Bundespatentgericht:
Beschluss vom 11. September 2002
Aktenzeichen: 19 W (pat) 708/02

(BPatG: Beschluss v. 11.09.2002, Az.: 19 W (pat) 708/02)

Tenor

Das Patent 198 57 740 wird widerrufen.

Gründe

I Das Deutsche Patent- und Markenamt hat - ausweislich der Angabe auf der Patentschrift 198 57 740 C2 - am 30. November 2000 die Erteilung eines Patents auf die am 15. Dezember 1998 eingegangene zugehörige Anmeldung veröffentlicht.

Das Patent betrifft eine Sammelschienenanordnung.

Gegen das Patent hat die Siemens AG mit dem am 26. Februar 2001 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingegangenen Schriftsatz gleichen Datums Einspruch mit der Behauptung erhoben, daß der Gegenstand des angegriffenen Patents nicht patentfähig sei. Zur Begründung verweist sie auf zwei Druckschriften und behauptet eine offenkundige Vorbenutzung des Patentgegenstandes, die durch beigefügte Unterlagen belegt werden soll.

Mit Eingabe vom 20. März 2002 hat die Einsprechende den Antrag gemäß § 147 Abs 3 Nr. 2 PatG gestellt, daß der Beschwerdesenat des Patentgerichts über den Einspruch entscheiden soll. Auf einen den Nachweis der behaupteten Benutzung betreffenden Ladungszusatz hat sie mit Eingabe vom 16. August 2002 ergänzende Unterlagen zum Beleg der behaupteten Benutzung vorgelegt und weitere Druckschriften zum Stand der Technik genannt.

Die Patentinhaberin hat sich zum Einspruch nicht geäußert und ist - wie vorher schriftsätzlich angekündigt - zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen.

Der erteilte Patentanspruch 1 lautet:

"Sammelschienenanordnung, mit wenigstens drei Phasenschienen (2,3,4), die in Teilleiter (2A,2B,3A,3B,4A,4B) unterteilt sind, dadurch gekennzeichnet, daß der Querschnitt wenigstens eines Teilleiters (2A, 4A) gegenüber dem Querschnitt der anderen Teilleiter (2B,3A,3B,4B) reduziert ist."

Mit den Merkmalen dieses Patentanspruchs soll die Aufgabe gelöst werden, eine Sammelschienenanordnung der eingangs genannten Art so auszubilden, daß Material und damit Kosten bei der Herstellung eingespart werden können (Sp 1 Z 20 bis 23 der PS).

Die Einsprechende ist der Ansicht, daß nicht nur das dem Streitpatent zugrundeliegende Problem, sondern auch dessen Lösung nach den erteilten Patentansprüchen 1 und 2 aus dem Fachbuch "Elektrische Niederspannungsschaltgeräte und Antriebe" von F. W. Kussy neuheitsschädlich bekannt sei. Der Unteranspruch 3 enthalte kein Einschränkung, da schon die Sammelschienenanordnungen nach Patentanspruch 1 bzw. 2 von der Form und Anzahl der Teilleiter unabhängig seien.

Die Einsprechende beantragt, das Patent zu widerrufen.

Die ordnungsgemäß geladene und ankündigungsgemäß nicht erschienene Patentinhaberin hat keinen Antrag gestellt.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II 1. Einspruchsverfahren Auf den Antrag der Einsprechenden vom 20. März 2002 hin ist die Entscheidungsbefugnis auf den hierfür zuständigen 19. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts übergegangen.

Dieser hatte - wie in der zur Veröffentlichung vorgesehenen Entscheidung in der Einspruchssache 19 W (pat) 701/02 (mwN) ausführlich dargelegt ist - aufgrund öffentlicher mündlicher Verhandlung zu entscheiden.

Gegenstand des Verfahrens ist das erteilte Patent.

2. Zulässigkeit des Einspruchs Der Einspruch ist zulässig.

Hinsichtlich der Einspruchsbegründung reicht es aus, daß allein hinsichtlich der behaupteten Benutzung eine Auseinandersetzung mit den einzelnen Merkmalen des erteilten Patentanspruchs 1 erfolgt ist.

