
Beschluss vom 19. März 1998
Aktenzeichen: Ss 129/98 B - 80 B
(OLG Köln: Beschluss v. 19.03.1998, Az.: Ss 129/98 B - 80 B)
Tenor
Im Rechtsfolgenausspruch wird das angefochtene Urteil wie folgt abgeändert:Der Betroffene wird zu einer Geldbuße von 100,00 DM verurteilt. Die Kosten der Rechtsbeschwerde und die dem Betroffe-nen in der Rechtsbeschwerdeinstanz entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
Gründe
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger
Zuwiderhandlung gegen §§ 37 Abs. 2, 49 StVO zu einer Geldbuße von
250,00 DM verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat Dauer
angeordnet. Das Amtsgericht hat folgende Feststellungen
getroffen:
"Am 5.4.1997 gegen 17.30 Uhr befuhr der Betroffene mit seinem
Pkw VW-Passat mit dem amtlichen Kennzeichen X. in Bonn die
Weiherstraße in Fahrtrichtung der dazu quer verlaufenden Bornheimer
Straße. Der Betroffene ordnete sich auf der Linksabbiegerspur ein
und mußte zunächst an der rotlichtanzeigenden Lichtzeichenanlage
anhalten. Wegen starken Verkehrsaufkommens stauten sich die Pkw's
auf der Bornheimer Straße in Fahrtrichtung Innenstadt/Berliner
Freiheit. Als die Ampelanlage für den Betroffenen Grünlicht
anzeigte, konnte er wegen eines Rückstaus in dem Einmündungsbereich
nicht auf die Bornheimer Straße einbiegen. Bei Grünlicht fuhr der
Betroffene an, passierte mit den Vorderrädern seines Pkw's die
Haltelinie vor der Ampelanlage und kam wegen des Rückstaus von der
Bornheimer Straße auf dem Fußgängerüberweg vor der Ampelanlage zum
halten. Mit den Hinterrädern seines Pkw's hatte er die Haltelinie
noch nicht passiert. In dieser Position konnte der Betroffene die
Lichtzeichenanlage noch beobachten. Während der gesamten Grünphase
konnte der Betroffene seinen Pkw wegen des Rückstaus nicht weiter
in den Kreuzungsbereich hinein fortbewegen. Erst nachdem die
Ampelanlage für den Betroffenen wieder Rotlicht erhalten hatte und
die Lichtzeichenanlage für den Querverkehr auf der Bornheimer
Straße bereits wieder auf Grün umgeschaltet waren, fuhr der
Betroffene auf die Bornheimer Straße und bog nach links in Richtung
Innenstadt ab ...
Als der Betroffene in die Bornheimer Straße abbog, zeigte für
ihn die Lichtzeichenanlage bereits länger als 1 Sekunde Rotlicht
an."
Das Amtsgericht hat das Verhalten des Betroffenen als
"qualifizierten Rotlichtverstoß" gewertet und ausgeführt:
"Der Betroffene hat dadurch gegen die vorgenannten Vorschriften
verstoßen, daß er, ohne mit seinem Fahrzeug insgesamt die
Haltelinie vor der Ampelanlage zu passieren, vor der
Lichtzeichenanlage zum Halten kam und erst dann auf die Bornheimer
Straße bog, als die Ampelanlage für seine Fahrtrichtung bereits
schon wieder Rot anzeigte. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Angeklagte
schon mindestens seit 1 Sekunde Rotlicht. Der Betroffene hat
fahrlässig gehandelt, denn bei genügender Aufmerksamkeit hätte er
erkennen können, daß die Lichtzeichenanlage für ihn noch einsehbar
war und er bei angezeigtem Rotlicht nicht in den Kreuzungsbereich
hätte fahren dürfen."
Mit der Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der
Rechtsfolgenausspruch angefochten und die Verletzung materiellen
Rechts gerügt. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, das
angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und die
Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das
Amtsgericht zurückzuverweisen. Nach Ansicht der
Generalstaatsanwaltschaft sind die Feststellungen zum
Rechtsfolgenausspruch materiellrechtlich unvollständig, da keine
Angaben zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen
gemacht seien.
Die Rechtsbeschwerde führt zur Abänderung des
Rechtsfolgenausspruchs durch den Senat (§ 79 Abs. 6 OWiG).
Die Rechtsbeschwerde ist wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch
beschränkt, da die Feststellungen des Amtsgerichts eine
hinreichende Grundlage für die Entscheidung über den
Rechtsfolgenausspruch bilden. Der Schuldspruch ist damit
rechtskräftig.
Der Rechtsfolgenausspruch hält einer rechtlichen Óberprüfung
nicht stand. Die Annahme eines qualifizierten Rotlichtverstoßes
wird von den Feststellungen des Amtsgerichts nicht getragen. Nach
Nr. 34.2 BKatV ist im Regelfall eine Buße von 250,00 DM zu
verhängen und ein Fahrverbot von einem Monat festzusetzen, wenn ein
Fahrzeug ein rotes Wechsellichtzeichen nicht befolgt und die
Rotphase schon länger als 1 Sekunde andauert.
Für die Berechnung der Rotlichtdauer - insbesondere der in Nr.
34.2 BKatV genannten Rotphase von mehr als 1 Sekunde - ist in den
Fällen, in denen vor der Lichtzeichenanlage eine Haltlinie (Zeichen
294 zu § 41 Abs. 3 Nr. 2 StVO) angebracht ist, der Zeitpunkt
maßgebend, in dem der Betroffene die Haltelinie überfährt (BayObLG
NZV 1994, 200; DAR 1995, 496 = VRS 90, 54; OLG Celle NZV 1996, 247
= VRS 91, 312; OLG Düsseldorf DAR 1997, 116 = VRS 93, 212 und DAR
1997, 322 = NZV 1998, 78; OLG Frankfurt NZV 1995, 36; OLG Hamburg
DAR 1997, 324; OLG Hamm VRS 91, 394; OLG Karlsruhe DAR 1995, 261 =
VRS 89, 140; OLG Oldenburg VRS 92, 222; OLG Stuttgart VRS 94, 141;
Senatsentscheidung NZV 1995, 327 = VRS 89, 470; Senatsentscheidung
vom 09.05.1996 - Ss 207/96). Die Haltlinie ergänzt das Haltgebot
eines Lichtzeichens durch die Anordnung "Hier halten!" (§ 41 Abs. 3
Nr. 2 StVO). Ein Fahrzeugführer hat in diesem Fall unmittelbar vor
der Haltlinie zu halten (Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht,
34. Aufl., StVO § 41 Rdnr. 248 zu Zeichen 294). Fährt ein
Fahrzeugführer bei Rotlicht unter Mißachtung der Haltlinie in den
durch die Ampel gesicherten Bereich ein, ist der Tatbestand des §
37 Abs. 2 Nr. 1, 2, § 49 Abs. 3 Nr. 2 StVO erfüllt, wobei der
Verstoß gegen §§ 41 Abs. 3 Nr. 2, 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO darin
aufgeht (BayObLG NZV 1994, 200; OLG Stuttgart VRS 94, 141).
Letzterer erlangt nur selbständige Bedeutung, wenn der
Fahrzeugführer bei Rot die Haltelinie überfährt, aber vor dem
geschützten Kreuzungsbereich anhält (BayObLG NZV 1994, 200;
Senatsentscheidung NZV 1995, 327 = VRS 89, 470). Ist der Tatbestand
des § 37 Abs. 2 Nr. 1 und 2, § 49 Abs. 3 Nr. 2 StVO erfüllt, so
kommt es für die Anwendung der Nr. 34.2 BKatV auf den Zeitpunkt des
Óberfahrens der Haltlinie an, weil ab diesem Zeitpunkt der Fahrer
das rote Wechsellichtzeichen, das ihm gebietet, an der Haltlinie zu
halten, nicht befolgt wird (BayObLG NZV 1994, 200; OLG Stuttgart
VRS 94, 141). Bei Vorhandensein einer Haltlinie ist der Zeitpunkt
des Einfahrens in den geschützten Bereich der Kreuzung für die
Frage der Länge der Rotlichtzeit ohne Belang (OLG Celle VRS 91,
312).
Dem angefochtenen Urteil kann schon nicht eindeutig entnommen
werden, wo sich der Betroffene befand, als die Rotphase länger als
1 Sekunde andauerte. Da es auf den Zeitpunkt des Óberfahrens der
Haltlinie ankommt, reicht es für die Annahme eines qualifierten
Rotlichtverstoßes nicht aus, wenn erst beim Einfahren in den
Kreuzungsbereich die Rotphase länger als 1 Sekunde andauerte. Ein
qualifizierter Rotlichtverstoß läge im vorliegenden Fall aber auch
nicht vor, wenn 1 Sekunde Rotlicht schon in dem Zeitpunkt
verstrichen wäre, in dem der Betroffene aus der Stellung, in der er
zum Halten gekommen ist (Vorderräder jenseits, Hinterräder noch
hinter der Haltlinie), wieder anfuhr.