3. Patentfähigkeit Der Einspruch hat Erfolg. Das Patent ist zu widerrufen, da der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gegenüber dem Stand der Technik nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

Die zur Begründung mangelnder Patentfähigkeit erst nach Ablauf der Einspruchsfrist vorgelegten, der Patentfähigkeit des Streitpatents jedoch - wie nachfolgend ausgeführt - entgegenstehenden Seiten des Fachbuches von F. W. Kussy: "Elektrische Niederspannungsschaltgeräte und Antriebe", Technischer Verlag Herbert Cram, Berlin 1969, Seiten 13-28, waren bei der Entscheidung des Senats zu berücksichtigen.

Denn für die Berücksichtigung neuer Tatsachen kann bei einer Entscheidung des Bundespatentgerichts über ein Patent im Rahmen eines an dieses übergegangenen Einspruchsverfahrens nichts anderes gelten als schon bisher und weiterhin für eine Entscheidung über eine Einspruchsbeschwerde (vgl Schulte Patentgesetz 6. Aufl, Rn 29 zu § 79).

Als zuständiger Fachmann ist hier ein Fachhochschulingenieur der elektrischen Energietechnik anzusehen mit Berufserfahrungen in der Konstruktion und dem Betrieb elektrischer Schaltanlagen.

Im Abschnitt "Die Impedanz von Mehrphasenanordnungen" (S 23ff) des Fachbuches F. W. Kussy... ist eine Sammelschienenanordnung mit wenigstens drei Phasenschienen beschrieben, die in (je vier) Teilleiter unterteilt sind (Abb 20b, unteres Bild).

Die vier Teilleiter jeder Phasenschiene weisen einen gleichen Querschnitt auf, so daß sich der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 durch das in seinem kennzeichnenden Teil angegebene Merkmal unterscheidet.

Dieser Unterschied kann jedoch nicht patentbegründend sein.

Denn im gleichen Abschnitt des Fachbuches ist im Zusammenhang mit einer Sammelschienenanordnung aus zwei in Teilleitern unterteilten Phasenschienen ausführlich erläutert, daß der Näherungseffekt (= Proximity-Effekt) - den der Fachmann aus seinem allgemeinen Fachwissen heraus kennt - neben dem Skin-Effekt eine unterschiedliche Strombelastung der einzelnen Teilleiter zur Folge hat (Fig 21b iVm S 26 Z 4 bis 7), und daß eine solche ungleiche Stromverteilung auch bei Anordnungen mit wenigstens drei Phasenschienen auftritt, wie sie in Abbildung 20 dieser Druckschrift dargestellt ist (S 27 Abs 2 Z 1 bis 7).

Die im Streitpatent angegebene Aufgabe ergibt sich - wie die Einsprechende in der mündlichen Verhandlung zutreffend ausgeführt hat - für den Fachmann als Schlußfolgerung aus dem Hinweis, daß die zu wenig Strom führenden Leiter nicht ausgenützt werden (S 27 Abs 2 letzte zwei Zeilen).

Schließlich wird dem Fachmann auch die Lösung dieser Aufgabe durch die im kennzeichnenden Teil des erteilten Patentanspruchs 1 angegebenen Merkmale an die Hand gegeben.

Denn der abschließende Hinweis, die von zu wenig Strom durchflossenen Leiter "schwächer" zu machen (S 27 letzte Zeile bis S 28 Z 1), gibt dem Fachmann die konkrete Anweisung, den Querschnitt wenigstens eines - von geringerem Strom durchflossenen - Teilleiters gegenüber den Querschnitten der anderen Teilleiter zu reduzieren.

Die erteilten Unteransprüche 2 und 3 ohne erkennbaren eigenen erfinderischen Gehalt fallen mit dem Hauptanspruch.

Dr. Kellerer Schmöger Dr. Kaminski Groß

Be






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Az: 19 W (pat) 708/02


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