Der Betroffene brauchte nicht vor der Haltlinie zu halten, da
die Lichtzeichenanlage noch Grünlicht zeigte, als er die Haltlinie
mit den Vorderrädern seines Wagens überfuhr. Da er ein Gebot, wegen
Rotlichts an der Haltlinie zu halten, nicht mißachtet hat, kann ein
qualifizierter Rotlichtverstoß auch nicht dadurch begangen werden,
daß er nach Óberfahren der Haltlinie mit den Vorderrädern und
verkehrsbedingtem Anhalten bei Rotlicht weiterfuhr. Im Hinblick auf
die verschärfte Sanktion der Nr. 34.2 BKatV bedarf es einer klaren
Abgrenzung. "Óberfahren" ist die Haltlinie, wenn die Vorderräder
des Fahrzeugs die Linie überfahren haben; spätestens in diesem
Zeitpunkt ist ein Anhalten unmittelbar vor der Haltlinie nicht mehr
möglich. Für die Frage, ob beim Óberfahren der Haltlinie schon 1
Sekunde Rotlicht andauert, ist daher auf das Óberfahren mit den
Vorderrädern abzustellen, um eine eindeutig klare Regelung zu
haben. Was die Gefährlichkeit des Rotlichtverstoßes angeht, so
macht es zwar keinen Unterschied, ob ein Fahrzeugführer unmittelbar
vor der Haltlinie oder nur mit den Vorderrädern jenseits der
Haltlinie oder auch mit den Hinterrädern jenseits der Haltlinie zum
Stehen kommt und dann bei Rot an- und in die Kreuzung einfährt.
Weil ein qualifizierter Rotlichtverstoß aber ein Óberfahren der
Haltlinie mehr als 1 Sekunde nach Beginn der Rotphase voraussetzt,
müssen diese Fälle notwendigerweise unterschiedlich behandelt
werden je nach dem ob die Haltlinie bei Grün oder Rot überfahren
wird, wobei es - wie ausgeführt - auf das Óberfahren mit den
Vorderrädern ankommt. Wer noch bei Grünlicht die Haltlinie - wenn
auch nur mit den Vorderrädern seines Fahrzeugs - überfährt, und
nach verkehrsbedingtem Halt bei Rot in die Kreuzung einfährt,
begeht keinen qualifizierten Rotlichtverstoß im Sinne von Nr. 34.2
BKatV.
Das Rotlicht der Lichtzeichenanlage verbot dem Betroffenen zwar
die Einfahrt in den Kreuzungsbereich (vgl. Senatsentscheidungen VRS
72, 212; 87, 147, 149). Der Verstoß gegen dieses Verbot begründete
aber nur einen "einfachen" Rotlichtverstoß, für den die
Bußgeldkatalogverordnung in laufender Nummer 34 eine Regelbuße von
100,00 DM vorsieht, nicht aber einen qualifizierten Rotlichtverstoß
nach laufender Nummer 34.2 BKatV.
Einer Zurückverweisung wegen dieses Rechtsfehlers bedarf es
nicht. Vielmehr kann der Senat nach § 79 Abs. 6 UWG aufgrund der
getroffenen Feststellungen selbst entscheiden und unter Wegfall des
Fahrverbots die Buße auf 100,00 DM herabsetzen. Für die Festsetzung
von Geldbußen dieser Höhe bedarf es keiner Feststellungen zu den
wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen (vgl. Göhler, OWiG,
11. Aufl., § 17 Rdnr. 24).
Da der Beschwerdeführer sein erklärtes Ziel im wesentlichen
erreicht hat, hat sein beschränktes Rechtsmittel vollen Erfolg mit
der Folge, daß die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen
Auslagen des Betroffenen in der Rechtsbeschwerdeinstanz der
Staatskasse aufzuerlegen sind (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO,
43. Aufl. § 473 Rdnr. 21 und 23).
OLG Köln:
Beschluss v. 19.03.1998
Az: Ss 129/98 B - 80 B
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